Fratzschers Kampagne für die SPD
Daran musste ich denken bei der Lektüre des F.A.Z.- Artikels. Dieser Kommentar erschien bereits im März bei bto:
“Fratzschers Verteilungsfragen” lautet die Serie bei der ZEIT, in der uns Professor Fratzscher mit dem Nimbus des Experten, der zudem ein ganzes Institut hinter sich weiß, wöchentlich dasselbe Thema bereitet: Es geht bei uns so ungerecht zu, dass wir dringend umverteilen müssen.
→ Vermögensungleichheit: lieber falsche Analyse, damit die Schlussfolgerung politisch passt
Dabei ist es egal, dass die Datenbasis mehr als schwach ist. Das habe ich in der Vergangenheit gezeigt und werde es heute Nachmittag nochmals wiederholen.
Fratzscher bleibt sich treu. Mit einseitig interpretierten Daten und Manipulationen kommt er zu dem von ihm (und seinen Kunden) gewünschtem Ergebnis, um daraus eine bestimmte Politik abzuleiten. So auch in dieser Wiederholung altbekannter Thesen bei der ZEIT:
- “Die Politik muss die Frage beantworten, wie ‚gute‘ Arbeit in Zukunft definiert werden soll und wie sie mehr Menschen die Chance geben kann, mit ihrer eigenen Arbeit für sich selbst zu sorgen.” – bto: Vor den Reformen und dem Aufschwung waren diese Leute oftmals arbeitslos. Ist das wirklich besser?
- “Seit 2005 sind nicht nur viele Arbeitslose, sondern viele neue Beschäftigte, vor allem gut qualifizierte Frauen, Ältere und EU-Zuwanderer, in Arbeit gekommen. Gleichzeitig aber, und das ist der zentrale Widerspruch der gegenwärtig guten wirtschaftlichen Entwicklung, hat sich der Anteil derjenigen, die von Armut bedroht sind, in Deutschland von 4,8 Prozent auf 9,6 Prozent aller Arbeitnehmer erhöht – ein dramatischer Anstieg.” – bto: Das ist erschreckend, solange man nicht hinterfragt, wie diese Armut definiert ist!
- “Somit verdient fast jeder oder jede zehnte Beschäftigte heute weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland.” – bto: Das bedeutet, dass die unteren Einkommen etwas langsamer gewachsen sind. Übrigens: Wenn wir mehr Zuwanderer haben ohne Bildung und Sprachkenntnisse und zeitgleich immer noch mehr als 100.000 überwiegend Qualifizierte das Land verlassen, müssen wir mehr “Armut” haben. Dass diese Menschen deutlich mehr Geld zur Verfügung haben, als sie je in ihren Heimatländern verdient hätten, kommt noch hinzu. Behalten wir im Hinterkopf, dass vor allem Türken in Deutschland zu dieser Gruppe gehören. Herr Fratzscher sollte also sagen, dass er vor allem für Migranten mehr Umverteilung fordert.
- “Die Vermutung liegt nahe, der Übergang vieler aus der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung sei verantwortlich für diese Entwicklung, denn viele der ehemaligen Arbeitslosen haben geringe Qualifikationen und damit meist auch niedrige Einkommen. (…) Sollte der Anspruch nicht vielmehr sein, dass die Menschen mit ihrer Arbeit ein auskömmliches Dasein haben?” – bto: das ist eine politische Frage, die zuvor aber mit den richtigen Fakten begründet werden muss.
- Dann bringt Fratzscher dieses Bild:
Quelle: DIE ZEIT
Das Bild ist sehr interessant. Es zeigt zwar den von Fratzscher beschriebenen Trend (zur Erinnerung: Es geht um ein geringeres Einkommen als im Durchschnitt und alle Gruppen verdienen mehr als 2005!). Richtig problematisch ist es für Alleinstehende mit Kindern. Da fällt mir die Politik von Bill Clinton ein, der mit einer Beschränkung der Unterstützung für alleinstehende Mütter auf maximal zwei Kinder zu einem deutlichen Rückgang der Kinder, die mit Alleinstehenden aufwachsen, beigetragen hat. Die Armut ging also zurück, weil man weniger umverteilt hat – später dann übrigens auch die Kriminalität. Nachzulesen im sehr guten Buch Freakonomics.
