STELTERS MAILBOX: Sind Schulden für Immobilien nicht doch produktiv?

Im Podcast vom 2. Februar 2020 habe ich unter anderem ausgeführt, dass Schulden, die zum Kauf von Immobilien aufgenommen werden, nicht „produktiv“ seien. Wenig verwunderlich gab es daraufhin einige Kritik. So schrieb ein Hörer:

Sehr geehrter Herr Stelter,

nicht alle Immobilien-Investitionskredite sind produktionslos. Erstens mal schaffen sie doch Arbeit und Produktion in der Herstellung. Wenn Sie z. B. in einen Altbau, um auf den neuesten Stand CO2-frei zu kommen, investieren mit Sonnenkollektoren auf dem Dach, einer Wärmepumpe für die Heizung, Außendämmungen der Fassade und Türen und Fenster erneuern, dient es zwar nur in der Herstellung der Produktion, schafft aber auch gleichzeitig langfristig durch die Verringerung der Heizkosten einen Mehrwert, macht ihr Haus in Zukunft autark, mit dem CO2-freien Eigenverbrauch überwiegend zum Energie-Selbstversorger. Somit ist auch eine solche Kreditvergabe, die nicht direkt langfristig der Produktionserweiterung dient, sehr sinnvoll.

Mit freundlichen Grüßen“

Ich würde meine Antwort so aufteilen:

  1. Schafft der Bau oder Umbau von Immobilien Einkommen und Vermögen?
  2. Führt der Bau von Immobilien zu Produktivitätszuwächsen und künftig höheren Einkommen?
  3. Wieso können Investitionen in Immobilien dennoch als „unproduktiv“ gelten?

1.     Schafft der Bau oder Umbau von Immobilien Einkommen und Vermögen?

Natürlich führt der Bau von Immobilien zu entsprechenden Einkommen bei allen an dem Bau beteiligten Personen. So gesehen führen steigende Ausgaben für den Bau zu einem steigenden Bruttoinlandsprodukt und deshalb sind entsprechende Ausgabenprogramme gerade aus Sicht von Regierungen beliebt, um die Wirtschaft zu stimulieren.

Dabei wird durch den Bau von Immobilien auch entsprechendes Vermögen generiert. Mietwohnungen werfen Ertrag ab, Straßen können genutzt werden, selbst genutzte Häuser sparen Miete.

Kurz gefasst: Natürlich sind Schulden, die gemacht werden, um zu bauen, unter diesem Gesichtspunkt „produktiv“. Sie führen zu direkten Einnahmen in Höhe der Ausgaben und damit zu BIP und werden den Wohlstand des Landes durch künftige Nutzung erhöhen.  

2.     Führt der Bau von Immobilien zu Produktivitätszuwächsen und künftig höheren Einkommen?

Etwas komplizierter ist da schon die Frage, ob es sich um einen einmaligen oder einen dauerhaften Effekt handelt. Während das offensichtlich ist bei der Straße und dem Mietshaus, ist es nicht so offensichtlich bei den in der E-Mail angeführten Beispielen. Denn es ist offensichtlich kein gutes Investment, wenn man sein Haus energetisch ertüchtigt, weil es sich nicht rechnet. Deshalb wird es vom Staat subventioniert.

Erst wenn Energie deutlich teurer ist, dürfte sich das Investment rechnen. Und selbst dann würde ich bezweifeln, dass dies zu einem höheren Wohlstand führt. Denn die Investition ist nötig, um eine Reduktion des eigenen Einkommens (durch höhere Abgaben) und des Vermögens (weniger wert, weil weniger Ertrag) zu korrigieren. Man muss also Geld aufwenden, um den Zustand vor der staatlichen Maßnahme wieder zu erreichen. Kurzfristig führt diese zu Einnahmen – wie oben –, aber nicht zu einer Veränderung des Vermögens und des Produktionspotenzials der Wirtschaft. Es ist also ganz klar eine erzwungene unproduktive Investition.

