Wer trägt den Staat?

In meinem morgigen Podcast diskutiere ich mit Stefan Bach vom DIW über Steuern und Abgaben. Grund genug, sich ein paar Zahlen vor Augen zu führen: Wer trägt den Staat? Dass Deutschland eine überdurchschnittliche Staatsquote hat und die Abgabenlast in den letzten Jahren kontinuierlich stieg, ist keine Neuigkeit. Dass die Politik die Mittel vor allem konsumtiv einsetzt und die Zukunft des Landes dabei verspielt, habe ich ausführlich dargelegt.

Doch wer zahlt? Sind es die Besserverdiener, die überproportional zu Einkommenssteuer beitragen? So wird derzeit ab etwa 270.000 Euro Jahreseinkommen jeder zusätzlich verdiente Euro zu 45 Prozent versteuert, zwischen 57.000 und 270.000 Euro sind es 42 Prozent. Die Top-1-Prozent der Steuerpflichtigen erbringen damit 21,5 Prozent des gesamten Aufkommens der Einkommensteuer. Die Top-10-Prozent stehen für 55 Prozent des Aufkommens, die Top-25-Prozent für fast 77 Prozent.

Wenn man nun – wie gerne gefordert – „endlich“ die „Superreichen“ mit Jahreseinkünften über 250.000 Euro höher besteuert, trifft dies gerade mal 0,8 Prozent der Steuerpflichtigen. Wenn man hier von 45 Prozent auf 50 Prozent geht, erbringt dies Mehreinnahmen im einstelligen Milliardenbereich. Bei rund 300 Milliarden Euro Einkommenssteueraufkommen keine spürbare Veränderung. Um einen spürbaren Effekt auf die Staatskassen zu haben, muss es immer die Masse der Steuerzahler treffen. Deshalb wird auch so viel von Entlastung gesprochen – und so wenig gemacht.

Anderseits ist die Einkommenssteuer nur eine Quelle der Staatsfinanzierung. Es gibt weitere, die auch eine Verteilungswirkung haben. Deshalb lohnt der Blick auf die gesamten Einnahmen des Staates:

Tabelle:  Einnahmen des Staates 2019

 

Quelle:

Mrd. Euro

% vom Aufkommen

Einkommensteuer

310,5

19,8 %

Solidaritätszuschlag

19,5

1,2 %

Versicherungssteuer

14,1

0,9 %

Umsatzsteuer

243,3

15,5 %

Stromsteuer

6,7

0,4 %

Energiesteuern

40,6

2,6 %

Tabaksteuer

14,3

0,9 %

Alkoholsteuern

3,1

0,2 %

Kfz-Steuern

9,3

0,6 %

Grundsteuer

14

0,9 %

Wettsteuer

2

0,1 %

Sonstige Steuern

119

7,6 %

Steuern gesamt

796,4

50,9 %

EEG-Umlage

22,6

1,4 %

Sozialbeiträge:

487,8

31,2 %

Sonstige Einnahmen:

257,9

16,5 %

Gesamt:

1564,7

 

Quelle: → IW-Report 6/2020, „Die Verteilung von Steuern, Sozialabgaben und Transfereinkommen der privaten Haushalte“, 15. Februar 2020

Insgesamt sind also 1564,7 Milliarden Euro in die Kassen des Staates und der Sozialversicherungen geflossen, immerhin 45,5 Prozent vom BIP! Und wir sehen auch, dass die Einkommensteuer zwar einen großen Betrag ausmacht, aber nur für rund 20 Prozent der Staatseinnahmen steht. Die Sozialbeiträge stehen für über 31 Prozent der Einnahmen, die Umsatzsteuer für über 15 Prozent.

Deshalb lohnt es sich, einen vertieften Blick auf die Finanzierung des Staates zu werfen. Dies haben Forscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gemacht und die Ergebnisse sind interessant[i]:

