Zum kleinen Margin Call an der Wall Street

Komische Welt: Da ertrinken wir förmlich in Liquidität, gefördert von den Zentralbanken und dann fehlt sie urplötzlich doch. Die US-Notenbank – genauer der New Yorker Ableger – musste in den letzten Wochen immer wieder kurzfristige Liquidität in die Märkte pumpen, um einen starken Anstieg der Zinsen zu verhindern. Die Banken waren nämlich nicht bereit oder in der Lage, sich gegenseitig auszuhelfen. Was also in normalen Zeiten kein Problem ist, nämlich die Overnight-Finanzierung wurde zu einem. War es bei der Lehman-Krise abnehmendes Vertrauen in die Qualität des anderen, so ist es heute offiziell das Zusammentreffen höherer Nachfrage (auch weil der Staat mehr Schulden macht) und einer verringerten Fähigkeit der Banken, ihrer Rolle nachzukommen, weil sie in Folge der Finanzkrise Risiken abgebaut haben. So oder so ist es komisch.

John Dizard nimmt sich dem Thema in der FT an und ich denke, es ist durchaus erhellend, was er schreibt:

  • “US money market people have recently felt as if they are strapped into seats on a choppy flight while the pilot and co-pilot scream about each other’s incompetence over the cabin intercom.” – bto: Klingt zumindest nicht so, als wäre alles unter Kontrolle. 
  • “(…) the Fed has been pumping tens of billions in overnight operations into the repo market, where Treasury securities are temporarily swapped for cash. Additionally, it has been offering ‘term’ repos for a couple of weeks, to avoid liquidity issues at the end of the third quarter. That is supposed to be an unusual accommodation, since the Fed’s primary dealers are supposed to do that work.” – bto: Gemeint sind Banken, mit denen die Fed bevorzugt zusammenarbeitet. Es ist also ein deutliches Stress-Signal.
  • “(…) the Fed has had to admit its special accommodation does not seem to be working that well. The liquidity from the overnight and term operations is flowing through the banks and markets in a disturbingly uneven way. In recent days, some banks and dealers have wound up paying hundreds of basis points over the Fed funds target rate for their short-term money. The implication, to money market people, is there are big unknown counterparty risks out there and nobody wants to get caught in another ‘Lehman’ workout.” – bto: Das führt zu der Frage, ahnen oder wissen die Marktteilnehmer etwas, was wir noch nicht wissen? Gibt es demnächst eine böse Überraschung? Nicht nur, weil ein Unternehmen – man denke beispielsweise an GE – in Schwierigkeiten gerät und am Bondmarkt nach unten durchgereicht wird?
  • “(…) Impeachment may be a licence for cheap rhetoric over drinks, but it also means the presidency, Congress and possibly the judiciary are unlikely to come to terms on anything, especially anything like a bailout for Wall Street. If the pilot and co-pilot are slugging it out in the cockpit, would it not be reassuring to know that an autopilot is gently correcting the course of the most sensitive flows in the money markets? (…) So what had been a murmuring discussion over a possible Fed standing repo facility has morphed into urgent planning sessions.” – bto: weil in der Tat eine politische Blockade ein Event verschärfen dürfte. Die Demokraten würden sich vermutlich eine Krise/Rezession wünschen, um Trump zu schwächen. Das kann aber leicht schief gehen.
  • “(…) the idea would be for the Fed to provide a wide range of banks and dealers with a quickly available means to turn Treasury holdings into cash. (…) There are darker implications to the standing repo facility though. To begin with, it could be seen as the first stem to the nationalisation of the money market. (…) Would it mean that the Fed should also get into allocating credit to favoured industries or activities? Will everyone be forced to read East German planning textbooks?” – bto: Wenn wir uns ohnehin in Richtung MMT, Helikopter und damit des Endes der offiziellen Unabhängigkeit der Notenbanken befinden, ist das doch kein Problem. Es ist nur konsequent.
  • “(…) a serious plan (…) has to be developed. What securities are eligible? What institutions are eligible? How is capacity allocated? Since Treasuries in the hands of the Fed are not re-hypothecated, does that shorten the collateral chain and lead to an unintended tightening? (…) Most likely, the Fed will keep up short-term liquidity patches, initiate modest bond buying after November, and wait until the (likely) spike in short rates come year end. Then the governors will have an excuse to introduce a standing repo facility in the first part of 2020, (…).” – bto: also doch alles unter Kontrolle? Vielleicht. Vielleicht ist aber auch so, dass wir hier die ersten Anzeichen der nächsten Krise sehen. Erstaunlich angesichts der Maßnahmen, die in den letzten Jahren ergriffen wurden, um das System sicherer zu machen. Erstaunlich angesichts der Billionen-Injektionen in die Märkte. Nicht erstaunlich angesichts der immer größeren Risiken, die an den Märkten eingegangen werden. Angetrieben von billigem Geld.

→ ft.com (Anmeldung erforderlich): “Federal Reserve standing repo facility is coming into view”, 27. September 2019

Kommentare (10) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Quintus
    Quintus sagte:

    Martin Armstrong sieht diesen Vorgang nicht mehr ganz so entspannt und warnt bereits vor sorglosem „Weiter So“.

