Wir haben den Krieg demo­grafisch längst verloren

Professor Gunnar Heinsohn lehrte zuletzt von 2011 bis 2020 Kriegsdemografie am NATO Defense College in Rom und ist Lesern und Hörern von bto gut bekannt. Am kommenden Sonntag (17. Oktober 2021) spreche ich mit ihm über die Macht der Demografie. Hier zur Einstimmung ein Kommentar von ihm, der bereits in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) erschien.

Deutschlands demografischer Nachteil zeigt sich am Hindukusch

von Gunnar Heinsohn

«Deutschland lässt Länder der Region nicht allein», verspricht der deutsche Aussenminister Heiko Maas (SPD) nach dem Sieg der Taliban. Um welche Gebiete geht es? Abgesehen von China mit seiner 90-Kilometer-Grenze zu Afghanistan bleiben als direkte Nachbarn Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan, Iran und Pakistan. Alle sechs Länder zusammen beherbergen knapp 400 Millionen Menschen. Diesen 1:5-Rückstand der gut 80 Millionen Bundesbürger übergeht der Politiker. 2040 soll jener nahe 1:7 liegen.

In der Liste von 195 Ländern, deren Pro-Kopf-Kaufkraft der International Monetary Fund ermittelt, liegt die Region zwischen den Plätzen 96 (Iran) und 174 (Afghanistan), während Deutschland immerhin Platz 19 schafft. Beim letzten globalen Pisa-Test (2018) in 72 Nationen treten die sechs gar nicht erst an. Deutschland hingegen erreicht in Mathematik den 19. Platz. Nach dem 14. (2012) und dem 16. (2015) kann das nur entmutigen.

Woher soll das Geld in Zukunft kommen?

Nun will der EU-Zahlmeister ja nicht sofort, sondern erst allmählich die Zuverlässigkeit ausstrahlen, an der es in Kabul mangelte. Da die Kinder das Morgen bestimmen, vergleichen wir deshalb die bis 14-Jährigen zwischen Rhein und Oder mit den umsorgten Ländern. Da steht es 11,6 zu 128 Millionen beziehungsweise 1:11 gegen Deutschland.

Dieser demografische Nachteil mag durch Gelöbnisse internationaler Solidarität ein Stück weit wettgemacht werden. Doch die Hilfsversprechen der Sozialdemokraten bedeuten ja nicht nur, dass alsbald ein Könner von hier zehn Altersgenossen in Zentralasien Geld und Spezialisten schickt oder seinen Flüchtlingen die hiesige Mindestsicherung finanziert. Sie setzen zusätzlich voraus, dass hier auch in Zukunft noch das Geld für Bedürftige in der Dritten Welt verdient wird.

Das gelingt allerdings nur, wenn unsere 11,6 Millionen nebenher auch noch die technische Konkurrenz mit den 280 Millionen ostasiatischen Musterschülern derselben Altersgruppe bestehen. Seit 2003 belegen die bei Pisa immer die vorderen Plätze. Zum 1:11, das man durch überlegene Kompetenz ausgleichen zu können glaubt, gesellt sich ein 1:24, in dem man unstrittig mit geringeren Talenten antritt.

Nach schnellen Erfolgen sieht das nicht aus. Die alten deutschen Domänen wie Kameras, Computer, Tonträger, Telefone sind längst verloren. Gegenüber den 50 Millionen Südkoreanern geht der üppige 22:1-Vorsprung von 1994 bei PCT-Patentanmeldungen bis 2020 komplett verloren. Von den global 25 patentstärksten Privatfirmen kommen jetzt 3 aus Südkorea. Siemens erscheint als bestes bundesdeutsches Unternehmen auf Platz 31.

«Es wird kritisch»

Es bleibt die Königsdisziplin des Maschinenbaus. Noch bis 2019 führt man bei den Exporten. 2020 jedoch übernimmt – bei dreimal höherem Umsatz – China die Spitze. Hermann Simon fühlt den Hidden Champions, also den Weltmarktführern aus dieser Branche, seit 1996 regelmässig den Puls. Die 2021er Neuauflage seines Bestsellers erhält den Untertitel «Die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert». Die industriellen Kerne kämpfen ums Überleben: «Sie müssen Kompetenzen und Wertschöpfung an den jeweils besten Ort der Welt verlagern. Sie müssen chinesischer werden. Und amerikanischer! Und weniger deutsch! Es wird kritisch», sagt er.

Kann der Nachwuchs hierzulande diese Abwärtstrends noch einmal umkehren? Wohl kaum. Bereits zwischen 1998 und 2019 fällt sein Interesse an Naturwissenschaften um 31 und dasjenige an Wirtschaft um 34 Prozent. Für das Einlösen ihrer globalen Verheissungen fehlt der Berliner Spitze schlichtweg das Personal. Zentralasien wird in seinen Kriegen und Nöten also nicht mehr, sondern noch weniger als bisher von Deutschland sehen.

Als ergänzende Information hat Professor Heinsohn mir noch dies geschickt:

 

nzz.ch: „Deutschlands demografischer Nachteil zeigt sich am Hindukusch”, 13. September 2021