Was tun mit dem Geld? (2) – Vorsicht mit Schulden

Bekanntlich sind die Szenarien der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung mehr als unsicher. Angesichts der ungelösten Schuldenproblematik, der anhaltenden und zunehmenden Spannungen im Euroraum, der mittelfristig schlechten Wachstumsaussichten aufgrund von schlechter Demografie und unzureichenden Produktivitätsfortschritten bleiben folgende Szenarien denkbar:

  • Eiszeit: lange Phase wirtschaftlicher Stagnation, geringer Inflation/Deflation, geringe/negative Verzinsung, hohe und zunehmende Volatilität der Vermögenspreise, tendenziell jedoch fallend.
  • Schuldenschnitt: Es kommt zu einer geordneten Schuldenrestrukturierung mit Beteiligung der Vermögenden (entweder der direkten Gläubiger wie in Zypern oder über Besteuerung). Nach einem solchen Schnitt dürfte die Wirtschaft in den heutigen Krisenländern sich deutlich erholen, damit verbunden auch die Preise von Vermögenswerten und das Zinsniveau. Allerdings nicht auf Vorkrisenniveau wegen schlechterer Demografie und (hoffentlich) Verzicht auf erneutes Schuldendoping.
  • Monetarisierung: Die Notenbanken kaufen im großen Umfang Staatsanleihen auf und stellen diese zins- und tilgungsfrei. Optimisten sehen, wie hier oft diskutiert, darin den schmerzfreien Weg zur Lösung der Krise. Skeptiker verweisen auf die erhebliche inflationäre Gefahr, weil nach einem solchen Schritt die Geldumlaufgeschwindigkeit deutlich zunehmen könnte, was angesichts der vorhandenen Überliquidität zu deutlicher Inflation führen würde. Gleiches gilt, wenn angesichts der ungelösten Überschuldungsprobleme die Notenbanken immer aggressiver intervenieren und so das Vertrauen in den Geldwert untergraben.
  • Crash: Weil alle Lösungsstrategien versagen bzw. nicht von der Politik umgesetzt werden, kommt es zu ungesteuerten Pleiten von Schuldnern und damit verbundenen Verlusten für Gläubiger. Dies hätte zwangsläufig eine Kettenreaktion zur Folge (und würde wiederum noch aggressiveres Eingreifen der Notenbanken erforderlich machen, mit den genannten Risiken für den Geldwert).

Sicherlich gibt es noch weitere Unter-Szenarien und Varianten, ich denke aber, dies deckt die Varianten recht gut ab. Hinzu kommt in allen Varianten die Frage nach der Zukunft der Eurozone. Beibehalt des Status quo, Reduktion der Mitgliedsländer und völliger Verfall.

In welchem der genannten Szenarien wäre es eine gute Idee, sich zu verschulden? Schulden sind gut, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, wenn man sie in der festen Absicht aufnimmt, diese zu tilgen und die Zinsen durch ein “Mehrprodukt” zu erwirtschaften. Schulden sind fraglich, wenn man sie eingeht in der Hoffnung auf eine Wertsteigerung des gekauften Assets, um sich damit Tilgung und sogar Zinszahlungen zu ersparen. Letzteres hat der verstorbene Wirtschaftswissenschaftler Hyman Minsky übrigens als “Ponzi-Finanzierung” bezeichnet. Es funktioniert wie bei einem Ponzi-Schema nur dann, wenn es einen weiteren Käufer gibt, der den entsprechend höheren Preis für das Objekt bezahlt.

Es ist offensichtlich, dass Schulden in den hier dargelegten Szenarien nur dann sinnvoll sind, wenn man an nominal steigende Assetpreise glaubt. Dies ist nach einem Schuldenschnitt in einigen Ländern denkbar, aber nicht in Deutschland, wo ein großer Teil der Gläubiger und Steuerzahler sitzt, die die mit diesem Schritt verbundenen Kosten zu tragen haben. Wer sich verschuldet, geht also davon aus, dass es zu einem inflationären Szenario kommt. Und dieses auch in absehbarer Zeit. Kommt es zunächst zu einer langen Periode der Eiszeit, stellen sich vermeintlich tiefe Kreditzinsen als real sehr teuer heraus. Verfallen die Assetpreise nämlich, sind selbst Kredite zu Nullzins plötzlich ziemlich teuer.

Bedenklich stimmt, dass nach einem jahrzehntelangen Verschuldungsboom ‒ die Zahlen sind bekannt ‒ und damit verbunden einer immer höheren Bewertung von Vermögensgegenständen, zuletzt auch vom tiefen Zinsniveau getrieben, selbst in seriösen Medien für die Spekulation auf Kredit als seriöse und intelligente Anlagestrategie vorgestellt wird. Die F.A.Z. vom 9. Februar 2015 empfiehlt unter dem Titel “Neue Anlagestrategien”: “Lieber Aktien auf Pump zu kaufen als fürs Eigenheim sparen”. Eine Strategie, die bekanntlich nur funktionieren kann, solange die Wertsteigerung des auf Kredit gekauften Assets (hier also Aktien und Eigenheim) über den Zinskosten liegt.

