Wer diese Analyse liest, wundert sich nur, weshalb man sich über das Wahlergebnis wundert

Martin Wolf von der FT hat diesen Kommentar geschrieben, als er wohl noch wie die meisten dachte, Hillary Clinton wäre die nächste Präsidentin. Umso mehr fasst er gut zusammen, was für Probleme die USA schütteln. Untertitel seines Beitrages: „The US system has its strengths but still shows scars from the Great Recession.” – bto: genau meine Meinung. Die Eiszeit ist noch nicht überwunden.

 Seine Argumente:

  • “The US economy (…) has recovered from the Great Recession, with unemployment low and real incomes rising. It also possesses abiding supremacy in new technologies.” bto: wobei die Erwerbsbeteiligung deutlich zurückgegangen ist.
  • “Nevertheless, the next administration will take over a country with mediocre growth of productivity, high inequality, a growing retreat from work and a declining rate of creation of new businesses and jobs.” bto: und eine immer noch hohe Abhängigkeit von Vermögenspreisen sowie hohe Schulden.
  • “(…) real gross domestic product per head had reached its trough by the second quarter of 2009 and recovered to pre-crisis levels by the final quarter of 2013. Similarly, the unemployment rate peaked at 10 per cent in October 2009 but is now back to 4.9 per cent. The financial sector is also in far better health than during the crisis.” bto: Ohne Zweifel stehen die USA besser da als Europa. Dennoch ist es die schwächste Erholung seit dem Zweiten Weltkrieg.
  • “(…) the Great Recession could have been another Great Depression. It took bold action by the Federal Reserve, the administration of George W Bush and that of Barack Obama to turn the economy around so quickly.” bto: Ja, sie haben die große Depression verhindert, doch dafür die Depression in Zeitlupe bekommen. Was man an den folgenden Punkten sieht, die Wolf anführt.
  • In the second quarter of 2016, real GDP per head was still only 4 per cent above its pre-crisis peak, almost nine years before. Labour productivity has grown slowly since the crisis, by historical standards, largely as a result of weakened investment.” bto: und ohne Produktivitätswachstum wird das nichts.
  • One study estimates US potential output is 7 per cent below levels suggested by pre-crisis trends. Yet average growth of US labour productivity, albeit slowly subsiding, has exceeded that of other leading high-income economies over the past 15 years.” bto: Es ist ja auch eine weltweite Eiszeit.
  • Real median household income increased by 5.2 per cent between 2014 and 2015. But it remains below pre-crisis levels. Indeed, it is below levels reached in 2000 and has even fallen relative to real GDP per head consistently since the mid 1970s. This performance helps explain the tide of disillusionment, even despair, revealed so starkly by this grim election.” bto: weshalb man sich auch nicht über das Ergebnis der Wahl wundern darf.
  • Between 1980 and the most recent period, the share of the top1 percent in pre-tax income jumped from 10 per cent to 18 per cent. Even after tax, it rose by a third, from 8 to 12 per cent. (…) The US has the highest inequality of any high-income country and has seen the fastest rise in inequality among the seven leading high-income economies.” bto: was aber nicht an der Regel von Piketty liegt, sondern am Geldsystem und immer höherem Leverage.
  • “(…) decline in the share of labour in GDP from 64.6 per cent in 2001 to 60.4 per cent in 2014. Workers have not only suffered from declining shares of the pie. Just as significant is the steady rise in the proportion of men aged 25 to 54 neither in work nor seeking it from about 3 per cent in the 1950s to 12 per cent now. (…) The proportion of US women in this age category in employment is now among the lowest of all the members of the OECD.” bto: Klarer kann man den Niedergang nicht beschreiben.
  • No less disturbing is a decline in economic dynamism. The rate of creation of new jobs has slowed markedly (…) the rate of entry of new businesses into the marketplace has also been falling (…), business fixed investment has been persistently weak.” bto: alles klassische Eiszeit-Symptome! Das billige Geld verhindert die schöpferische Zerstörung und schadet der Erholung.
  • That it was not thought worth raising in the US presidential debates is astounding.” bto: oh ja!
  • For all its strengths, the US economy could do better. In addition to the trends identified above, deteriorating infrastructure, worsening relative educational performance and a terrible tax code are challenges.” bto: Komischerweise kommen einem als Deutschen diese Punkte nicht so unbekannt vor.
  • Halting immigrants and imports would be an act of self-harm. The US must build on its historic strengths of an open and dynamic economy, together with government provision of infrastructure, research, education, and balanced tax and regulatory policies.” bto: Wer weiß, vielleicht ergreift Trump die Chance?

bto: klare Analyse der Lage in den USA. Wenn man sie heute liest, wundert man sich nicht, weshalb Trump es geschafft hat. Schließlich saß ein Demokrat seit acht Jahren auf dem Präsidentenstuhl.

