Zoltan Poszar: Krieg und Industrie
Heute Teil Zwei der Ausführungen von Zoltan Pozsar, die ich im aktuellen Podcast (2. April 2023) bespreche. Es geht um die Auswirkungen auf die Industrie:
„Kriege lassen sich nicht führen mit Lieferketten, die sich durch eine globalisierte Welt ziehen, wo auf fernen kleinen Inseln im Südchinesischen Meer produziert wird, von wo Chips nur transportiert werden können, wenn Lufträume und Meerengen offenbleiben. Globale Lieferketten funktionieren nur in Friedenszeiten, aber nicht, wenn sich die Welt im Krieg befindet, sei es ein heißer Krieg oder ein Wirtschaftskrieg.“
Das leuchtet ein. Und er erinnert nochmals an die bisherige Kernerkenntnis:
„Die Welt mit niedriger Inflation hatte drei Säulen: billige Einwanderer, die das Nominallohnwachstum in den USA begrenzten, billige chinesische Waren, die die Reallöhne bei stagnierenden Nominallöhnen erhöhten, und billiges russisches Erdgas, das die deutsche Industrie und Europa im Allgemeinen antrieb. In dieser ‚Dreifaltigkeit‘ waren zwei riesige geostrategische und geoökonomische Blöcke enthalten: Niall Ferguson nannte den ersten ‚Chimerica‘ – also die Verknüpfung von China und den USA. Die andere nenne ich ‚Eurussia‘ – also die Verknüpfung von Europa und Russland.“
- Der Begriff „Chimerica“ wurde im Jahr 2006 von dem Historiker Niall Ferguson und dem Ökonomen Moritz Schularick geprägt.
- Demnach produziert China Waren und verwendet das dafür eingenommene Kapital, um den USA zinsgünstige Kredite zum Kauf dieser Waren zu gewähren.
- Die USA nutzen diese zinsgünstigen Kredite zu einer Ausweitung des Konsums, während China durch Vollbeschäftigung und starkes Wirtschaftswachstum davon profitiert.
- „Eurussia“ – hier von Pozsar in die Diskussion geführt – ist ähnlich. Es gab billige Rohstoffe, die der europäischen Industrie halfen, wettbewerbsfähig zu bleiben. Die russischen Eliten bekamen dafür viel Geld, das sie auch in Europa ausgaben bzw. anlegten.
- Im ersten Fall sanken vor allem die Kapitalkosten im Westen, im zweiten die Energiepreise.
- Beides war also in gewisser Hinsicht ein künstlicher Boom.
Und das war für alle Beteiligten eigentlich ein gutes Geschäft, wie Pozsar ausführt:
„Die EU zahlte Euro für billiges russisches Gas, die USA zahlten US-Dollar für billige chinesische Importe, und Russland und China legten ihre Einnahmen pflichtbewusst in Staatsanleihen der G-7-Staaten an. Alle Seiten waren sowohl wirtschaftlich als auch finanziell verstrickt, und wie die alte Weisheit sagt, wenn wir handeln, profitieren alle davon, und deshalb werden wir nicht kämpfen. Aber wie in jeder Ehe gilt das nur, wenn Harmonie herrscht. Harmonie basiert auf Vertrauen, und gelegentliche Meinungsverschiedenheiten können nur dann friedlich gelöst werden, wenn Vertrauen vorhanden ist. Wenn das Vertrauen weg ist, ist alles weg.“
Und dieses Vertrauen ist offensichtlich nicht mehr vorhanden.
