Weshalb Geldpolitik wirkungslos ist

Richard C. Koo ist durch seine Theorie der Bilanzrezession bekannt geworden, der wohl beste Erklärungsansatz für die Krise in Japan – und letztlich alle Krisen, die durch übermäßige Verschuldung ausgelöst wurden. Also die große Depression der 1930er-Jahre und unsere heutige Depression in Zeitlupe.

Hier ein früherer Beitrag an dieser Stelle über Koo:

 → Richard Koo: Helikopter-Geld ist brandgefährlich

Die FINANZ und WIRTSCHAFT hat ihn erneut interviewt. Er sagt nichts, was er nicht schon früher gesagt hat. Dennoch eine gute Auffrischung:

  • „Die expansive Geldpolitik wirkt nicht, weil sich niemand Geld leihen will. Unternehmen und Privathaushalte sparen lieber und zahlen Schulden zurück, statt sich neues Geld zu leihen und zu investieren. Dies deshalb, weil nach dem Platzen der Immobilienblase viele Schuldner faktisch bankrott waren und immer noch traumatisiert sind. (…) Der Privatsektor repariert seine Bilanzen – deshalb spreche ich in diesem Zusammenhang auch von einer Bilanzrezession.“ – bto: Das ist die Grundursache für die Eiszeit mit all ihren auch politischen Folgen. So einfach überwinden wir die nicht. Egal, ob es eine Zwischenerholung gibt oder nicht.
  • „Die geldpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre sind völlig verfehlt. Gewisse Notenbanker dachten, sie könnten japanische Verhältnisse vermeiden, indem sie das System mit Geld fluten. (…) Dieses Geld blieb aber im Bankensystem liegen (…) und wirkt deshalb auch nicht inflationär. Irgendwann sind die Bilanzen aber repariert, und der Privatsektor beginnt sich wieder Geld zu leihen.“ – bto: Derweil steigen die Schulden weltweit immer weiter an, also kann von einer Reparatur der Bilanzen eigentlich keine Rede sein.
  • „Die Guthaben der Banken bei den Zentralbanken sind immens. In den USA übertreffen diese Bankreserven die Mindest­reserven um den Faktor 13. Das heisst, die Geldmenge in der Wirtschaft könnte 1300 % steigen – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Inflation. (..) Bisher musste sich noch nie eine Notenbank aus einer derart misslichen Lage befreien. (…) Nun muss es die Zinsen erhöhen und gleichzeitig die Bilanz kürzen. Deshalb ist das Erwartungs-Management durch das Fed so wichtig.“ – bto: Ich denke nicht, dass das passieren wird. Die Bank of Japan wird es doch auch nicht tun, sondern eher die Anleihen annullieren. Letztlich zeigt Japan doch nur, dass es letztlich keine Lösung gibt, solange es nur einen Schuldnerwechsel gibt.
  • Koo sieht das anders als ich: „Die Notenbanken haben keine Wahl. Sie haben die quantitativen Lockerungen durchgeführt, jetzt müssen sie sie zurückdrehen. Wir müssen uns alle überlegen, wie wir lebendig aus diesem Schlamassel kommen. Ideen sind gefragt. Erwartungs-Management, Forward Guidance, all das ist nötig, damit es nicht zu einem grösseren Unfall kommt.“ – bto: Es ist alles keine Lösung, sondern immer das gleiche Spiel auf Zeit.
  • „Die Wirtschaft wächst nicht wegen der Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank. Irland und Spanien halten sich gut, weil dort die Löhne gesunken sind. Deshalb wird die Produktion in diese Länder verlagert. Die Wirtschaft passt sich letzten Endes immer an – die Frage ist, ob in acht Jahren oder schneller. Europa hat die langsame Gangart gewählt. Das erklärt den Aufstieg der populistischen Parteien – die Bevölkerung war zu lange unglücklich. Das wäre vermeidbar gewesen, wenn man von Anfang an das Richtige gemacht hätte.“ – bto: Das mag sein. Ich bezweifle jedoch, dass es damit getan ist, einen Schuldnertausch bei gleichzeitiger weiterer Erhöhung des Gesamtschuldenstandes vorzunehmen. Das kauft Zeit, löst das Problem aber nicht. Stattdessen wächst auch hier die Unzufriedenheit und “populistische” Kräfte gewinnen dazu.
