Warum nun die Trend­wende von Dis-Infla­tion zu Infla­tion droht (II)

Gestern hatte ich bereits Russel Napier in der FINANCIAL TIMES (FT). Heute seine Gedanken im Interview mit dem Schweizer the market:

  • Herr Napier, mehr als zwei Jahrzehnte lang haben Sie geschrieben, dass sich Anleger auf Deflation einstellen sollten. Nun warnen Sie, dass uns Inflation droht. Warum, und warum jetzt?Der Grund liegt in der Art, wie heute Geld geschaffen wird. Die meisten Anleger schauen nur auf das enge Geldmengenaggregat und die Grösse der Zentralbankbilanzen. Viel wichtiger ist aber die breite Geldmenge. Diese ist in den letzten rund 30 Jahren nur sehr langsam gewachsen. Das war, nebst der Einbindung Chinas ins Welthandelssystem, ein Hauptgrund für die niedrige Inflation.“ – bto: Aber die Schulden haben sich weiter erhöht. Wenn man Schulden als breiteste Definition von „Geld“ ansieht, wäre es doch gewachsen. Ich nehme aber an, dass sich das eben nur in den Vermögenspreisen niedergeschlagen hat, nicht in einer breiten Inflation.
  • Wir erleben derzeit die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, und dennoch beobachten wir das schnellste Wachstum der breiten Geldmenge seit mindestens drei Jahrzehnten. In den USA wächst M2, das breiteste verfügbare Aggregat, gegenwärtig mit einer Jahresrate von mehr als 23%. Man muss mindestens bis zur Zeit des Bürgerkriegs zurückgehen, um ein vergleichbar starkes Wachstum zu finden. In der Eurozone ist M3 im Juni um 8,9% gestiegen. Es nur eine Frage von Monaten, bis der bisherige Rekordstand von 11,5% aus dem Jahr 2007 egalisiert wird.“ – bto: wobei wir auch 2007 keine Inflation hatten – nur eine Immobilienblase. Und wir wissen, dass die Zentralbanken ja seit Jahren Inflation erzeugen wollen, ohne Erfolg. Deshalb ist es nicht so sicher, dass es sie nun gibt.
  • Ist das Wachstum der breiten Geldmenge von Bedeutung? Die Anleger sind offensichtlich nicht dieser Meinung, denn die Break-even-Raten von inflationsgebundenen Anleihen sind extrem tief. Der Markt sieht also keine Relevanz im gegenwärtigen Wachstum von M2. Er hält dies wahrscheinlich nur für eine kurzfristige Ausnahme wegen des Covid-19-Schocks. Aber ich denke, es spielt eine Rolle. Der entscheidende Punkt ist die Erkenntnis, wer für diese Geldschöpfung verantwortlich ist.“ – bto: Ich denke, die entscheidende Frage ist, was mit dem Geld gemacht wird. Wird es in die Realwirtschaft gepumpt, hat es natürlich eine Nachfragewirkung.
  • Das breite Geldmengenwachstum wird durch Eingriffe der Regierungen ins Geschäftsbankensystem geschaffen. Regierungen geben den Banken Bürgschaften ab, damit diese den Unternehmen Kredite gewähren. Das ist Geldschöpfung auf eine Art, die die Zentralbanken vollständig umgeht. Deshalb bin ich überzeugt, dass dieses Geldmengenwachstum zu Inflation führen wird. Noch wichtiger: Die Kontrolle der Geldmenge liegt künftig nicht mehr bei den Zentralbanken, sondern bei den Regierungen – und damit bei Politikern. Politiker haben andere Ziele als Zentralbanker. Sie brauchen Inflation, um die hohe Verschuldung loszuwerden. Jetzt haben sie den Mechanismus, um Inflation zu schaffen.“ – bto: Ist es schon so weit? Davon bin ich noch nicht überzeugt. Ich sehe nicht, wie sich die Politik dauerhaft zur Kreditvergabe zwingt. Ich denke, sie gibt das Geld direkt aus.
