STELTERS MAILBOX – Harter Schnitt statt Verschleppen und Restrukturieren?

Heute gehe ich auf zwei Nachrichten eines Lesers ein, die sich im Kern um die gleiche Frage drehen: Ist es richtig, einen großen Knall (um fast jeden Preis?) zu verhindern oder sollte man anders handeln? Anlass waren zwei Kommentare von mir in der vergangenen Woche. Zum einen mein Zweiteiler, in dem ich Mario Draghi bescheinige, gescheitert zu sein, zum anderen meine Diskussion zu den Überlegungen Thomas Pikettys in der MAILBOX der letzten Woche:

Grüß’ Dich Daniel, lese eben Deinen Beitrag:

STELTERS MAILBOX: Bestätigen Sie Pikettys „großen Wurf“?

Diesen Vorschlag …

  •  Steuern und Vermögensabgaben: Bleibt als weitere Option jenes, was ich noch zu BCG-Zeiten als „Back to Mesopotamia“ beschrieben habe: ein Schuldenschnitt, der durch Steuern und vor allem Vermögensabgaben finanziert wird. Dann sänken Schulden und Vermögen im Gleichschritt und man könnte das Problem in einem geordneten Verfahren lösen. Wie aktuell diese Überlegungen sind, sieht man an den Überlegungen von IWF und Bundesbank zu Vermögensabgaben und den Empfehlungen von France Strategie zur Teil-Verstaatlichung von Grundbesitz.

… fand ich schon im Mesopotamia Artikel höchst suboptimal, weil er im Kern die gleichen falschen Anreizwirkungen beinhaltet wie der Sozialismus. Es ist immer dasselbe, wenn Moral-Hazard immer wieder belohnt wird (bzw. vernünftiges Verhalten bestraft), dann passiert immer wieder genau das, was eben immer wieder passiert ist: Es bauen sich immer wieder immer schlimmere Blasen und immer schlimmere Zusammenbrüche auf. 

Schade, dass Du diese Anreizwirkungen mit Deinen Vorschlägen letztlich genauso ignorierst wie Piketty und die vielen anderen. So unterscheidet sich das Ganze letztlich nur in akademischen Nuancen, aber nicht fundamental.

Auch dieses Fazit kann ich leider nicht nachvollziehen und es passt auch nicht zu Deinen sonstigen Analysen:

Mario Draghi ist gescheitert – doch er konnte gar nicht gewinnen (II)

  • „Das Fazit? Mario Draghi hat getan, was er tun konnte. Er hat der Politik Zeit gekauft, die diese nicht genutzt hat. Damit ist es viel gefährlicher, was da noch kommt als das, was in den letzten acht Jahren getan wurde. Was nicht getan wurde, ist das Problem.“

Es war aufgrund der real existierenden Anreizstrukturen der Politik, vollkommen klar, dass die Insolvenzverschleppungspolitik von Draghi Deinen viel zitierten Ballon unter Wasser nur weiter aufpumpen würde.

Es kann also nur dann besser werden, wenn irgendjemand klar macht, dass Fehlverhalten auch Konsequenzen hat. Das mindeste wäre gewesen, ein klar und hart terminiertes Ende der lockeren Geldpolitik vorzugeben. Genauso müsste es Kriterien geben, die zum Ausschluss aus dem Euro führen, so sie nicht erfüllt werden (und einen Mechanismus, diesen Prozess durchzuführen). Die Eurokrise ist bald 10 Jahre alt. Da war mehr als genug Zeit dies offen (oder verdeckt) vorzubereiten und dann zu kommunizieren.

Draghi hatte einen Hebel, er hat ihn eben nicht genutzt und damit eben nicht getan, was er hätte tun können (sondern nur dass, was südeuropäische Zentralbankchefs immer schon getan haben). Zudem hat er offensichtlich sein Mandat (in dem Sinne, wie es sehr bewusst gestaltet war und was die Grundlage für unseren Beitritt zum Euro war) überschritten. In einem Rechtsstaat, der den Namen verdienen würde, würde er verurteilt werden.

Jedes Problem mit Geld zuzuwerfen ist die billigste Lösung, die Merkel wie Draghi immer anwenden und die letztlich nie etwas löst, sondern alles nur verschiebt und dabei schlimmer macht.

Liebe Grüße.“

Ich würde das zu folgenden zwei Fragen formulieren:

  1. Wäre es besser gewesen, wenn die EZB nicht eingegriffen hätte, weil dann der Druck zum Handeln für die Politik höher gewesen wäre und echte Reformen der Eurozone stattgefunden hätten?
  2. Soll man eine Restrukturierung von Schulden nicht über das Besteuern von Vermögen realisieren, weil dies letztlich die Fleißigen und die Sparer bestraft und die Sünder belohnt?