→ FT (Anmeldung erforderlich): “New president has an economic in-tray full of problems”, 9. November 2016

Kommentare (10) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Anna
    Anna sagte:

    Sehr geehrter Herr Dr. Stelter, seien Sie bitte nicht zu enttäuscht, wenn ich hier hin und wieder meine Schritte eines Kleinanlegers darlege und dabei so tue, als nähme ich Sie persönlich in Regress, weil irgendwas, was ich meine verstanden zu haben, nicht passt. Ich habe sehr gut verstanden, dass Sie irgendwo schrieben, man sollte vorsichtig mit den Ratgebern sein.
    Tatsächlich ist der Verkauf der VL-Fondsanteile und der Kauf von Gold eine Korrektur in die von Ihnen gedachte Aufteilung. Durch Riester und Rürup war mein Portfolio zu aktienlastig. Geld ist da, leider gebunden im Riester und somit nicht in andere Währung konvertierbar. Aber Gold gab es noch nicht. Und das VL-Depot enthielt die einzig umwandelbaren Mittel. Immobilien, da habe ich nichts, da weiß ich auch noch nicht, wie ich das noch anstellen könnte.

    Nein, mir ging es vorhin schlicht darum, ein Erstaunen darüber zum Ausdruck zu bringen, das eine Erwartung an einen Präsidenten Trump, die ich mir an vielen Stellen zusammen gelesen hatte, im ersten Zug so enttäuscht wurde.
    Nebenbei, Reflation ist mir so gar nicht geläufig und ich hatte es nicht gegoogelt. Nachlässig.

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  2. Anna
    Anna sagte:

    Was mir noch etwas rätselhaft ist, das ist der flotte Übergang von “Oh, sie haben Trump gewählt” zu “Naja, weiter so. Alles gut.” an den Börsen. Ich hatte gestern morgen ja mal geschrieben, dass ich alles an frei verfügbaren Fondsanteilen aus meinem VL-Vertrag verkauft habe, um Gold zu kaufen. Wollte so schnell wie möglich raus, um die drastische Rutsche so wenig wie möglich mitfahren zu müssen. Und bereits um 10:00 gester morgen fing es an sich zu stabilisieren. Bis jetzt. Ich verstehe nicht, warum vorher dann derart vor Trump gewarnt wurde und was das mit dem Goldpreis machen würde etc. Oder habe ich da mal wieder alles falsch verstanden? Hätte man das alles anders übersetzen müssen? Oder waren das alles wieder nur wilde Ansagen, die die schwachen Hände irgendwo raus haben wollten?

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    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Liebe Anna, wie ich Ihnen und generell immer wieder geschrieben habe! Hören Sie auf zu versuchen, den Markt zu timen. Das können Sie nicht, dass kann ich nicht. Halten sie ein Portfolio aus Aktien(fonds), Gold, Immobilien (auch über Fonds/Aktien) und Cash. Und zwar am besten je 25 %. Einmal im Jahr passen sie an, wenn was zu viel Anteil hat. Sonst NICHT anfassen. Wenn sie bto gelesen hätten – Montag: Mit Trump kommt die Reflation – hätten sie gar nicht daran gedacht zu verkaufen! Schade.

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  3. Lousytalker
    Lousytalker sagte:

    Die Frage ist:
    Haben die Amerikaner FÜR Trump gestimmt oder nicht vielleicht doch
    GEGEN die “Weiter So” Partei in diesem Falle verkörpert durch Hilary ?
    In diesem Sinne haben wir seit mindestens 2005 im grossen Kanton auch eine
    “Weiter So Partei” an der Macht in diversen Farbkombis die nicht wirklich etwas
    aendern will. Das erklärt auch warum jeder Partei sofort bis zu 20% der Wähler zufliegen,
    denn es genügt einfach erstmal nicht teil der Regenbogen “Weiter So” Partei zu sein.
    Dies erklärt die Piraten, wie auch die AfD, wobei der AfD durchaus zuzutrauen wäre
    mehr zu sein als eine Eintagsfliege.

