Über die Ge­fahren der lockeren Geld­politik

Morgen (4. Dezember 2022) geht es in meinem Podcast um die Lehren, die wir aus der japanischen Entwicklung der letzten 30 Jahre ziehen können. Mit dabei ist Richard Koo, der den Begriff der Bilanzrezession geprägt hat. Dass die Risiken der Geldpolitik in diesem Umfeld schon vor zehn Jahren bekannt waren, beweist eine Rede von Jaime Caruana, General Manager der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS), bei einer FED-Konferenz über „Central banking: before, during and after the crisis“ im Jahr 2012. Auszüge:

  • „Zweifellos hat das entschlossene Handeln der Zentralbanken während der Krise eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung einer Finanzkrise und einer möglichen Deflationsspirale gespielt. Aber die Strategien, die für das Krisenmanagement am besten geeignet sind, sind nicht unbedingt die besten für die Krisenbewältigung. Mit Krisenbewältigung meine ich die Phase nach der akutesten Krisenphase, in der die Bilanzsanierung direkt angegangen werden muss, um eine selbsttragende Erholung sicherzustellen. Dann besteht, sofern keine anderen grundlegenden Maßnahmen ergriffen werden, die ernsthafte Gefahr einer Überlastung der Geldpolitik. Aus dieser Bilanzperspektive kann eine außerordentlich lockere Geldpolitik – sowohl durch Zinssätze als auch durch den konsequenten Einsatz von Zentralbankbilanzen – sicherlich Zeit gewinnen, aber sie kann es auch leichter machen, diese Zeit zu verschwenden.“ – bto: Das kann man wohl rückblickend nur bestätigen!

Der Chef der BIS hat damals – wie gesagt 2012 (!) – vor folgenden Risiken gewarnt:

„Es gibt Mechanismen, durch die eine aggressive und anhaltende geldpolitische Lockerung die Bilanzsanierung tatsächlich behindern könnte. Sie kann dies tun, indem sie die Anreize von Marktteilnehmern und politischen Entscheidungsträgern pervers beeinflusst.“ – bto: Konkret nannte er damals vier Punkte, die ihm Sorgen machen:

  • „Erstens kann eine aggressive und anhaltende Lockerung die Anerkennung von Verlusten verzögern. Großangelegte Käufe von Vermögenswerten und die Kreditvergabe an Banken können die wahrgenommene Notwendigkeit unterminieren, mit wertgeminderten Vermögenswerten umzugehen. Niedrige Zinsen wiederum können die Opportunitätskosten für die Erfassung notleidender Kredite in der Bilanz senken und (…) dazu führen, dass Banken (…) nicht rentable und unproduktive Unternehmen am Leben erhalten. Dies kann die Kreditkosten für produktivere Investitionen erhöhen.“ – bto: Dass das keine Theorie ist, zeigte eine Studie zum Kreditvergabeverhalten der portugiesischen Banken in der Krise, die 2018 erschien. Da haben die Banken genauso gehandelt.
  • Die junge deutsche Ökonomin Laura Blattner stellte damals fest: „Die Institute wollten gegenüber der Aufsicht vertuschen, dass die Unternehmen vor der Insolvenz standen. So kamen die unproduktiven Unternehmen weiterhin an Kredite, die mehrversprechenden Investitionen dagegen konnten nicht getätigt werden. (…) Statt aber einen Kredit komplett abzuschreiben, vertuschten die Institute lieber ihre Falschmeldung und gaben den Unternehmen weiterhin Geld. (…) Wir zeigen, dass dies mehr als 50 Prozent des Produktivitäts-Rückgangs der portugiesischen Wirtschaft 2012 bewirkt hat. 40 Prozent dieses Effekts wurden durch die Reallokation von Krediten an geplagte, gegen Berichtspflichten verstoßende Unternehmen begründet.“  – bto: Jaime Caruana hat genau das 2012 vorhergesagt.
  • Sein zweiter Punkt war ebenfalls zutreffend: „Niedrige kurzfristige Zinsen und abgeflachte Zinsstrukturkurven können die Erträge der Banken schmälern, indem sie die Einlagenmargen und die Renditen aus der Fristentransformation schmälern. Darüber hinaus können niedrige Renditen festverzinslicher Anlagen Pensionskassen und Lebensversicherungsunternehmen erschweren, ihren langfristigen Verpflichtungen nachzukommen, und sogar ihre Zahlungsfähigkeit beeinträchtigen.“ – bto: Ein Blick auf die Performance von europäischen Banken relativ zu den US-Amerikanischen Pendants seit der Finanzkrise genügt. Ebenso das Drama um die britischen Pensionsfonds. Ich denke, es geht viel mehr unter der Oberfläche vor, als wir denken.
  • Was überleitet zum dritten Punkt: „Drittens kann es Anreize für eine erneute Runde der Risikoübernahme und Hebelwirkung schaffen. Pensionskassen und Versicherer können beispielsweise auf den Druck auf ihre Bilanzen reagieren, indem sie nach Rendite streben. Auch Anlageklassen mit niedrigen Renditen wie Gold und Rohstoffe können von gehebelten Anlegern problemlos finanziert werden. Und Banken, die kürzlich von Illiquidität geplagt wurden, könnten riskante Handelsaktivitäten gegenüber längerfristigen Krediten bevorzugen.“ – bto: Unstrittig haben wir genau das in den letzten zehn Jahren erlebt. Aber ich will mich nicht wiederholen.
  • Seine letzte Warnung traf ebenso ins Schwarze: „Viertens kann es Märkte verzerren und verkümmern lassen. (…) Umfangreiche Bestände des öffentlichen Sektors an finanziellen Vermögenswerten wie Staatsanleihen können die Märkte daran hindern, Signale an Investoren und politische Entscheidungsträger zu senden – und diese Signale letztendlich zu bloßen Widerspiegelungen der erwarteten Politik degradieren. Und eine außergewöhnlich lockere Politik kann die Anpassung der schwächeren Arten von Vermögenspreisen, wie denen von überbewerteten Immobilien, behindern, das Überangebot aufrechterhalten und die Erholung des Marktes verzögern.“ – bto: Auch das hat sich bewahrheitet.

Und jetzt, wo wir es „überraschend“ mit Inflation zu tun haben, haben wir das Problem, dass die hier beschriebenen Risiken offen zu Tage treten. Und er hat 2012 auch schon vorgesehen, auf welchen Konflikt die Notenbanken zulaufen:

  • „Anhaltend lockere monetäre Bedingungen können langfristig auch volkswirtschaftliche Risiken für die Zentralbanken darstellen. Diese könnten letztendlich ihre operative Autonomie und hart erarbeitete Glaubwürdigkeit gefährden. (…) und zu Spannungen mit der operativen Autonomie der Zentralbanken führen, zumal sich die Staatsverschuldung in vielen Ländern auf einem nicht tragfähigen Weg befindet. Das Gespenst der ‚fiskalischen Dominanz‘ könnte wieder auftauchen.“

Dieses Gespenst ist offensichtlich wieder aufgetaucht und verfolgt die Notenbanker, vor allem in der Eurozone.

bis.org: „Central banking in a balance sheet recession“, 23. März 2012