„Heute ist das Vertrauen weg: Chimerica funktioniert nicht mehr und Eurussia funktioniert auch nicht. Stattdessen haben wir eine besondere Beziehung zwischen Russland und China, den Kernwirtschaften des BRICS-Blocks und dem ‚König‘ und der ‚Königin‘ auf dem eurasischen Schachbrett – ein neues ‚himmlisches Match‘, das aus der Scheidung von Chimerica und Eurussia folgte.“
Wir haben ein Bündnis der Ex-Partner. Die Frage ist natürlich, wohin das führt. Zunächst aber die Frage, wie es zu dem Vertrauensverlust kam:
„Die ‚Cartoon‘-Version geht so: China wurde sehr reich, indem es billiges Zeug herstellte, und wollte dann weltweit 5G-Netzwerke aufbauen und hochmoderne Chips mit hochmodernen Lithografiemaschinen herstellen, aber die USA sagten ‚auf keinen Fall‘. Infolgedessen macht Chimerica eine chaotische Scheidung durch. Die beiden Seiten reden nicht mehr.“
Gleiches gilt für Eurussia:
„Russland wurde reich, indem es billiges Gas nach Europa verkaufte, und Deutschland wurde reich, indem es teures Zeug verkaufte, das mit billigem Gas hergestellt wurde. Die Geschäfte liefen so gut, dass Russland und Deutschland eine Erneuerung des Ehegelübdes mit Nord Stream 2 planten. Doch die Zeremonie wurde abrupt abgebrochen und endete in einer Scheidung, da die eine Seite etwas tat, was die andere nicht tolerieren konnte.“
Das ist die Kurzfassung, die Pozsar aber noch durch einen weiteren Aspekt ergänzt – nämlich das Verhalten der USA in dieser Zeit:
„Die USA wurden durch Gelddrucken reich. Das war nur im Umfeld tiefer Inflation möglich, das durch billige Exporte aus Russland und China ermöglicht wurde.“
Nun haben wir zu Chimerica und Eurussia eine neue Allianz zwischen Russland und China, Pozsar nennt sie „Chussia“.
„Die besondere Beziehung zwischen China und Russland ist stark: eine Verbindung von Rohstoffen und Industrie, die den größten Rohstoffproduzenten (Russland) und die Fabrik der Welt (China) vereint, die potenziell die Kontrolle über Eurasien hat.“
Zwar ist die neue Verbindung aus dem Ende der alten Verbindungen geboren, also eigentlich eine Art Rache-Bündnis, aber die verbindet gut: Rohstoffe auf der einen, Technologie und Produktion auf der anderen Seite.
Dabei bleibt es aber nicht. Russland und China versuchen, weitere Allianzen zu schmieden:
„Bei Kriegen geht es auch um Allianzen. Im heutigen komplexen Konflikt zwischen den USA einerseits und Russland und China andererseits lässt sich die Welt am besten mit ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund‘ beschreiben: Russland und China halten Marineübungen mit dem Iran um die Straße von Hormuz ab; Der Iran hat kürzlich Gespräche zwischen Russland und der Türkei über Getreidelieferungen durch die Bosporus-Straße geführt; nicht überraschend ging die erste Lieferung zum syrischen Hafen Tartus, der einen technischen Stützpunkt der russischen Marine beherbergt; Vor kurzem haben die Türkei und Russland vereinbart, bilaterale Handelsströme, einschließlich Gas, in Rubel abzuwickeln.“
Und das wird, so sehen wir noch in seiner Argumentation, erhebliche Auswirkungen auf die geopolitische Lage haben.
„Wenn ich einen Schritt zurücktrete, sehe ich auf der eurasischen Landmasse ein erbittertes, geostrategisches Schachspiel im Gange. Vergessen wir die BRICS und versuchen stattdessen, uns auf die Türkei, Russland, den Iran, China und Nordkorea zu konzentrieren, ein von den USA sanktioniertes Bündnis von Volkswirtschaften, das sich wirtschaftlich und militärisch immer näherkommt. Eine eurasische ‚Allianz der Sanktionierten‘.“
Und nicht nur das. Eine Allianz, die gezielt versucht, weitere Partner zu gewinnen.
Und was folgt aus dieser De-Globalisierung?
- zunächst wie bereits angesprochen eine dauerhafte Rückkehr der Inflation
- und die Notwendigkeit, die Nachfrage dem geringeren Angebot anzupassen
- Doch damit nicht genug: Daraus folgt, dass wir selbst wieder mehr produzieren müssen.
- Wir müssen dazu wieder mehr investieren.