    „Denken Sie daran, dass die Lehman and Bear-Krise auf dem REPO-Markt stattfand. Aus diesem Grund tritt die Krise auf einem Markt auf, von dem die meisten nie etwas über die Zinssätze hören oder sehen. Für Diejenigen in Europa, die eine Position in bar haben, könnte es besser sein, Aktien oder eine Privatanleihe oder ein US-Finanzprodukt zu besitzen. In Anbetracht der Politik in Europa, keine Rettungsaktionen durchzuführen, könnte das Verbleiben von Bargeld auf Ihrem Konto in den kommenden Monaten ein Risiko für Sie darstellen.
    Ehrlich gesagt, wenn dies in Europa explodiert, wird niemand sicher sein, und es wird wie der Jackpot sein, für denjenigen welcher dann über ihr Geld verfügen wird. Die Fed wird die US-Banken retten, aber sie kann sich nicht an der Rettung der europäischen Banken beteiligen. Dies wird zu einem Konflikt in der öffentlichen Ordnung führen, der allesamt auf das Versagen zurückzuführen ist, die Schulden rechtzeitig konsolidiert zu haben. Diese Weigerung zur Konsolidierung, die von Deutschland geforderten Bedingungen, schließt auch Rettungsaktionen aus, bei denen das Geld Grenzen überschreiten müßte. Sie wollen so tun, als wäre die EU eine glückliche Familie, aber sie bestehen auf getrennten Konten.
    Wie ein europäischer Bankier es in einem privaten Gespräch formulierte, ist es fast ein ruhiger Zusammenbruch. Wie ich wiederholt gewarnt habe, stehen wir vor Szenarien, die noch niemand zuvor gesehen hat. Die Vernetzung ist so tief, dass dieser Konflikt in der öffentlichen Politik zu einer schweren Krise führen kann, die von Europa ausgeht“

    https://www.armstrongeconomics.com/world-news/banking-crisis/liquidity-crisis-the-pending-european-banking-crisis/

    Antworten
      • Quintus
        Quintus sagte:

        A double top was in place and everybody ignored it.
        Are they ignoring it again?
        Selbstverständlich, schließlich ist diesmal alles anders…..
        https://www.zerohedge.com/markets/double-top

        Der Unbill am Repo-Markt ist nur ein vorlaufender Streßindikator. Richtiges Ungemach droht erst durch den Absturz der Realwirtschaft.

    • Uwe Isack
      Uwe Isack sagte:

      Dieses Mal ist es anders: Die Fed versucht im Vorfeld die Krise einzubremsen, wohl wissend, daß sie heute den Knall, gerade auch aus politischen Gründen, nicht verhindern kann. Es wird zum MarginCall kommen, vermutlich läuft er gerade an. Es betrifft nicht nur den €uro. Die Volatilitäten erhöhen sich auch für den Yen, “stellvertretend” für Gold.

      Antworten
  2. MFK
    MFK sagte:

    Sehr spekulativ aber ohne Substanz der Bericht der FT. Liquiditätsengpässe zum Quartalsende sind nicht ungewöhnlich. Außerdem wurden wohl zeitnah 100 Mrd. an Treasuries auf den Markt gekippt und abgerechnet. Dieses führts dann zum Ansteigen der o/n Zinssätze, worauf die Fed einschritt, was zum 10.10. abgeschlossen sein soll.

    Antworten
    • Susanne Finke-Röpke
      Susanne Finke-Röpke sagte:

      @MFK:

      Ihre Aussage, dass der Bericht der FT spekulativ und ohne Substanz ist, scheint mir plausibel. Es wäre m.E. nicht zu viel verlangt von einer international bedeutenden Finanzzeitung, erst zu recherchieren und dann eine Meldung daraus zu machen. So wabert die Nachricht im verbalen Nebel umher.

      Antworten
  3. Uwe Isack
    Uwe Isack sagte:

    Was am Repo-Markt vorgeht ist nichts neues: Die globale Verschuldung in Dollar geht sauer bei
    steigenden Kursen. Dieses Mal ging es von den ZB´n gut eingebremst lange gut.
    Der Ausbruch des Dollarindex steht offenbar bevor.

    Antworten
  4. Wolfgang Selig
    Wolfgang Selig sagte:

    Ich bin kein Repo-Spezialist, aber für mich liest sich das so, als ob sich verschiedene größere Player in New York nicht mehr über den Weg trauen. Keine Ahnung, ob es stimmt, aber stehen wir evtl. vor einen zweiten Lehmann-Moment? Dann wäre es gut zu wissen, um wen es sich handelt. Denn es würde erneut nicht lange dauern, bis das Ganze nach Europa rüber schwappt.

    Antworten
    • ruby
      ruby sagte:

      Wenn die Nationalisierungen der Geldsysteme wie angesprochen auf der Agenda stehen, dann wird die EU und der Euro keine Rettungsströme erwarten dürfen – quantitativ und qualitativ.

      Antworten
  5. ruby
    ruby sagte:

    Das hatten wir mit @troodon inklusive Link über das Repo-System soweit geklärt, daß mit Hinterlegung bei der FED die Sicherheiten nicht mehrfach private Geldschöpfungsketten erzeugen können.
    Achtung kurzfristig in Deckung bringen schliesse ich daraus, whatever it forces.

    Antworten

Ihr Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

Schreibe einen Kommentar zu Wolfgang Selig Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.