  • „(…) die Notenbanken (hätten) den Politikern weismachen sollen, das Budgetdefizit nicht zu verringern (…). Die Regierungen hätten als Kreditnehmer in letzter Instanz auftreten sollen. Zentralbanken als Lender of Last Resort und Regierungen als Borrower of Last Resort – diese Kombination braucht es in der Bilanzrezession.“ – bto: O. k., aber am Ende haben wir nur höhere Schulden und einen Schuldnertausch. Japan ist ja noch keine Erfolgsstory.
  • „Japan liefert besten Anschauungsunterricht. Dort kollabierten die Immobilienpreise nach dem Platzen der Blase 1991 über die folgenden fünfzehn Jahre fast 90 % – und das landesweit. Dabei wurden 1500 Bio. Yen an Wert vernichtet. Trotzdem ist die Wirtschaftsleitung Nippons nie unter das Vorkrisenniveau gesunken, weil die Regierung rund 2000 Bio. Yen ausgegeben hat.”
  • „Je stärker die Wirtschaft einbricht, desto grösser ist der benötigte Stimulus, um sie wieder auf das Vorkrisenniveau zurückzuführen. Sobald sich die Konjunktur stabilisiert, sollten jedoch Investitionen angestrebt werden, die sich selbst finanzieren. Da hätte Japan wohl einen besseren Job machen können.“ – bto: Aber dann dürften die Schuldenquoten doch nicht weiter steigen?
  • „So lange sich die Projekte selbst finanzieren, gibt es keine Obergrenze, denn es entsteht keine zukünftige Steuerbelastung. Ein Abbau der Staatsschuld kann erst in Betracht gezogen werden, wenn der Privatsektor wieder Geld leiht und investiert.“ – bto: Das klingt in der Theorie gut, ich denke aber, wir müssen die Schulden insgesamt senken.
  • „Die Voraussetzungen wären gegeben – japanische Unternehmen verfügen über die saubersten Bilanzen der Welt.“ Aber: „Die Erfahrungen mit dem Schuldenrückzahlen waren so einschneidend, dass die Manager, die jetzt am Ruder sitzen, wohl nie mehr Geld leihen wollen. Erst wenn jüngere Kräfte nachrücken, die sich nicht an diese schrecklichen fünfzehn Jahre erinnern können, wird man wohl eine nachhaltige Erholung sehen. Nach der großen Depression dauerte es dreißig Jahre, bis die Zinsen in den USA 1959 auf das Niveau der Zwanzigerjahre zurückgekehrt sind – und das, obwohl der Zweite Weltkrieg einem astronomischen Fiskalstimulus gleichkam, der die Bilanzen des amerikanischen Privatsektors reparierte. 1945 wies dieser die saubersten Bilanzen der Welt auf. Trotzdem dauerte es weitere 14 Jahre, bis die Amerikaner wieder Geld zu leihen begannen.“ – bto: Eine wichtige Voraussetzung für neue Exzesse und nachfolgende Krisen ist, dass die Generation, die die Letzte erlebt hat, tot ist oder aber im Altersheim und belächelt wird. Deshalb waren die früheren Wellen alle 60 bis 70 Jahre, vielleicht verlängert sich der Zyklus mit der Lebenserwartung?

bto: Ich teile die Analyse, bin aber, was die Lösung betrifft, nicht überzeugt. Letztlich dürfte die japanische Staatsschuldenlast auch dämpfend wirken. Erst wenn man den nächsten Schritt der Beseitigung mittels Monetarisierung geht, dürfte die Krise beendet sein.

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: “Die Geldpolitik ist völlig verfehlt”, 20. April 2017