  • Die direkten Steuern (Einkommens-, Abgeltungs-, Unternehmenssteuern) werden von den oberen Einkommensgruppen getragen. Die obersten zehn Prozent zahlen 59 Prozent, das oberste eine Prozent 26 Prozent. Damit wirkt die Steuer „progressiv“, d. h. sie steigt nicht nur absolut, sondern auch relativ mit dem Einkommen.
  • Bei den indirekten Steuern – also Steuern, die auf den Verbrauch erhoben werden wie Umsatzsteuer, Tabaksteuer und auch die Umlage für Erneuerbare Energien – ist es naturgemäß anders. Je höher der Anteil des Konsums am Einkommen, desto höher auch die relative Belastung mit diesen Steuern. So trägt das unterste Einkommensdezil gut fünf Prozent des Steueraufkommens, obwohl dort nur drei Prozent der Einkommen anfallen.
  • Zählt man die Sozialbeiträge hinzu, tragen die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher ein Drittel des Aufkommens, das obere eine Prozent 16 Prozent. Die unteren zehn Prozent tragen rund zwei Prozent zur Finanzierung bei.
  • Weil die indirekten Steuern vom Konsum anhängen und die Konsumneigung in den untersten Einkommensgruppen am höchsten ist (bzw. die Möglichkeit zu sparen am geringsten), führt dies zum Effekt, dass die Abgabenbelastung relativ zum Einkommen zunächst mit steigenden Einkommen sinkt, bevor sie wieder ansteigt.
  • Besonders deutlich ist die Wirkung der Sozialbeiträge: In der Mittelschicht bis zu 90 Prozent der Einkommen übersteigt die Belastung mit Sozialbeiträgen die Steuerbelastungen. Bei den oberen zehn Prozent sinkt die Belastung mit Sozialbeiträgen deutlich, was an der Beitragsbemessungsgrenze liegt.
  • Die Sozialbeiträge sind faktisch eine Mischung aus Versicherung und Steuer. Zum Teil dienen sie der individuellen Vorsorge, zum Teil werden sie seit Jahren von der Politik zur Umverteilung missbraucht. So werden Krankenkassenleistungen von den Besserverdienenden für die Geringverdiener subventioniert. Dies ist insofern problematisch, weil damit nur ein Teil der Bevölkerung für diese Umverteilung eintritt, konkret jene, die beispielsweise noch in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind.

Das DIW hat in der Berechnung vereinfachend angenommen, dass die Hälfte der Sozialbeiträge faktisch Steuern sind, was dann zu dieser interessanten Zusammenfassung der Verteilung der Kosten des Staates führt:

Abb.: Beiträge zur Finanzierung des Staates

Quelle: → DIW Wochenbericht 51+52/2016, „Steuerlastverteilung“

Die Verteilung der Belastung ist damit sicherlich anders, als man angesichts der öffentlichen Diskussion denken könnte. Die Kurve verläuft deutlich flacher, als man meint. Mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen, könnten wir folgende Schlüsse ziehen:

  • Es ist richtig, dass die Belastung zunächst sinkt. Dies gibt einen Anreiz, am Erwerbsleben teilzunehmen.
  • Allerdings steigt die Abgabenlast dann zu früh und vor allem viel zu steil an. Es ist für Hartz-IV-Empfänger höchst unattraktiv, mehr zu arbeiten und zu verdienen, da die Grenzbelastung bis zu 80 Prozent betragen kann. Hier muss gehandelt werden, was wiederum keine neue Erkenntnis ist, sondern nur das Versagen der Politik in den letzten Jahren unterstreicht.
  • Die Belastung in der Mitte ist deutlich zu hoch. Durchgehend nimmt der Staat 40 oder mehr Prozent vom erarbeiteten Einkommen weg. Daher kommt der Ruf Deutschlands als „Steuer- und Abgabenhölle“.
  • Im obersten Bereich weist das DIW darauf hin, dass die Belastung u. U. tiefer ist, weil im Bereich der Unternehmen eine größere Bandbreite an Steuervermeidungsstrategien angewendet werden kann. Andererseits fällt in diesem Segment die Erbschaftssteuer an, die in dieser Analyse fehlt. Hier wird also das Einkommen, das nicht über die Konsumsteuern belastet wurde, weil gespart, durch eine andere Steuerart erfasst. Dass diese Steuer für Unternehmen nicht anfällt, ist eine der potenziellen Ungerechtigkeiten im System.
  • Generell würde man sich eine stärkere Ausprägung des „U“, einen stärkeren Anstieg am Ende und eine absolut geringere Belastung wünschen.

