Thomas Mayer zur Klima- und Wirtschafts­wissenschaft und deren Politisierung

Am 24.10.2021 war Thomas Mayer von Flossbach von Storch zu Gast in meinem Podcast. Da wir in unserem Gespräch auch dieses Thema streifen, ein weiterer Kommentar von ihm:

Für die in den (heute verunglimpften) Schulen der Neoklassik und des Ordoliberalismus sozialisierten Ökonomen erscheint die Verfolgung klimapolitischer Ziele durch die Europäische Zentralbank als Tabubruch. Ein genauer Blick auf die Wissenschaften von Klima und Wirtschaft zeigt jedoch, dass die Verschmelzung von Klima- und Geldpolitik Folge der in diesen Wissenschaften angelegten Angriffspunkte ist.

Wie bei einem anfälligen Computersystem kann dort „Malware“ eindringen. Mit „Malware“ meine ich hier die Legitimierung staatlicher Zentralplanung. Das nutzt die EZB, sich selbst zu ermächtigen, nicht nur die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu steuern, sondern auch die Struktur des Güterangebots im Sinne der Klimapolitik zu verändern. Die EZB hat sich zur „Europäischen Zentralplanungs-Behörde“ gekrönt.

Erkenntnisprobleme der „Sekundärwissenschaften“

Die Klimawissenschaft ist keine primäre Wissenschaft. Sie bündelt Basiswissen aus der Physik und Chemie mit angewandter Mathematik und Statistik zur Erklärung und Prognose klimatischer Phänomene. Dem ähnlich bündelt die Wirtschaftswissenschaft Basiswissen aus kaufmännischer Erfahrung und mathematischer Logik mit angewandter Mathematik und Statistik zur Erklärung wirtschaftlichen Verhaltens und Prognose wirtschaftlicher Entwicklungen.

Beide Wissenschaften versuchen, sehr komplexe Systeme mit Verknüpfungen von Basiswissen zu erklären. Die Komplexität wird für Analyse und Prognose durch Abstraktion in Modellen verringert. Doch taugen diese zur Beschreibung der Wirklichkeit nur sehr eingeschränkt. So sahen zum Beispiel nur wenige Experten die Finanzkrise kommen, weil in den gängigen Wirtschaftsmodellen die Kreditgeldschöpfung der Banken fehlte.

Zudem erzeugt die empirische Unterfütterung von unterkomplexen Modellen mit mathematischer Datenanalyse Unsicherheiten, die von zufallsbedingten Irrtümern bis zu strukturellen Brüchen reichen. So liefen zum Beispiel die gängigen Klimamodelle „heiß“, weil sie die Elastizität der Erderwärmung in Bezug auf den Kohlendioxidausstoß überschätzten. Oder die Konsumentenpreisinflation wurde überschätzt, weil sich der in der Phillips-Kurve erfasste Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Inflation auflöste.

Schwankender Boden normativer Aussagen

Beiden Wissenschaften ist auch gemein, dass aus ihren „positiven“ Erkenntnissen „normative“ Aussagen zum individuellen und gesellschaftlichen Verhalten abgeleitet werden können. Doch stehen die normativen Aussagen auf schwankendem Boden. Denn die positiven Erkenntnisse, auf denen sie beruhen, sind durch zu hohe Abstraktion und strukturelle Instabilität der Modelle gefährdet. Und die Anwendung der normativen Aussagen kann durch „Reflexivität“ die Wirklichkeit verändern, von der sie hergeleitet wurden. So erzeugt das Risikomanagement in der Wirtschaft und beim Klima neue Risken.

Politische Verwertbarkeit

Die normativen Aussagen beider Wissenschaften sind für die Gestaltung der Wirklichkeit durch die Politik jedoch nur dann verwertbar, wenn die mit ihnen verbundenen Unsicherheiten verschwiegen und Zweifel unterdrückt werden. Denn nur mit über dem Zweifel erhabenen Aussagen kann die Öffentlichkeit zur Beeinflussung der Politik mobilisiert oder die Politik zu Handlungen veranlasst werden. Denn was wäre, wenn alle Anstrengungen zum Klimaschutz nichts nutzen könnten, weil der Zusammenhang zwischen von den Menschen zu verantwortendem Ausstoß von Kohlendioxid und der Erderwärmung anders sein kann als vermutet? Oder wenn die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken nichts fruchten, dafür aber viel Schaden anrichten könnte?

