Wachstums­zwang – und was wäre die Lösung?

Thema “Wachstumszwang”. Die Dokumentarfilm-Regisseurin Carmen Losmann stellt in ihrem Film “Oeconomia” die Systemfrage. Das entspricht dem Zeitgeist und ist deshalb ein Garant für Erfolg. Dabei bin ich bei der Analyse weitgehend dabei: Mir muss man nicht erzählen, dass alles Geld Schulden sind und damit ein Druck im System entsteht. Aber die Schlussfolgerungen sind nicht die richtigen. Wir brauchen keinen Systemwechsel, aber wir brauchen eine Rückbesinnung auf die Prinzipien – u. a. Verbindung von Risiko und Rendite – und ordentliche Regulierung.

Die SZ hat die Filmemacherin interviewt.

  • SZ: “Wer sich ‘Oeconomia’ ansieht, bekommt gesagt, dass der permanente Zwang zu immer höherer Profitabilität einen teuflischen Kreislauf in Gang setzt: eine immer höhere Verschuldung des privaten und öffentlichen Sektors und einen Wachstumszwang, der die Welt mit ihren begrenzten Ressourcen in den Kollaps führen wird.” – bto: Ich beginne mit dieser Frage. Nein, es ist nicht der Zwang zu “höherer Profitabilität”, sondern der Zwang, Vorfinanzierung zu bedienen. Das sind vor allem Schulden. Sonst würden Gewinne ja schneller steigen als Umsätze. Dass die Gewinnquote in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist, hat drei Gründe: Arbeitskraftangebot ging deutlich hoch, die Zinsen sanken und es kam zu einer Konzentration in einigen Sektoren, die von den Kartellbehörden untersagt gehört. Alle drei Faktoren haben nichts mit dem System zu tun.
  • Antwort: Unternehmen sind nur profitabel, wenn die Geldmenge wächst.” – bto: Nein, die Unternehmen können ihre Vorfinanzierungskosten nur decken, wenn die Geldmenge in der Größenordnung der Zinsen wächst. Dazu kommen aber noch die Pleiten.
  • “(…), weil die Kreditvergaberegeln der Banken so konstruiert sind, dass Geld nur für gewinnträchtige Unternehmungen produziert wird, und nur bei einer wachsenden Wirtschaft funktioniert das wirklich reibungslos. Denn unsere Geldmenge wächst nur dann, wenn private Geschäftsbanken ausreichend Kredite vergeben, der Großteil unserer zirkulierenden Geldmenge wird schließlich von Geschäftsbanken per Kreditvergabe erzeugt. Mein Resümee: Wir brauchen eine wachsende Wirtschaft, damit unsere Geldversorgung funktioniert.” – bto: Also, wir brauchen eine wachsende Geld- = Schulden-Menge, damit die vorhandenen Schulden bedienbar bleiben (in Summe). Diese neuen Kredite werden von den Banken gegen ausreichende Sicherheit gegeben, aber eben an neue Schuldner oder an Schuldner, die sich zusätzlich verschulden.
  • “Als nach der Finanzkrise die Wirtschaft nicht weiter wuchs und der Privatsektor nicht mehr genügend Kredite nachfragte, drohte die Geldmenge zu schrumpfen. Dann ist die EZB mit unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen eingesprungen und hat dafür gesorgt, dass genügend Geld im Umlauf blieb. Hätte die EZB das nicht getan, hätte uns ein deflationärer Teufelskreis gedroht: Unternehmen gehen pleite, weil sie aufgrund einer schrumpfenden Geldmenge keine Mehreinnahmen mehr generieren können. Daraus folgen Arbeitsplatzverluste und ein Sinken der Nachfrage, immer mehr Akteure gehen pleite, und am Ende könnten Sie tatsächlich kein Geld mehr vom Bankautomaten abheben – schlichtweg, weil Sie keines mehr von Ihrem pleitegegangenen Arbeitgeber überwiesen bekommen.” – bto: Ich finde es interessant, wie man Abläufe umkehren kann. Wenn es zu viele faule Schulden gibt, vor allem, weil es zu viele unproduktive Kredite gibt, führt ein Schock – aber auch einfach nur eine abnehmende Wertsteigerung der Assets – für alle Schuldner und die Kreditgeber zu Problemen. Diese Bereinigung ist normal und wurde seit über 30 Jahren regelmäßig von den Notenbanken verhindert, wodurch das Problem immer größer wurde.
  • “Wir diskutieren gerne darüber, wie gerecht im Kapitalismus Geld verteilt ist, es geht um Umverteilung, Steuergerechtigkeit, Besteuerung von großen Vermögen. Aber wie die kapitalistische Geldproduktion funktioniert und unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen Geld erzeugt wird und ob es sinnvoll ist, ständig neue Investitionskredite für gewinnträchtige Unternehmungen vergeben zu müssen, nur damit uns das Geld nicht ausgeht, darüber diskutieren wir selten.” – bto: Das müssen wir auch nicht. Wir müssen die produktive Verwendung der Mittel in den Vordergrund stellen. Schulden sind gut!