Flapsig könnte ich sagen, es ist die Frage, ob man eher mit der Logik der Austrians an die Probleme herangeht oder mit der Logik von Keynes. Hier die konsequente Bereinigung vergangener Fehlentwicklungen, dort der Versuch, die gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgen einer Bereinigung abzumindern oder gar ganz zu verhindern.

Persönlich würde ich mich trotz der gemachten Aussagen für einen Austrian halten. Ich bin skeptisch, was Staatseingriffe betrifft. Ich sehe die Instabilität, ausgelöst durch exzessive Verschuldung und Spekulation, ich sehe die negativen Folgen der fehlenden Bereinigung von Fehlentwicklungen, namentlich am Zuwachs von Zombies, die wiederum die Probleme, vor denen wir stehen, verschärfen. Letztlich ist es genau die Politik der Krisenvermeidung um jeden Preis, die erst die Probleme so groß hat werden lassen. Man hat die Schumpetersche Bereinigung verhindert. Es ist wie bei Waldbränden. Wenn man kleine Feuer immer wieder sofort bekämpft, wird der Wald anfälliger für einen Großbrand.

Doch genauer:

1.     Wäre es besser gewesen, wenn die EZB nicht eingegriffen hätte, weil dann ein erhöhter Druck zum Handeln für die Politik entstanden wäre und echte Reformen der Eurozone stattgefunden hätten?

Es kann also nur dann besser werden, wenn irgendjemand klar macht, dass Fehlverhalten auch Konsequenzen hat. Das mindeste wäre gewesen, ein klar und hart terminiertes Ende der lockeren Geldpolitik vorzugeben.“bto: Ja, so kann man konsequent argumentieren. Nur wissen wir, dass eine solche Drohung nicht gewirkt hätte. Der Bluff wäre aufgeflogen. Wissen wir doch, dass die „Whatever it takes“-Aussage von Draghi erst möglich war, nachdem die deutsche Bundeskanzlerin grünes Licht gegeben hat:

“Mr Draghi cultivates the impression that his magical words saved Europe.  I hate to ruin a nice fairy tale but (…) the plan to back-stop Italy and Spain was a coordinated move by Frankfurt and Berlin. It happened because Angela Merkel feared the imminent collapse of the euro and an epic default. Letting the ECB buy bonds – under strict conditions – was the path of least resistance.”

Es war der politische Entscheid in Berlin, den Euro durch die EZB retten zu lassen. Draghi und die EZB sind da nur Erfüllungsgehilfen, die zudem im Eigeninteresse den Euro erhalten wollen, gäbe es die EZB doch ohne Euro auch nicht. Jedes kommunizierte Ende der Interventionen hätte genau das Gegenteil von dem bewirkt, wie das Bekenntnis, alles zu kaufen. Bei Letzterem laufen die Märkte vor und kaufen, weil sie wissen, dass sie es mit Gewinn an die EZB weitergeben können. Bei einem definierten Ende gibt es eine maximale Beschleunigung der Verkäufe, weil keiner das Asset halten will, das im Preis verfällt.

Weigert sich die EZB also, diese Politik umzusetzen, haben wir sofort das Thema des Eurozerfalls auf dem Tisch. Diesen könnte nur die Politik verhindern bzw. organisieren. Auch dazu habe ich viel geschrieben in den letzten Jahren. Das erste Paper zu dem Thema noch bei BCG: → Fixing the Euro Zone

Meine Sicht ist – denke ich – mittlerweile wohlbekannt:

  • Der Euro ist eine Fehlkonstruktion, die man nicht einführen würde, mit dem heutigen Wissen.
  • Es kam in den letzten Jahren zu einer Divergenz und keiner Konvergenz.
  • Die Währungsunion hat weniger gemein als eine fiktive Union aller Länder, die mit einem „M“ anfangen (Quelle: JP Morgan).

