Warum sind die italienischen Vermögen tabu?

In der letzten Woche habe ich einen Hinweis auf die italienischen Privatvermögen in die Diskussion um die Hilfspakete eingebracht und den Punkt am Sonntag im Presseclub wiederholt. Ein Fehler. Eine wahre Flut an Kommentaren aller Art prasselt auf mich ein, knapp gefasst: Ich sei ein nationalistischer Brandstifter, der Ressentiments schürt.

Das trifft mich sehr. Habe ich doch mehrfach geschrieben, dass wir Italien helfen sollten. Aber für Differenzierungen ist wohl kein Platz.

Meine Sicht ist einfach:

  • Wir sollten Italien helfen, aber intelligent. Das bedeutet Direktzahlungen aus Deutschland auch um die TARGET2-Forderungen zu kürzen.
  • Italien kann sich selber helfen, indem es die eigenen Vermögen höher besteuert und damit auch die Wirtschaft belebt – durch niedrigere Steuern und Abgaben und nicht durch die Notwendigkeit, laufend zu sparen.
  • Ich denke, eine Kombination aus beiden Punkten wäre das Beste.

Wie gesagt, dies zu sagen oder zu schreiben ist scheinbar nicht opportun. Andere hingegen können das noch, wie Gerald Braunberger von der F.A.Z.:

  • “Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds könnte die italienische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um rund 10 Prozent einbrechen und selbst unter der Annahme einer kräftigen wirtschaftlichen Erholung im kommenden Jahr bliebe das Land wirtschaftlich schwer getroffen.“ – bto: vor allem weil das Land viel mehr vom Tourismus abhängt. Deshalb kann es auch gut sein, dass die Erholung viel schwerer fällt als woanders. Wenn dann auch noch die Deutschen heftig beschimpft werden, dann könnte es sein, dass weniger hinfahren, auch nicht gerade hilfreich.
  • Eine wichtige Zahl ist das Verhältnis der italienischen Staatsverschuldung zur Wirtschaftsleistung (BIP), das mit gut 130 Prozent im internationalen Vergleich sehr hoch liegt und nach Schätzungen im Laufe der Krise auf 150 Prozent und mehr steigen könnte.“ – bto: Ich schätze eher 180 Prozent, Wirtschaft runter und Schulden hoch. Das geht schnell.
  • Italiens Staatsverschuldung ist zu hoch, um sie allein mit externen Programmen dauerhaft zu stabilisieren. Italiens Staatsverschuldung ist aber auch so hoch, dass eine ungeordnet verlaufende Staatsschuldenkrise die internationalen Kapitalmärkte und vermutlich dann auch andere Volkswirtschaften in schwere Turbulenzen stürzen würde. Der aus einer jahrzehntelangen Praxis mit anderen Ländern mögliche Ausweg eines geordneten, international verhandelten Schuldenschnitts gilt aber (noch) als politisches Tabu.“ – bto: So ist es, vor allem, wenn sich andere Geldquellen auftun.
  • Mit Forderungen von rund 700 Milliarden Euro wären die italienischen Banken höchst anfällig, wenn Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Staates entstünde. Heimische Versicherer hielten Anleihen für 310 Milliarden Euro, und Investmentfonds, die überwiegend für italienische Anleger Vermögen verwalten, kamen auf 300 Milliarden Euro. Der größte einzelne Besitzer war im vergangenen Sommer die Banca d’Italia mit 400 Milliarden Euro. Durch die Ankaufprogramme sind ihre Bestände seitdem noch gewachsen. Ausländische Anleger, zumeist Fonds, besaßen Papiere für rund 450 Milliarden Euro.“ – bto: Die Banken dürfen nicht verlieren, dann sind sie pleite. Das Dilemma kennen wir. Deshalb auch die Idee der Vermögensbesteuerung.  
  • “Ein auch in Deutschland gebräuchliches Narrativ lautet, die Staatsverschuldung sei Ausdruck einer generellen übertriebenen Schuldenneigung des Landes wie überhaupt ganz Südeuropas. (…) Wie trügerisch simple Bilder sind, verdeutlicht der Blick auf das Verhältnis der gesamten Schulden, die neben Staatsschulden auch Schulden von Unternehmen und Privathaushalten umfassen, im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Dann wirkt die italienische Gesamtverschuldung nicht mehr so exzessiv (…). Auch wird häufig übersehen, dass Italien seit mehreren Jahren einen Überschuss in seiner Leistungsbilanz aufweist. Da die Kapitalbilanz eines Landes die Leistungsbilanz spiegelt, heißt dies: Wie auch Deutschland exportiert Italien seit Jahren mehr Kapital, als es importiert.“ – bto: Das Land spart – und wir wissen, dass man sich aus Schulden nicht so recht heraussparen kann.

