Zum Status der EU – Faktensammlung zur Diskussion bei hartaberfair

Wie erwartet war die Diskussion bei hartaberfair zum Zustand der EU kontrovers. Grund genug, noch einmal die wichtigsten Aspekte meiner Argumentation zusammenzufassen. Regelmäßige Besucher von bto kennen diese Beiträge bereits. Neuen Besuchern möchte ich die Navigation etwas erleichtern. Wenn dennoch etwas vermisst wird, empfehle ich die Suchfunktion. Die funktioniert zuverlässig. Wenn doch nicht, so einfach direkt über das Kontaktformular anfragen.

  • Zunächst zur Erinnerung, dass der Brexit aus britischer Sicht mittel- und langfristig kein Problem sein muss: → Ist Großbritannien wirklich der Verlierer des Brexit?
  • Beeindruckend vor allem, wie groß die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern der EU sind. Die Wirtschaft Großbritanniens hat deutlich mehr mit Deutschland, Schweden, Irland und Holland gemein, als mit Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. Während wir mit Letzteren weiterhin in einem Boot sitzen, noch dazu eingeschnürt im Korsett einer gemeinsamen Währung, kann sich Großbritannien auf die eigenen Stärken besinnen und perspektivisch weitere Länder anlocken: → „Brexit‚ Hardly The Stuff Of Economic Calamity‘“
  • Deshalb ist es auch so bedauerlich, dass die Bundesregierung im Falle Griechenlands, das wirtschaftlich und politisch unbedeutend ist, alle Grundsätze über Bord geworfen hat (Bail-out-Verbot), um das Land in Euro und EU zu halten. Hingegen lässt sich Deutschland bei dem ungleich wichtigeren Großbritannien auf einen harten Kurs ein – angeführt von Frankreich und der EU-Kommission – anstatt alles zu tun, um das Land in der EU zu halten. Zur Erinnerung: → Das BIP Griechenlands liegt bei rund 180 Milliarden Euro, das Großbritanniens bei 2320 Milliarden! Nach Großbritannien exportiert die deutsche Wirtschaft Waren im Wert von 85 Milliarden, nach Griechenland im Wert von etwas über fünf Milliarden.
  • Ich bleibe dabei, dass es ein Märchen ist, dass man Griechenland “retten” musste, um den Euro zu retten. Wolfgang Schäuble hatte recht, als er den Austritt des Landes aus dem Euro anregte. In Wirklichkeit ging es um die Rettung ausländischer (vor allem französischer) Banken und es ist auch ein Märchen, dass wir mit der “Rettung” des Landes, welches immer noch überschuldet ist, Geld verdienen: → Griechenland: die Lüge der gewinnbringenden „Rettung“.
  • Derweil stehen die EU und vor allem die Eurozone vor erheblichen Problemen. Weshalb es eben kein “Elitenprojekt” bleiben darf: → Die EU darf kein Elitenprojekt bleiben.
  • Und wenn Zweifel daran bestehen, dass es eine unterschiedliche Auffassung der Eliten und der breiteren Bevölkerung gibt, diese Umfrageergebnisse: → Die europäische Bevölkerung teilt die Ansichten Donald Trumps.
  • Dennoch gibt es den Glauben, man könnte das politische Projekt “Euro” entgegen aller ökonomischen Gesetzmäßigkeiten durch mehr Umverteilung – Stichwort: Transferunion – retten. Doch das ist eine Illusion: → Die Illusion der Eurorettung und: → Jetzt wird es richtig teuer.
  • Dazu die Quelle des IWF, der eben vorrechnet, dass es nicht gehen kann. Brauchen Sie nicht zu lesen, lediglich die Abbildung 6 auf Seite 14 ist relevant. Der IWF fordert zwar eine Transferunion, rechnet aber selbst vor, dass es eben vor allem private Geldströme sind, die fehlen und die selbst in USA und Deutschland für Ausgleich sorgen. Das kann man durch staatliche Umverteilung niemals ausgleichen: → “Toward a fiscal Union for the Euro Area”.
  • Was natürlich zu der Frage führt, ob denn Frankreich auch für uns zahlen würde, was unweigerlich notwendig würde, angesichts der Probleme, die auf uns zurollen (Demografie, alte Industrien, unzureichende Investitionen in die Zukunft): → „Transferunion – wird Frankreich bald für Deutschland zahlen?“. Natürlich nicht!
  • Und zu der Frage, ob ein Parlament der Euroländer – wie von Frankreich und Co. gefordert – wirklich die “demokratische Legitimation” hätte, über ein Eurozonenbudget zu entscheiden? Denn auch heute gilt der demokratische Grundsatz: No taxation without representation–  Auf Deutsch: Die Stimmen müssen den Beiträgen zum Topf entsprechen. Tun sie aber nicht. 2014 entsandten ca. 533.000 Griechen einen Abgeordneten und ca. 854.000 Deutsche ebenfalls nur einen. → Griechenland hat so deutlich mehr Stimmanteile relativ zur Bevölkerung als Deutschland. Mit dem Austritt Großbritanniens verschieben sich die Stimmanteile weiter, da Deutschland gedeckelt bleibt, → während u. a. Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande hinzugewinnen. Die (ehemaligen?) Krisenländer Zypern, Griechenland, Portugal und Irland haben deutlich mehr Sitzanteile als Wahlberechtigte. Italien und Frankreich sind ungefähr auf deutschem Niveau. Unstrittig ist, dass die Südländer gemeinsam mit Frankreich über eine klare Mehrheit in einem Euro-Parlament (also einer Unterveranstaltung, der nur die Euroländer angehören) verfügen würden.
