Testen: Kontrolle der Corona-Epi­demie und Vermei­den von Lockdowns

„Testen als Ansatz zur Kontrolle der Corona-Epidemie und zur Vermeidung von Lockdowns“ lautet der lapidare Titel einer aktuellen Publikation des European Institute for International Economic Relations (EIIW) an der Universität von Wuppertal. Diese Studie fand ich so interessant, dass ich einen der Autoren, Prof. Dr. Paul J. J. Welfens, kurzfristig in meinen Podcast einlud, um die Kernaussagen zu diskutieren. Morgen ab 9:00 Uhr an dieser Stelle. 

Die Erkenntnisse haben es durchaus in sich und verdienen, in der Politik gehört zu werden.

Zunächst fassen die Autoren die üblichen Strategien gegen Corona zusammen:

  • Abriegelungen/Lockdown der Bevölkerung – die den Nachteil haben, dass solche Maßnahmen die Produktion beeinträchtigen und auch den Konsum und erst recht die Investitionen sowie das Produktionswachstum und die Beschäftigung dämpfen; und Grundrechte werden eingeschränkt.“ – bto: Und wir wissen, dass zusätzlich dauerhaft das Wachstumspotenzial eintrübt wird. Es ist also eine sehr teure Maßnahme.
  • Selektive Quarantänemaßnahmen – die im Jahr 2020 typischerweise im Zusammenhang mit Reisenden angewendet wurden, die von internationalen Besuchen zurückkehrten und/oder nach spezifischen Tests auf das Virus. Auch in Pflegeheimen und Krankenhäusern in OECD-Ländern waren Tests im Jahr 2020 ein bekannter Ansatz.“ – bto: Man könnte meinen, dass dies bei konsequenter Anwendung funktioniert. Das sehen auch die Autoren so: „Die effektive Verhängung einer Quarantäne ist kein einfaches Mittel, solange es keine elektronischen Geräte gibt, wie z. B. effektive Epidemie-Tools zur Verfolgung auf der Basis von Mobiltelefontechnologie, die Quarantäneentscheidungen und die Überwachung für eine begrenzte Zeit erleichtern. Bis zu einem gewissen Grad könnte der soziale Gruppendruck der Gleichaltrigen technische Überwachungsgeräte ersetzen.“ – bto: was aber gerade in westlichen Gesellschaften nicht so gut funktioniert.
  • Corona-Impfungen (…) stellen einen neuen Ansatz zur Kontrolle der Pandemie dar; angesichts der Knappheit an Impfstoffen in Europa und weltweit könnte es bis Ende 2021 (oder gar bis Anfang 2022) dauern, bis die meisten Länder der Welt eine Herdenimmunität erreicht haben.“ – bto: Eine Ursache ist, dass die Verantwortlichen bei dieser historischen Aufgabe grandios gescheitert sind.
  • Die Autoren führen hier nun einen vierten – gerade vor dem Hintergrund, dass Impfungen nicht verfügbar sind – überlegenen Weg hinzu: „Unser besonderes Interesse legt einen Schwerpunkt auf die Rolle des Testens, was von der Regierung erfordert, a) eine physische Testinfrastruktur zu entwickeln und b) selektive und regelmäßige Tests zu organisieren und durchzuführen, damit die Geschwindigkeit der Ausbreitung des Coronavirus auf effektive Weise kontrolliert werden kann. Der hier entwickelte (…) Testing- & Quarantäne-Ansatz (T&Q) zeigt, dass ein Lockdown mit einem adäquaten Testregime vollständig vermieden werden kann, was allerdings erfordert, dass die Regierung stark in eine nationale (und möglicherweise internationale) Testinfrastruktur investiert.“ – bto: Und der Clou dabei ist, die Kosten sind vergleichsweise gering.
  • Zunächst zu den Kosten der Lockdowns: „Was die Optionen zur Kontrolle der Coronavirus-Epidemiedynamik betrifft, so kann man zunächst betonen, dass Lockdowns/Shutdowns ziemlich teure Maßnahmen sind, die die Geschwindigkeit der Ausbreitung von Covid-19-Infektionen unter Kontrolle bringen sollen. Die Kosten des ersten Lockdowns/Shutdowns im Frühjahr 2020 beliefen sich auf etwa 9,2 Mrd. $ (in KKP-Zahlen; rund 8 Mrd. €) pro Tag in Deutschland, 4,8 Mrd. $ in Großbritannien und 17,2 Mrd. $ in den USA. Bezogen auf eine Person liegen die entsprechenden Werte bei 58 $ (knapp 50 €) pro Kopf und Tag in Deutschland, 7,4 $ pro Kopf und Tag in Großbritannien und 11 $ pro Kopf und Tag in den USA (…).“ – bto: Bei uns ist der Schaden demnach besonders groß gewesen. Hier die Übersicht:

Quelle: Gries, Welfens

  • Bemerkenswert ist, dass der kürzeste Shutdown unter den (…) dargestellten Ländern Dänemark ist, gefolgt von der Republik Korea und Neuseeland. Wie aus Tabelle 3 hervorgeht, ist Dänemark – sieht man einmal von dem eher kleinen Land Luxemburg ab – das führende OECD-Land, wenn es um Corona-Tests im Jahr 2020 geht.“ – bto: was einen Hinweis darauf gibt, dass Testen etwas bringt.

 

Quelle: Gries, Welfens

  • Während soziale Distanzregeln und Masken relativ billige Maßnahmen sind, ist ein Lockdown die teuerste Maßnahme für eine Volkswirtschaft. Daher ist es sinnvoll, nach anderen Maßnahmen zu suchen, die ähnliche oder sogar bessere Effekte bei geringeren Kosten bieten. Wir schlagen daher eine intelligente Test- und Quarantänestrategie (T&Q) als wirksame Maßnahme zu geringeren Kosten vor. Eine systematische Test- und Quarantänestrategie bedeutet nicht nur relativ geringe wirtschaftliche Kosten, sondern auch relativ geringe Einschränkungen von individuellen Grundrechte (als nicht monetärer Kostenfaktor). Bei der hier vorgeschlagenen T&Q-Strategie wird systematisch ein bestimmter Anteil aller Bevölkerungsgruppen getestet – unabhängig davon, ob sie Symptome einer Covid-19-Infektion haben oder nicht.“ – bto: testen nach Kalender, nicht nach Symptomen. Damit werden systematisch auch jene erfasst, die keine Symptome zeigen, aber anstecken.
  • Der Grundgedanke einer Test- und Quarantänestrategie ist folgender: Anstatt alle Menschen in einem Lockdown zu isolieren, werden bei einer systematischen Teststrategie nur die Personen erkannt und isoliert, die bereits infiziert sind oder mit hoher Wahrscheinlichkeit infiziert sein könnten (da sie enge Kontakte zu einer infizierten Person hatten). Damit ist die T&Q-Strategie eine Strategie zur systematischen Erkennung und Unterbrechung der Verbreitungswege. Die Quarantäne weniger führt zum Schutz aller.“ – bto: Im Kern rechnen die Autoren vor, wie die Reproduktionsrate des Virus unter eins gedrückt werden kann, in dem man regelmäßig testet und einen Anteil der Neuinfizierten identifiziert und gemeinsam mit ihren Kontaktpersonen in Quarantäne steckt.
  • „(…) die Effizienz einer Strategie bereits dadurch steigen, dass wir verschiedene Gruppen und deren Beiträge zur Ausbreitung der Krankheit berücksichtigen. Die Berücksichtigung bestimmter Gruppen mit unterschiedlicher Ausbreitungswahrscheinlichkeit kann die erforderlichen Testkapazitäten massiv reduzieren und die Kosten senken. Gruppen, die mehr Kontakte haben und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit, die Krankheit zu verbreiten, sollten häufiger getestet werden als andere. Hier gibt es sicher sehr differenzierte Möglichkeiten, solche Gruppen mit hoher Kontakthäufigkeit und Ansteckungswahrscheinlichkeit zu identifizieren. Menschen in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, Schulen und Universitäten, Bedienungen in Restaurant, Kassierer/innen in Supermärkten etc. gehören zu diesen Gruppen.“ – bto: Ich habe nicht verstanden, weshalb wir nicht jeden Menschen, der ein Alten- oder Pflegeheim betritt, jeden Tag testen.
