Wenn es der Auflage dient

Ich gestehe freimütig, ich würde auch gerne so viele Bücher verkaufen, wie die Herren Weick und Friedrich. Sie haben zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Ton getroffen und es geschafft – mit breiter medialer Unterstützung – ihre Thesen vom verrotteten System, welches unweigerlich zusammenbrechen muss, unter die Leute zu bringen. Dabei sind sie hier und da etwas großzügig mit der Interpretation der Fakten gewesen, so mit der Geschichte, ich hätte im Auftrag von Herrn Holle (meinem ehemaligen Kollegen bei BCG, der heute Staatssekretär im Finanzminiszerium ist) den Plan für die große Enteignung ausgearbeitet (besser bekannt unter „Back to Mesopotamia“) und er würde das jetzt im Bundesfinanzministerium umsetzen. Klingt verschwörerisch, ist aber Blödsinn, wie die beiden auch wissen. Zudem taucht mir gerade im ersten Buch Wikipedia zu häufig als Quelle auf. Natürlich nutze auch ich Wikipedia, bevorzuge jedoch Originalquellen. So auch in der Eiszeit.

Nun haben Weick und Friedrich ihr neues Werk vorgelegt. Noch habe ich es nicht gelesen, dafür aber das eine oder andere Interview, so wie dieses, auf das ich per Twitter von den Deutschen Wirtschaftsnachrichten aufmerksam gemacht wurde. Schauen wir uns doch die Aussagen einmal genauer an:

  • „Die Frage ist nicht ob, sondern nur wann der Crash kommt. Wenn wir ehrlich sind, ist der Crash schon im vollen Gange – er tritt scheibchenweise auf: Wir haben eine Nullzinsphase, Riester ist gescheitert, Griechenland ist immer noch pleite, Italiens Banken sind marode.“ – bto: Da sind wir bekanntlich einer Meinung, wobei Riester in dieser Aufzählung nichts zu suchen hat, sondern der populistischen Neigung zuzuschreiben ist. Die Riester-Rente wäre auch ohne Finanz- und Wirtschaftskrise gescheitert, weil sie zu überhöhten Kosten die Ersparnisse falsch anlegt.
  • „Nach wie vor wird auf globaler Ebene versucht, Schulden mit Schulden zu bezahlen, was weder nachhaltig ist, noch auf Dauer funktioniert. Seit 2008 hat sich die globale Verschuldung auf 200 Billionen US-Dollar verdoppelt.“ – bto: Die Kritik an den Schulden übe ich hier auch. Die Verdoppelung der Schuldenlast ist nicht konsistent mit den allgemein verwendeten Zahlen, die einen Anstieg um rund 60 Billionen US-Dollar zeigen. Vielleicht verwenden Weick/Friedrich hier eigene Berechnungen?
  • „Mit dem Ziel, das Geldkarussell am Laufen zu halten, pumpen Staaten und Notenbanken weiterhin Hunderte von Milliarden in ein völlig marodes Finanzsystem. Die Notenbanken, die Brandstifter und Feuerwehr in einem sind, verkennen dabei, dass es gerade die niedrigen Zinsen gewesen sind, die die letzte Krise mit verursacht haben.“ – bto: Bekanntlich haben die Notenbanken einen entscheidenden Anteil daran. Allerdings gibt es viele weitere Einflussfaktoren, die zu dem geringen Zins geführt haben. Stichwort: Handelsungleichgewichte und Demografie.
  • „Inzwischen sind die Märkte dermaßen abhängig vom billigen Geld, dass sich niemand mehr traut, ihnen die Droge Geld zu entziehen.“ – bto: Wie andere Kritiker sollten sie dann aber sagen, wie sonst man mit dem Schuldenturm umgehen soll!
  • „Durch die Geldflut sind die Banken seit 2008 noch größer und damit noch systemrelevanter geworden, das globale Volumen der Derivate ist heute höher als vor dem Lehman-Crash und an der Wallstreet wird wieder reichlich Geld verdient. Aus allen groß angekündigten Reformen, die Finanzwelt an die Kandare zu nehmen, ist nichts geworden und die Steueroasen weltweit ersticken an dem gebunkerten Geld der Konzerne und Superreichen.“ – bto: Die letzten Zahlen haben schön gezeigt, dass die Banken eben nicht immer mehr verdienen. Die Reformen sind zum Teil realisiert, gefährden aber die Stabilität, weil die Banken nicht rekapitalisiert wurden. Steueroasen und Superreiche mögen ärgerlich sein, sind aber nicht die Krisenursache. Aber es ist natürlich nett, darüber zu klagen, weil beim Leser populär.
  • „Nachweislich stand unser Finanzsystem seit 2008 mehr als 10 Mal auf der Kippe und wurde jedes Mal mit abstrus hohen Geldpaketen und demokratisch fragwürdigen Mitteln gerettet. Daraus entstanden neue Finanzmarktblasen. Es benötigt immer neue, immer größere Blasen, um die bestehende abzulösen.“ – bto: O. k., ich komme nicht auf 10, aber vermutlich bin ich nicht eng genug am Markt. Ich komme auf eine: die Situation, in der Draghi versprach, alles Erdenkliche zu tun.
  • „Der verantwortungsvolle Mensch, welcher für das Alter vorsorgt, der ehrliche Sparer, wird von Mario Draghis EZB gnadenlos enteignet. Ein jeder möge endlich konsumieren, anstatt zu sparen. Das ist absoluter Wahnsinn. Die Politik der EZB: a)enteignet die Bevölkerung und macht sichere Altersvorsorge unmöglich! b) macht Wohnraum immer teurer! c) kreiert Finanzmarkt- und Immobilienblasen! d) dient den großen Finanzkonzernen und zerstört lokale Banken (Sparkassen und Volksbanken) e) führt zu immer höheren Bankgebühren f) macht die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher g) offenbart die Verzweiflung der Protagonisten h) zeigt, dass unser System sich im Endstadium befindet.“ – bto: meine Antworten auf a) bis h):  a) Nein, es ist die fehlende Bereitschaft, gerade auch der Deutschen, die Schulden zu bereinigen. b) Nur zum Kauf, nicht zur Miete. Übrigens macht sie damit alle jene, die Häuser besitzen, reicher! c) Vermutlich ja.  d) Es ist schädlich für alle Banken. Die Sparkassen sind keine „Heiligen“. e) Ja, aber nur, wenn man nicht rechnet. Davor haben wir den Banken Zinsen geschenkt. f) Wer sagt, dass die Reichen nicht fleißig sind? g) Ja. h) Das kann noch lange dauern, siehe Eiszeit.
  • „Es ist an der Zeit, dass wir endlich Mario Draghi – der von niemandem von uns demokratisch gewählt wurde, aber trotzdem über unser Geld herrscht – und der gesamten EZB die Rote Karte zeigen.“ – bto: Es ist gerade das System unabhängiger Notenbanken nach dem Vorbild der Bundesbank, die einen solchen politischen Einfluss ausschließen soll. Glauben die beiden wirklich, bei einer politischen Wahl würden die Gläubiger, die am Geldwert interessiert sind, die Mehrheit haben?
  • „Wir vertreten mehr denn je die Meinung, dass der Euro zum Scheitern verurteilt ist. Jahr für Jahr treibt der Euro einen größeren Keil zwischen die Völker Europas und mehr und mehr fassen wir uns an den Kopf und fragen uns, was das eigentlich für ein Geld ist, das wir haben, was andauernd gerettet werden muss.“ – bto: Es wurde ja nicht der Euro „gerettet“, sondern marode Schuldner bzw. deren Gläubiger (also unsere Banken und damit unsere Guthaben).
  • „Es ist unmöglich, unterschiedlich starke Volkswirtschaften in einer Währungsunion zu haben – es sei denn, man macht eine Transferunion. (…) Umso länger wir aber an diesem nachweislich, gescheiterten Währungsexperiment festhalten, umso größer werden die Kollateralschäden sein, monetär und gesellschaftlich!“ – bto: Da bin ich einer Meinung.
