Wie die Politik die Grund­lagen von Wohl­stand und Gesell­schafts­ordnung zerstört

Es wird viel zu wenig kritisiert, dass unsere Politiker sich zu Rettern von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt aufschwingen. Im Gegenteil, es wird als völlig normal und notwendig dargestellt, natürlich vor allem von den Rettern selbst. Ich fand es deshalb interessant, was ich vor einigen Tagen im Feuilleton der F.A.Z. fand. Passender Titel: „Abgewirtschaftet“. Darin beschreibt Professor Dr. Dr. hc Thomas Vesting von der Goethe-Universität Frankfurt, wie die Politik die erfolgreichen Grundlagen unseres Wohlstands und der gesellschaftlichen Ordnung gefährdet:

  • “In seinen 1979 am Collège de France gehaltenen Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität beschreibt Michel Foucault, wie eine neuartige Ideenformation – der Neoliberalismus – die Gründung der Bundesrepublik bestimmte: Weil sich unmittelbar nach dem Ende des Nationalsozialismus jede Form des Anschlusses an das herkömmliche Konzept des souveränen Staates verbot (der Staat musste im Gegenteil verdrängt und vergessen werden), konnte in der jungen Bundesrepublik die Idee Platz greifen, derzufolge Staat und Recht ihre Legitimität erst in Bezug auf ein spezifisch ökonomisches Ordnungsproblem, die Errichtung einer freiheitlichen Marktwirtschaft, gewinnen.2bto: Der Gedanke ist gut. Wir haben also Aufgabe und Legitimation aus der Unterstützung der freiheitlichen Wirtschaftsordnung und damit auch eine Umkehr der Verantwortlichkeiten.
  • „Viel schärfer als der heute vorherrschende Verfassungsdiskurs, der das Grundgesetz auf ein rechtspolitisches Mittel zur Herstellung von Verhältnismäßigkeit reduziert, erkannte Foucault, dass die junge Bundesrepublik auf eine neuartige Gesellschaftsverfassung gegründet worden war. Diese Gesellschaftsverfassung brach radikal mit dem alten politischen System der Souveränität, das heißt dem Versuch, den Staat oder eines seiner Organe, wie das Parlament, als autonome Machtquelle zu begreifen. bto: Die freie Wirtschaftsordnung ist hier also die Basis für Politik und Staat.
  • „Das bedeutet nicht weniger als eine Indienstnahme der Regierungskunst für die Errichtung formaler Institutionen: Der Staat schafft rechtliche Bedingungen, die es der Wirtschaft ermöglichen, ihre Selbstorganisationsmechanismen wie etwa eine freie Preis- und Unternehmensbildung in Gang zu setzen.“ – bto: und schwingt sich nicht auf, besser zu wissen, was gut für die Wirtschaft ist.
  • „Es ist die vielleicht größte Leistung der amerikanischen und britischen Besatzungspolitik nach 1945, die alten Verknüpfungen zwischen Staat und Wirtschaft zerschnitten und sie durch ein Mehr an gesellschaftlicher Autonomie ersetzt zu haben. Dadurch wurde aus einer primär an militärischer Macht orientierten Staatlichkeit ein gesellschaftliches Laboratorium zur Schaffung von allgemeinem Wohlstand durch Wirtschaftswachstum und Technologieentwicklung.“ – bto: Und heute haben wir statt militärischer Macht zunehmend andere Weltrettungsprogramme. Nicht wirklich besser, zumindest mit Blick auf Wohlstand hierzulande.
  • „Demgegenüber vermittelt der politische Betrieb heute den Eindruck, den Kontakt zu den sozioökonomischen Lebensformen verloren zu haben. An die Stelle des Zu-Wort-Kommens wichtiger gesellschaftlicher Gruppen tritt das Zu-Wort-Kommen politisch gut organisierter Kreise, jedenfalls scheint irgendwann der Gedanke verloren gegangen zu sein, dass der Staat der Bundesrepublik die Antwort auf die Ordnung einer freiheitlichen Gesellschaft und ihrer Lebensformen ist, eine juridisch-ökonomische Ordnung, wie Foucault sagt – und nicht nur ein Instrument zur Selbstorganisation des politischen Betriebs.“ – bto: Ich würde ergänzen und eine Spielwiese von Akteuren in den Medien, die diese Machtverschiebung aus ideologischen Gründen und zum eigenen Nutzen befördern.
