Deutschlands Wirt­schaft hatte keinen Vor­teil durch billiges Gas

Der Ökonom Daniel Gros erläutert in einem Gastbeitrag, warum Deutschland die Drosselung der Gaslieferungen gut verkraften wird. Sehen wir uns die Argumentation mal an:

  • Die herkömmliche Ansicht über die aufgrund reduzierter Liefermengen aus Russland ausgelöste Gaskrise in Europa beruht zu einem Gutteil auf zwei Annahmen: dass nämlich die deutsche Wirtschaft auf billiges Gas aus Russland angewiesen ist und dass die Rechnung, damit verlässlich arbeiten zu können, in spektakulärer Weise nicht aufgegangen ist.“ – bto: Das ist auch die Geschichte, die der zuständige Minister immer wieder erzählt. Nach dem Motto, es war die dumme und gierige Industrie, die daran Schuld ist, nicht die Politik mit ihrer Gas-Brücke in die Zukunft.
  • Doch obwohl die deutsche Industrie stark ist und das Land viel Erdgas aus Russland importiert, spricht ein genauerer Blick auf die Zahlen und die wirtschaftlichen Zusammenhänge gegen diese vorherrschende Sichtweise. Zunächst einmal spielt Erdgas keine so große Rolle, dass es die treibende Kraft hinter einer Industriewirtschaft sein könnte. Im Jahr 2019 bezahlte Deutschland für die Gasimporte via Pipeline 30 Milliarden Dollar – das entspricht nur 0,75 Prozent seines BIP –, und der Gesamtwert des deutschen Gasverbrauchs lag unter zwei Prozent des BIP.“ – bto: Dies alleine genügt aber noch nicht, um zu sagen, dass es kein Problem ist, trifft der Gasmangel doch einzelne Unternehmen/Branchen durchaus hart.
  • Diese bescheidenen Anteile präsentieren sich in allen Industrieländern ähnlich und deuten darauf hin, dass billige Gasimporte höchstwahrscheinlich kein wesentlicher Wachstumsfaktor sind. Und obwohl der Gasverbrauch in Deutschland und den meisten westeuropäischen Ländern in den vergangenen 20 Jahren stagnierte, wuchs die Wirtschaft – wenn auch langsam.“ – bto: Letzteres hat andere Gründe.
  • Auch das Argument, Deutschland hätte von billigem russischen Gas möglicherweise stärker profitiert als andere Länder, wird durch die Zahlen nicht untermauert. Im Jahr 2019 entfielen lediglich etwa 2,3 Prozent des weltweiten Erdgasverbrauchs, aber 4,5 Prozent des weltweiten BIP auf Deutschland.“ – bto: Da könnte man natürlich auch sagen, dass es eine Frage der Verwendung ist. Vielleicht fließt bei uns ein besonders hoher Anteil in die Industrie.
  • Deutschlands Gasintensität pro BIP-Einheit beträgt etwa die Hälfte des weltweiten Durchschnitts und liegt deutlich unter dem entsprechenden Wert der USA und vieler anderer Industrieländer, darunter Japan und Südkorea.“ – bto: Auch das besagt natürlich nichts über die Folgen für die betroffenen Unternehmen.
  • Die europäischen Volkswirtschaften gehen mit Energie tendenziell sparsamer um als der Rest der Welt. Aber selbst innerhalb Europas schneidet Deutschland mit einem geringeren Gasverbrauch pro BIP-Einheit besser ab als andere große EU-Volkswirtschaften, beispielsweise Italien und Spanien.“ – bto: und schlechter als Frankreich, die konsequent auf Kernkraft setzen.
  • Ein ähnliches Bild ergibt sich aus Kennzahlen, die damit zusammenhängen, etwa dem Wert der Energieimporte als Prozentsatz des BIP oder dem Gasverbrauch für industrielle Zwecke als Anteil an der industriellen Wertschöpfung. Diese Indikatoren zeigen, dass die deutsche Wirtschaft Energie weniger intensiv nutzt als die meisten anderen.“ – bto: Das mag sein und zeigt einfach nur die konsequente Notwendigkeit, im globalen Wettbewerb auf Effizienz zu achten.