Der Umgang mit Unsicherheit und Zweifel spaltet die Gemeinden der Wirtschafts- und Klimawissenschaftler. Wer Unsicherheit und Zweifel offenlegt, bleibt im Bereich der Wissenschaft. Wer diese unterdrückt, findet Gehör in Politik und Öffentlichkeit und wird zum Aktivisten im Pelz des Wissenschaftlers.

Die Nähe der Wissenschaft zur Politik erzeugt Synergien, die sich in einer besseren materiellen Ausstattung der Wissenschaftler und einer wissenschaftlichen Legitimierung der Politiker ausdrücken. Die Öffentlichkeit zeigt immer Interesse am Wetter und kennt den Unterschied zum Klima nicht. Daher kann sie zum Druck auf die Politik mobilisiert werden, wenn die Aktivisten der Klimawissenschaft die Meinungsführerschaft in den Medien errungen haben.

Dagegen kennt sich die Öffentlichkeit auf dem Feld der Wirtschaft kaum aus und ist für Wirtschaftsthemen nur sehr schwer zu begeistern. Folglich müssen die Aktivisten aus der Wirtschaftswissenschaft selbst eng an die Politik heranrücken.

Während die Wissenschaftsaktivisten aus dem Klimabereich die Politik folglich durch Mobilisierung der Öffentlichkeit vor sich hertreiben, beraten die Wissenschaftsaktivisten aus dem Wirtschaftsbereich die Politik oder übernehmen selbst deren Steuerung, zum Beispiel in einer leitenden Position bei einer Zentralbank.

Aufstieg des Konstruktivismus

Der Aufstieg der Wissenschaftsaktivisten in der europäischen Geldpolitik und Finanzregulierung hat dem politischen Konstruktivismus einen gewaltigen Schub gegeben. Nun soll er durch den Schulterschluss mit den Wissenschaftsaktivisten im Klimabereich vergrößert werden. Die Europäische Zentralbank begründet ihre Politik der Niedrigzinsen mit wenig treffsicheren Inflationsprognosen. Das schreckt sie aber nicht ab, in ihrer neuen geldpolitischen Strategie gleichzeitig die Erderwärmung bekämpfen zu wollen.

Klimapolitische Ziele sollen bei den Anforderungen an die Offenlegung von Daten und finanziellen Sicherheiten für die Gewährung von Zentralbankkrediten bei Risikoschätzungen und bei ihren Käufen von Unternehmensanleihen berücksichtigt werden. Komplementär dazu hat die Europäische Kommission eine „Taxonomie“ zur Bestimmung der „Nachhaltigkeit“ wirtschaftlicher Aktivitäten vorgelegt, in der das Schwergewicht auf dem Klimaschutz durch Verringerung des CO2-Ausstosses liegt.

Zusammengenommen laufen die Maßnahmen von EZB und Kommission auf eine Steuerung der wirtschaftlichen Aktivitäten sowohl auf der Ebenen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage als auch auf der Ebene von Angebot an und Nachfrage nach Produkten hinaus. Stärker noch als die makroökonomische Globalsteuerung und Industriepolitik der Nachkriegszeit rückt die Verschmelzung von Geld- und Klimapolitik an die Zentralplanung im Sozialismus heran.

Die Zentralplanung ökonomischer Aktivität ist jedoch in hohem Maß fehleranfällig, da sich die Zentralplaner Wissen anmaßen, das sie nicht haben können. Planungsfehler führen im günstigen Fall zu Ressourcenvergeudung und im ungünstigen Fall zum Zusammenbruch des Systems.

Ressourcenvergeudung

Der Versuch, mit der Aufstellung von „Nachhaltigkeits-(ESG) Kriterien“ für Geldanlagen Industriepolitik zum Klimaschutz zu betreiben, dürfte aufgrund seiner Unwirksamkeit zur Verschwendung von Ressourcen führen. Die Umlenkung von Anlagegeldern kann zwar die Bewertungen verschiedener Aktivitäten am Aktienmarkt verändern, hat aber keinen direkten Einfluss auf die Entwicklung der Cashflows der Unternehmen.