3.     Wieso können Investitionen in Immobilien dennoch als „unproduktiv“ gelten?

Doch in meinem Podcast ging es mir gar nicht um diese Betrachtung. Mir ging es um etwas anderes. Der verstorbene Ökonom Hyman Minsky unterschied zwischen drei Arten der kreditbasierten Finanzierung:

  • Finanzierung zu Absicherungszwecken: Der Schuldner verfügt über genügend Einnahmen, um die Zinsen und das Kapital zurückzuzahlen.
  • Spekulative Finanzierung: Der Schuldner kann aus seinen Einnahmen die Zinsen, aber nicht die Tilgung bestreiten. Er muss seine Verbindlichkeiten „rollieren“, wie der Banker sagt, also neue Schulden aufnehmen, um fälligen Verbindlichkeiten nachzukommen.
  • Ponzi-Finanzierung: Der Schuldner verfügt nicht über genügend Einnahmen, um das Kapital und die Zinsen zu decken. Er hofft, dass der Vermögenswert rascher ansteigt als die gesamten Finanzierungskosten und muss außerdem weitere Kredite aufnehmen, um seine Zinsen zahlen zu können. Er hofft letztendlich darauf, den Vermögenswert verkaufen zu können und so durch den Käufer vor dem Konkurs gerettet zu werden. Genauso wie in den berühmten “Ponzi”-Strukturen, wo ahnungslose Investoren ihr Geld verlieren, weil es, erstens von Betrügern dazu genutzt wird, denjenigen, die vor ihnen investiert haben, Geld auszuzahlen und zweitens, um vor allem das eigene schöne Leben zu finanzieren.

Offensichtlich sind Schulden dann gut und kein Problem, wenn sie zu einer Mehranstrengung führen und damit das Einkommen und gesamtwirtschaftlich das BIP steigern. Dann wachsen Schulden und BIP mit der gleichen Rate. Problematisch wird es dann, wenn Schuldner nicht das erforderliche Mehrprodukt erzeugen, zum Beispiel, weil sie auf eine weitere Wertsteigerung der Immobilie hoffen, die sie auf Kredit gekauft haben.

Und genau das ist zunehmend das Problem:

Ein Ökonomenteam um den Bonner Professor Moritz Schularick hat analysiert, dass den meisten schweren Finanzkrisen ein starkes Kreditwachstum vorausgegangen ist.

→ F.A.Z.: „Jeder Kreditboom endet in einer Finanzkrise? Von wegen!“, 5. Januar 2018

Und hier die Studie:

→ „When to lean against the wind“, Version April 2017

Dabei gibt es keine Zwangsläufigkeit, sondern es hängt davon ab, wie die Schulden verwendet wurden:

  • In drei von vier Fällen war ein kräftiges Wachstum der Kredite gut, weil es zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand beitrug. In diesen Fällen wurden die Kredite in meiner Terminologie “produktiv” verwendet.
  • Bei “schlechten Kreditbooms” werden mit den Krediten zu hohe Konsumausgaben  oder Investitionen finanziert, die sich als nicht nachhaltig erweisen. Unproduktiv also. Dabei handelt es sich meistens um zu hohe Investitionen in Immobilien. Typisch sind Baubooms mit steigenden Immobilienpreisen. 

In einer anderen Publikation beschäftigen sich die Autoren mit dem langfristigen Ertrag verschiedener Assetklassen

→ Langfriststudie: Globales Immobilienportfolio und Aktien die beste Geldanlage

und erinnern im Zusammenhang mit Immobilien (die sich langfristig gut entwickelt haben) daran, dass hinter den steigenden Immobilienpreisen vor allem immer höhere Schulden stehen:

  • “(…) advanced economies in the second half of the 20th century experienced a boom in mortgage lending and borrowing. It is important to note that this surge in household borrowing did not only reflect rising house prices, but also reflected substantially increased household debt levels relative to asset values. Hence, the majority of households in advanced economies today hold a leveraged portfolio in their local real estate market. As with any leveraged portfolio, this significantly increases both the risk and return associated with the investment.” bto: Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Ein enormes Klumpenrisiko!
  • “And today, unlike in the early 20th century, houses can be levered much more than equities, in the U.S. and in most other countries. The benchmark rent-price ratios from the IPD used to construct estimates of the return to housing, refer to rent-price ratios of unleveraged real estate. Consequently, the estimates presented so far constitute only un-levered housing returns of a hypothetical long-only investor, which is symmetric to the way we (and the literature) have treated equities.” bto: Das bedeutet aber auch, dass die echten Eigenkapitalrenditen mit Immobilien deutlich höher waren und sind, was wiederum die ansteigenden Vermögenswerte erklärt!

