Längst nicht spitze

Das systematische Lernen von anderen, gerade auch von Wettbewerbern, ist in der Wirtschaft weit verbreitet. Man spricht von „Benchmarking“. Dabei vergleicht man zum Beispiel die Kosten der eigenen Produktion mit denen anderer Unternehmen, um sich selbst zu verbessern.

Benchmarking sollte nicht nur in Unternehmen Pflicht sein, sondern auch in Staaten. Eine Fülle von Studien untersucht und vergleicht regelmäßig Länder nach verschiedenen Kriterien. Diese Studien messen die relative Leistungsfähigkeit eines Staates und vergleichen diese mit früheren Zeiträumen. So belegt Deutschland im Global Competitiveness Report“ des Weltwirtschaftsforums seit Jahren einen der vorderen Plätze. Vor uns liegen Singapur, die USA, Hongkong, die Niederlande, die Schweiz und Japan.

Bei einem genaueren Blick in den Bericht erkennt man Indikatoren, die wichtige Anhaltspunkte über die künftige Leistungsfähigkeit eines Landes geben. So belegen wir bei der Infrastruktur nach Einschätzung des Weltwirtschaftsforums Platz acht. Schaut man noch genauer hin, liegt das vor allem an früheren Investitionen.

So verfügen wir mit Hamburg und Bremen über gute Häfen. Auch die Flughäfen bieten eine gute internationale  Vernetzung, das Bahnnetz gilt als „dicht“. Schlechter sieht es bei der „Effizienz“ von Bahn- und Flugverkehr aus. Hier belegen wir nur die Plätze 16 und 28 mit fallender Tendenz. Jeder, der in letzter Zeit mit Bahn oder Flugzeug in Deutschland unterwegs war, weiß, warum.

Beim Thema Informationstechnologie belegen wir nach einer aktuellen Studie der IMD Business School Platz 19, deutlich hinter den skandinavischen Ländern, den USA, Israel und China. Besonders schlecht schneidet Deutschland bei den Themen Bildungsausgaben, digitale Kompetenzen, Umfeld für Gründungen und Anwendung von Instrumenten wie Big Data Analytics ab. Also bei genau jenen Punkten, die entscheidend für die künftige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sind.

Unternehmen reagieren auf Benchmarking pragmatisch. Strukturen werden angepasst, Technologien und Fähigkeiten von anderen übernommen. Der Staat ist hier zurückhaltender.

Statt etablierte Technologien und Prozesse von führenden Ländern wie Dänemark zu kaufen, werden eigene Entwicklungen angestoßen. Diese dauern nicht nur deutlich länger, sie sind erfahrungsgemäß auch deutlich teurer. Angesichts des schon bestehenden Rückstands, der sich aufgrund der Geschwindigkeit der Digitalisierung immer weiter vergrößert, ist ein Umdenken überfällig.

Den deutschen Eliten fehlt eine Strategie

Doch warum tun wir uns als Staat so schwer, von anderen zu lernen? Aufschluss kann eine weitere Vergleichsstudie geben, die auf die Qualität der Eliten eines Landes blickt. Der „Elite Quality Index“ der Universität St. Gallen (HSG) untersucht anhand von 107 Indikatoren, ob die Führungseliten aus Wirtschaft und Politik den Wohlstand eines Landes mehren.

Hier belegt Deutschland zwar einen guten elften Platz, aber auch das vor allem aufgrund von Leistungen aus der Vergangenheit. Mit Blick auf die Zukunft sind die Ergebnisse deutlich kritischer zu sehen. So bemängeln die Autoren, dass es den deutschen Eliten in Politik und Wirtschaft an Ideen und vor allem Strategien fehle. Eine Einschätzung, die man mit Blick auf die politische Reaktion auf den Krieg in der Ukraine und die sich daraus ergebende fundamentale Gefährdung des Standorts Deutschland nur bestätigen kann.

Die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, sind enorm, nicht zuletzt weil wir die guten Jahre nicht genutzt haben, um in unsere Zukunftsfähigkeit zu investieren. Nun läuft uns vor dem Hintergrund der akuten Energiekrise und des stark beschleunigten demografischen Wandels die Zeit davon.

Höchste Zeit also, systematisch von anderen zu lernen und deren Instrumente zu übernehmen, statt auf eigene Entwicklungen zu setzen. Hans-Peter Bartels (SPD), der ehemalige Wehrbeauftragte der Bundesregierung, empfahl mit Blick auf die Bundeswehr schon 2020, diese solle statt aufwendiger Einzelbestellungen „mehr Ikea wagen“. Das gilt für das ganze Land.

→ handelsblatt.com: “”Mehr Ikea wagen”: Deutschland muss endlich das Benchmarking lernen”