Ist die Umlenkung erfolgreich, sinkt die erwartete Rendite auf „grüne“ und steigt auf „braune“ Anlagen, da sich die Bewertungen am Aktienmarkt ändern. Aber solange ihre Produktionskosten und Absatzerlöse gleichbleiben, werden „braune“ Unternehmen bei niedrigeren und „grüne“ Unternehmen bei höheren Bewertungen weiterhin tun, was sie schon immer getan haben.

Außerdem hätte der Renditeunterschied nur Bestand, wenn alle Anleger eine Gemeinschaft von Idealisten wären – was unwahrscheinlich ist – oder ohnehin Maßnahmen erwartet würden, welche die Cashflows „brauner“ Unternehmen verschlechtern – was letztlich solche Maßnahmen nötig macht. Wer also „klimaschädliche“ Aktivitäten von Unternehmen verringern will, muss – zum Beispiel durch eine Besteuerung des CO2-Ausstosses oder Vorschriften – ihren erwarteten Cashflow ändern. Die Geldanlage nach „ESG-Kriterien“ schafft das nicht.

Fragilität

Schlimmer als die Verschwendung von Ressourcen ist die Schaffung von Fragilität. Die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken hat Anreize zur Verschuldung im privaten Sektor gegeben und einen Aufbau der Staatsverschuldung ermöglicht, wie sie in der Geschichte nur in Kriegszeiten gegeben hat. Hohe Verschuldung schafft finanzielle Fragilität, weil der Ausfall eines Schuldners Ausfälle anderer Schuldner bewirken kann.

Die Kettenreaktion kann durch Zinserhöhungen der Zentralbank oder eine spontane Panik unter den Gläubigern ausgelöst werden. Der drohende Kollaps des Finanzsystems veranlasst die Zentralbank, eine Geldschwemme zu erzeugen. Doch mit der Verschleppung der Bereinigung steigt die Fragilität des Geldsystems, bis dieses kollabiert und das Finanzsystem am Ende mit sich reißt.

Aggressive Klimapolitik schafft Fragilität, weil sie die wirtschaftlichen Grundlagen des gesellschaftlichen Wohlstands zerstören kann und die Glaubwürdigkeit politischer Institutionen untergräbt, wenn sie überzogene Versprechungen nicht halten kann. Erfolglosigkeit kann daher rühren, dass sich Annahmen zum Zusammenhang zwischen CO2-Ausstoß und Erderwärmung als falsch herausstellen oder die zur Verringerung des Ausstoßes nötige globale Koordination der Klimapolitik scheitert.

Insofern ist die Aussage, dass die kommende Bundesregierung die letzte sei, die noch aktiv Einfluss auf die „Klimakrise“ nehmen könne, doppelt falsch. Denn zum einen ist es für den globalen CO2-Ausstoß völlig unerheblich, was Deutschland unternimmt, da die deutsche Wirtschaft weniger als zwei Prozent zum globalen Ausstoß beiträgt. Zum anderen könnte sich die Erderwärmung auch ohne die angepeilte Verringerung des CO2-Ausstoßes fortsetzen, wenn dafür andere Gründe maßgeblich wären.

Fazit

Die Verschmelzung von Klima- und Geldpolitik stärkt die politische Macht der Zentralbanker und schafft ihnen Entlastung für das absehbare Scheitern ihrer Niedrigzinspolitik. Außerdem schafft die Unterdrückung von Unsicherheit und Zweifel durch die Wissenschaftsaktivisten neue Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft, die größer sein können als die identifizierten Klimarisiken. Notwendig wäre das Aushandeln einer gesellschaftlichen Übereinkunft zum übergreifenden Management aller Risiken und die Schaffung von Resilienz zum Umgang mit ungeahnten Überraschungen. Der zunehmende Glaube in die Effektivität staatlicher Zentralplanung steht dem jedoch entgegen.

Seine Kommentare findet man hier: → Flossbach von Storch Research Institute