Wie Corona Bildung und damit künf­tige Ein­kommen beein­trächtig

Fabrizio Zilibotti, italienischstämmiger Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale hat sich kritisch über die Wirksamkeit der EU-Umverteilung geäußert. Ich habe das hier diskutiert:

Italien und Spanien haben eine Kultur der Abhängigkeit

In einem weiteren Beitrag für die FINANZ und WIRTSCHAFT beleuchtet er die Folgen von Corona für die Bildung und was daraus wiederum folgt:

  • “Covid-19 fordert zwar den grössten Teil seiner Todesopfer unter den älteren Menschen, doch es betrifft auch künftige Generationen, indem es das Bildungssystem stört. (…) Bildungsexperten untersuchen die Auswirkungen dieses einzigartigen Ereignisses. Während uns einige Informationen über die unmittelbaren Auswirkungen von Lernverlusten vorliegen, ist es schwieriger, die langfristigen Auswirkungen der Schliessung von Schulen vorherzusehen. Werden die Kinder aufholen, oder werden Lernverluste ihr ganzes Leben prägen? Wird der Effekt in der Bevölkerung homogen sein, oder wird er für die schwächeren Segmente stärker sein und die Einkommensungleichheit verschärfen? Weil es an Daten dazu fehlt, müssen wir auf Modelle zurückgreifen, die auf vergangenem Verhalten und Ereignissen basieren, um die weitere Entwicklung vorherzusagen.” – bto: Und das ist eine ganz entscheidenden Fragestellung. Wissen wir doch schon jetzt, dass gute Schüler, bei denen vielleicht auch im Elternhaus auf Bildung geachtet wird, durch die Schließungen nicht beeinträchtigt wurden. Einige dürften sogar profitiert haben, wenn die Eltern sich intensiver darum kümmerten. Anders sieht das in anderen Personengruppen aus.
  • “In einem laufenden Gemeinschaftsprojekt (…) untersuchen wir die ungleichen Auswirkungen einer anhaltenden Unterbrechung der Aktivitäten innerhalb von Schulklassen. Wir argumentieren, dass der Unterbruch über den fehlenden Zugang zu professionellen Lehrkräften hinausgeht, denn ein weiterer wichtiger Einflussfaktor sind Gleichaltrige (Peers). Öffentliche Schulen sind ein wichtiges Vehikel der Sozialisierung. Sie ermöglichen es bzw. erzwingen es manchmal sogar, dass Kinder aus sehr unterschiedlicher Erziehung und aus unterschiedlichen sozioökonomischen Milieus sich treffen, zusammensitzen und sich anfreunden.” – bto: Je weniger aber die Schule in der Lage ist, durch entsprechenden Einsatz in so einem Umfeld ein hohes Niveau aufrechtzuerhalten, desto größer die Flucht der motivierten Schüler aus diesen Schulen: zunächst anderer Stadtteil, dann Privatschule, dann Internat im Inland, dann im Ausland.
  • “Anhand der Add-Heath-Daten, eines repräsentativen Datensatzes von High-School-Kindern in den USA in den Neunzigerjahren, stellen wir fest, dass selbst in einem Land, in dem die sozioökonomische Segregation zwischen den Schulen notorisch gross ist, öffentliche Schulen die Gleichstellung durch Gleichaltrige fördern. Zum Beispiel würde die Segregation dramatisch zunehmen, wenn Kinder nur mit Gleichaltrigen, die im selben Quartier leben, interagieren würden statt mit allen, die dieselbe Schule besuchen. Viele Studien, darunter auch unsere, finden signifikante Peer-Effekte auf die kognitive und die nichtkognitive Entwicklung von Kindern.” – bto: Das glaube ich sofort, weshalb es so dramatisch ist, dass die Politik die öffentlichen Schulen so schlecht macht, dass die Flucht erfolgt und damit genau dieser Effekt wegfällt.