  • Die QE-Politik war ein Fiasko. Alles, was die Zentralbanken in den letzten zehn Jahren erschaffen haben, ist eine grosse Menge an Schulden ausserhalb des Bankensystems. Durch QE hielten sie die Zinssätze niedrig, was die Preise für Vermögenswerte in die Höhe trieb und es Unternehmen ermöglichte, sich durch die Ausgabe von Anleihen billig zu verschulden. Statt ein Wachstum der breiten Geldmenge und höheres nominales Wirtschaftswachstum haben sie bloss ein hohes Schuldenwachstum provoziert. Wir müssen begreifen, dass das meiste Geld nicht von Zentralbanken geschaffen wird, sondern von Geschäftsbanken. Nach der Finanzkrise ist es den Zentralbanken nie gelungen, die Geschäftsbanken dazu zu bringen, Kredite zu vergeben und damit Geld zu schaffen.“ – bto: weshalb die Geldmenge eben nicht gewachsen ist.
  • Sind die staatlichen Kreditgarantien denn nicht bloss eine einmalige Massnahme zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie?  Politiker werden erkennen, dass sie ein mächtiges Werkzeug in der Hand halten. Wir haben vor zwei Wochen ein schönes Beispiel gesehen: Die spanische Regierung hat ihr Bankgarantieprogramm von 100 Mrd. auf 150 Mrd. € erhöht. Einfach so. Es wird zu einer schleichenden Ausweitung der Massnahmen kommen, zum Beispiel zur Finanzierung von grünen Investitionsprogrammen. Ausserdem haben diese Darlehen oft eine mehrjährige Laufzeit. Der Kreditimpuls ist bereits im System.“ – bto: Und gerade für die „grünen Investments“ wird es viel Geld geben.
  • Für Politiker ist Inflation immer der billigste Ausweg aus diesem Schlamassel. Dank der Covid-Krise haben sie einen Weg gefunden, die Kontrolle über die Geldmenge zu erlangen und Inflation zu erzeugen. Eine Kreditgarantie ist keine Fiskalausgabe, sie belastet das Budget des Staates vordergründig nicht, da sie nur eine Eventualverbindlichkeit darstellt. Wenn Sie also ein gewählter Politiker sind, haben Sie einen billigen Weg, die wirtschaftliche Erholung zu finanzieren.“ – bto: In Deutschland gehen wir ebenfalls diesen Weg.
  • Das ist es, was wir nach dem Weltkrieg gelernt haben: Ein höheres nominales BIP-Wachstum dank höherer Inflationsraten wirkt Wunder, um die Verschuldung im Verhältnis zum BIP zu senken.Welche Länder werden diesen Weg in den kommenden Jahren wählen? Die gesamte entwickelte Welt: die USA, Grossbritannien, Europa, Japan. Ich sehe nur wenige Ausnahmen, etwa die Schweiz und Singapur. Wären Deutschland und Österreich nicht Teil der Eurozone, müssten sie auch keine Repressionen vornehmen.“ – bto: Ich finde, es muss darum gehen, sich darauf einzustellen!
  • Finanzielle Repression wird aber auch zu Kapitalverkehrskontrollen führen. Die Schweiz wird Kapitalkontrollen beschliessen müssen, um Geld abzuwehren, während andere Länder Kapitalkontrollen einführen, um zu verhindern, dass Geld abfliesst. (…) Es gibt zwei Länder in der Eurozone, die in der jüngeren Geschichte Kapitalkontrollen hatten: Griechenland und Zypern. Island führte nach der Finanzkrise Kapitalverkehrskontrollen ein, viele Schwellenländer nutzen sie. Wenn man sie in zwei Mitgliedern der Europäischen Währungsunion erfolgreich umsetzen kann, kann man sie überall umsetzen.“ – bto: Noch hat man Zeit, sich auf diese Welt einzustellen.
  • Die Eckpfeiler der Periode der finanziellen Repression vom Weltkrieg bis Anfang der Achtzigerjahre waren Kapitalkontrollen sowie der Zwang für inländische Finanzinstitute, inländische Staatsanleihen zu kaufen. Erwarten Sie, dass diese beiden Massnahmen wieder eingeführt werden?Ja. Inländische Sparinstitutionen wie Pensionsfonds können problemlos gezwungen werden, inländische Staatsanleihen zu niedrigen Zinssätzen zu kaufen.“ – bto: Ohnehin werden Zwangsanleihen in den Instrumentenkasten aufgenommen werden.