Pozsar bringt drei Beispiele:
„Wie führt man Kriege an mehreren Fronten, wenn eine einzige Front in der Ukraine gezeigt hat, wie schnell sich Lagerbestände in einem Zermürbungskrieg erschöpfen können und wie langsam der Ersatz ist. Hier geht es nicht um Hightech-Waffen, die Chips brauchen, sondern um einfache Artillerie. Wie ein kürzlich erschienener FT-Artikel feststellte: ‚Fetische für High-Tech-Waffen und schlanke Fertigung haben die Wichtigkeit verdeckt, Vorräte an Grundausstattung wie Artilleriegeschossen zu halten. Die gesamte jährliche US-Produktion von 155 Millionen Artilleriegeschossen würde beispielsweise in der Ukraine nur für etwa zwei Wochen ausreichen.‘
Zweitens ist es auch nicht so, dass das exquisite Zeug schnell hergestellt werden kann: ‚Als Washington im Mai 1.300 Stinger-Flugabwehrraketen bestellte, um die in die Ukraine geschickten zu ersetzen, antwortete der Vorstandsvorsitzende von Raytheon: Es wird eine Weile dauern.‘ Und das ist nicht nur ein Ersatzproblem. Unterdessen bemerkte Peter Wennick, der CEO von ASML, dem Hersteller hochmoderner Lithografiemaschinen, bei einer kürzlichen Telefonkonferenz Folgendes: ‚Ich habe letzte Woche die Führungskraft eines sehr großen Industrieunternehmens, eines Konglomerats, getroffen, und er erzählte mir, dass sie Waschmaschinen kaufen, um die Chips herauszureißen, um sie in Industriemodule zu stecken. Ich meine, das passiert heutzutage.‘
Drittens war die Botschaft von Chinas vorübergehender Blockade Taiwans klar – Chips sind nützlich, wenn sie verschifft werden können, nicht wenn sie aufgrund einer Blockade festsitzen: Wie können die USA ihr wirtschaftliches Schicksal kontrollieren, wenn eine multipolare Welt entsteht? Wenn zerfallene globale Lieferketten verhindern, dass sie Chips für Raketen zur Verteidigung der bestehenden Weltordnung beschaffen?“
Und er fasst es so zusammen:
„Wir sind Zeugen der Implosion der langen Lieferketten der globalisierten Weltordnung: Masken, Babynahrung, Chips, Raketen und Artilleriegeschosse, vorerst. Die Auslöser sind nicht ein Mangel an Liquidität und Kapital in den Banken- und Schattenbanksystemen, sondern ein Mangel an Lagern und Schutz im globalisierten Produktionssystem, in dem wir im Inland entwickeln und entwerfen, es aber im Ausland produzieren lassen, wo Rohstoffe, Fabriken und Schiffsflotten von Staaten dominiert werden, die im Konflikt mit dem Westen stehen.“
Keine erfreuliche Beschreibung der Situation, aber eine zutreffende. Wir haben uns bei zu vielen Dingen von kritischer Bedeutung von Staaten abhängig gemacht, die der westlichen Weltordnung kritisch gegenüberstehen. Und die jetzt die Chance sehen, diese Weltordnung erfolgreich herauszufordern.
Daraus folgt, dass man anders auf die eigenen Fähigkeiten blicken muss:
„Man muss die eigene Produktionskapazität kennen, um seine Kampffähigkeit zu kennen. Die USA kaufen 70 % ihrer fortschrittlichsten Chips aus Taiwan. Das sind die Chips für das Militär. Es gibt ungefähr 250 Chips in einem Javelin-Panzerabwehrsystem. Die wollen wir alle in Taiwan kaufen? Deshalb hat der US-Kongress das 52-Milliarden-Dollar-CHIPS-Gesetz so schnell verabschiedet, wie er es tat. Aber die harte Arbeit liegt noch vor uns, denn der Bau von Fabriken dauert mehrere Jahre, um unsere ‚Halbleiterautonomie‘ zu erlangen.“
Und das ist nur ein Beispiel für die Größe der Herausforderung.
Pozsar sieht vier Bereiche:
„Um sicherzustellen, dass der Westen den Wirtschaftskrieg gewinnt – um die Risiken zu überwinden, die von ‚unsere Rohstoffe, euer Problem‘, ‚Chips aus unserem Hinterhof, euer Problem‘ ausgehen – muss der Westen ab ‚gestern‘ Billionen in vier Arten von Projekten stecken:
(1) zur Verteidigung der Weltordnung Aufrüsten
(2) zur Umgehung von Blockaden, Produktion zurückverlagern, so genanntes re-shoring
(3) Die Vorräte an Rohstoffen aufstocken und in neue Vorkommen investieren
(4) Die Energiewende voranbringen.“
Bei allen Bereichen sieht Pozsar große Herausforderungen, vor denen wir stehen, um das umzusetzen. Vor allem strahlen sie auf die gesamte Wirtschaft aus:
„Ich denke, dass die oben genannten vier Themen die bestimmenden Ziele der Industriepolitik in den nächsten Jahren sein werden. Wie viel die G7 für diese Dinge ausgeben werden, ist eine offene Frage, aber angesichts der Tatsache, dass die globale Ordnung auf dem Spiel steht, werden sie wahrscheinlich nicht an Geld sparen.“
Wir sehen also eine deutliche Steigerung der Nachfrage. Das muss m.E. zu höherer Inflation führen, aber auch zu höheren Zinsen. Doch können wir das wirklich stemmen?