Die bisher diskutierten Lösungsansätze funktionieren nicht:

  • Transferunion: Kann gar nicht groß genug sein (sagt der IWF), verfestigt die Ungleichgewichte (siehe Nord-/Süd-Italien) und verhindert am Ende den Knall nicht.
  • Vereinigte Staaten von Europa: Extremversion der Transferunion mit noch höherer Austrittshürde, aber ohne wirklichen Vorteil bei der Bewältigung der Probleme.
  • Aggressive EZB: Die EZB kann mit immer mehr Geld – auch mit den kommenden Programmen für New Green Deal etc. – nur Zeit kaufen, die Probleme aber nicht lösen.
  • Schuldenrestrukturierung und Neuordnung der Mitglieder: Immer noch meine bevorzugte Option. Die hat allerdings das Problem des Moral-Hasard, mit dem ich mich bei der zweiten Frage noch beschäftigen möchte.
  • Unorganisierter Zerfall: Unstrittig dürfte sein, dass ein ungeordneter Verfall der Eurozone einen globalen Crash an den Märkten und eine tiefe Weltrezession auslösen würde. Dazu gibt es vielfältige Studien und auch, wenn man den Autoren immer gewisse Eigeninteressen unterstellen könnte. Gut fand ich beispielsweise diese: → Was passiert wenn, der Euro platzt?

Damit ist aber klar, dass wir einen geordneten Prozess brauchen, um aus der Misere rauszukommen. Die Lösung liegt bei der Politik, nicht bei der EZB.

Die Politik

  • weigert sich diese Realität anzuerkennen.
  • profitiert vom Status-quo, im Süden durch einen höheren Lebensstandard als ohne Euro und Eurorettungspolitik, aber auch bei uns durch eine Sonderkonjunktur, dank schwachen Euros und billigen Geldes.
  • kann bei jeder Maßnahme nur verlieren, weil diese in der Bevölkerung höchst unpopulär wäre, da mit offenen Verlusten verbunden.
  • hofft auf ein Wunder (also höhere Inflation), um das Problem zu unterdrücken.

Wenn die EZB hier nun einseitig den Stecker zieht, passiert folgendes: Wir kriegen eine neue Eurokrise mit entsprechenden Nachtsitzungen in Brüssel. Auf denen werden dann hektisch Maßnahmen beschlossen, die zur Agenda Transferunion/Vereinigte Staaten passen und klar die französische Handschrift tragen. Ein Programm also, was klar zu deutschen Lasten ginge. Die „Rettung“ würde selbst dann durch die EZB erfolgen, da nur diese die Feuerkraft hätte. Wir hätten dann gegenüber dem Ist-Zustand eine weitere Verschlechterung: Transferunion und aggressivere EZB. Gerade deshalb sollten wir der EZB dankbar sein, dass sie weiter Zeit kauft.

Dass dies am Ende dennoch schlecht ausgehen wird, ist leider wahr. Aber es ist besser zu verschieben und zu hoffen, dass doch das Wunder geschieht in Form einer Politik, die einen geordneten Umbau des Euros veranlasst.

Genauso müsste es Kriterien geben, die zum Ausschluss aus dem Euro führen, so sie nicht erfüllt werden (und einen Mechanismus, diesen Prozess durchzuführen). Die Eurokrise ist bald 10 Jahre alt. Da war mehr als genug Zeit dies offen (oder verdeckt) vorzubereiten und dann zu kommunizieren.“bto: Ja, das stimmt sicherlich, aber wie bereits dargelegt, ist dies ein Problem der Politik und deren Anreizsystem (und auch die unvermeidliche Rolle der EZB in diesem Spiel). Wir haben immer das Problem, dass wir sofort im Krisenmodus sind, sobald Reformen in diese Richtung angedacht werden. Konkursrecht für Staaten? Richtig, aber wenn die Staaten schon hoch verschuldet sind, kommt es zur Flucht aus den Anleihen, steigenden Zinsen und damit sicher zur Pleite. Gläubigerbeteiligung bei Bankeninsolvenzen? Richtig, aber bei Banken, die bereits Zombies sind, bekommt man sofort den Run. Diese Beispiele zeigen: So etwas kann man nur dann einführen, wenn die Probleme nicht akut sind. Dann muss man hoffen, dass die Märkte es auch glauben und im Zweifel dann auch so handeln wie angekündigt.

Seit Jahren machen wir aber das genaue Gegenteil. Damit haben wir uns die Probleme erst so groß gemacht und den Stecker zu ziehen, ohne die Folgen zu bedenken, geht nicht.

Fazit zu EZB und Euro: Das Spiel auf Zeit geht weiter und wird immer extremer, weil die Alternative schrecklich ist. Es wäre an der Politik, zu handeln. Sie wird es aber nicht tun. Damit bleiben wir auf dem Weg in die finale Krise, die aber noch sehr lange auf sich warten lassen kann. Es wird – vermute ich – eine politische Krise sein, die zum Ende führt. Die EZB hat da nur die Rolle des Gehilfen, dem nicht zusteht, allein die Krise herbeizuführen, vor allem, weil sie am Ende doch wieder rettend eingreifen muss.

