UK-Ökonom: “Target2 rettet lautlos die Eurozone – noch”

Professor David Blake unterrichtet Finanzwissenschaft an der Cass Business School der City University of London und beschäftigt sich dort und hier bei WirtschaftsWoche Online mit dem Thema Target2. Klar, Lesern von bto wohlbekannt:

→ Target2-Saldo: Billionen Bombe oder „populärer Irrtum“?

→ Niemand wird Target2 stoppen

→ Zur „Target-Hysterie“

→ Target2: Es ist und bleibt eine Vermögensverschiebung

Nun also der Forscher aus England:

  • “Italien weist normalerweise ein Zahlungsbilanzdefizit auf, hat aber derzeit einen Überschuss, der darauf hinweist, dass es mehr exportiert als es importiert oder mehr Einkommen aus seinen Auslandsvermögen erzielt, als Ausländer mit ihren italienischen Vermögenswerten verdienen. Zum Teil liegt das daran, dass die Italiener ihre Ersparnisse von italienischen Banken zu Banken in Ländern wie Deutschland transferieren.” – bto: Die Italiener haben aber auch über ihre Rezession die Binnennachfrage gedämpft, was bei den Überschüssen hilft.
  • “Die geringe Importnachfrage Italiens ist auf die hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Die italienische Regierung ist jedoch gezwungen, mehr auszugeben und damit ihre Wirtschaft nach den Vorschriften der Eurozone zu expandieren, insbesondere durch die Notwendigkeit, die Staatsverschuldung zu reduzieren. Die Kapitalflucht ist zudem ein weiteres Zeichen für die wirtschaftliche Schwäche.” – bto: Das leuchtet ein.
  • “Das große Volumen der staatlichen Kreditaufnahme in Schuldnerländern wie Italien und Spanien erschwert die zusätzliche Kreditaufnahme. Der normale Weg der Kreditaufnahme besteht darin, dass der Staat Anleihen verkauft, die von ausländischen Banken und Institutionen gekauft werden. Das Problem: Solche Institutionen werden leicht misstrauisch gegenüber verschuldeten Ländern, da sie die Gefahr von Zahlungsausfällen wie in Griechenland befürchten.” – bto: Ich denke, der “übliche” Weg ist die Verschuldung bei den eigenen Banken, die die Kredite gleich an die Notenbank weiterleiten. So hat es funktioniert bis es zum Euro kam. Heute funktioniert es wieder, wenn auch mit mehr Unsicherheit durch die EZB.
  • “Es gibt jedoch einen anderen, weniger gut bekannten Weg der Kreditaufnahme. Dies ist das Target2-System der Eurozone. Regierungen, die nicht in der Lage sind, langfristige Mittel an den Anleihemärkten aufzubringen, können ihre Defizite weiterhin durch Kredite bei ihren Geschäftsbanken finanzieren, indem sie ihnen kurzfristige Schatzwechsel verkaufen. Diese Banken leihen sich die Mittel dazu von ihrer Zentralbank  die EU-Vorschriften verhindern, dass die Zentralbank der Regierung direkt Kredite gewährt – und die Zentralbank wiederum leiht die Mittel von der Europäischen Zentralbank (EZB).” – bto: So ist es. Solange die EZB keine Begrenzung vornimmt, passiert genau das.
  • “Einzelpersonen und Unternehmen, die Waren aus anderen Ländern der Eurozone importieren möchten, können einen ähnlichen Weg wählen: Sie leihen sich Geld von ihrer lokalen Bank, die von ihrer Zentralbank leiht, die wiederum von der Zentralbank des Landes leiht, das die importierten Waren herstellt.” – bto: oder wohin das Kapital aus dem Land flüchtet.
  • “Target2 fungiert somit als Clearingsystem für die Zentralbanken der Eurozone. Wenn ein Land der Eurozone Zahlungen in ein anderes Land leisten muss, werden die Mittel über Target2 übertragen. Es gibt jedoch einen Unterschied. In den meisten Ländern müssen Geschäftsbanken geeignete finanzielle Vermögenswerte bereitstellen, um ihre Konten zu begleichen.” – bto: Was er meint ist, gute Sicherheiten zu geben. Die Notenbanken dürfen wie Geschäftsbanken nur gegen gute Sicherheiten Kredit gewähren.
  • “In Target2 dürfen die nationalen Zentralbanken Schulden ansammeln, ohne dass eine formelle Verpflichtung zur Rückzahlung besteht. Denn Target2 klassifiziert diese Schulden als risikofrei‘.” – bto: wo ja gesagt wird, dass die Notenbanken per Definition nicht pleitegehen können.
  • “Überschussregionen müssen ihre Überschüsse durch fiskalische Transfers wieder in die Defizitregionen zurückführen, um das wirtschaftliche Gleichgewicht in der Eurozone zu erhalten. Aber das größte Überschussland – Deutschland – weigert sich offiziell, zu akzeptieren, dass die EU eine Transferunion‘ ist. Allerdings haben die Defizitländer, darunter mit Italien das größte unter ihnen, Target2 genau zu diesem Zweck eingesetzt.” – bto: Es ist eine Kreditvergabe ohne demokratische Legitimierung. Ich denke aber politisch schon, weil die deutsche Regierung es geschehen lässt.
  • “(…) Target2 ist zu einer riesigen Kreditkarte für Mitglieder der Eurozone geworden, die mehr importieren als sie an andere Mitglieder exportieren. Aber es gibt zwei Unterschiede gegenüber einer normalen Kreditkarte: Der Zinssatz ist Null und das Darlehen muss nie zurückgezahlt werden. Stand August 2018 schulden Italien und Spanien 493 Milliarden Euro beziehungsweise 389 Milliarden Euro, die sie nie zurückzahlen können, während Deutschland 912 Milliarden Euro geschuldet werden, die es nie zurückerhalten wird. (…) Professor Tim Congdon, Vorsitzender des Instituts für Internationale Währungsforschung an der University of Buckingham, weist darauf hin, dass der deutsche Guthabensaldo im Juni mit 976 Milliarden Euro seinen Höchststand erreichte, dann aber in den zwei Folgemonaten stark zurückging. Er behauptet: Der Sturz sieht seltsam aus (…) und kann auf eine Manipulation hinter den Kulissen zurückzuführen sein.‘” – bto: Natürlich, denn man möchte die Öffentlichkeit nicht beunruhigen.
  • “Target2 ist eindeutig keine tragfähige langfristige Lösung für die systemischen Handelsungleichgewichte der Eurozone und die geschwächten nationalen Bankensysteme. Es gibt nur zwei realistische Lösungen: Die erste ist die vollständige fiskalische und politische Union, wobei Brüssel die Höhe der öffentlichen Ausgaben und der Bankkredite in jedem Mitgliedstaat festlegt. Das ist seit langem das Ziel des politischen Establishments Europas, wird aber eindeutig nicht von der Mehrheit der europäischen Völker unterstützt. Die zweite ist die Auflösung der Eurozone.” – bto: Und weil beides so schnell nicht kommt, nehmen die Spannungen weiter zu! Besser wäre es, aus eigenem Antrieb den Target2-Saldo abzubauen, wie Hans Albrecht es vorschlägt. Siehe bto vom letzten Montag!

→ wiwo.de: “Target 2 rettet lautlos die Eurozone – noch”, 15. Oktober 2018