Die Wirkung zeigt sich unmittelbar bei den Rohstoffen:
„Es werden viele Rohstoffe benötigt – es ist ein Nachfrageschock. Es ist ein Nachfrageschock in einem makroökonomischen Umfeld, in dem der Rohstoffsektor kläglich unterinvestiert ist – ein Erbe von einem Jahrzehnt klimapolitisch gewünschter Anti-Investitionspolitik. Unterinvestitionen bedeuten Angebotsengpässe, und Geopolitik bedeutet noch mehr Angebotsengpässe: Ressourcennationalismus – siehe Russlands Haltung oder Mexikos jüngste Entscheidung, Lithiumminen zu verstaatlichen – bedeutet, dass das Angebot, von dem Sie glauben, dass es vorhanden ist, um den Nachfrageschub zu decken, nicht vorhanden ist: die Preise müssen also steigen. Gut möglich, dass wir vor einem Rohstoff-Superzyklus stehen.“
Das erinnert mich an die Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Südamerika. Dort wollte er für die deutsche Wirtschaft Lithiumlieferungen sichern. Doch er war reichlich spät dran.
Nicht nur bei Rohstoffen geht es zur Sache. Zugleich muss die Industrie ausgebaut werden. Und das ist sehr kapitalintensiv:
„Kapitalintensität bedeutet, dass Regierungen und auch der Privatsektor langfristige Kredite aufnehmen müssen, um die Investitionen zu tätigen. Aufrüstung und Aufstockung sind die Domänen der Regierung, und die Neuverankerung und Neuverkabelung des Stromnetzes wird öffentlich-private Partnerschaften erfordern. Private Unternehmen müssen Schulden aufnehmen und Eigenkapital beschaffen, um Dinge zu bauen: Schiffe, F-35, Fabriken, Rohstofflager und Windturbinen.“
Das ist deshalb interessant, weil diese höhere Kapitalnachfrage eigentlich zu höheren Zinsen führen muss oder aber sie weiter durch die Notenbanken finanziert wird, was dann wiederum die Inflation antreibt.
Pozsar glaubt auch, dass diese Agenda abgearbeitet wird, egal wie hoch die Zinsen steigen. Und er verbindet das noch mit einer Aussage über die bisherigen Profiteure des billigen Geldes, namentlich den Private-Equity-Firmen.
„Die To-do-Liste muss abgearbeitet werden, unabhängig davon, ob die Fed die Zinsen auf 3,5 % oder 7 % anhebt. Die industrielle Souveränität hängt davon ab. Auf der anderen Seite reagiert Private Equity empfindlich auf Zinssätze, und eine richtig gemachte Industriepolitik mit überwältigender Kraft wird schließlich Private Equity ‚verdrängen‘. Bei Finanzen geht es um Zyklen von mehreren Jahrzehnten. Private Equity durchlief den Niedriginflations-Zyklus und den Globalisierungszyklus, der nach der globalen Finanzkrise Jahre des Gelddruckens ermöglichte. Dieser Zyklus ist vorbei…“
Dieser Trend zu höheren Zinsen wird nach Auffassung von Pozsar durch einen weiteren Faktor bestärkt:
das Ende des bisherigen Finanzkreislaufs.
Erinnern wir uns daran, dass das Modell darauf basierte, dass wir billige Waren gekauft haben und umgekehrt die Öllieferanten und China ihre Überschüsse im Westen anlegten.
„Es macht für bestimmte große Länder im globalen Osten absolut und kategorisch keinen logischen Sinn, ihre Überschüsse in Staatsanleihen der G7-Staaten anzulegen. Nicht nur wegen dem, was mit Russlands Devisenreserven passiert ist, sondern auch, weil das Rollen eines Portfolios von US-Staatsanleihen im Wert von 1 Billion US-Dollar bedeutet, dass Sie die Bemühungen des Westens finanzieren werden, wieder aufzurüsten, zu reshoren, Rohstoffe zu kaufen und die Energiewende zu realisieren, was letztlich alles gegen den Osten gerichtet ist.“
Also: In einem Wirtschaftskrieg finanziert man den Gegner nicht. Das ist einfach und in der Tat die logische Konsequenz! Das wiederum wird Folgen für das Weltwährungssystem haben.