Wie Martyna Linartas mich bei Twitter blockte

In dieser Woche hatte ich einen längeren Austausch über Twitter mit einer Nutzerin, der ich seit Längerem folge, weil sie konsequent nur ein Thema kennt: die Ungleichheit in Deutschland und die sich daraus – aus ihrer Sicht – ergebende dringende Notwendigkeit der höheren Besteuerung der Reichen.

Bekanntlich sehe ich das differenzierter, habe ich mir doch die Zahlen sehr genau angeschaut:

Unge­rechtes Deutsch­land? – Ein tieferer Blick auf die Daten

Und vor allem erkannte ich – gemeinsam mit dem DIW –, dass das Problem bei uns nicht der Reichtum der Reichen ist, sondern das fehlende Vermögen der breiten Mitte:

Das Problem ist nicht der Reich­­tum der Reichen, sondern das feh­­lende Ver­mö­gen der Mitte

Abgesehen davon plädiere ich durchaus für einen Umbau des Steuersystems – siehe in meinem aktuellen Buch “Ein Traum von einem Land”.

All dies hat Martyna Linartas in ihren Tweets nie interessiert. Sie ist bei jedem Thema, bei dem es um Geldmangel für Projekte geht, der Ansicht, dass es nur daran liegt, dass die Reichen nicht höhere Steuern zahlen. Kommen wir nun zu ihrem letzten von mir kommentierten Tweet, der dazu führte, dass sie mich  auf Twitter blockte. Doch dazu am Ende mehr.

Kurz zu Ihrer Person: Martyna Linartas arbeitete von Dezember 2018 bis Oktober 2021 als studentische Mitarbeiterin von Annalena Baerbock, im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Dies neben ihrer Dissertation, die sie so beschreibt: “The Cluster of Excellence Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS) analyzes the contemporary controversies about the liberal order from a historical, global, and comparative perspective. What are the causes of the current contestations? How do they differ from earlier crises? What are the consequences for democracy and the global challenges of the 21st century?” Die Arbeit schreibt sie an der Berlin Graduate School for Global and Transregional Studies (BGTS, die zur FU gehört) mit einem Stipendium vom Cusanuswerk. (Quelle: LinkedIn, ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich der Titel der Promotion ist).

Doch kommen wir zum Inhalt. Frau Linartas twitterte einen Artikel, der auf der Website des Bayerischen Rundfunks erschien:

br.de: WIE EIN FALSCHER LEISTUNGSGEDANKE DIE PANDEMIE BEFEUERTE

Der Autor Thomas Kretschmer zitiert darin aus dem Buch “Verkannte Leistungsträger:innen” von Nicole Mayer-Ahuja und Oliver Nachtwey:

  • “Ausgehend von der gewagten Annahme, dass Vermögen schon irgendetwas mit besonderen Leistungen zu tun haben müsse, verzichtete der Staat auf erhebliche Steuereinnahmen. Dieses Geld fehlte in den kommenden Jahren für die Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen. Dies hatte direkte Auswirkungen auf die Arbeit in öffentlichen Diensten und deren Bedingungen. In staatlichen Krankenhäusern, Kindertagesstätten oder Einrichtungen der Jugendhilfe wurden die Budgets gekürzt, insbesondere die Personalkosten sollten sinken.“
  • “Die steuerliche Entlastung von Vermögenden trug zur massiven Reduzierung öffentlicher Dienstleistungen bei. Zugleich schlug sie sich in deutlich schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen für viele derjenigen nieder, die weiterhin für den Staat tätig sind.“

Und weiter:

  • Zwei Jahre Pandemie haben noch nicht ausgereicht, am Dogma von Leistung und Rationalisierung, zumindest im Gesundheitswesen, zu zweifeln. Dabei sollte sich, wie Mayer-Ahuja und Nachtwey anmahnen, eine Erkenntnis doch rumgesprochen haben: ‘Wenn Kranke nicht gepflegt, Lebensmittel nicht produziert, transportiert und verkauft oder Kinder nicht betreut werden, bricht das System zusammen. Auf die Krankenschwester können wir nicht verzichten, auf den Berater oder die Produktion von Autos zeitweise schon.’”

Mit dieser Forderung:

  • Vielleicht wäre es nach zwei Jahren Pandemie endlich an der Zeit, diese Entwicklungen ins Auge zu fassen. Denn ohne eine besondere Anstrengung für die Armen und Prekären wird das Corona-Virus nicht in den Griff zu kriegen sein. Und wenn die Pandemie schon gezeigt hat, wie ungerecht unsere Gesellschaft durch das ewige Beharren auf dem ‘Leistungsprinzip’ geworden ist, sollte diese Erkenntnis doch auch zu einer Neuausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft führen.

