Best of 2017: Air Berlin hatte keine Chance

Wie immer zum Jahreswechsel ein Rückblick auf die Highlights des Jahres, Artikel, von denen ich denke, dass es sich lohnt, sie nochmals zu lesen. Dieser Beitrag erschien im August u. a. bei Cicero online:

Nun ist es also offiziell. Air Berlin hat Insolvenz angemeldet und wieder bewiesen, was für die ganze Branche gilt: Airlines kommen in Probleme, sobald ihnen das Geld anderer Leute ausgeht. In diesem Fall hatten die Scheichs keine Lust mehr, weitere Millionen in ein Fass ohne Boden zu stecken. Besser wäre es gewesen, sie hätten sich vorher mit den Regeln einer Branche beschäftigt, die seit Jahrzehnten über den gesamten Konjunkturzyklus gerechnet kein Geld verdient.

Airlines sind ein schlechtes Investment. Die wenige Ausnahmen, denen es gelingt Geld zu verdienen, machen alles richtig. Diejenigen, die halbwegs überleben, vieles. Air Berlin hatte keine Chance, denn zu viele Faktoren konnte die Airline nicht mehr ändern. Die Fehler wurden vor Jahren gemacht. Umso wichtiger ist es, sich die Gründe für die Probleme der Branche vor Augen zu führen:

  1. Ein Großteil der Kosten ist fremdbestimmt

Für Fluggesellschaften ist es weitaus schwieriger, sich auf der Kostenseite zu differenzieren, als für Unternehmen anderer Branchen. Alle kaufen ihre Flugzeuge bei den gleichen Lieferanten (Airbus, Boeing). Alle brauchen dasselbe Kerosin, um die Maschinen zu betanken, alle zahlen an den Flughäfen die gleichen Landeentgelte, sofern sie nicht auf subventionierte Regionalflughäfen ausweichen.

Nur bei den Personalkosten können die Fluggesellschaften einen Vorteil erzielen. Wer die geringsten Löhne zahlt, hat einen Vorteil. Kein Wunder also, dass das entscheidende Thema der letzten Jahre die immer wiederkehrende Diskussion um die Senkung der Personalkosten war und uns mehre Streiks selbst bei der Lufthansa beschert hat. Hierin liegt auch der eigentliche Grund für die Auslagerung von Strecken an Tochtergesellschaften, wie beispielsweise Eurowings.

  1. Im Einkauf liegt der Gewinn

Da alle Fluggesellschaften von den gleichen Zulieferern abhängen, kommt der Einkaufsstrategie eine entscheidende Bedeutung zu. Erfolgreiche Airlines wie Ryanair und EasyJet haben beispielsweise in vergangenen Rezessionen die schlechte Auftragslage bei Airbus und Boeing dazu genutzt, mit Bestellungen von über hundert Maschinen die Preise zu drücken. Auch in den letzten Jahren sind sie durch Rekordbestellungen aufgefallen, wie zuletzt 2013. Damit unterscheiden sie sich deutlich von Wettbewerbern wie Air Berlin, die immer nur in geringerer Stückzahl Maschinen gekauft haben und deshalb höhere Preise in Kauf nehmen mussten.

  1. Standardisierung ist wichtig

Doch damit nicht genug. Die meisten Airlines – wie auch Air Berlin – betreiben eine Flotte verschiedener Flugzeugtypen, oftmals auch von verschiedenen Herstellern. Dies hat eine enorme Komplexität zur Folge. Piloten müssen für verschiedene Flugzeugtypen ausgebildet werden oder aber können nicht die gesamte Flotte fliegen. Gleiches gilt für Mechaniker. Die Ersatzteilbevorratung ist ebenfalls deutlich komplexer. Damit steigen nicht nur die Kosten im täglichen Betrieb, sondern es sinkt auch die Flexibilität, um bei Störungen reagieren zu können. Fällt eine Maschine aus, ist es beispielsweise viel komplizierter einen Ersatz zu beschaffen. Dadurch sinkt im Schnitt die Auslastung der Flotte. Die Einnahmen pro Flugzeug sind tiefer.

  1. Wartungskosten minimieren

Eng mit dem Einkauf der Maschinen hängt auch der Verkauf zusammen. Es ist natürlich, dass mit zunehmenden Alter der Maschinen auch der Wartungsaufwand steigt. Gesellschaften wie Ryanair und EasyJet nutzen deshalb die neu gekauften Maschinen ungefähr sechs Jahre, bevor sie diese weiterverkaufen. Ein sehr günstiger Zeitpunkt, denn die zu realisierenden Preise sind noch hoch und die Wartungsaufwendungen noch tief. Hier zahlt sich die Einkaufsstrategie zusätzlich aus. Air Berlin betrieb zuletzt übrigens 122 Flugzeuge mit einem Durchschnittsalter von 9,6 Jahren: 97 Airbus (unterschiedlichen Typs), eine Boeing, 21 Bombardier und drei weitere Maschinen. Kostengünstig kann das gar nicht sein.

  1. Auslastung ist entscheidend

Will man in der Branche Geld verdienen, muss man die Auslastung der Flugzeuge nach oben treiben. Das beinhaltet eine engere Bestuhlung, um mehr Plätze anbieten zu können, eine aggressive Verkaufsstrategie, um möglichst viele dieser Plätze zu verkaufen (denn ein leerer Platz bringt garantiert kein Geld) und möglichst viele Flugstunden pro Tag. In allen drei Dimensionen haben die Billigflieger die Nase vorn. Sie haben den Komfort deutlich gesenkt, vermarkten ihre Tickets weitaus aggressiver und haben die Flugzeiten maximiert. Sehr schön ist das an der sogenannten „Turn-around-Zeit“ zu beobachten. Damit ist die Zeit zwischen der Landung und dem nächsten Start gemeint. Am besten ist es, auf dem Vorfeld zu parken und die Passagiere mit dem Bus zu transportieren. Idealerweise auch so, dass man keinen Push-back braucht, also nicht von einem Flughafenfahrzeug zurückgeschoben werden muss. Das spart Zeit und wiederum Geld.