Bevor wir aber zur Schlussfolgerung kommen, müssen wir auch anschauen, wie die Umverteilungsmaschinerie des Staates wirkt. Denn die Einnahmen, die der Staat generiert, fließen ja – wie wir wissen – nur zum geringeren Teil in Investitionen und überwiegend in die Transfers. Immerhin 1040 Milliarden Euro wurden 2019 im weitesten Sinne für Soziales ausgegeben, Zweidrittel der Staatseinnahmen:

Tabelle: Ausgaben für Soziales in Deutschland 2019:

 

Ausgabenposition Betrag in Mrd. Euro % der Staatseinnahmen
Rentenversicherung

330,20

21,10 %

Krankenversicherung

250,10

15,98 %

Pflegeversicherung

42,39

2,71 %

Unfallversicherung

14,20

0,91 %

Arbeitsförderung u Arbeitslosenversicherung

72,62

4,64 %

Beamtenpensionen

62,96

4,02 %

Altershilfe für Landwirte

2,84

0,18 %

Entgeltfortzahlung

58,80

3,76 %

Kindergeld

47,65

3,05 %

Erziehungs-/Elterngeld

7,81

0,50 %

Soziale Entschädigung

0,77

0,05 %

Wohngeld

1,03

0,07 %

Kinder- und Jugendhilfe

49,67

3,17 %

Sozialhilfe

40,34

2,58 %

Sonstiges:

58,94

3,77 %

Gesamt:

1040,33

66,49 %

 

Quelle: → Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Deutschland in Zahlen

Umverteilung am Werk. Dies muss in die Überlegung einfließen, wenn es darum geht, den Wohlstand richtig zu verteilen. Nur auf die Last zu blicken, wie es das DIW getan hat, genügt demzufolge nicht.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat im Januar 2020 die beiden Sichtweisen zusammengeführt: die Finanzierung des Gemeinwesens und andererseits die Umverteilungswirkung. Naturgemäß kann sich so eine Untersuchung nur der Wahrheit nähern, weil es – wie auch bei der Finanzierungsanalyse des DIW – nicht möglich ist, für jeden Bürger eine perfekte Rechnung aufzustellen. Auch ein Grund dafür, warum die Politik zum Teil schwer nachvollziehbare Entscheidungen trifft wie beispielsweise die Einführung der Grundrente, obwohl wir wissen, dass geringe staatliche Renten keineswegs ein Indikator für Altersarmut sind.

Das Ergebnis der Netto-Betrachtung kann wenig überraschen:

Abb.: Nettobeiträge zum Staat in Prozent des Einkommens

Quelle: → IW, „Staatliche Umverteilung – Wer zahlt, wer empfängt?“, 12. Februar 2020

Die Erkenntnisse sind aufschlussreich[ii]:

  • Die untere Hälfte der Bevölkerung zahlt netto nichts für den Staat. Dies bedeutet, Infrastruktur, öffentliche Verwaltung, Verteidigung etc. werden ausschließlich von den oberen 50 Prozent der Bevölkerung getragen.
  • Die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung wirken die indirekten Steuern regressiv im Verhältnis zum Einkommen. Jedoch werden diese bei Empfängern der Sozialleistungen implizit vom Staat übernommen.
  • Die Belastungskurve verläuft durchaus so, wie man sie sich vorstellen würde, aus einem negativen in einen positiven Bereich.
  • Diese Kurve ist allerdings nicht linear, auch hier zeigt sich der bereits mehrfach angesprochene Bereich von Einkommen der ärmsten 15 Prozent, wo es eindeutig einen negativen Anreiz zur Arbeitsaufnahme gibt. Ähnliches zeigt sich noch vier weitere Male in der Kurve der Nettobelastung. Dies gehört abgeschafft.
  • Des Weiteren widerspiegelt diese Kurve die Philosophie der Politik, dass es darum gehen soll, möglichst viel politisch zu definieren und damit die Bürger eher in einem Abhängigkeitsverhältnis zu sehen. Besser wäre es, den Bereich der Umverteilung klarer zu fokussieren, also in der breiteren Mitte gar nicht umzuverteilen und die Abgaben zu senken.
  • Außerdem hat diese Erkenntnis Implikationen für die Migrationspolitik. Da wir überwiegend Zuwanderung in das Sozialsystem bzw. in die unteren Einkommensgruppen haben, führt diese zu einer immer größeren Notwendigkeit, den Sozialstaat auszubauen und damit einer höheren Belastung der oberen 50 Prozent. Dies kann deshalb nicht weiter fortgeführt werden.

In Summe spricht viel dafür, den Kurvenverlauf des „Saldos“ und die Verteilung der roten und grauen Fläche zu verändern bzw. beide zu verkleinern. Es ist schlichtweg nicht erforderlich, dass der Staat so viel umverteilt. Im Bereich der Einkommen zwischen 30 und 70 Prozent sollte der Staat sich idealerweise raushalten. Im anderen Bereich zielgerichteter vorgehen.


[ii] Quelle: IW, „Staatliche Umverteilung – Wer zahlt, wer empfängt?“, 12. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/beitrag/martin-beznoska-wer-zahlt-wer-empfaengt.html