Wiederaufbau­fonds – viel­leicht doch nützlich?

In den letzten Tagen habe ich mich kritisch mit dem EU-Wiederaufbaufonds auseinandergesetzt. Die Risiken für Deutschland sind erheblich, die Schulden- und Transferunion kann den Euro nicht retten und wird nur eines sicher bringen: einen Verlust für Deutschland.

Aber vielleicht bin ich ja zu skeptisch. Die FINANCIAL TIMES (FT) berichtet von optimistischen Ökonomen:

  • “Morgan Stanley estimates the EU project will boost eurozone gross domestic product by 3.5 per cent and (…) this would help the bloc to ‘get back through the pre-pandemic trend of growth’.” – bto: Andere Beobachter halten den Impuls für zu gering und vor allem über zu lange Zeit gestreckt.
  • “Economists’ forecasts vary widely, but most who have examined the national plans submitted to Brussels so far believe they will produce a substantial boost to growth likely to be greater than either the EU or the countries themselves have predicted. ‘There are conservative assumptions being made by EU governments on how much of a fiscal multiplier these investments will have,’ said Marion Amiot, senior European economist at S&P Global Ratings, the credit rating agency. ‘So there may well be some upside risk.’ While most countries have assumed that every €100 invested would produce a €40 uplift to GDP, S&P assumed the money would generate at least a one-to-one uplift, possibly more.” – bto: Fangen wir mit den 40 für 100 an. Kein so tolles Geschäft, da es nichts anderes bedeutet, als dass die Schuldenquoten – wenn es denn Landes-Staatsschulden wären – weiter steigen würden. Keine gute Performance. Und auch die 100 für 100 wären ja nur Geldwechseln. So viel zum Thema “Multiplikator”.
  • “S&P forecast the almost €400bn of grants from the EU would boost the region’s GDP by between 1.5 and 4.1 per cent over the next five years, depending on how much of the funds are actually spent and how well they are used. (…) In addition, several countries are supplementing the money from Brussels with funds from their national budgets, including about €60bn in France and just over €30bn in Italy.” – bto: Für beide Staaten ist das eine willkommene Möglichkeit, nochmals Schulden zu machen. Im Falle von Italien nachvollziehbar, bei Frankreich einfach nur die Fortsetzung der ohnehin problematischen Politik, die darauf setzt, dass es einen anderen Schuldner gibt, der einsteht für die Schulden. Guess who?
  • “The IMF added only a ‘relatively conservative’ 0.75 percentage point GDP boost in its latest European forecast to cover the EU funding. But it said ‘the real GDP impact could be twice that or more if the money is well spent and accompanied by needed structural reforms’.” – bto: Strukturreformen? Hm. Nicht so richtig viele zu sehen. In Italien definiert, aber wir können mal abwarten, ob da wirklich etwas draus wird.
  • “(…) some of the biggest uncertainties over the programme included how effectively and how much of the money would be spent. In the six years to 2020, EU countries on average only spent just over half the money they were allocated by Brussels. But the so-called absorption rate of EU funding was closer to 90 per cent in the six years after the 2008 financial crisis, suggesting countries are better at putting funds to work in downturns similar to the current one.” – bto: Es ist schön, dass nun das Geld besser ausgegeben wird, doch beweist dies noch nicht den Nutzen der Ausgabe für das langfristige Wachstumspotenzial.
  • “With European vaccination campaigns accelerating after a shaky start to the year and lockdowns easing in some countries, recent surveys of EU businesses and households have found their confidence rebounding to well above pre-pandemic levels. As a result, economists are watching to see if the commission upgrades its forecast for EU growth of 3.7 per cent in 2021 and 3.9 per cent in 2022.” – bto: Das wird sie mit Freude tun und sich dabei selbst loben. Doch dabei geht völlig unter, wie sehr die strukturelle Wachstumsschwäche verfestigt wird.
  • “For some, such as Spain and Italy, reforms include overhauls to government procurement rules ensuring the cash is well spent. But the programme comes at a time of mounting worries about corruption and the rule of law in some member states. For example, spending scandals in recent years linked to European funds have included the EU’s anti-fraud office calling on Hungary to repay money for a metro line because of fraud and corruption concerns.” – bto: Jetzt kommt hier Ungarn. Dabei gibt es starke Befürchtungen, dass die Mafia in Italien der große Profiteur sein wird.

Die steht zumindest bereit:

  • “Längst haben die verschiedenen Mafiaclans ihre Geschäfte auf ganz Italien ausgeweitet und starke Verbindungen ins Ausland aufgebaut. Das ist an sich nichts Neues. Doch in Kombination mit der Corona-Krise und den Milliarden, die Italien von der EU über den Corona-Hilfsfonds Next Generation EU (NGEU) erhalten wird, entsteht eine gefährliche Mischung. Vor ihr warnt nun auch die Direzione Investigativa Antimafia (DIA) – Italiens Behörde zur Bekämpfung organisierter Kriminalität. Im Interview mit WELT sagt ihr Direktor Maurizio Vallone: „Die Mafia musste wegen der Pandemie ihr Geschäftsmodell grundlegend verändern und investiert jetzt viel mehr Geld in Unternehmen, die bisher nichts mit der organisierten Kriminalität zu tun hatten.“ – bto: Natürlich, denn die Mafia ist ja nicht doof. Und nun, wo die Geldschleusen des Staates sich öffnen, sollte man doch zugreifen. Oder?
  • “(…), dass im Rahmen des EU-Corona-Wiederaufbaufonds NGEU in den kommenden Jahren Milliarden nach Italien fließen werden, einen besonders bitten Beigeschmack. Als größter Profiteur des Programms kann das Land bis zu 209 Milliarden Euro in Form von Krediten und Zuschüssen aus Brüssel erhalten, von denen ein Teil so potenziell in die Hände der Mafia gelangen könnte. ‘Aktuell ist sie besonders an jenen Unternehmen interessiert, die sich bald auf die Ausschreibungen bewerben können, bei denen es um das Geld von der EU gehen wird.’ Das sind einerseits Firmen, die im Gesundheitssektor aktiv sind, aber auch im Baugewerbe, traditionell ein Bereich, in dem die Mafia besonders stark vertreten ist.” – bto: ein Konjunkturprogramm für die Mafia, finanziert mit deutschen Steuergeldern. Ich finde, das hat was …
  • “Die Mafia geht dahin, wo das Geld ist und wohin sie Verbindungen hat.  Das gelte auch bei den NGEU-Fonds. Wahrscheinlich sei daher etwa die Infiltration des Sektors der Windenergie, weil die EU-Gelder für die Transition zu einer grüneren Wirtschaft eingesetzt werden sollen. Doch die Mafia werde auch neue Branchen für sich erschließen: ‘Heutzutage besteht die Mafia nicht mehr aus Männern mit Coppola auf dem Kopf und Lupara in der Hand, sondern auch aus jungen Männern, die an den besten Universitäten Europas studiert haben.’” – bto: Bildung lohnt. Im Prinzip ist das ja faszinierend, abgesehen davon, dass unsere Politiker dafür in Deutschland die Steuern und Abgaben erhöhen.

Damit steht wenigstens ein Gewinner fest.

ft.com (Anmeldung erforderlich): „Recovery fund set to drive EU rebound, say economists“, 10. Mai 2021

welt.de: „Wie Italiens Mafia den EU-Fonds plündern will“, 12. März 2021