  • Ich sehe bis 2021 eine Inflationsrate von 4% in den USA und den meisten Industrieländern. Meine Erwartung basiert in erster Linie auf einer Normalisierung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Diese liegt in den USA gegenwärtig wahrscheinlich um etwa 0,8. Der niedrigste verzeichnete Wert davor war 1,4 im Dezember 2019, am Ende eines mehrjährigen Abwärtstrends. QE war ein wichtiger Faktor für die sinkende Umlaufgeschwindigkeit, da die Liquidität der Zentralbanken zwar ins Finanzsystem strömte, aber nie die reale Wirtschaft erreichte. Geld, das die Banken dank der Staatsgarantie heute verteilen, geht direkt an Unternehmen und Konsumenten. Diese geben es im Moment zwar nicht aus, aber mit einer Normalisierung der Wirtschaft wird das Geld in Umlauf kommen. Ich denke, die Umlaufgeschwindigkeit wird im nächsten Jahr wieder auf etwa 1,4 steigen. Angesichts der Geldmengenausweitung, die wir bereits gesehen haben, würde das rasch eine Inflationsrate von 4% ergeben. Es gibt noch einen weiteren Faktor, nämlich China: Während der letzten drei Jahrzehnte war China eine Quelle der Deflation. Aber wir stehen am Beginn eines neuen Kalten Krieges mit China, der für viele Güter höhere Preise bedeuten wird.“ – bto: Kernaussage: Umlaufgeschwindigkeit normalisiert sich, Geld fließt in die Realwirtschaft, China nicht mehr deflationär. Passt zusammen. Neben wir noch die Demografie dazu und wir haben den perfekten Mix.
  • Die Bondrenditen werden stark steigen. Das, weil die Märkte zu realisieren beginnen, dass Politiker jetzt die Geldmenge kontrollieren. Das wird einen Schock auslösen. Die Regierungen werden ihre Sparinstitutionen zwingen, Staatsanleihen zu kaufen, um die Renditen niedrig zu halten. Die Zentralbanken werden nichts tun können, um den Anstieg der Bondrenditen zu begrenzen.“ – bto: Andere sind der Meinung, die Notenbanken könnten selber Anleihen begeben, um Geld einzusammeln. Werden sie aber aus meiner Sicht nicht machen, weil sie damit bei den Schuldnern den Stecker ziehen.
  • Die nächsten Jahre werden faszinierend sein: Stellen Sie sich vor, Sie und ich leiten eine Zentralbank, und wir haben ein Inflationsziel von 2%. Nun müssen wir zusehen, wie unsere Regierung Geld mit einer Wachstumsrate von 12% schöpft. Was werden wir tun? (…) Schliesslich werden die Regierungen argumentieren, dass immer noch Notstand herrscht. Ich sehe eine Parallele zu den Sechzigerjahren, als das Fed nichts gegen die steigende Inflation unternahm, weil die USA einen Krieg in Vietnam führten und die Regierung von Lyndon B. Johnson das Great Society Project ins Leben gerufen hatte, um die Ungleichheit in Amerika abzubauen. Vor diesem Hintergrund hatte das Fed nicht den Mut, eine straffere Geldpolitik zu betreiben. Heute sind wir wieder an diesem Punkt angelangt.“ – bto: Es ist eine stimmige Argumentation.
  • Zunächst müssen wir erkennen, dass wir es mit einem langfristigen Phänomen zu tun haben. Ich spreche von Jahrzehnten, nicht von Jahren. Alle sind so sehr mit der gegenwärtigen Krise beschäftigt, dass sie den langfristigen Wandel nicht sehen. Das Finanzsystem hat sich grundlegend verändert. Es ist zu einem sehr gefährlichen Ort für Sparer geworden. Viele Fähigkeiten, die wir in den letzten 40 Jahren gelernt haben, sind überflüssig, weil wir eine lange Periode der Disinflation durchlebt haben. Es war eine Zeit, in der Märkte wichtiger und Regierungen weniger wichtig wurden. Jetzt hat der Wind gedreht. Wer sich lange mit Schwellenländern befasst hat, wird im Vorteil sein. Investoren in Emerging Markets wissen, wie sie mit höheren Inflationsraten, staatlichen Eingriffen und Kapitalkontrollen umgehen müssen. Das wird unsere Zukunft sein.“ – bto: absolut deckungsgleich mit meiner Argumentation in CORONOMICS.