Banken finanzieren nichts lieber als vermeintlich risikoarme Immobilien. Unbegrenzte und für fast null Kosten produzierbare Kaufkraft trifft so auf ein begrenztes Gut. Die Preise müssen steigen und setzen damit einen sich selbst verstärkenden Kreislauf in Gang. Sobald eine Immobilie zu einem höheren Preis verkauft wird, wirkt sich das auf den Preis aller Immobilien in der Gegend aus. Das Preisniveau insgesamt beginnt zu steigen. Dies erhöht das Eigenkapital aller Immobilienbesitzer und ermöglicht es ihnen wiederum, mehr Kredite aufzunehmen, um weitere Immobilien zu kaufen. Für die Käufer sind die gestiegenen Preise zwar unangenehm, aber dank der unbegrenzten Finanzierungsmöglichkeiten durch die Banken verkraftbar, vor allem mit Blick auf die weitere zu erwartende Preissteigerung. Dabei wird das System immer mehr selbstreferenziell. Hauspreise gelten als günstig, relativ zu dem, was man in anderen Ländern bereits bezahlt oder aber auch hier bald bezahlen wird.

Das meine ich mit unproduktiver Wirkung von Immobilienfinanzierung. Und es dürfte der Großteil der Immobilienfinanzierung sein!

Wie stark diese gestiegen ist, zeigt folgende Darstellung. Wir haben seit rund 40 Jahren – seit der Deregulierung des Finanzsystems – eine deutliche Zunahme an Immobilienfinanzierungen, und zwar vor allem dazu, uns vorhandene Immobilien zu immer höheren Preisen zu verkaufen. In Deutschland übrigens deutlich weniger als in anderen Ländern.

 

Dieses Zusammenspiel unbegrenzter Kaufkraft und begrenzten Angebots ist der entscheidende Erklärungsfaktor für stetig steigende Vermögenspreise und Schulden. Schon 2015 habe ich aufgezeigt, dass der französische Ökonom Thomas Piketty in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ nur Symptome beschreibt. Die Vermögen (faktisch nur die Immobilienpreise) wachsen im Einklang mit den Schulden, die erst die Preissteigerung ermöglichen.

Das Endstadium wird erreicht, wenn Käufer Zins und Tilgung nicht leisten können und nur auf die künftige Wertsteigerung setzen. Die „Ponzi-Finanzierung“. Immer mehr Käufer spekulieren auf einen ungebrochenen Anstieg der Preise und gehen immer größere Risiken ein. Dabei kommt es zu offensichtlicher Spekulation. Immobilien werden nur gekauft, in der Hoffnung, sie kurze Zeit später mit Gewinn verkaufen zu können.

Sobald die Finanzierungskosten über der Wertsteigerung des auf Kredit gekauften Gutes liegen, droht der Crash: Erste Spekulanten versuchen zu verkaufen, was zu einem Preisrückgang für alle Immobilien führt. In der Folge kommen immer mehr Immobilienbesitzer unter Druck und müssen wiederum verkaufen. Was folgt, ist keine geordnete Beruhigung des Marktes, sondern ein wahrer Sturz. Als Faustregel gilt: Je höher der Anteil an Schulden mit denen gearbeitet wird, desto größer die Crashgefahr.

Wer Blasen verhindern und die Stabilität des Finanzsystems erhöhen will, der muss grundlegender über unser Geldsystem nachdenken und das Recht der Banken, Geld zu schaffen, infrage stellen. Bis es ernsthaft zu einem Systemwechsel kommt, brauchen wir wohl noch eine weitere große Krise.

Deshalb komme ich zu der Schlussfolgerung das ein (immer) größerer Teil der Immobilienfinanzierung nicht mit höheren künftigen Einnahmen durch Mehrleistung einhergeht und damit unproduktiv ist.