Weshalb Europa die Schulden – endlich! – restrukturieren muss

Dieser Beitrag erschien 2015 zum ersten Mal bei bto. Er unterstreicht, dass es nicht am richtigen Verständnis der Krise und der nötigen Schritte fehlt. Ein Beitrag, basierend auf Überlegungen von Michael Pettis, den ich heute Morgen schon hatte: 

Michael Pettis habe ich mit seiner klaren Sicht auf Schulden und deren Wirkung an dieser Stelle mehrfach verlinkt. So zu Japan, China und Europa. Heute nun eine von mir schon lange vertretene Position: Europa muss die Schulden restrukturieren. Wie das gehen kann, habe ich schon mehrfach beschrieben und auch daran erinnert, dass es eben nicht schmerzfrei möglich ist – außer man glaubt an die Lösung über die EZB-Bilanz. Doch hier die Argumentationskette des Professors aus Peking:

  • Länder, die – wie Griechenland – unter derart hohen Schulden und der Ungewissheit, wie diese Schulden abzutragen wären leiden, sind niemals in der Lage aus der Schuldenlast herauszuwachsen. – bto: genau. Deshalb sind sie auch pleite und nicht nur illiquide.
  • Europa hat nur die Wahl, die Schulden offen zu restrukturieren und die Kosten dieses Schuldenschnitts optimal zu verteilen oder aber eine lange Phase der ökonomischen und sozialen Krise zu durchstehen. – bto: Klar ist, dass die Bevölkerungen dies nicht mehr lange mitmachen werden.
  • Politiker, die denken, dass man nur Syriza „loswerden“ muss, damit es wieder gut funktioniert, irren sich. Scheitert die Linke, so kommen noch radikalere Kräfte an die Macht, die die Schuld noch mehr vor allem bei Deutschland sehen. – bto: Gilt auch in den anderen Ländern. Deshalb sehe ich die Politik so kritisch. Wir bezahlen und werden dafür dennoch zunehmend feindlich gesehen.
  • Dabei hat nicht nur Griechenland ein Schuldenproblem und braucht einen Schuldenerlass. Nein auch Spanien, Portugal, Italien und Frankreich. – bto: und wie!
  • Pettis fasst die Gründe für eine Restrukturierung zusammen: a) Wenn Schulden die Wirtschaft erdrücken, geht es allen besser, wenn man die Schuldenlast senkt. b) Schulden sind nur bis zu einem bestimmten Punkt positiv für die wirtschaftliche Entwicklung. Es gibt so etwas wie eine „optimale Finanzierungsstruktur“. c) Sobald man die Gesamtbilanz der Wirtschaft versteht, kann man auch bestimmen, wie eine Schuldenrestrukturierung am besten funktioniert.
  • Schulden werden übrigens immer bedient: entweder vom Schuldner oder aber vom Gläubiger durch (teilweisen) Verzicht oder indem jemand anderes für den Schuldner bezahlt. ‒ bto: gute Beobachtung. Genau darum geht es in dem ganzen Eurozonen-Theater. Wir sollen zahlen, wollen das aber nicht offen anerkennen.
  • Das Problem bei zu hohen Schulden ist, dass die absolute Höhe unsicher wird; man traut den Zahlen nicht mehr und die Realwirtschaft kommt unter Druck, was den Schaden weiter anwachsen lässt. Zugleich ist unsicher, wer welchen Anteil an den Schulden wie bedienen muss. Diese Unsicherheit verschärft laut Pettis die Krise. – bto: Wenn die Betroffenen wissen, dass sie beteiligt werden. Noch wiegen sich die Deutschen hier in großer Sicherheit und ahnen nicht die gigantischen Beträge, die hier auf sie zukommen.
  • Hier liegt das Problem in Europa: Die Unsicherheit, wie mit dem Schuldenüberhang umgegangen wird, lähmt die Wirtschaft und erhöht den Schaden. Pettis spricht von einer Schuldenspirale. – bto: Diese Auffassung vertrete ich schon lange. Es ist fatal, weil mit jedem Tag der Schaden wächst und zugleich die Wahrscheinlichkeit für eine kooperative Lösung sinkt. In der Folge wird der Schaden für uns zugleich nochmals größer. Schade, dass unsere Politik sich nicht traut, hier richtig zu handeln.
  • Dabei hat Europa die Wahl, die Verluste rasch zu realisieren und auf diejenigen zu verteilen, die diese am ehesten tragen können oder aber über eine lange Periode, in der es schwer ist „die Verteilung der Verluste zu kontrollieren“. – bto: und wo die Verluste auch größer sind!
  • Dabei kamen die Krisenländer bereits durch die Erklärung der EZB, „alles Erforderliche zu tun“, in den Genuss einer impliziten Schuldenrestrukturierung und eines teilweisen Schuldenerlasses.
  • Das Versprechen hat erhebliche Unsicherheit aus den Märkten genommen, die nun wissen, dass sie einen Käufer für die Papiere haben. Ganz beseitigen konnte die EZB die Unsicherheit jedoch nicht, weil immer noch offen ist, wie die Schulden bereinigt werden. Immer noch wachsen die Schulden schneller als die Wirtschaft. – bto: Lesern dieser Seiten wohlbekannt.
  • Zusätzlich begrenzt wird die Wirkung der Maßnahme der EZB durch deren eigene Kreditwürdigkeit. Es funktioniert nur solange, wie die EZB als guter Schuldner angesehen wird. Doch wie die neuesten Zahlen von McKinsey zeigen, wachsen die Schulden immer noch enorm (hatten wir hier) und damit auch die impliziten Verbindlichkeiten der EZB (bto: Verstehe ich als das aufzukaufende Volumen an faulen Schulden) – Folge: Die Kreditwürdigkeit der EZB sinkt jeden Tag!
  • Wer jetzt einwendet, die EZB kann doch einfach die Schulden monetarisieren und so aus der Welt schaffen – wie ich, der zunehmend glaubt, dass das der Masterplan der Euroretter ist – der übersieht, dass damit „die Schulden nicht bereinigt werden, sondern ein Vermögenstransfer von Geldvermögenshaltern (= Deutschland) zu Schuldnern (= Spanien) stattfindet. Dafür hat die EZB im Unterschied zu der Fed und den anderen Notenbanken kein Mandat. – bto: Dieser Punkt ist alt. Er kam schon vor zwei Jahren, als die Diskussion zur Monetarisierung in England zuerst geführt wurde. Ich denke, solange niemand die EZB daran hindert – und es sieht nicht so aus, dass es die deutsche Politik tut – spricht viel dafür, dass es dennoch so kommt. Wäre ja nicht der erste Rechtsbruch im Namen des Euros. Pettis bezweifelt das übrigens mit Blick auf die ungerechte Verteilung von Kosten und Nutzen des Euros in Deutschland. Dieses Problem sehe ich bekanntlich auch – allerdings scheint die breite Bevölkerung das nicht zu erkennen und es spricht wenig dafür, dass sich das ändert.