Quelle: F.A.Z.

  • In Italien steht öffentlicher Armut ein erheblicher privater Reichtum entgegen. Das Pro-Kopf-Vermögen liegt in Italien deutlich über dem deutschen Vergleichswert. Das ist zum Teil das Ergebnis einer höheren Wohneigentumsquote; aber ganz generell sind die Italiener privat ein sparsames Volk. Die Sparquote der privaten Haushalte lag in den letzten Jahren mit rund 10 Prozent in etwa auf dem deutschen Niveau. Ein weiterer Grund für die Diskrepanz zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum in Italien besteht in der seit vielen Jahren bekannten Neigung des Staates, erhobene Steuern nur sehr unvollständig einzutreiben. Stattlich darf man auch die italienischen Goldreserven mit 2452 Tonnen nennen.“ – bto: was sehr gut zu meinem Befund passt. Es ist also ein Problem, das sich im Inland lösen ließe.
  • „(…) im Herbst 2018 (hat) der Leiter der Abteilung Öffentliche Finanzen der Deutschen Bundesbank, Karsten Wendorff, (…) „Solidaritätsanleihen“ vorgeschlagen, mit denen vermögende Italiener für Schulden ihres Staates haften. Nach diesen Berechnungen hätte bei einem ‘Solidaritätssatz’ von 20 Prozent und einem Freibetrag von 50 000 Euro nahezu die Hälfte der damaligen Staatsverschuldung in ‘Solidaritätsanleihen’ umgewandelt werden können. Nach diesem Modell würde ‘ein nationales Problem durch nationale Solidarität’ gelöst.“ – bto: So ist es. Man kann es auch über Zwangshypotheken lösen, läuft auf dasselbe heraus, wie letzte Woche gezeigt.
  • In der aktuellen Diskussion fällt auf, dass sogar Ökonomen, die für Deutschland Vermögensabgaben oder eine Art neuen Lastenausgleich nach Corona für sinnvoll halten, in ihren Vorschlägen für Italien von einem Eigenbeitrag der Italiener nichts wissen wollen.bto: Und da frage ich mich, weshalb das so ist. Hier kann man die Vermögensabgaben nicht rasch genug fordern und dort freut man sich, zu bezahlen.
  • Die gelegentlich verbreitete These, der hohe Stand von Staatsschulden stamme von längst verblichenen Regierungen und sei als eine Erblast zu betrachten, zu der die aktuelle Politikergeneration nichts könne, (ist) fragwürdig.“ – bto: Das wurde aber von Thomas Fricke im SPIEGEL, der diesen Artikel auch zitiert, ohne mit der Wimper zu zucken, wiederholt. Komisch.
  • Das Brüsseler Bruegel-Institut hat im Herbst 2018 eine interessante Studie zur Schuldenentwicklung in Italien und in Belgien in den vergangenen Jahrzehnten veröffentlicht. Belgien hatte es zwischen 1992 und 2007 verstanden, das Verhältnis seiner Staatsschulden zum BIP von 138 auf 87 Prozent zu senken – und zwar ohne Abwertung seiner Währung und bei einer im Trend rückläufigen Inflationsrate. Man kann Schuldenquoten reduzieren, ohne in Austerität und Elend zu versinken.“ – bto: Die Voraussetzung kennen wir alle – Wachstum und Inflation. Das nominale Wachstum muss einfach hoch genug sein!

Quelle: F.A.Z.