Kurz gesagt:

  • Der Staat konnte nicht genug ausgeben, weil die Reichen nicht ausreichend besteuert wurden.
  • Dabei bleibt unklar, welche Steuer gemeint war, es werden aber die Steuerreformen von Kohl und Schröder erwähnt, was dafürspricht, dass es vor allem um die Einkommenssteuer geht.
  • Als Folge dieses Geldmangels kann der Staat nicht genug in Gesundheit und Gehälter der Mitarbeiter etc. investieren.

Frau Linartas kommentierte den Artikel so:

Quelle: Twitter

Nun haben wir allerdings folgende Situation:

1.     Dem Staat fehlte in den letzten zehn Jahren vor Corona kein Geld.

Die Gründe liegen auf der Hand:

  • Die absoluten Einnahmen des Staates boomten mit der Wirtschaft.
  • Die relativen Einnahmen des Staates stiegen überproportional, weil die Steuer- und Abgabenquote um drei Prozentpunkte vom BIP stieg.
  • Die Zinsausgaben des Staates sanken dramatisch.
  • Die Ausgaben für Arbeitslosigkeit sanken ebenfalls massiv.
  • Im Ergebnis hatte alleine der Bund im Zeitraum 2009 – 2018 in Summe rund 460 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung!

Fakt: Der Staat hatte kein Einnahmenproblem, sondern die Politik hat sich für eine bestimmte Mittelverwendung entschieden – viel Soziales, wenig für Bildung und Investitionen.

Alles hier vorgerechnet:

Die “schwarze Null” ist keine Leistung, eine Lüge und eine große Dummheit

 2. Das Gesundheitssystem ist finanziell gut aufgestellt

Außerdem kann keineswegs die Rede davon sein, dass das deutsche Gesundheitssystem zu wenig Geld bekommt:

Quelle: Weltbank

In dem Zusammenhang ist noch zu erwähnen: Obwohl wir so viel ausgeben, ist die Lebenserwartung nicht sonderlich hoch, man blicke auf die Briten (deren Gesundheitssystem nun wahrlich kein Vorbild ist!).

Es liegt also auch beim Gesundheitssystem an der Mittelverwendung und nicht an der Knappheit der Mittel.

Deshalb twitterte ich als Reaktion:

Quelle: Twitter

Meine Aussagen also wie oben und verbunden mit dem Link zur Berechnung der Staatseinnahmen:

  • Deutschland liegt an der Spitze der OECD bei Steuern- und Abgaben.
  • Deutschland hat die Quote um 3%-Punkte vom BIP erhöht
  • und hat also kein Einnahmenproblem,
  • sondern es wird eine falsche Politik betrieben.

Reaktion 1: Deutschland liegt in der OECD nicht an der Spitze bei der Steuerbelastung.

Der Sachverständige Achim Truger antwortete per Twitter und schrieb, dass es nicht stimmen würde, dass die deutsche Steuerbelastung an der Spitze der OECD stünde.

Damit hat er recht und da habe ich ihm auch nicht widersprochen. Ich habe mir allerdings erlaubt, darauf hinzuweisen, dass ich in meinem Tweet von Steuer- und UND Abgabenbelastung spreche. Und da sieht das Ranking der OECD so aus:

Quelle: OECD

Deutschland ist Platz 2.

Es ging dann auf Twitter hin und her über dieses Thema, was man als gelungene Ablenkung von meinem eigentlichen Punkt, dass unser Staat nämlich kein Einnahmen-, sondern ein Mittelverwendungsproblem hat, verstehen kann. Ich habe deshalb in einem neuen Thread meine Logik nochmals zusammengefasst. Man beachte gerade auch den letzten Tweet, in dem ich ausdrücklich davon spreche, das Steuer- UND Abgabensystem zu ändern:

Quelle: Twitter

Damit dachte ich, dass das Thema erledigt sei und vor allem, dass klar geworden wäre, dass es eben nicht an fehlendem Geld lag.

Doch weit gefehlt:

Reaktion 2: Vermögen werden viel zu tief besteuert in Deutschland.

Dann erhielt ich folgende Antwort:

Quelle: Twitter

Normalerweise hätte ich es darauf beruhen lassen, doch einiges störte mich:

  • Nirgendwo hatte ich gesagt, dass Vermögen zu hoch bzw. zu tief besteuert würden oder Ähnliches. Ich hatte nur daran erinnert, dass die Steuerbasis bei uns auch tiefer ist als woanders.
  • Es hatte wiederum nichts mit meinem Punkt zu tun, dass der Staat wahrlich kein Einnahmenproblem hat.
  • Und es wurde mir unterstellt, ich hätte keine Ahnung von den Fakten.

Deshalb habe ich mir erlaubt, darauf hinzuweisen, dass es ziemlich sinnlos ist, Vermögenssteuern in Prozent des BIP auszuweisen, wie Herr Fratzscher es so gerne tut:

Quelle: Twitter

Da Deutschland relativ zum BIP weniger Vermögen hat, ist also die Darstellung, die Frau Linartas verwendet hat, irreführend. Die Besteuerung der Vermögen wird deutlich geringer ausgewiesen, als sie ist. 

