Zur Illusion der Macht von Macron

Was verbindet man nicht alles mit der Wahl von Emanuel Macron für Hoffnungen? Er soll Frankreich und Europa retten und zu Wachstum und Wohlstand zurückführen. Ich selbst habe mich in einem Kommentar für manager magazin online gar zu der ironischen Prognose hinreißen lassen, dass bald wohl Frankreich für Deutschland bezahlen wird. (Das würden die Franzosen natürlich nie machen!) → „Transferunion – wird Frankreich bald für Deutschland zahlen?“

So überrascht es nicht, dass nach dem Wahlsieg seiner Partei in den Regierungen Europas die Sektkorken knallen. Endlich so mag man glauben ginge es in Europa voran und es gäbe eine Lösung für den gebeutelten Kontinent, den Schulden, überbordende Sozialstaaten und Bürokratien, Demografieentwicklung und ungesteuerte, kulturfremde und teilweise radikale Migration belasten. So sieht es auch die FT, der ich jedoch einen deutlich skeptischeren Beitrag an die Seite stelle. Zunächst die Optimisten:

  • “(…) France (…) after a long and eventful electoral cycle, it has handed over its executive and legislative powers to a pro-business leader intent on overhauling the economy.” bto: Ist es wirklich so klar, dass Frankreich diese Politik will?
  • Die Wahlbeteiligung war zwar sehr gering, aber, so die FT: “(...) that coming shortly after a rollercoaster presidential contest, the turnout was less a reflection of brewing hostility towards Mr Macron than the manifestation of a benevolent wait-and-see attitude towards a man who promises to overhaul the country’s ossified political system and reinvigorate its economy.” bto: Das wird wohl so stimmen. Es könnte allerdings auch am Wahlrecht liegen, weshalb die Anhänger der Parteien, die keine Chance hatten, gleich zu Hause geblieben sind. 
  • The Macron earthquake has swept the mainstream parties aside and installed probably the closest that France can get to a grand coalition of centrist forces in their place.”- bto: Doch ist es wirklich eine breite Mehrheit, die ihn stützt?
  • “(…) Mr Macron’s political momentum means he is in a much stronger position than his Socialist predecessor François Hollande, who had no electoral mandate for pro-business reforms.” bto: Es wird in dem Artikel mit 1945 verglichen und der Arbeit von Charles de Gaulle. Damit ist natürlich auch das Enttäuschungspotenzial entsprechend.
  • Dann zitiert die FT Experten: “The presidential and legislative elections have given Macron legitimacy. It will be tougher for the unions to oppose the reforms radically, says Philippe Waechter, chief economist at Natixis Asset Management. If voters were truly against those reforms, they would have voted for far-right or far-left MPs. It’s not as if Macron is taking them by surprise with this bill. bto: Jetzt kann man nur hoffen, dass der Experte recht hat. Ich fürchte, er liest zu viel in die Wahl, weil wie erwähnt die Gegner keine Chance hatten in diesem Wahlrecht. 
  • He has momentum at the beginning of his mandate, as shown by this very strong majority in parliament, (…) “A big chunk of the French electorate are ready to give him the keys of the country — even some of those who didn’t vote for him in May.‘”  bto: also ein optimistisches Fazit, das ja auch die Märkte teilen. Die Börsen stiegen aufgrund der Nachricht. 

Doch man kann es auch anders sehen, wie der folgende Kommentar bei WirtschaftsWoche Online (der mir offensichtlich) gefallen hat:

  • “In Großbritannien wählten 43 Prozent (bei einer Beteiligung von 68 Prozent) die Konservativen von Premierministerin Theresa May, was für diese ein Wahldesaster (Handelsblatt) und den Verlust der Parlamentsmehrheit bedeutete. In Frankreich dagegen wählten nur 32 Prozent der Wähler (bei nur 49 Prozent Beteiligung) die Kandidaten der neuen Präsidentenpartei La République en Marche (LREM) – und alle Welt feiert Emmanuel Macron als großen Sieger und künftigen Retter Europas.” bto: was deutlich macht, wie wackelig Macron dastehen könnte.
  • Holger Schmieding, Chefvolkswirt von Berenberg, findet, dass Macron durch seinen Erdrutschsieg bewiesen habe, dass er ein fähiger Politiker ist , Frankreich werde in wenigen Monaten die Arbeitsmarktreformen haben, die es braucht. Er könne sich vorstellen, dass in einigen Jahren ein reformiertes Frankreich sogar Deutschland wirtschaftlich überholt‚.” – bto: Das kann ich mir auch vorstellen, aber vor allem wegen des Niedergangs bei uns!
  • Nicht einmal 13 Prozent der wahlberechtigten Franzosen haben in der ersten Runde die Kandidaten der Präsidentenpartei gewählt. 51,2 Prozent der Franzosen haben gar nicht gewählt.” – bto: was nicht auf eine breite Unterstützung einer Reformagenda schließen lässt.
  • Dann der entscheidende Punkt: “Macron triumphiert also nur deswegen, weil seine Gegner zersplittert sind und radikale Linke und Rechte sich nicht auf gegenseitige Unterstützung einigen können.” – bto: Noch haben wir die Volksfront nicht. 
  • “Die (…)  LREM entwickelt sich zu einer großen Macht-Partei des Establishments, die beide alten Lager zum großen Teil aufgesogen hat. Das betrifft vor allem den Großteil der Wählerschaft, aber auch einige prominente Politiker der einst großen Parteien. Die neue Präsidentenpartei hat daher nicht mehr einen großen Gegenspieler, sondern viele kleine, im Wesentlichen vier: die ausgelutschten Reste der Altparteien und die Anti-Establishment-Parteien von links (Jean-Luc Mélenchon mit Unbeugsames Frankreich) und rechts (Marine Le Pen mit dem Front National).” bto: was aber nicht für mehr Stabilität spricht. Im Gegenteil lehrt die Geschichte, dass die kleinen in künftigen Wahlen dann überproportional gewinnen.
  • Die französische Demokratie selbst ist in einer fundamentalen Krise, weil Wahlen die oppositionellen Interessen in der Gesellschaft nicht mehr in parlamentarische Repräsentation übersetzen können. Dieses Wahlergebnis schafft daher beste Voraussetzungen dafür, dass die ohnehin schon gewaltige Frustration großer Teile der französischen Gesellschaft noch weiter ansteigt.” – bto: Das passiert vor allem dann, wenn Macron nicht das Wunder gelingen sollte, die Wirtschaft nachhaltig in Fahrt zu bekommen. 
  • Das unrepräsentative Parlament und die extrem geringe Wahlbeteiligung verheißen eine außerparlamentarische Grundsatzopposition. Die Franzosen lieben es, Revolution zu spielen. Seit 1789 ist ihnen die Straße mindestens so wichtig als politisches Medium wie die Wahlkabine.” – bto: Es wird spannend, ob man diese per Dekret aushebeln kann.
  • Und eine Warnung zum Schluss: “Macrons Präsidentschaft dürfte also, vor allem wenn er sein Versprechen einer neuen Politik nicht erfüllen kann, nicht nur viele Franzosen frustrieren, sondern die zentrale These des Front National in den Augen seiner Anhänger bestätigen. Nämlich, dass die politische Elite mit ihrer Inkarnation Macron nicht für das Volk sprechen kann.” – bto: Spätestens in der nächsten Rezession dürfte der politische Kitt in der EU und den besonders hart getroffenen Ländern nicht mehr halten.

bto: In Summe neige ich eher zur Skepsis der WiWo und nicht zum breiten Optimismus (für den die FT wahrlich nicht alleine steht).

FT (Anmeldung erforderlich): “Macron turns to reforming France after electoral earthquake”, 19. Juni 2017

WiWo.de: “Frankreichs Krise geht jetzt erst richtig los”, 18. Juni 2017