  • “Einschränkungen der Interaktion mit Gleichaltrigen legen bei benachteiligten Familien noch weitere Lücken offen. Erstens können wohlhabendere Eltern Tutoren einstellen. Viele Akademiker erhalten von Eltern unzählige Anfragen für grosszügig honorierten Privatunterricht. Zweitens, und das ist vielleicht noch wichtiger, können gut ausgebildete Eltern Lehrpersonen insofern ersetzen, als sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Erhebungen zeigen, dass Eltern die Zeit, die sie für aktive Kinderbetreuung aufwenden, im Vergleich zu normalen Perioden vervierfacht haben.” – bto: weshalb die Kinder durchaus besser werden können als zuvor in der Schule.
  • “Unseren Berechnungen zufolge hat sich das Familieneinkommensgefälle (d. h. der Unterschied zwischen ärmeren und reicheren Familien) in Bezug auf die für die aktive Kinderbetreuung aufgewendete Zeit gegenüber der Zeit vor Covid um den Faktor vier erhöht.” – bto: eine Grundtatsache, die bei guten Schulen kompensiert wird.
  • “Schliesslich zeigt unsere frühere Studie, dass Eltern mehr oder weniger bewusst dazu neigen, ihre Kinder dazu zu drängen, sich mit Kindern zusammenzutun, die in der Schule gut sind, dagegen sollen sie diejenigen meiden, deren Verhalten störend ist. Die elterliche Einmischung in die Art und Weise, wie ihre Kinder Freunde auswählen, ist in ungleichen Gemeinschaften besonders stark.” – bto: Aber es ist doch richtig. Jeder will die bestmögliche Entwicklung für das eigene Kind.
  • “(Der Covid-) Schock trifft zwar alle Kinder, aber drei Kräfte machen seine Wirkung ungleich. Erstens hören die Kinder während der Covid-Zeit auf, sich in den Schulen zu treffen, und können nur noch mit Kindern in der unmittelbaren Nachbarschaft interagieren. Zweitens unterscheiden sich Familien in ihrer Fähigkeit, mit dem Mangel an persönlichem Unterricht zurechtzukommen – wobei die Unterschiede die Möglichkeit der Eltern spiegeln, während der Covid-Zeit von zu Hause aus zu arbeiten. Drittens werden Peer-Effekte sowohl vor als auch nach der Schulschliessung durch die Tendenz der Eltern beeinflusst, ihre Kinder dazu zu drängen, sich von ‘faulen Äpfeln’ fernzuhalten.” – bto: alles nachvollziehbar und richtig. Die Frage ist doch, wie gut Schulen sein müssen, um das korrigieren zu können.
  • “Die Einbussen für Kinder der reichsten 10% der Familien sind unbedeutend, dagegen resultieren Lernverluste von über 70% für die ärmsten 10% der Familien. Wir können auch vorhersagen, in welchem Umfang die Schulen diese Verluste nach der Wiedereröffnung ausgleichen können (vorausgesetzt, sie ergreifen keine besonderen Massnahmen): Wir stellen fest, dass ein grosser Teil der ungleichen Verluste bis zum Ende des High-School-Zyklus bestehen bleibt. Auf der einen Seite schwappen die negativen Auswirkungen auf die Kognition auf die Kinder reicherer Familien über (z.B. durch Verlangsamung des Unterrichts); sie erleiden im Vergleich zu einem ungestörten High-School-Zyklus moderate Lernverluste in der Grössenordnung von 10%. Bei den Kindern aus den ärmsten 10% liegen die Verluste in der Grössenordnung von 35%, d.h., die Schule macht nur die Hälfte der anfänglichen Verluste über drei Jahre nach der Wiedereröffnung wett.” – bto: Jeder, der “reich” ist und dies liest, wird alles daransetzen, aus dem öffentlichen System zu fliehen, um nur noch unter sich zu sein, wo es diese Einbuße nicht gibt.
  • “(Es) ist klar, dass die Gesundheitskrise bei künftigen Generationen Spuren hinterlassen wird, die den Trend zu wachsender Ungleichheit und abnehmender sozialer Mobilität möglicherweise beschleunigen werden. Daraus ergibt sich die politische Forderung nach einem robusten Eingreifen der Regierungen, um das öffentliche Schulwesen und die Bildung von Humankapital zu unterstützen, dies besonders, um benachteiligten Familien und Gruppen zu helfen.” – bto: Das Problem ist, dass es zu lange dauert. Wer kann, flieht aus dem System.

fuw.ch: „Covid belastet die Bildung“, 25. November 2020