  • „Italien beispielsweise kämpft vermehrt mit seinen maroden Banken, weshalb die immense Summe von 350 Milliarden Euro prophylaktisch in Bad Banks ausgelagert wurde. Daraus sollen sogar noch „Wertpapiere“ gebastelt und wiederverkauft werden. Die Banken sind dann wieder fein raus. Gelöst ist das Problem damit nicht – es wurde lediglich in die Zukunft verlagert und auf die Bürger abgewälzt.“ – bto: Was wäre die Alternative?  Es wäre ein Konkurs der Bank mit Verlusten für eine andere Gruppe der Bürger, nämlich die der Kunden und Gläubiger der Bank. Das kann man machen, muss aber die Konsequenzen genau benennen. Bekanntlich habe ich kein Problem damit, denke aber, dass ein geordneter Prozess zu bevorzugen sei.
  • „Das worst-case wäre dann die Zuspitzung im unkontrollierten, chaotischen und zerstörerischen Zusammenbruch unseres Finanzsystems. Die Auswirkungen wären epochal und würden alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen, denn noch nie waren die globalen Finanzmärkte und Zahlungsströme durch die Globalisierung enger miteinander verbunden wie aktuell“. – bto: Genau das spricht doch dafür, dass System vor dem Crash zu bewahren, und einen geordneten Prozess anzustreben.
  • „Noch ist das Zeitfenster geöffnet, um sein Vermögen auf mehreren Sachwertstandbeinen aufzustellen. Das empfehlen wir auch unseren Kunden in der Honorarberatung. Mehr denn je geht es um Streuung, denn es werden Vermögensstandbeine wegbrechen, besteuert oder enteignet werden.“ – bto: Die Streuung ist einfach und der entscheidende Hebel sind die Kosten der Geldanlage. Auf die muss man achten! Alles, was man wissen muss, findet sich in der Eiszeit oder kostenfrei hier in meiner Serie Was tun mit dem Geld?. Weick und Friedrich sind große Verfechter der regionalen Geldanlage, also um den Kirchturm herum. Ich sehe das ganz anders. Nur in einer globalen Diversifikation liegt eine mögliche (Teil-)Rettung.
  • „In unserem neuen Buch haben wir leider feststellen müssen, dass Schulden nie beglichen werden, sondern nur über drei Wege verschwinden: Inflation, Währungsreform oder Krieg. Letzteres gilt es definitiv zu verhindern.“ – bto: Wer kann da widersprechen. In den 1930er-Jahren haben wir übrigens einen weiteren Weg probiert: die Pleitewelle. Die ist nicht ausgeschlossen, was einem deflationären Kollaps entspräche. Krieg hat meines Erachtens aber mehr demografische Gründe, siehe gerade den Konfliktherd Naher Osten, wo die Bevölkerung explodiert ist.
  • „Alle Staaten der Welt sind bis zur Halskrause verschuldet und die Gretchenfrage ist: Bei wem haben die Staaten ihre Schulden? Wer kauft die Schulden auf? 99 Prozent der Schulden werden von der Finanzwelt aufgekauft und genau aus diesem Grund hat sich seit 2008 rein gar nichts in der Finanzwelt geändert, wurde keine Transaktionssteuer installiert oder die Banken an die Leine genommen. Der Gläubiger bestimmt, wo es langgeht, und nicht der Schuldner.“ – bto: Letzteres stimmt immer nur temporär. Je höher die Schuldenlast, desto größer die Macht der Schuldner, was die „Finanzwelt“ betrifft. Naja, der wirkliche Gläubiger ist immer der Privatsektor. Also die Besitzer von Lebendversicherungen und Pensionen etc. Es ist ein Irrglaube, die Finanzindustrie wäre alleine an der Krise schuld und man könnte sie einfach pleitegehen lassen und es träfe dann nur die Banker.
  • „Wir fordern zunächst:
    a) eine Wiederbelebung des Trennbankensystems [bto: O. k., das ist aber nicht die Hauptursache der Krise] b) die Erhöhung der Eigenkapitalquote für Banken [bto: Unbedingt, nur wer soll den maroden Banken freiwillig Geld geben?] c) systemrelevante Banken müssen eine Sondersteuer bezahlen [bto: wofür? Besser wäre es, diese zu zerschlagen] d) die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, um dem irrsinnigen Hochfrequenzhandel Einhalt zu gebieten [bto: weder Krisenursache noch praktisch umsetzbar. Wenn dann Handelsvolumen in andere Regionen abwandert, zahlen wir alle über höhere Transaktionskosten.] d) Implementierung eines Insolvenzplans für systemrelevante Banken und Versicherungen. [bto: Banken müssen das bereits heute machen] e) eine permanente, antizyklische Kapitalmarktkontrolle!  [bto: durch wen, inkompetente Politiker oder inkompetente Notenbanker? Es ist immer besser, über einfache Regeln zu steuern.] f) Transparenten Handel (keine OTC-Geschäfte) [bto: Ich weiß, woher das kommt. Es geht um die Derivate. Ansonsten kann es doch jedem freistehen, seine Wertpapiere abseits der offiziellen Märkte zu handeln.] g) Verbot von Leerverkäufen [bto: was für ein Blödsinn. Keine Krisenursache und ganz wichtig als Korrektiv in den Märkten. Mehr populistische Symptomkritik geht nicht.]
  • „Unser Giralgeldsystem muss abgeschafft und durch ein transparentes und idealerweise gedecktes Geldsystem ersetzt werden. Ferner benötigen wir eine unabhängige, demokratische Notenbank und einen vom Volk gewählten Notenbankpräsident.bto: Das halte ich bekanntlich für nicht überzeugend. Geldsystemwechsel in Richtung Vollgeld mag eine gute Idee sein. Vom Volk gewählte Notenbanker könnten weiterhin an zu hohem Kreditwachstum festhalten. Deckung meint vermutlich Gold, darüber kann man nachdenken, dann braucht man den Notenbanker aber nicht mehr wählen.

Es wird weiterhin der Eindruck erweckt, es gäbe bestimmte „Schuldige“ an der Krise – die Finanzindustrie – und es gäbe eine Lösung, bei der wir aus dem Spiel aussteigen. Das Problem: Als Gläubiger können wir nicht einfach aussteigen. Vor allem müssen gerade wir an einer konstruktiven Lösung interessiert sein, um den Schaden zu minimieren. Das setzt aber andere Strategien voraus.

DWN: Schulden-Krise: „Der Crash ist schon voll im Gange“, 13. Mai 2016