Das gilt übrigens auch für die Gerichte, die auch nicht die Rolle haben, dieses Konstrukt zu Fall zu bringen. Da kann man noch so viel darüber streiten, ob die Politik der EZB nun rechtmäßig ist oder nicht – ich denke, sie entspricht sicherlich nicht dem Geist von Maastricht – man muss einfach anerkennen, dass wir das Szenario einer ausgemachten Depression haben, wenn der Euro chaotisch zerfällt.

2. Soll man eine Restrukturierung von Schulden nicht über die Besteuerung von Vermögen realisieren, weil dies letztlich die Fleißigen und die Sparer bestraft und die Sünder belohnt?

„Es ist immer dasselbe, wenn Moral-Hasard immer wieder belohnt wird (bzw. vernünftiges Verhalten bestraft), dann passiert immer wieder genau das: Es bauen sich immer wieder immer schlimmere Blasen und immer schlimmere Zusammenbrüche auf.“bto: Das setzt eine tiefer gehende Diskussion voraus. Probieren wir es.

Da ist zunächst die Feststellung, dass Euro- und Finanzkrise letztlich Überschuldungskrisen sind. Wir haben seit Mitte der 1980er-Jahre einen enormen Anstieg der Verschuldung relativ zum BIP gesehen. Dies war politisch durchaus gewollt, um die Folgen der Globalisierung für die Länder des Westens abzumildern und sicherlich auch im Glauben, dass sich so höheres Wachstum und mehr Wohlstand erzielen lassen.

Wir hatten:

  • eine Tendenz zur säkularen Zinssenkung.
  • eine ständig steigende Verschuldung im gesamten System: in der Realwirtschaft aber auch im Finanzwesen, das ein immer größeres Rad drehte
  • in einem Geldwesen, in dem Geld durch einen Verschuldungsakt überwiegend im privaten Bankensektor erzeugt wird.
  • Notenbanken, die bei jeder kleinen Turbulenz das Geld billiger gemacht haben und danach nicht wieder ausreichend erhöht. Die bekannte asymmetrische Reaktion.

    Damit hatten wir aber einen Moral-Hasard der besonderen Art: Die Politik und die Notenbanken haben ihn mit aller Macht gefördert und jede Rettungsaktion hat ihn weiter befördert. In der Eurozone haben wir ihn definitiv auch.

    Was uns nun allerdings in die ökonomische Eiszeit geführt hat. Immer geringeres Wachstum, immer weiter steigende Verschuldung, Zombifizierung. Wie letzte Woche ausgeführt. Schreiben wir das fort, ist es klar, dass wir auf die ultimative Krise zulaufen, die letztlich in zwei Szenarien endet:

    • Mit dem deflationären Kollaps wie in den 1930er-Jahren mit einer Welle an Pleiten von Schuldnern und Kreditgebern:
      Heftige Verluste für alle sind dabei programmiert, auch für jene, die relativ solider gewirtschaftet haben. Es ist klar, dass eine solche Depression mehr Unternehmen, Private, Staate trifft als nur jene, die schlecht gewirtschaftet haben. Es ist angesichts der Größe der aufgebauten Probleme eine Krise zu befürchten, die die große Depression in den Schatten stellt. Es wäre aus meiner Sicht ein Albtraum mit erheblichen sozialen Konflikten (auch wegen der Zuwanderung der letzten Jahrzehnte, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesem Szenario weiter schwächt).
    • Oder aber mit der Hyperinflation durch einen Vertrauensverlust in das Geldsystem, nachdem wirklich radikale Maßnahmen ergriffen wurden.

    Gut möglich, dass wir beides nacheinander bekommen. Klar ist aber, dass in diesem Szenario nicht nur diejenigen die Kosten tragen, die zuvor schlecht gewirtschaftet haben. Es ist sogar gut möglich, dass die besonders Cleveren vorher ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben und in einer solchen Krise weniger verlieren als der normale Bürger.

    Aus diesem Grund bin ich gegen den chaotischen Verlauf aber auch gegen die “Inflationslösung”.

    Doch was dann? Dann ist man zwangsläufig bei der Frage, wie der unweigerliche Schaden, der durch eine Abschreibung der Schulden erfolgt, verteilt wird. Wenn man es weder chaotisch noch über Inflation will – bzw. Letzteres einfach nicht klappen will – ist man bei der geordneten Vorgehensweise über Besteuerung. Und hier ist eine Besteuerung der Vermögen naheliegend, vor allem, weil die Vermögen in den letzten 30 Jahren parallel zur steigenden Verschuldung deutlich gestiegen sind.