  • Gruppen mit einer großen Anzahl von Kontakten und einer großen Übertragungswahrscheinlichkeit müssen häufiger getestet werden als Gruppen mit relativ wenigen Kontakten. So haben z. B. Schüler und Lehrer Kontakt zu vielen anderen Schülern und Lehrern, sodass es aufgrund der räumlichen Enge und der geringen Schutzmaßnahmen nicht einfach ist, die Übertragungswahrscheinlichkeit zu reduzieren. Diese Gruppe hat wahrscheinlich einen hohen gruppenspezifischen Ri und trägt stark zum Gesamt-R bei. Wird diese Gruppe jedoch systematisch mit hoher Frequenz getestet, kann der effektive Ri dieser Gruppe sehr niedrig werden, sodass auch der Gesamt-R Faktor massiv reduziert wird. Wenn eine Person getestet wird und sich als infiziert erweist, setzt die Quarantäne-Politik ein. Wenn zum Beispiel ein Schüler positiv getestet wird, kann die gesamte Schulklasse in Quarantäne geschickt werden. Das heißt, die Kontaktpersonen, die der ursprünglich infizierten Person am nächsten stehen, werden höchstwahrscheinlich ebenfalls infiziert sein. Wenn sie in Quarantäne gehen, werden diese Kontaktpersonen in Quarantäne die Krankheit nicht weiterverbreiten. Die Öffentlichkeit wird geschützt. Wenn diese Gruppe groß ist – wie in einer Schule – hat der Test eine hohe Effektivität. Denn für jede Gruppe kann die Anzahl der systematischen Kontakte relativ leicht ermittelt werden.“ – bto: Auch das leuchtet ein. Ich fokussiere mich auf das „Super-Spreader-Umfeld“ und teste dort massiv.
  • Das Ergebnis für dieses Beispiel einer T&Q-Strategie ist als grüne Linie in Abbildung 4 eingezeichnet. Um einen interessanten Vergleichsfall zu haben, nehmen wir an, dass diese Teststrategie bereits im Herbst (November zum Zeitpunkt des „Lockdown light“) begonnen hätte. Laut der Grafik hätte diese Teststrategie mit einem systematischen und gruppenspezifischen Testansatz die Neuinfektionen innerhalb eines Monats auf ein Niveau weit unter dem gewünschten Maximalwert gesenkt, der durch die orangefarbene Linie angezeigt wird. Dieses Beispiel zeigt also, dass eine systematische Teststrategie effektiv sein kann. Mehr noch, diese einfache (…)  Strategie erlaubt es, die erforderlichen Tests auf eine Anzahl von weniger als neun Millionen Tests pro Tag zu reduzieren. Mit einer kontinuierlichen Testung würde die Zahl der Neuinfektionen kontinuierlich auf einem sehr niedrigen Niveau gehalten, eine dritte Welle würde nicht auftreten.“ – bto: Es ist ein sehr simpler Ansatz: Testen der Multiplikatoren ist überdurchschnittlich effektiv.