Die Logik der F.A.Z. klingt auf den ersten Blick bestechend: “Wer langfristig in Aktien anlegt, kann deutlich mehr Rendite erzielen, als er für den Baukredit Zinsen bezahlt. Warum also die Aktien verkaufen und das Geld in das Haus stecken? Es könnte sich vielmehr anbieten, die Aktien zu behalten und beim Kauf des Hauses eine höhere Kreditsumme zu vereinbaren. Die meisten Banken ermöglichen das. Später können dann größere Geldbeträge nicht für Sondertilgungen genutzt werden, sondern auch für Aktienkäufe.” Die F.A.Z. schlägt also vor, beim Kauf eines Hauses weniger Eigenkapital einzusetzen und später auch nicht rasch zu tilgen, sondern stattdessen etwaige Mittelzuflüsse ebenfalls in Aktienkäufe zu investieren. Im Ergebnis geht der betreffende Haushalt also mehr Schulden ein und wird auch nach Ablauf von beispielsweise zehn Jahren mehr Schulden haben, als wenn er von Anfang an mehr Eigenkapital eingesetzt und so viel wie möglich getilgt hätte.

Die F.A.Z. begründet ihren Vorschlag so: “Seit den siebziger Jahren erzielten die deutschen Aktien im Dax im Durchschnitt eine Rendite vor Steuern von 8,3 Prozent im Jahr. Das hat das VZ Vermögenszentrum für einen Anlagezeitraum von 15 Jahren ausgerechnet ‒ der häufig gewählten Zinsbindungsdauer für Baukredite und daher vergleichbar. In diesem Zeitraum haben die Anleger trotz aller zwischenzeitlicher Aktiencrashs nie Verluste gemacht, sondern im schlechtesten Fall zwei Prozent, im besten aber 15,7 Prozent Gewinn im Jahr.” Deshalb hat die F.A.Z. zwei Szenarien rechnen lassen: “Gerechnet wurden sie einmal mit sieben Prozent und das andere Mal konservativ mit vier Prozent Rendite vor Steuern im Jahr. Sieben Prozent erzielten die Aktiendepots nach den Rechnungen des VZ Vermögenszentrums mit einer Wahrscheinlichkeit von 65 Prozent, vier Prozent Rendite mit 94 Prozent Wahrscheinlichkeit.” Dabei muss man sich allerdings immer in Erinnerung rufen, dass der Zeitraum seit den 1970er-Jahren den längsten Börsenboom aller Zeiten beinhaltet, basierend auf einer enormen Verschuldungsausweitung und bei einer im Trend immer höheren Aktienbewertung. Wurden Aktien Anfang der 1980er-Jahre mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von unter zehn gehandelt, so liegt das Niveau im Frühjahr 2015 deutlich darüber. Dabei muss man im Hinterkopf haben, dass nicht nur das aktuelle KGV mit über 15 deutlich höher liegt, sondern auch die Gewinne dank geänderter Rechnungsvorschriften deutlich größer ausfallen. Würde man mit gleichen Gewinndefinitionen arbeiten, wäre der Anstieg der Bewertung noch beeindruckender. Die Autoren der Studie machen hier denselben Fehler wie die Banken in ihren Risikomodellen: Sie arbeiten mit historischen Daten und schreiben diese in die Zukunft fort. Dabei kann diese ganz anders aussehen.

“Schafften die Aktien sieben Prozent, lohnt es sich immer, in Aktien zu sparen, statt die Kreditlast zu reduzieren. Die Strategie brachte mehrere zehntausend Euro Einsparungen. Bei vier Prozent Aktienrendite sieht es hingegen anders aus: Obwohl das deutlich mehr als der Kreditzins ist, hätte der Hausbesitzer die Aktien lieber verkaufen und in die Hausfinanzierung stecken sollen. Denn macht er das nicht und nimmt lieber eine höhere Kreditsumme auf, steigt der Zins auf das Darlehen. Das kann die höhere Rendite der Aktien nicht mehr aufholen. Hinzu kommt: Abgeltungsteuer, Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer schmälern die Aktiengewinne um bis zu 27,8 Prozent.”

Die F.A.Z. empfiehlt dennoch die schuldenfinanzierte Spekulation, weil “die vier Prozent (…) weit unter dem Durchschnitt” liegen. Einem Durchschnitt würde ich wiederum sagen, der auf einer historisch außergewöhnlichen Börsenlage basiert. Tritt nur eines der hier zugrunde gelegten Szenarien (außer Inflation) ein, dürfte eine Rendite von vier Prozent ein gutes Ergebnis sein.