    Die Immobilienpreise haben überproportional zugelegt, was neben der demografischen Entwicklung ganz eindeutig an der deutlich gestiegenen Verschuldung liegt. Deshalb ist es auch nicht nur die Leistung des fleißigen Sparers, die zum Vermögen geführt hat, sondern diese Leverage-bedingte Vermögenspreisinflation. In den letzten Jahren wurde das mit der Nullzinspolitik auf die Spitze getrieben. Deshalb ist es naheliegend, beide Seiten der Medaille – Verschuldung und Vermögen – integriert zu betrachten.

    Ich bin offen für bessere Vorschläge. Der Zusammenbruch kann es aber nicht sein. Dazu hätte man in den letzten 30 Jahren immer kleinere Krisen und Verluste zulassen müssen. Das war das Versagen. Nun ist es zu spät für einen solchen Kurswechsel. Kann man erst machen, nachdem das bestehende Problem gelöst wurde.

    „Schade, dass Du diese Anreizwirkungen mit Deinen Vorschlägen letztlich genauso ignorierst wie Piketty und die vielen anderen. So unterscheidet sich das Ganze letztlich nur in akademischen Nuancen, aber nicht fundamental.“ bto: Da würde ich dann schon widersprechen. Piketty stört sich an steigenden Vermögen – ich nicht! Das schreibe ich auch im Buch, sind doch höhere Vermögen auch ein Zeichen, dass uns Kriege und Seuchen erspart blieben. Mein Ausgangspunkt ist die Suche nach einer Lösung für unsere ökonomischen Probleme, seine Motivation ist sicherlich ein ideologisches Ziel.

    Piketty stört sich zudem an der ungleicheren Vermögensverteilung. Hier sehe ich ebenfalls Probleme, aber nicht wie Piketty aus ideologischen Gründen, sondern ganz pragmatisch aus wirtschaftlichen.

    So wissen wir,

    • dass die Sparneigung der Menschen mit höherem Einkommen und Vermögen höher ist, was zu entsprechend geringerer Konsumnachfrage und höhere Nachfrage nach Vermögenswerten führt. So steigen Letztere, während die Realwirtschaft auf steigende Verschuldung der unteren Einkommensgruppen angewiesen ist oder auf mehr staatliche Umverteilung.
    • dass die Vermögenskonzentration zur Ausprägung von oligarchischen Strukturen führen und damit negativ auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung wirken kann.
    • dass die zunehmende Konzentration von Vermögen ein fester Bestandteil unseres Wirtschaftssystems ist. Das habe ich in der Serie zur Eigentumsökonomik diskutiert. Deshalb gab es schon in Mesopotamien alle 33 Jahre ein „Jubeljahr“, in dem die Vermögensverteilung wieder korrigiert wurde. Die Tatsache, dass es immer wieder zu Konzentration kommt, unterstreicht, dass es eben Menschen gibt, die besser wirtschaften oder mehr Glück haben als andere.

    In funktionierenden Sozialstaaten erfolgt bereits eine erhebliche Umverteilung – in Deutschland bekanntlich so viel wie in keinem anderen Land der OECD. Deshalb sind die Einkommen nach Umverteilung so gleich verteilt, wie sonst nirgends. – Zugleich existiert eine soziale Absicherung, die Vermögenscharakter hat (auch wenn nicht vorgesorgt wird) und nebenbei noch den Anreiz zur privaten Vorsorge senkt. Dass es nun dennoch zu der auseinander Entwicklung der Vermögen kommt, hat die bekannten Ursachen:

    • hohe Abgabenlast,
    • falsche Geldanlage,
    • steigende Vermögenspreise wegen Leverage und tiefen Zinsen,
    • unzureichende Besteuerung bestimmter Vermögen, konkret der von Privaten gehaltenen Unternehmen im Erbfall, was die Konzentration befördert.

    Der Hauptansatzpunkt wäre, wie ich immer wieder erklärt habe, eine Förderung der Vermögensbildung auf intelligente Art, zum Beispiel mit einem Staatsfonds nach dem Vorbild Norwegens, mit dem wir als Gesellschaft unser Geld besser anlegen. Auch eine breitere Beteiligung an Unternehmen und eine höhere Eigentumsquote bei Immobilien wären Ansatzpunkte für eine bessere Verteilung. Themen, die bei Piketty keine Rolle spielen.

    Klar ist nur, dass wir das Thema nicht den interessierten Kreisen überlassen, die aus einer rein ideologischen Neiddiskussion heraus Lösungen durchsetzen, die letztlich das Vermögen der Deutschen gesamthaft weiter senken. Denn vergessen wir nicht: Wir sind schon jetzt die Ärmsten der Eurozone vor der Slowakei.

    So, das war es mit der MAILBOX für heute. Schreiben Sie mir.