- “Lag die Armutsgefährdung bei berufstätigen Frauen in Deutschland im Jahr 2005 mit 5,6 Prozent noch deutlich unter dem europäischen Durchschnitt, so übertraf sie ihn 2015 mit 10,5 Prozent deutlich.” – bto: Diese Zahl alleine sagt gar nichts. Man müsste jetzt wissen, wie viele Frauen waren 2005 arbeitslos und sind es heute nicht mehr und wie viele Frauen waren alleinerziehend und sind es heute. Wenn wir heute viel mehr alleinerziehende Frauen haben (These: dem ist so) und zugleich ein höherer Anteil von diesen arbeitet (was wir so wollen), dann muss sich diese Entwicklung ergeben. Ein weiteres Beispiel für die bewusste Oberflächlichkeit der “Analyse”.
- “Einige mögen auch zu Recht darauf verweisen, dass der Anstieg der Armutsquote in Deutschland zum Teil durch den Anstieg der mittleren Einkommen erklärt wird, und dass viele derer, die heute armutsgefährdet sind, heute sogar höhere Einkommen haben als noch vor zehn Jahren.” – bto: Ja, das kann man einwenden. Darf man das nicht?
- “Menschen, die armutsgefährdet sind, haben eine geringere soziale und politische Teilhabe, was das Funktionieren unserer Demokratie gefährdet und den Wohlstand aller, nicht nur der direkt Betroffenen, schadet.” – bto: aha. Wenn wir also die unteren Einkommen erhöhen, machen wir die Demokratie sicherer?
- Die zunehmende Armutsgefährdung führt zu einer stärkeren Abhängigkeit vom Sozialstaat. Dies reduziert die Möglichkeiten der Betroffenen, in ihre eigene Bildung und die ihrer Kinder zu investieren und ihre Fähigkeiten in Gesellschaft und Wirtschaft einzubringen.” – bto: aha, Klartext: Hätten sie mehr Geld, würden auch ihre Kinder in der Schule bessere Leistungen erbringen. Das kann sein. Wenn man hingegen sieht, dass Kinder trotz staatlicher Hilfe auf soziale Einrichtungen angewiesen sind, um etwas zu Essen zu bekommen, so hat dies wohl auch mit der Mittelverwendung in den Familien zu tun.
- Jetzt kommt der Wahlkampf: Kurzum, der Anstieg der Armutsgefährdung von Menschen in Arbeit sollte ein Weckruf für die Politik und ein zentrales Thema im politischen Diskurs sein. Dazu gehören drei große Fragen. Zum Ersten, wie vor allem die Schwächsten qualifiziert werden sollen, um ihnen am Arbeitsmarkt bessere Chancen zu eröffnen. (…) Zum Zweiten, wie die Verhandlungsmacht im Arbeitsmarkt gestaltet werden kann, sodass Menschen auch mit relativ geringen Qualifikationen ihre Interessen vertreten können.” – bto: Nächste Woche schreibt Fratzscher dann über die Robotersteuer. Denn die Arbeitsplätze fallen noch schneller weg, je teurer sie sind.
- “Zum Dritten benötigen wir einen noch stärkeren Diskurs über die Familienpolitik in Deutschland. Die Tatsache, dass Frauen und Alleinerziehende im Arbeitsmarkt so viel schlechter dastehen und so viel häufiger von Armut gefährdet sind, ist kein Zufall. Es ist ein Spiegelbild der Familien-, Bildungs- und Sozialpolitik, die noch immer sehr stark auf das traditionelle Familienbild eines Ehepaares mit Kindern ausgerichtet ist und somit immer weniger Menschen in Deutschland ausreichend erreicht.” – bto: aha. Ich selber bin übrigens gegen die Frauen- aber für die Mütterquote. Denn in der Tat sind Mütter benachteiligt gegenüber Kinderlosen. Das dürfte von Fratzscher hingegen nicht kommen, würde ja nicht zum Programm passen.