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  4. jens
    jens sagte:

    Gerade im ManagerMagazin gelesen:Deutsche Bank ist fast alleiniger Finanzier des Trumpschen Kreditbedarfs. Fast 2,5 Milliarden Dollar. US Großbanken ist Trump zu risky.
    Cool:stupid german money made Trump great……

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  5. Felix Kurt
    Felix Kurt sagte:

    Zum Wahlergebnis:
    Das MEHRHEITSWAHLRECHT in den USA führt zu der paradoxen Situation, dass der/diejenige, die ins Weiße Haus einziehen darf, nicht zwangsläufig von der Mehrheit des Volkes gewählt wird. Ginge es nur nach Wählerstimmen, liegt Hillary Clinton KNAPP VOR Trump! Laut Nachrichtenagentur AP entfallen nach 99,04 Prozent der ausgezählten Stimmen 59.739.748 auf Clinton und 59.520.091 auf Trump. Aber es ist keine Direktwahl. Entscheidend ist, wie viele Wahlmänner der Präsidentschaftskandidat hinter sich bekommt. Jeder Bundesstaat stellt eine unterschiedlich hohe Zahl von Wahlmännern. Der Kandidat, der in dem Bundesstaat die meisten Stimmen erhält, bekommt alle Wahlmänner gutgeschrieben. D.h. es gilt das “The winner takes it all”-Prinzip. Also fallen, wie bei der Wahl G.W. Bush gegen Gore so auch heute wieder, viele Millionen Stimmen unter den Tisch!

    – Und das in dem Land, welches die ‚größte‘ Fahne der Demokratie schwingt!

    Zum Wolf-Kommentar:
    Interessant im Zusammenhang mit den Beschreibungen zum Zustand und den Perspektiven der US-Wirtschaft, aber auch im Zusammenhang mit der EISZEIT-DISKUSSION, ist der kurze Artikel von T. Straumann im FuW-Blog „Der doppelte Irrtum“ am 9.11.2016, das darin eingebettete Interview mit Alexander Field („A Great Leap Forward“) sowie die Referenz zur Untersuchung von Watanabe (Cambridge University Press: https://www.cambridge.org/core/journals/journal-of-economic-history/article/technology-shocks-and-the-great-depression/945A939FC310A8E290479C1B96A8B19A ) intessant und überlegenswert.
    Es geht um die PRODUKTIVITÄT UND DEREN MESSUNG am Bsp. der Großen Depression und wie uns (mal wieder) Daten und Statistik auch zu den falschen Schlüssen leiten können. Zitat: „Die Dreissigerjahre waren ein Jahrzehnt der Innovation und des hohen Produktivitätsfortschritts. Eine neue Schätzung [Anm.: der Watanabe-Artikel] kommt sogar zum Schluss, dass die technologische Innovation von 1930–41 deutlich höher war als in der Zeit des Wirtschaftswunders (1949–66). Hansen erlag einem doppelten Irrtum.“ Alvin Hansen, Präsident der American Economic Association (AEA), hatte 1938 die wirtschaftlichen Verhältnisse analysiert und kam zu dem Schluss, dass die Zeit des starken Wachstums vorbei sei vorbei und die USA vor einer Periode der «säkularen Stagnation» stünden. Liest man in diesem Blog zur aktuellen Situation ja auch des Öfteren.

    Antworten
    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      Zu Watanabe (wie von Ihnen hier dargestellt)/Hansen:

      Ja, A. Hansen lag falsch.

      Heißt nicht, dass er heute mit allem falsch liegen würde.

      Die Situation ist ANDERS:

      Wir haben HOHE Produktivitätsfortschritte, z. T. in einer Art und Weise, die es SO noch nie gegeben hat und in allen ihren Konsequenzen noch nicht fassbar sind, z. B. der Produktivitätsfortschritt durch HERUNTERLADEN – kein signifikanter beschäftigungsrelevanter Input für mehr Output.