Hier nochmals die Daten der Credit Suisse:

Auch hier entspannte sich eine Diskussion mit Herrn Prof. Truger, die eigentlich überflüssig war, denn wir hatten diese schon mal vor einem Jahr und das Ergebnis war das bekannte:

Quelle: Twitter

Das ist genau die Bereinigung, die man vornehmen muss, wenn auch um den Faktor 1,5, legt man die Daten von der Credit Suisse zugrunde. Nichts anderes habe ich in meinen Tweets angeregt zu tun.

Ich habe auch niemals behauptet, der Vermögensunterschied würde den Unterschied im Steueraufkommen vollständig erklären – aber eben einen nicht zu vernachlässigenden Teil. Hinzu kommt: die Daten von Fratzscher stammen aus dem Jahr 2013, wo unser Vermögen noch deutlicher unter dem der anderen Länder lag und die Steuerbelastung – ich denke vor allem an die Grundsteuer – auch viel tiefer war. Gleiches gilt für die Erbschaftssteuer.

Darüber hinaus betonte ich, dass ich bereits in meinen Büchern – Herr Truger hat “Ein Traum von einem Land” von mir geschenkt bekommen –  für einen Umbau des Steuersystems plädierte, der, ohne die Abgabenlast weiter zu steigern, Vermögen höher belastet und Einkommen weniger:

Quelle: Twitter

Dies interessierte die Diskutanten allerdings leider nicht. So fasste ich so zusammen:

Quelle: Twitter

Ich habe mir also nichts anderes erlaubt, als daran zu erinnern, dass mein Startpunkt der Kritik nicht die fehlende Besteuerung war, sondern die fehlende Notwendigkeit höherer Abgaben, weil der Staat kein Einnahmenproblem hat. Davon völlig unbenommen kann man und sollte man das Steuer- und Abgabensystem modernisieren, wie ich mehrfach an diesem Tag in Tweets betonte.

Worauf hin ich diese Antwort bekam und geblockt wurde:

Quelle: Twitter

Also:

  • „Krude Verdrehung“ – mit keinem einzigen Argument wurde meine Aussage, dass der Staat genügend Einnahmen hat, angesprochen oder gar widerlegt.
  • „Falsche Behauptung“ – die Steuer- und Abgabenlast ist laut OECD die Zweithöchste. Siehe oben.
  • „Null Einsicht“ – die Vermögenssteuerbelastung, die als zusätzliches Argument eingeführt wurde, haben wir um die Tatsache, dass Deutsche relativ weniger Vermögen haben, korrigiert. Es wäre zu wünschen, dass Frau Linartas in Zukunft diesen Aspekt berücksichtigt und nicht die irreführende Darstellung Steuer/BIP verwendet.

Fazit:

Das Ganze zeigt erneut, wie es auf Twitter falsch laufen kann. Die Gefahr, aneinander vorbeizureden ist groß  und ich möchte Frau Linartas und Herrn Truger nicht unterstellen, Sie hätten mich absichtlich missverstanden.

Sollte ich mich nicht klar genug ausgedrückt haben wie in diesem ausführlicheren Kommentar oder sollte ich an der einen oder anderen Stelle etwas unhöflich gewirkt haben, liegt das an  der Zeichenbeschränkung von Twitter und ich bitte um Nachsicht.

Sachferne Polemik, die kaum verhohlene Aggressivität postuliert, ist oft das Mittel der Wahl, wenn die eigene Ahnungslosigkeit bezüglich des Gegenstands versteckt werden soll. Martyna Linartas hat kein einziges sachdienliches Argument vorgebracht, dafür umso mehr Wert auf die hochgestellten Positionen – Sachverständiger, DIW-Präsident – ihrer Zitatgeber verwiesen. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich selbst Sachverständige und Präsidenten eines Instituts irren können. Aber um das herauszufinden, muss man dickere Bretter bohren können.  

Hoffentlich gibt der Stil, wie diese Diskussion geführt wurde, keinen Ausblick auf die Art und Weise, wie in diesem Land von der künftigen Politikergeneration Diskurse geführt werden wollen. Fachlich unpräzise bis unterbelichtet, ohne eigene Kenntnis in der Sache, dafür aber rhetorisch aufgerüstet und verunglimpfend ist das Land kaum voranzubringen. Ich kann hier sicher getrost unterstellen, dass der Werdegang der Politologin darauf ausgerichtet ist, nach der Promotion einen Platz in einem unserer Parlamente und damit Zugang zu politischen Schaltstellen zu suchen, den sie dann vielleicht auch finden wird. Die Qualität der politischen Entscheidungen ist dann vorprogrammiert.

Für eine persönliche Diskussion stehe ich gerne zur Verfügung.