Zum Niedriglohnsektor in Deutschland

Die Klagen in Deutschland sind bekannt. Der Aufschwung ging an den meisten Menschen vorbei, was vor allem daran liegt, dass der Niedriglohnsektor so stark gewachsen sei. Die NZZ greift das Thema auf:

  • “Deutschland darf stolz sein auf sein Jobwunder. Heutzutage sind 6 Mio. mehr Menschen in Lohn und Brot als noch 2005. Die Erwerbslosenquote, wie sie die Internationale Arbeitsorganisation berechnet, lag jüngst nur noch bei 3% (…).” – bto: Woran es liegt? Billiges Geld, schwacher Euro, Verschuldungsboom weltweit, die richtigen Industrien und ja, Lohnzurückhaltung und Niedriglohnsektor.
  • “In Deutschland gibt es einen riesigen Niedriglohnsektor. (…) Als Geringverdiener gilt gemeinhin, wer pro Stunde weniger als zwei Drittel des mittleren Lohnes erzielt. Es geht also nicht um einen ‘Armutslohn’, sondern um den Vergleich mit dem Lohn, der typischerweise in einem Land bezahlt wird.” – bto: Danke für den Hinweis! Denn das wird bei uns gern “vergessen”.
  • “Deutschland kommt laut Berechnungen von Soziologen der Universität Wien im Jahr 2015 auf einen Niedriglohnanteil von 22%, (…) innerhalb der OECD denn auch einen der grössten Niedriglohnsektoren. Das war jedoch nicht immer so. Noch 1996 wies die Statistik einen Anteil von 14% für Deutschland aus, womit man unter den Industriestaaten im Mittelfeld lag. Es handelt sich somit um einen kräftigen Anstieg (…).” – bto: Und das war politisch auch gewollt, besser Arbeit als Arbeitslosigkeit.
  • “Man findet dafür mindestens vier Gründe: (…) die Öffnung Osteuropas (…) Damit gerieten in Deutschland besonders die Löhne von wenig qualifizierten Arbeitnehmern unter Druck. (…) der Rückgang der Tarifbindung  (…) Die Reformen der ‘Agenda 2010’ (…) Arbeitslose erhielten eine Chance, wenn auch oft zu einem niedrigen Lohn (…) ‘Minijobs’ (…) für die man im Monat maximal 450 € verdient. (…)  In Deutschland gibt es 7,5 Mio. ‘Minijobber’, von denen 4,8 Mio. ausschliesslich einen ‘Minijob’ haben. 40% der ‘Minijobber’ sind Hausfrauen (und wenige Hausmänner), je 20% Studierende und Rentner.” – bto: Man kann also sagen, es ist ein Erfolg, dass wir diesen Sektor haben, weil wir damit mehr Menschen in Arbeit bringen.
  • “Laut einer Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation verdienen 37% der ausländischen Beschäftigten einen Niedriglohn, bei den deutschen sind es 21%.” – bto: weil wir – im Unterschied zur Schweiz – überwiegend unqualifizierte Menschen anlocken.
  • “(…) Reformen für Deutschland liegen für die beiden befragten Experten auf der Hand: Hürden, die Menschen davon abhalten, mehr zu arbeiten oder bessere Stellen anzunehmen, gilt es zu beseitigen. Wer im Niedriglohnbereich tätig ist, muss oft befürchten, dass er unter dem Strich kaum mehr Geld hat, wenn er mehr arbeitet, weil ihm staatliche Leistungen gestrichen werden. Ähnlich wirkt das deutsche Ehegatten-Splitting. Es führt zu einer hohen Steuerbelastung beim Zweitverdiener. Dem würde der Übergang zur Individualbesteuerung entgegenwirken. Die Sozialabgaben auf (niedrigen) Löhnen zu senken, wäre eine weitere Option.” – bto: Es ist genau dieses Problem, das ich hier schon mal besprochen habe:

→ „Wie der Staat die Fleißigen bestraft“

Fazit: Es wird Zeit, es als das zu sehen, was es ist: a) ein Erfolg, b) rationales Handeln aller Akteure angesichts einer irrationalen Politik!

→ nzz.ch: “In Deutschland arbeiten doppelt so viele Menschen zu niedrigen Löhnen wie in der Schweiz. Was steckt dahinter?”, 17. Juli 2019