Doch damit nicht genug: “Zum anderen sind in der Rechnung vier Prozent Rendite für den Anlagezeitraum von 15 Jahren angenommen. Der Anleger hat aber jederzeit die Chance, in guten Börsenphasen zu verkaufen und eine höhere Rendite zu erzielen.” Dass der Anleger aber auch das Pech haben kann, dass es genau zur Fälligkeit seines Hypothekendarlehens eine Börsenschwäche gibt, wird dabei ausgeblendet.

Wer jetzt noch nicht von der Strategie der Spekulation auf Kredit überzeugt ist, dem wird auch noch mit steuerlichen Vorteilen Appetit gemacht: “Bei vermieteten Wohnungen lohnt es sich tendenziell stärker, die Aktien zu behalten. Denn die Mieteinnahmen können mit den Kreditraten verrechnet werden, die Steuerlast sinkt im besten Fall auf null. Vorzeitiges Tilgen führt nur dazu, dass die Mieterlöse stärker versteuert werden müssen.”

Fassen wir zusammen: Die seriöse F.A.Z. rät ihren Lesern, sich so hoch wie möglich zu verschulden, wenn sie ein Eigenheim erwerben und zusätzlich Geld in Aktien anzulegen, um dann über die zu erwartenden, sicheren Kursgewinne das Darlehen leichter zu tilgen. Damit das funktioniert, müssen

  • die Finanzierungskosten gering sein. Davon ist bis auf Weiteres auszugehen.
  • die Aktien eine Mindestrendite von vier Prozent pro Jahr erwirtschaften. Historisch mag dies leicht erzielbar gewesen sein. Im Szenario Eiszeit sieht dies anders aus. Strukturell geringes Wirtschaftswachstum, Deleveraging und Deflation sind kein gutes Umfeld für Aktien, wie man in Japan seit 1989 gut beobachten konnte. Die Projektion des renommierten Bostoner Vermögensverwalters GMO für die kommenden Jahre geht übrigens von Aktienrenditen deutlich unter vier Prozent für die kommenden sieben Jahre aus, weil die Aktien sich bereits auf einem sehr hohen Preisniveau befinden.
  • Dürfen zum Zeitpunkt der Fälligkeit die Börsen nicht gerade einen Tiefpunkt haben. Bei der Altersvorsorge beginnt man in jungen Jahren mit einem hohen Aktienanteil, der bis zum Zeitpunkt der Rentenzahlungen deutlich sinkt. Dies macht man, um sicherzustellen, dass zum Zeitpunkt der Rente ein möglicher Aktiencrash nicht zu einer deutlichen Schmälerung der Rente führt. Das gilt gleichermaßen für das hier angedachte Modell. Allerdings geht es  nicht um einen Zeitraum von über dreißig, sondern von nur fünfzehn Jahren.
  • die Hauspreise zumindest stabil bleiben. Nun mag man mit Blick auf die Bewertung deutscher Immobilien relativ zu anderen Ländern denken, dass die Immobilien noch günstig sind. Doch zum einen sagen derartige relative Vergleiche gar nichts aus, kann es doch sein, dass die Preise in anderen Ländern einfach zu hoch sind. Zum anderen dürfte die absehbare demografische Entwicklung die Immobilien in weiten Teilen Deutschlands unter Druck bringen. Eine Wertsteigerung, aber auch ein Werterhalt ist keineswegs garantiert.

Dieses Beispiel macht deutlich, dass es bei jeder Art der Verschuldung zum Zwecke des Kaufes von Vermögensgegenständen um reine Spekulation handelt. Schulden für produktive Zwecke ‒ den Betrieb eines Unternehmens ‒ sind gut, soweit die Absicht besteht, diese durch die Erbringung von Mehrprodukt zu bedienen. Schulden für Konsum sollten angesichts des ohnehin deflationären Umfeldes ohnehin unterbleiben.

Doch wie ist es im Szenario der (Hyper-)Inflation? Natürlich würden in einem solchen Fall die Preise für Sachwerte explodieren und die Schulden würden real entwertet. Allerdings kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass nach einer solchen massiven Geldentwertung von staatlicher Seite Steuern erhoben werden. Nach der Hyperinflation der 1920er-Jahre wurde eine spezielle Hauszinssteuer eingeführt, welche beispielsweise in Berlin zu einer Halbierung der Immobilienpreise führte. Bei der Währungsreform wurden die Schulden umgestellt und Lastenausgleichszahlungen waren zu leisten.

Fazit: Schulden eignen sich nicht in jedem Umfeld als Strategie zum Vermögenserhalt. Wenn Schulden eingesetzt werden, dann sollte dies nur in einem Umfang vorgenommen werden, der auch bei heftigsten Turbulenzen bedient werden kann und unter dem dann deutlich tieferen Wert des finanzierten Assets liegt.

Hier der Link zur F.A.Z.:

F.A.Z.: Lieber Aktien auf Pump kaufen als fürs Eigenheim sparen, 9. Februar 2015

P.S.: Dieser Beitrag ist ausdrücklich kein Plädoyer gegen Aktien. Zu Aktien kommen wir in einem späteren Beitrag. Es ist ein Plädoyer gegen Spekulation aus Kredit.