  • Die Vorstellung, wonach die deutsche Industrie durch den Zugang zu billigem Gas aus Russland einen Vorteil erlangt habe, lässt die Tatsache außer Acht, dass es einen europäischen Gasmarkt gibt, auf dem die Unterschiede zwischen den Großhandelspreisen der einzelnen Länder bisher nur gering sind.“ – bto: Das habe ich mir auch schon gedacht. Ich fand die Erzählung von Habeck schon immer komisch, wonach das Gas bei uns billiger war als in den Nachbarländern.
  • Man könnte natürlich anführen, dass Russland seine Energie billig an Deutschland verkauft hat, um das Land in die Abhängigkeit zu treiben. Allerdings widerlegen die Daten die gängige Wahrnehmung, dass Deutschland billiges Gas erhält: In den letzten zehn Jahren hat die deutsche Industrie etwa zehn Prozent mehr für Erdgas bezahlt als ihre Konkurrenz in den anderen großen EU-Ländern. Dank der Versorgung aus der Nordsee bezahlten britische Industrieunternehmen sogar noch weniger als ihre Konkurrenz auf dem Kontinent.“ – bto: So viel also zu dem billigen Gas, das uns einen unfairen Vorteil ermöglicht hat!
  • Implizit lässt das die Vermutung aufkommen, dass sich Russland fast ohne Kosten einen nicht wirtschaftlichen Vorteil verschafft hat (durch die deutsche Abhängigkeit von seinen Gaslieferungen). Im Umkehrschluss bedeutet es, Deutschland musste einen Verlust an Energieunabhängigkeit hinnehmen, ohne einen spürbaren wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen.“ – bto: Das muss man sich mal vor Augen führen!
  • Gasversorgung in der EU: „Deutschland befindet sich in einer denkbar schlechten Lage (…) obwohl Deutschland in dieser Hinsicht stärker gefährdet zu sein scheint, weil es einen großen Teil seines Gases aus Russland bezieht, kann sich das schnell ändern. Deutschland baut in Rekordzeit neue Kapazitäten im Bereich Regasifizierung auf, um Flüssiggas-Import in Mengen zu ermöglichen, die die reduzierten russischen Liefermengen kompensieren und die Inlandsnachfrage bedienen.“ – bto: Dies ist allerdings nicht billig!
  • „(…) aufgrund seiner unter dem EU-Durchschnitt liegenden Energieintensität sollte Deutschland in der Lage sein, die Belastung etwas besser zu verkraften als Italien, Spanien und einige osteuropäische Länder. Frankreich wird freilich weitaus weniger betroffen sein, zumindest wenn seine Kernreaktoren ihre volle Leistung wieder aufnehmen können.“ – bto: wie ohnehin Frankreich einen Kostenvorteil bei Energie haben wird und den ausbaut.
  • Auch das weltweite Gesamtbild sollte nicht aus den Augen verloren werden. Werden große Mengen an russischem Gas aus dem Verkehr gezogen, werden die weltweiten Gaspreise steigen. Das betrifft auch asiatische Länder, weil sie mit Europa um verflüssigtes Erdgas konkurrieren. Südkorea und Japan weisen eine höhere Energieintensität als Europa auf, und selbst China importiert große Mengen an verflüssigtem Erdgas, und zwar zu einem ähnlichen Preis wie die europäischen Länder.“ – bto: Das wäre in der Tat ein Vorteil für uns.
  • Teure Energie, insbesondere Erdgas, stellt für alle energieimportierenden Industrieländer eine schwierige wirtschaftliche und politische Herausforderung dar. Nur die USA und einige andere kleinere Energieerzeuger wie Norwegen, Kanada und Australien profitieren von dieser Situation. Die Daten deuten jedoch darauf hin, dass Deutschland besser in der Lage ist, diese Krise zu überstehen als die meisten seiner wichtigsten Konkurrenten.“ – bto: Das wäre uns allerdings zu wünschen, wobei unsere Regierung alles dafür tut, es besonders schwer für die hiesige Wirtschaft zu machen.

Und das Original:

project-syndicate.org: „Russian Gas Cuts Will Not Kill the German Economy“, 9. August 2022