Quelle: Gries, Welfens

  • Seit Herbst 2020 sind Schnelltests für weniger als 5 € erhältlich. Allerdings wird auch ein Netzwerk mit entsprechender Infrastruktur benötigt, um die Tests durchzuführen und auszuwerten. Gehen wir davon aus, dass die Infrastrukturkosten pro Test das Dreifache der Kosten für den Test selbst betragen könnte (was vermutlich zu hoch ist) würde ein Test im Durchschnitt 15 € kosten. (…) Würde (mit einer Intensität von knapp 9 Millionen Tests pro Tag) ein Jahr lang getestet, lägen die Gesamtkosten in einer Größenordnung von ca. 2 Prozent des BIP. Auch das ist noch deutlich unter den Koten eines Lockdowns.“ – bto: Stimmt, das wären rund 65 Milliarden Euro verglichen mit den gut 200 Milliarden (mindestens!) der derzeitigen Politik. Außerdem dürften die tatsächlichen Kosten deutlich tiefer liegen, weil die Tests ja dazu führen würden, dass wir die Epidemie schneller unter Kontrolle bringen. Selbst in Deutschland sollten ja mal Impfstoffe eintreffen …
  • Gleichzeitig sind die Vorteile klar erkennbar. Die meisten privaten und geschäftlichen Aktivitäten können wieder relativ normal weitergeführt, solange einfache Distanzierungsregeln noch durchgesetzt werden (wir haben keine Änderung der sozialen Distanzierungsregeln im Vergleich zum Sommer 2020 angenommen).“ – bto: was wiederum aus Sicht der Bevölkerung eine attraktive Option ist.
  • Die Schaffung einer ausreichenden Anzahl von Testeinheiten ist eine wichtige Voraussetzung für die Etablierung einer breiten nationalen Teststrategie. Die Politik hätte bereits im Frühjahr 2020 große Verträge – oft mit bestimmten Optionen (um eine gewisse Flexibilität für die Bewältigung der sich ändernden Situation zu haben) – und angemessene Anreize für eine umfassende Testinfrastruktur in den OECD-Ländern anbieten können, hat dies aber offensichtlich nicht getan (…).“ – bto: offensichtlich. Es kann nur mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen werden, dass die Politik ihre nicht so komplizierten Aufgaben nicht erledigt hat.
  • Es liegt auf der Hand, dass einige unter Quarantäne stehende Personen die Quarantäne nicht immer akzeptieren und einige Personen versuchen werden, sie zu umgehen, sodass es angemessen wäre, erhebliche Geldstrafen für Verstöße gegen die Quarantäne zu verhängen. Ein nationaler Testansatz erfordert den Aufbau einer kostspieligen Testinfrastruktur, die jedoch in vielen Fällen auf funktionalen Verbindungen zu bestehenden Institutionen beruhen könnte: z. B. zu größeren Firmen, Schulen, Universitäten oder Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung. Ein solcher Ansatz reduziert die Kosten des Testens auf sinnvolle Weise.“ – bto: Beides richtig und angesichts der Tatsache, dass wir es mit weniger Personen zu tun haben, die Verstöße begehen können, ist es im Vergleich zum jetzigen fokussierten Lockdown-Ansatz auch durchsetzbar.
  • Man kann leicht vorhersehen, dass viele Politiker zögern werden, eine Test- & Quarantäne- Strategie zu unterstützen, da a) dies ein neuer Vorschlag innerhalb der breiteren Corona- Perspektive ist und b), da die expliziten budgetwirksamen Ausgaben des T&Q-Ansatzes in der ersten Hälfte des Jahres durch seine Umsetzung schnell ansteigen. Eine Kosten-Nutzen- Abwägung spricht jedoch eindeutig für die vorgeschlagene T&Q-Strategie (in Ergänzung zum Impfprogramm). Die Beibehaltung der derzeitigen Strategie des zyklischen Lockdowns in den meisten OECD-Ländern bedeutet – verglichen mit dem breiten T&Q-Ansatz – einen mindestens dreimal so hohen sofortigen gesamtwirtschaftlichen Verlust an Volkseinkommen. Darüber hinaus werden die Grundrechtseinschränkungen, die langfristigen negativen Effekte auf die Bildungschancen und die drohenden Insolvenzwelle durch T&Q vermieden.“ – bto: Vor allem dürften Politiker zurückschrecken, weil sie die berechtigte Frage scheuen, warum sie das nicht schon früher gemacht haben. Der Ruf nach „testen, testen, testen“ kam schon im letzten Frühjahr aus Kreisen der Wirtschaftswissenschaftler, z. B. Jens Südekum.

Fazit der Autoren:Es ist definitiv keine Zeit zu verlieren, um den Kurs der Epidemiepolitik in den OECD-Ländern und vielen anderen Ländern zu ändern.

Hier der Link zur Studie:

EIIW: “Testen als Ansatz zur Kontrolle der Corona-Epidemie und zur Vermeidung von Lockdowns”, Januar 2021