  • „Vom Geist des gesellschaftlichen Aufbruchs, von Erhards Freiheit und Verantwortlichkeit der Bürger, scheint heute so gut wie nichts mehr übrig zu sein. Wo findet sich im politischen und öffentlichen Raum noch eine wichtige neoliberale Gruppierung (im Sinne von Foucaults Begriff des Neoliberalismus)? Wo kann man heute eine Aussage wie diejenige des ehemaligen SPD-Finanzministers Schiller vernehmen (die Foucault in seinen Vorlesungen ebenfalls zitiert), dass jede Planung, auch die flexible, für die liberale Wirtschaft gefährlich sei? An die Stelle einer Legitimität des Staates im Ausgang von den Institutionen der Wirtschaft ist ein Diskurs getreten, der ständig neue politische Projekte erfindet, die in ihren Dimensionen nicht groß genug sein können und mit denen die Politik meint, unmittelbar – durch Planung – Verbesserungen etwa im Verhältnis von Mensch und Natur erzielen zu können.“ – bto: Und damit wird das Gemeinwesen nicht nur grundsätzlich verändert, sondern die Grundlage des Wohlstandes und damit der staatlichen Ordnung zerstört.
  • „An dieser anhaltenden Projektsuche ist vor allem beunruhigend, dass die Politik nicht nur die Ziele vorgibt, sondern selbst noch die dazu passenden Mittel vorhält, wie in Deutschland etwa die Energiewende oder die Fixierung auf das Elektroauto als Klimarettungsobjekt zeigen. Dabei müsste doch gerade das Versagen in der Digitalpolitik ein warnendes Beispiel für die Begrenzung der Prognosefähigkeit staatlicher Zukunftspolitik sein.“ – bto: Das Versagen bei der Energiewende ist mehr als offensichtlich!
  • „(…) Planungsphantasien (hat) die Corona-Krise mit ihren Ad-hoc-Rettungspaketen noch einmal verstärkt (…). Dass es dazu nicht zuletzt unglaublicher Geldsummen bedarf, die sich die ohnehin hochverschuldeten europäischen Staaten an den Kapitalmärkten beschaffen müssen, wird nicht einmal mehr als Problem angesehen, sondern als Teil der Lösung, wie die unlängst von den Mitgliedstaaten beschlossene Erlaubnis der Europäischen Union zeigt, sich im Namen der Mitgliedstaaten zu verschulden. Was sind schon präzedenzlose gemeinsame Schulden angesichts eines weiteren Schrittes auf dem Weg zur Realisierung eines souveränen europäischen Superstaates!“ – bto: der übrigens von einer Mehrheit der europäischen Bevölkerungen nicht angestrebt wird!
  • „Zum Konsens der alten Bundesrepublik gehörte, dass die Politik gut daran tut, sich selbst zu beschränken und wirtschaftliche und technologische Fragen der institutionellen gesellschaftlichen Selbstorganisationen und der Autorität eines damit verknüpften speziellen Wissens zu überlassen. (…) Die Erhaltung intakter Familienstrukturen, in denen begabte und leistungsstarke Persönlichkeiten heranwachsen können, die Ermöglichung von Nachbarschaften, in denen Individuen sich spiegeln und gemeinsame Werte ausbilden, die Pflege von Schulen und Universitäten, in denen Talente auf ein produktives, an der Zukunftsgestaltung orientiertes Lernmilieu treffen, all das sind heute, um es sehr zurückhaltend auszudrücken, keine vorrangigen Themen mehr.“ – bto: Es ist erklärtes Ziel der Politik, genau dies völlig zu zerstören. Die Talente gehen in das Ausland, sobald sich die Möglichkeit ergibt.
  • „Von Foucault wäre also zu lernen, dass sich die Politik wieder an gesellschaftlichen Ordnungsproblemen und, wie zu ergänzen wäre, an der technologischen Zukunftsgestaltung ausrichten muss. Und sie müsste wieder begreifen, dass sie diese Zukunft nur mittelbar, durch ein an der Bildung von gesellschaftlichen Institutionen ausgerichtetes Handeln beeinflussen kann.“ – bto: Dies aber widerspricht den Allmachtsfantasien und -zielen der politischen Akteure, die zudem in der freien Marktwirtschaft überwiegend keine Chance hätten. Eine politische Kaste mit überwiegend fehlender Qualifikation, flankiert von Medien, die den Wandel positiv begleiten und Bürgern, denen das Verständnis für die Zusammenhänge fehlt und noch mehr das Bewusstsein für die Grundlagen des Wohlstands versprechen keine Besserung. Im Gegenteil.

faz.net: “Abgewirtschaftet”, 12. August 2020