      Gleichzeitig ist ohne Zweifel die Zeit starken Wachstums in den entwickelten Volkswirtschaften vorbei. Wir haben ohne Zweifel „säkulare Stagnation“. Der m. A. n. entscheidende Faktor ist die demografische Entwicklung mit dem Nachfrageausfall durch Alterssparen und einem Bevölkerungszuwachs unter Reproduktionsniveau.

      Wir müssen daraufhin die wirtschaftliche und – wie gerade erlebt – die politische Realität NEU begreifen und vorwärts blickend NEU denken.

      Antworten
  6. Ralph Klages
    Ralph Klages sagte:

    Ja, ja. In der Rückschau stimmt das alles. Nur wo bleibt Trumps Vision von der Zukunft? Auch er wird die Realitäten akzeptieren – müssen. Den Leuten was erzählen ist eine Sache, es umzusetzen bedeutend schwieriger. Ernüchterung wird sich auch bei ihm breit machen. Nur: Wird er es dem Wahlvolk auch sagen? Daran wird er sich messen lassen – müssen. LG

    Antworten
    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      VISIONEN – Trump hat sicher welche.

      Aber Sie haben recht, die Realitäten werden ihn einholen.

      Ich glaube nicht, dass er an der Republikanischen Partei vorbei regieren kann.

      Die Zeit der Sprüchemacherei ist jedenfalls vorbei.

      Ab jetzt muss er liefern.

      Daran wird er gemessen.

      Antworten
  7. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    >…klare Analyse der Lage in den USA. Wenn man sie heute liest, wundert man sich nicht, weshalb Trump es geschafft hat.>

    Klar, aber nicht vollständig.

    Wenn man seine Ausfälle gehört hat und an die Konsequenzen seiner Auffassungen denkt, kann man sich schon wundern.

    Ich wundere mich z. B. darüber, dass ihn so viele Frauen gewählt haben.

    Zur Lage in den USA als der Ursache (wenn man es so vereinfachen will) und dem Sachverhalt, der m. A. n. am signifikantesten für das Wahlergebnis ist:

    >„Real median household income increased by 5.2 per cent between 2014 and 2015. But it remains below pre-crisis levels. Indeed, it is below levels reached in 2000and has even fallen relative to real GDP per head consistently since the mid 1970s. This performance helps explain the tide of disillusionment, even despair, revealed so starkly by this grim election.“>

    Das ist der LANGZEITTREND, dem weder (konventionelle) Konservative noch Demokraten Entscheidendes entgegensetzen konnten.

    Er belegt, dass sich die US Wirtschaft in einem fundamentalen Wandel befindet – weg von den hochbezahlten Jobs im produzierenden Gewerbe hin zu den im Durchschnitt viel geringer bezahlten im den Dienstleistungsbranchen.

    Dafür, dass diese Entwicklung unvermindert anhält:

    > „(…) decline in the share of labour in GDP from 64.6 per cent in 2001 to 60.4 per cent in 2014. >

    Man kann, ja muss diesen Wandel aus der Perspektive der Verlierer als NIEDERGANG ansehen. Man kann ihn auch als unvermeidbar ansehen – und dann ist er SCHICKSAL.

    Auf jeden Fall:

    Er spaltet die Gesellschaft derart, dass man nicht viel Gutes erwarten kann – weder für die USA, noch für andere Länder, die notwendigerweise betroffen sind, weil die USA eben immer noch das Schwerstgewicht der Welt sind.

    Clinton hätte den Trend nicht drehen können und Trump wird ihn möglicherweise beschleunigen, wenn er durchregiert mit der Kongressmehrheit.

    Schafft er mit enorm wachsender Staatsverschuldung und erklärtem Protektionismus die Reflationierung, wird sich seine Clientel als Verlierer dieser Politik erfahren.

    Das Land wird tiefer denn je gespalten sein.

    Das ist das eine.

    Das andere ist die Frage, wie angesichts dieses Wahlergebnisses die politischen Eliten, speziell die etablierten, Macht innehabenden Parteien in Europa reagieren.

    Der Brexit mag noch ein Unfall gewesen sein, ab gestern gibt es keine derartigen Unfälle mehr.

    Ab gestern gibt es eine anzuerkennende NEUE Realität demokratischer Willensbildung in praktisch allen entwickelten Volkswirtschaften.

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