    Schulden sind gut ‒ Eigentumsökonomik I

    Stellen Kritiker unseres Wirtschaftssystems, wie zum Beispiel die Linkspartei, also die falschen Fragen?

    • “Daraus könnten sich dann die nächsten Schritte für eine sinnvolle Transformation unseres Wirtschaftssystems ergeben. Ein erster Schritt könnte sein, die Kreditvergaberegeln zu ändern, dafür brauchen Sie den Bankensektor nicht unbedingt zu verstaatlichen. Wieso gelten nur Vorhaben als kreditwürdig, die Profite versprechen und nicht Projekte, die nach ökologischen oder sozialen Kriterien sinnvoll für uns als Gesellschaft sind?” – bto: Das ist klar, weil die Bank nicht von Anfang an Verluste beabsichtigen sollte. Die Frage ist völlig falsch: Wie schränken wir unproduktive Kredite ein? Darum geht es doch!
    • “(…) wenn unser Geld schon nicht mehr von Gold gedeckt ist, dann soll es wenigstens durch Boden, Immobilien, Maschinen und Anlagen gedeckt sein, so die Logik der Banken, nach der sie Kredite vergeben. Deshalb basiert unsere Geldversorgung vor allem auf Investitionskrediten.” – bto: falsch. Weltweit wachsen die Konsumkredite und vor allem die Kredite zum Kauf vorhandener Assets viel schneller als die Kreditvergabe an die Realwirtschaft.
    • “Wir müssen Fabriken, Häuser, Flughäfen, Flugzeuge, Autobahnen und dergleichen bauen, um Geld für den Warenhandel zu schaffen. Da diese Kredite irgendwann getilgt werden, müssen sie durch neue ersetzt werden. Wieder muss gebaut werden, um Geld für den Warenumsatz zu schaffen. Historisch gewachsene, jedoch unsinnige Geldschöpfungsregeln erzeugen so ökologische Probleme.” – bto: Also, zum einen ist es ein geringerer Teil der aktuellen Kreditschöpfung, zum anderen müssen die Investitionen auch ansonsten nach einer Zeit erneuert werden. Was sie völlig ausblendet, ist die effizienzsteigernde Wirkung des Schuldendrucks.
    • “Es stellt sich doch wirklich die Frage, ob wir uns ein System leisten wollen, das die endlose Kapitalvermehrung in sein ideologisches Zentrum stellt und nicht die Erhaltung unserer ökologischen Lebensgrundlagen oder etwa die Versorgung aller Menschen auf dieser Erde. Und unser gegenwärtiges System, nennen Sie es, wie sie wollen, funktioniert ja auch nicht – oder würden Sie behaupten, ein Ordnungsprinzip, das die Lebensgrundlagen von uns Menschen und vielen anderen Lebewesen zerstört, funktioniert?” – bto: Jetzt sind wir bei der Propaganda. Ein System, das massiv nach Effizienz strebt, muss per Definition besser sein. Voraussetzungen sind Regulierung zum Erhalt des Wettbewerbs, beibehalten des Risikos und Internalisierung der externen Kosten wie CO2.
    • “Die 500 größten Unternehmen, meistens Aktiengesellschaften, vereinen 40 Prozent der gesamten weltweiten Wirtschaftsleistung. Wir haben es also mit einem vermachteten System zu tun, das oligopolartig, teilweise monopolartig strukturiert ist. Das Ganze als Marktwirtschaft zu bezeichnen, finde ich, ist keine korrekte Beschreibung.” – bto: Konsens. Absolutes Versagen der Kartellbehörden.
    • “Es fehlt an einer universitären Theoriebildung, die die Mechanismen der Selbstvermehrung des Kapitals erklärt, und somit nehmen wir uns als Gesellschaft auch die Fähigkeit, über den Sinn dieser Selbstvermehrung auch nur nachdenken zu können.” – bto: Wir verstehen es nicht, weil Geld und Schulden als exogen und neutral angesehen werden, dabei sind sie der Treiber. Und zwar ein guter.
    • “Zum einen hat uns die vom kapitalistischen Geldsystem verursachte Dynamik, die ständig neue Unternehmungen, neue Innovationen, neue Investitionsmöglichkeiten benötigt, um zu funktionieren, in den letzten 200 Jahren einen ungeheuren Schub an Technik und Wohlstand gebracht. Gleichzeitig ist das System als positive Rückkopplungsschleife konstruiert wie eine Heizung, die immer heißer wird, wenn die Temperatur steigt. Mittlerweile haben wir in Westeuropa ja viel zu viel an Produkten und Dienstleistungen, und wenn wir diese sinnlose Ressourcenverschwendung nicht beenden, wird unser Wohlstand nicht von Dauer sein.” – bto: Der Ressourceneinsatz sinkt seit Jahren, während die Wirtschaft wächst.

    Fazit: zu kurz gedacht.

    sueddeutsche.de: „Warum muss die Wirtschaft eigentlich ständig wachsen?“, 22. Oktober 2020