Wäre Weidmann schlecht für den Euro?

Dieser Beitrag von Christian Odendahl erschien schon an anderer Stelle und ein Leser von bto kam mit der Frage auf mich zu, was ich denn davon hielte. Nun, meine Gedanken sind vielfältig. Da ist zum einen der Umstand, dass ich Christian Odendahl persönlich kennengelernt habe und für einen sehr interessanten Gesprächspartner halte. Da ist zum anderen der Aspekt, dass wir sicherlich sehr unterschiedliche Blickwinkel auf die Dinge haben, ich würde ihn eher im “linken” Lager verorten, während ich selbst bekanntlich keinem Lager zuzuordnen bin. Deshalb stimme ich ihm oft zu, andererseits fand ich seine Überlegungen zu Vermögen und Mietpreisbremse etc. falsch. Wir hatten dazu einen ausführlichen Austausch auf Twitter.

Nun zu seinem Beitrag bezüglich des künftigen EZB-Präsidenten. Hier habe ich – bevor wir auf den Inhalt eingehen – folgende Gedanken:

  • Zunächst finde ich es natürlich toll für ihn, im Telegraph schreiben zu können. Würde ich auch gern.
  • Zum anderen finde ich es aber zu einfach, als Deutscher dadurch aufzufallen, dass man den übermäßigen Einfluss Deutschlands in der EU geißelt. Denn da kann man sehr gut anderer Meinung sein und es wäre gut, wenn wir in den angelsächsischen Medien nicht die dort ohnehin gegebenen Vorurteile stärken, sondern diese durchaus öfter auch mal challengen würden.

Hier seine Argumentation:

  • “Weidmann would (…) not be the right man for the job. The challenges that lie ahead – a weakening eurozone economy and a potential crisis in Italy – require bolder measures than Weidmann is willing to contemplate.” – bto: Es ist unstrittig und von mir immer wieder erklärt worden, dass wir in der nächsten Phase der Krise ungeahnte Maßnahmen sehen werden und die EZB – egal unter wessen Führung – langsamer als andere Zentralbanken wird reagieren können. Das alles ändert nichts an der Tatsache, dass wir die Krise so nur weiter verschleppen und vergrößern.
  • “(…) Draghi pledged ‘to do whatever it takes’ to preserve the euro. He followed that with a programme called Outright Monetary Transactions, promising to buy government bonds in unlimited quantities to stabilise sovereign debt markets if necessary. This established the ECB as the lender of last resort to eurozone governments and was the key to arresting the euro crisis.” – bto: und jetzt? Ist die EZB der Lender of last resort für jede Regierung im Euroraum, egal, wie sie wirtschaftet? Ich habe Weidmann mal – da saß er noch im Bundeskanzleramt – gesagt, dass es dumm ist, zu sparen, wenn alle anderen auf Pump leben. Hat er nicht verstanden. So gesehen könnte Weidmann in der Tat keine italienischen Anleihen kaufen, wenn dort die Party steigt. Doch wäre das falsch?
  • “The two biggest risks for the eurozone are a weakening economy and a crisis in Italy. But with little room left to lower interest rates further or expand its QE program, the next ECB president will have to find new ways to stimulate the eurozone economy or support one of its biggest member states.” – bto: Das muss man wiederholen: or support one of its biggest member states”. Das ist schon eine interessante Haltung. Ich bin der Letzte, der Italien kritisiert, weil es eben nicht möglich ist, sich aus der Überschuldung herauszusparen. Aber es kann doch nicht sein, dass man statt einem Schuldenschnitt eine Finanzierung immer weiterer Schulden durch die EZB als Lösung verkauft. Dies hat eine Umverteilungswirkung innerhalb der Eurozone und muss entsprechend demokratisch legitimiert sein. Hier habe ich ein ernsthaftes Problem mit der Argumentation.
  • “Champions of Weidmann argue that it would be best for the German public to hear from one of their own that more monetary stimulus, a stronger fiscal stimulus or the ECB as a lender of last resort is necessary.” – bto: Na ja, das spricht natürlich aus Sicht der hiesigen Politiker gegen Weidmann, weil sie dann die Schuld (die eigentlich bei ihnen liegt) nicht mehr so leicht bei der EZB abladen können.
  • “But the downsides of a Weidmann presidency outweigh such benefits.” – bto: Und jetzt kommt es.
  • “First, Weidmann not only opposed the OMT programme in the ECB governing council. He also testified against it in the German constitutional court in person and with a detailed written statement by the Bundesbank. Essentially, the Bundesbank view is that it is not the job of the ECB to act as lender of last resort to governments. The Bundesbank and Weidmann denied that it was the job of the ECB to prevent countries from being forced out of the eurozone.” – bto: Natürlich kann man sagen, dass es Aufgabe der EZB ist, die eigene Existenz zu sichern. Aber die EZB ist eben keine normale Notenbank. Ihre Handlungen verschieben Vermögen zwischen Ländern. Dann müssten wir alle Schulden zusammenwerfen und die Länder, die noch nicht so viele haben, diese erst mal machen und in Deutschland könnten wir das Thema der Vermögensungleichheit durch eine staatliche Einmalzahlung von 100.000 an jeden Bürger korrigieren …
  • “The second downside is that Weidmann would not make the ECB more proactive in fighting the next recession. Draghi’s ECB was too slow and reactive – but Weidmann at times thought it was going too far. (…) The next downturn will require bold, creative and early action by the ECB. A Weidmann ECB is less likely to deliver the necessary stimulus or push governments to be more active on fiscal policy.” – bto: Wie gesagt, das ist unabhängig vom EZB-Präsidenten und zudem wissen wir, dass es nicht funktionieren kann.
  • Finally, Germany already dominates eurozone policy-making. It has a de facto veto on using the main eurozone bailout fund, the European Stability Mechanism (which is headed by a German, Klaus Regling). Germany is also blocking further reforms to the architecture of the eurozone.” – bto: Reformen, von denen wir wissen, dass sie alle ungeeignet sind, die Eurozone zu stabilisieren und nur dazu dienen, Vermögen in andere Länder zu verschieben. Das weiß übrigens auch Christian Odendahl, weshalb ich mich wundere, dass es zu einer so einseitigen Sicht der Dinge kommt.

Besser gefällt mir – weil ausgewogener – der Kommentar von Wolfgang Münchau in der FT:

  • “I also find the debate on whether a German must or must not become ECB president troubling. I yield to no one in my criticism of mainstream German economic thinking. But it is wrong to argue against the candidacy of Jens Weidmann, the president of the Bundesbank, on those grounds.” – bto: das finde ich auch.
  • The main qualities I would be looking for in the next ECB chief are intellectual curiosity, a willingness to question one’s own beliefs and especially one’s own models, to admit errors, and try new approaches. The next president will need to engage in the debate over modern monetary theory and other non-conventional ideas. He or she should have a deep understanding of current economic models and where they fall short. The proverbial monkey with a dartboard would have outperformed the ECB’s forecasting department in the last decade. One of the jobs of the next ECB chief will be to outperform the monkey. (…) The new job is to go back to basics, to gain a deep understanding of what went wrong in the crisis and start repairing the financial system.” – bto: das ist mehr als nur das Füllhorn zu öffnen! Wir brauchen jemanden, der aus der Krise führt, statt sie weiter zu verschleppen. Das ist eine gute Überlegung, wobei ich denke am Ende geht es eben nur um die Bereitschaft, Geld in das System zu pumpen.

→ telegraph.co.uk: “Europe must prevent a German stranglehold on the ECB”, 29. Mai 2019

→ FT (Anmeldung erforderlich): “How not to select the next European Central Bank president”, 2. Juni 2019