Billigflieger bieten deshalb auch keine Umsteigeverbindungen an. Die kann der Kunde sich selber zusammenstellen, so er will. Der Fokus der Fluggesellschaft liegt auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, auf der die Maschinen idealerweise hin und her pendeln. Will man wie Air Berlin ein Streckennetz mit vielen Kombinationsmöglichkeiten anbieten, so ist das ein teures Unterfangen, das man sich leisten können muss. Finanziell ist es ein Desaster.

  1. Personalkostenvorteil der Angreifer

Zwar versuchen die etablierten Anbieter wie Lufthansa (über Eurowings) und Air Berlin die Auslastungsstrategie der Billigairlines zu kopieren, doch das genügt nicht. Sie leiden unter dem typischen Problem vor dem alle Industrien stehen, sobald neue Anbieter eintreten. Letztere können sich Personal zu aktuellen Konditionen beschaffen und diese liegen gerade in der Luftfahrt deutlich tiefer als noch vor wenigen Jahren. In der Folge sind die traditionellen Anbieter in ständigen Kämpfen mit Mitarbeitern und Gewerkschaften mit dem Ziel der Lohnsenkung, was das Betriebsklima trübt und Störungen durch Streiks zur Folge hat. Dies lähmt die Organisationen und macht es schwer, sich auf den eigentlichen Kampf gegen die neuen Wettbewerber zu konzentrieren. Noch schwerer wiegt, dass es zu lange dauert und letztlich wohl nie gelingen wird, das Lohnniveau der neuen Wettbewerber zu erzielen. Air Berlin und Co. haben auch hier einen dauerhaften Nachteil.

  1. Kunden wollen nur billig

Bevor an dieser Stelle die Leserkommentare ob meiner Kaltherzigkeit Überhand nehmen, sei daran erinnert, dass es letztlich wir, die Kunden sind, die es in der Hand haben, zu entscheiden, ob wir bereit sind, deutlich mehr für ein Flugticket zu bezahlen. Solange wir das nicht sind, bleibt der Druck auf die Fluggesellschaften bestehen. Das sollten wir auch bedenken, wenn unser Gepäck nicht ausgeliefert wird, weil die Airlines und die Flughäfen auf einen noch billigeren Anbieter gewechselt haben.

  1. Kein Wettbewerber scheidet wirklich aus

In der ersten Reaktion auf die Insolvenz von Air Berlin sind die Aktien der Wettbewerber wie Lufthansa gestiegen. Dahinter steht letztlich die Erwartung des Marktes, dass durch den Wegfall eines Wettbewerbers der Preisdruck abnimmt und die Lufthansa in Deutschland höhere Preise durchsetzen kann. Zeitweise wird das auch der Fall sein und der Firma etwas Luft verschaffen. Strukturell ändert sich jedoch nichts. Es ist nur eine Frage der Zeit bis andere – vermutlich noch aggressivere Wettbewerber – in die Lücke stoßen. Die Eintrittsbarriere in den Markt ist nicht so hoch und die Lufthansa wird von den Wettbewerbshütern gezwungen werden, auf bestimmte Routen und Startzeiten zu verzichten. Dann geht das Spiel also weiter. Eine wirkliche Reduktion der Flugkapazitäten, die angeboten werden, ist somit nicht in Sicht und damit auch keine höheren Preise. 

  1. Emotion vor Ratio

Eine Besonderheit der Branche ist sicherlich die emotionale Bindung vieler Akteure an das Fliegen. Diese Begeisterung führt bei vielen zu einer zu emotionalen und zu wenig rationalen Herangehensweise an das Geschäft. Das gilt erst recht für die Investoren, die, obwohl alle Erfahrungen gegen die Branche sprechen, immer wieder darauf hoffen, es würde ihnen besser ergehen. Nicht umsonst gibt es das Bonmot, wonach es ganz einfach ist Millionär zu werden: eben, indem man als Milliardär eine Fluggesellschaft kauft. Nur so kann man erklären, dass es die Branche über einhundert Jahre nicht geschafft hat, eine tragfähige Struktur zu finden.

  1. Immer wieder wird der Frosch geküsst

Die Investoren sind allerdings nicht alleine mit der Überschätzung der eigenen Fähigkeiten. Noch schlimmer ist es um die Manager bestellt. Immer wieder glauben diese, es gelänge ihnen wie im Märchen vom Froschkönig, alleine durch ihren Kuss aus dem Frosch einen Prinzen zu machen. Der legendäre Investor Warren Buffet hat schon vor Jahren mit diesem Bild festgestellt, dass es fast unmöglich ist, aus einer schlechten Firma eine gute zu machen. Trotzdem wird es immer wieder versucht. Bei Air Berlin gaben sich die Froschküsser die Klinke in die Hand.

Sicherlich findet sich in dieser Aufzählung immer auch eine Ausnahme von der Regel. Dennoch bleibt festzuhalten: Mit alten Flugzeugen verschiedenen Typs, einer Netzwerkphilosophie und viel zu hohen Personalkosten hatte Air Berlin keine Chance. Schade.

Cicero.de: „Warum Air Berlin keine Chance hatte“, 17. August 2017