Wie sehen also Pettis Forderungen zur Schuldenrestruktierung aus?

  1. Schulden rasch restrukturieren. Jede Verzögerung vergrößert den Schaden – bto: richtig!
  2. Dabei müssen kurzfristige Liquiditätsengpässe überbrückt werden. Passiert auch.
  3. Es geht nicht nur darum, dass die Gläubiger verzichten. Es muss eine optimale Lösung gefunden werden, zum Beispiel indem man die Rückzahlung an die Entwicklung des BIP koppelt.
  4. Die Kosten des Schuldenschnitts müssen so allokiert werden, dass sie das Wirtschaftswachstum am wenigsten belasten. Normalerweise streckt man es über Zeit, nutzt „finanzielle Repression“ und Steuern. Dies belastet aber die Mittelschicht, was die Vermögens- und Einkommensungleichheit erhöht. – bto: Was er nicht explizit schreibt, aber meint: Eine Besteuerung der Vermögen wäre da gerechter. Diesen Punkt habe ich mehrmals seit 2011 gemacht.
  5. Die Schuldenrestrukturierung muss die Anfälligkeit für externe Schocks reduzieren, indem Zahlungen von BIP-Entwicklung o. ä. abhängig gemacht werden.
  6. Sie muss so gestaltet sein, dass alle Interessengruppen ein Interesse haben, daran mitzuwirken.

Die größte Gefahr für das Überleben der EU sind die Schulden – da stimme ich zu! – und deshalb sollte man das Problem rasch und transparent lösen.
blog.mpettis.com: “When do we decide that Europe must restructure much of its debt?”, 25. Februar 2015