  • Andere Ökonomen sind der Auffassung, Italien sei seit der Euro-Krise zu einer unangemessenen Austeritätspolitik gezwungen gewesen. Als Beleg wird gerne auf den sogenannten Primärsaldo verwiesen, der seit vielen Jahren einen Überschuss zeigt. Der Primärsaldo bemisst den Saldo des Staatshaushalts ohne Berücksichtigung der Zinsausgaben für die Staatsschulden. Der positive Primärsaldo Italiens seit vielen Jahren soll belegen, dass die italienische Finanzpolitik eigentlich viel zu restriktiv war, weil das Land so viel Geld für die Zinszahlungen auf seine Staatsschulden zahlen muss. (…) Die dahinter stehende Arithmetik wird von Ökonomen als „Schneeballeffekt“ bezeichnet: Liegt die Verzinsung der Staatsanleihen über der Wachstumsrate der Wirtschaft, braucht ein Land einen Überschuss in seiner Primärbilanz, um seine Schuldenquote auch nur zu stabilisieren. Das war die Lage in den vergangenen Jahren in Italien trotz einer sehr niedrigen Verzinsung seiner Anleihen.“ – bto: Und damit nähern wir uns dem bekannten Wachstumsproblem.
  • Das Wirtschaftswachstum, das in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sehr ansehnlich war, ist in Verbindung mit einem in vielerlei Hinsicht ineffizienten Staat notorisch schwach geworden. (…) Nach einem anämischen Aufschwung, der die Arbeitslosenquote immerhin von 13 Prozent im Jahre 2014 auf knapp 10 Prozent im Januar 2020 senken half, stürzt Italien nun in die dritte Rezession innerhalb von zwölf Jahren. Dies wäre für jedes Land eine sehr große Herausforderung.“ – bto: Das ist es und die Frage ist doch, woran liegt das tiefe Wachstum? Eine Ursache dürfte die hohe Abgabenbelastung sein.
  • Manche Ökonomen erklären die enttäuschende Wirtschaftsentwicklung der vergangenen Jahre mit einem Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage durch eine zu strenge Finanzpolitik seit der Euro-Krise. Das Argument ist nicht völlig abwegig, aber das fundamentale Problem des Landes befindet sich auf der Angebotsseite. Das belegt der dramatische Rückgang des sogenannten Potentialwachstums. Es gibt an, mit welcher Rate eine mit ihren aktuellen Kapazitäten voll ausgelastete Wirtschaft dank eines zusätzlichen Arbeitskräftepotentials, zusätzlichen Sachkapitals und technischen Fortschritts inflationsfrei wachsen kann. Betrug das Potentialwachstum für Italien im Jahre 1990 noch rund 2 Prozent, so wurde es für 2019 auf nur noch 0 bis 0,5 Prozent geschätzt.“ – bto: Auch das kann nicht wundern, denn Demografie und Produktivitätszuwächse gehen nach unten.
  • „(…) wiederum sollte man in Deutschland nicht zu hochnäsig sein. Schätzungen kurz vor der Corona-Krise lassen einen Rückgang des deutschen Potentialwachstums in den kommenden Jahren von rund 1,5 auf 0,8 Prozent erwarten. Nördlich wie südlich der Alpen spielt die Demographie eine Rolle, aber sie ist es nicht allein.“ – bto: Wir sind auf dem Weg in unser eigenes italienisches Szenario nur mit weniger Vermögen, nicht so gutem Essen und das Wetter ist auch noch nicht immer so gut.
  • Untersuchungen zeigen zunehmende wirtschaftliche Schwächen gerade dort, wo Italien über Jahrzehnte stark war: im industrialisierten Norden, (…) Teile der Wirtschaft (tuen sich) schwer, Anschluss an den mit der Digitalisierung und Informationstechnologie verbundenen technischen Fortschritt zu finden. (…) in der laufenden Krise lässt die Politik in Rom, wie in anderen Ländern auch, eine verhängnisvolle Neigung für einen Staatskapitalismus erkennen, der schon früher nicht funktioniert hat.“ – bto: Damit sind die Italiener ja nicht allein.
  • Italien benötigt aber ein höheres und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, um seine Staatsverschuldung allmählich zu reduzieren, ohne gleichzeitig jeglichen finanzpolitischen Handlungsspielraum einzubüßen.“ – bto: Wo bitte soll das herkommen? Ich sehe es nicht und es gibt auch keinen Ansatz in diese Richtung. Und deshalb sind alle Zahlungen abzuschreiben. Wer sie leistet, verschleudert vorsätzlich Vermögen.

→ faz.net: “Das italienische Dilemma”, 23. April 2020