  • Was zu der Frage führt, was man denn tun müsste, um die Eurozone stabiler und damit überlebensfähig zu machen. In vielen Beiträgen habe ich mich an dieser Stelle damit beschäftigt. Beispielhaft ist die Auseinandersetzung mit den Forderungen, die statt von europäischen Politikern von Ökonomen gemacht werden, die aber leider allesamt an den eigentlichen Problemen der zu hohen staatlichen und privaten Verschuldung, des insolventen Bankensystems und der divergierenden Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone nichts ändern: → Eurokrise: Die GroKo folgt den falschen Rezepten.
  • Denn, dass die Eurozone nicht funktioniert, wissen nun alle. Schließlich rechnet es selbst der Internationale Währungsfonds detailliert vor: → IWF zeigt, dass Eurozone nicht funktioniert.
  • Was nichts daran ändert, dass uns die Politik mit dem Euro in eine äußerst unangenehme Sackgasse manövriert hat. Denn das Szenario eines ungeordneten, chaotischen Zerfalls ist auch das einer weltweiten Krise: → Was passiert, wenn der Euro platzt.
  • Er wäre schon längst geplatzt, würde die Europäische Zentralbank (EZB) ihn nicht mit billigem Geld zusammenhalten. Das Problem: Sie kauft damit nur Zeit, die die Politik nicht nutzt. Die Schulden wachsen derweil weiter, die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Länder werden größer, nicht kleiner. Deshalb wachsen auch die politischen Spannungen in der EU. Siehe Italien. Dabei verhält sich die dortige Regierung rational, weiß sie doch um das erhebliche Erpressungspotenzial. Zum einen wäre ein chaotischer Verfall ein Desaster, zum anderen würde vor allem Deutschland erhebliche Verluste erleiden. Stichwort: TARGET2-Forderungen der Bundesbank. → TARGET2: Es ist und bleibt eine Vermögensverschiebung.
  • So gesehen ist die Erwartung der Italiener nicht so falsch, dass die EU und die anderen Europäer stillschweigend mitmachen. Und sie haben es auch getan. Wie immer gilt: → “Die Provinzen werden’s schon bezahlen”.
  • Und wenn es dann doch irgendwann nicht mehr weitergeht, bleibt der Ausweg über die Einführung einer Parallelwährung. Mini-BOTs sollen es dann lösen. BOT steht für „Buoni Ordinari del Tesoro“, das sind besonders kurz laufende Anleihen. Mini, weil es eben kleine Stückelung gibt, wie auch bei anderem Geld.→ Kommt in Italien die Parallelwährung? Müßig zu sagen, dass damit das Ende des Euro eingeläutet würde. 
  • Hintergrund ist, dass Italien in einer tiefen Krise steckt. Die real verfügbaren Einkommen pro Kopf liegen unter dem Niveau von 2005! Nein, dies liegt nicht nur am Euro, aber der Euro macht es nicht besser. In Italien tickt eine Zeitbombe.
  • So wächst der Druck innerhalb der Eurozone kontinuierlich an. Die EU erfüllt ihr Wohlstandsversprechen nicht mehr und schon bei der nächsten Rezession, die lediglich eine Frage der Zeit ist, ist die Eurozone nicht vorbereitet und dürfte in die nächste Krise schlittern. Dauerhaft funktioniert das nicht. Was jedem Beobachter klar ist, der nüchtern auf die Fakten blickt: → Das Euro-Desaster: Zusammenfassung zum 20. Geburtstag.
  • Hinzu kommt, dass die EU auch bei der Aufgabe der Steuerung der Migration versagt. Es ist bekannt, dass wir in Europa vor einer Phase der Schrumpf-Vergreisung stehen, während vor unserer Haustür die Bevölkerung explodiert. Nach allen Studien liegt das Bildungsniveau in diesen Regionen deutlich unter dem Niveau in Europa und hier wiederum deutlich unter dem in Asien. Abgesehen von den sich daraus ergebenden Problemen für die Wettbewerbsfähigkeit Europas stellt die Zuwanderung in Sozialstaat und Niedriglohnsektor eine existenzielle Bedrohung für den Sozialstaat dar. Er wird un-finanzierbar. Nur ein Datenpunkt: Die Bevölkerung Nigerias dürfte schon in wenigen Jahrzehnten die Europas übertreffen. Ein Rezept für Krieg, Bürgerkrieg und Terror. In weiten Teilen Afrikas und der arabischen Welt sieht es ähnlich aus. Der sich daraus ergebende Migrationsdruck erfordert eine Antwort. Diese bleibt die EU schuldig.
  • Statt sich auf die zwei wichtigen Herausforderungen Lösung der Eurokrise und Steuerung des Migrationsdrucks zu konzentrieren, verstößt die EU immer mehr gegen das Subsidiaritätsprinzip und zieht Aufgaben an sich, die leichter, effizienter und besser auf regionaler/nationaler Ebene gelöst würden.

Funktionieren tut die EU beim Thema Binnenmarkt und gemeinsamer Vertretung der Handelsinteressen in der Welt. Doch das wird nicht genügen, um die Existenz zu sichern. Für den Mann mit dem Hammer ist jedes Problem ein Nagel. Für die EU und die EU-fokussierten Politiker ist die Antwort auf jede Krise ein “Mehr” an Integration. Doch das ist weder richtig, noch entspricht es den Wünschen der Bevölkerung. Aus diesem Grunde muss die EU dringend umsteuern, will sie sich selbst erhalten und den Nutzen für die Bürger, den es durchaus gibt.