The new fragile – oder die Erklärung der Dauerkrise

Dieser Beitrag erschien erstmals im Juni 2016:

Bereits im März 2009 habe ich über die „New Realities geschrieben. Ein Begriff, der später bei Pimco abgewandelt als „New Normal“ promotet wurde. Im Kern ging es schon damals um das Thema der Eiszeit, also einer Periode geringen Wachstums mit häufigeren Rezessionen und mageren Kapitalerträgen. Die These: Ohne eine Bereinigung der Schuldenlast wird es nicht zu einer nachhaltigen Erholung kommen. Dies gilt auch noch heute.

Thomas Mayer bringt nun einen vielleicht noch passenderen Begriff: the New Fragile, also eine Periode mit hoher Unsicherheit und Volatilität zwischen den Krisen. Wir leben in einer fragilen Periode nach der großen Finanzkrise und vor der nächsten Krise, die nicht weniger und wahrscheinlich sogar noch schwerer sein wird als die letzte, hält er nüchtern fest.

Die Argumentation geht so:

  • Politiker und Notenbanker verstehen die Gefahr der Situation nicht und werden die falsche Politik fortsetzen, bis sie scheitert.
  • Die Mainstream-Ökonomen nutzen das IS-LM-Modell. Danach gibt es am Schnittpunkt beider Kurven einen idealen Zustand. Investitionen (I) und Sparen (S) sind ausgeglichen, wie auch Angebot (M) und Nachfrage (L) nach Geld.
  • Indem die Notenbanken die Zinsen senken, kommt es zu einer Belebung der Realwirtschaft durch billigeres Geld, also eine Verschiebung der IS-Kurve nach rechts. Tiefere Zinsen und mehr Produktion wäre dann die Erwartung.
  • Das Modell geht offenbar davon aus, dass die Notenbanken das Geldangebot kontrollieren (falsch) und Kapitalmärkte sowie Verschuldung spielen keine Rolle (ebenfalls falsch).
  • Das ist natürlich in der heutigen Situation besonders problematisch, weil gerade die hohe Verschuldung Krisenauslöser war und ist.
  • Statt die Modelle anzupassen und vor allem die Rolle der Verschuldung mehr zu berücksichtigen, halten die Akteure an dem Modell fest und im Falle der Notenbanken erhöhen sie nur die Dosis.
  • Dabei bieten sowohl die österreichische Schule der Nationalökonomie wie auch die Arbeiten von Hyman Minsky gute Ansatzpunkte. bto: die von Steve Keen gut weiterentwickelt wurden.
  • Die Anwendung der österreichischen Schule erläutert Mayer mit dieser Abbildung:

Mayer1

Quelle: Flossbach von Storch Research Institute

  • bto: Sehr schön sieht man hier das Trendwachstum (letztlich Erwerbsbevölkerung und Produktivitätszuwächse) und die Abweichung vom Trend. Zunächst die Boomphase, in der Geld zu billig ist (also unter der natürlichen Rate), gefolgt vom unweigerlichen Platzen der Blase von Fehl- und Überinvestitionen, die man dann mit noch billigerem Geld bekämpft, was aber nichts bringt, weil zunächst einmal ein Deleveraging stattfinden muss. Im Gegenteil, das billige Geld verzerrt den Prozess des Deleveraging, weil das Bereinigen von Fehlinvestitionen und Überkapazitäten verhindert wird und damit Zombies länger am Markt bleiben.
  • Mayer dazu: Weil die Erholung nach der Krise schwach ist, kommt es auch zu keiner Inflation, was die Schulden noch schwerer macht. Deshalb halten die Notenbanken an den tiefen Zinsen fest, was die Bereinigung weiter verhindert. Die Wirtschaft bleibt in einem Umfeld von wenig Wachstum, tiefer Inflation und tiefen Zinsen gefangen. bto: in der Eiszeit.
  • Damit verstärken sich die negativen Effekte. Die Strukturprobleme verhärten sich, jede Anpassung wird noch schwerer und noch schmerzvoller. Für Mayer liegt eine Lösung nur noch in einer erneuten Krise. bto: Das klingt schon fast so, als ob der Crash die Lösung sei. Richtig ist natürlich, dass eine solche Krise für den Euro tödlich sein wird.
  • Mayer zeigt dann noch die empirischen Daten für die USA, um zu belegen, dass das obige Modell zur Erklärung taugt. Dabei stellt er die private Nachfrage in Bezug zur Kreditaufnahme. Offensichtlich treibt die Verschuldung die Nachfrage und wie ich ergänzen würde die Vermögenspreise:

Mayer2

Quelle: Flossbach von Storch Research Institute

  • Mayer bezieht sich sodann auf die Forschungen von Nassim Taleb und betont, dass Systeme umso krisenanfälliger werden, je zentraler sie gesteuert sind, je stärker die einzelnen Bausteine mit einander verbunden sind und je geringer die Toleranz für Fehler ist. All dies sieht er heute gegeben. Die Notenbanken steuern zentral. Über den Wechselkurs, den jeder möglichst tief halten möchte, sind die verschiedenen Länder und Regionen miteinander verbunden, während schwaches Wachstum, niedrige Inflation und hohe Schulden nur noch wenig gar keinen Raum für Fehler lassen. bto: eine glasklare Analyse.

Danach beantwortet Mayer die entscheidende Frage, was das Ganze für Konsequenzen für die Geldanlage hat. Die Investoren haben drei Optionen:

  • Weiter mitspielen im Spiel der Notenbanken und auf das Beste hoffen. bto: also Anleihen, Aktien, Immobilien, gerne auch auf Kredit.
  • Auf den Zusammenbruch setzen. bto: Problem ist hier das Timing, wie ich auch in der Eiszeit schreibe. Märkte können länger falsch liegen, als wir Geld haben, gegen sie zu wetten.
  • Sich mit dem Portfolio darauf einstellen.

Wenig verwunderlich: Mayer ist (wie Stelter) für die letzte Option. Und er ist auch genauso langweilig wie ich, wenn es um die Investitionen geht (nachzulesen in der Eiszeit und in der Serie Was tun mit dem Geld):

  • Robuste Geschäftsmodelle mit stabilen Cashflows und geringem staatlichen Einfluss. bto: was ich Qualitätsunternehmen nenne.
  • Mit geringer Verschuldung. bto: vor der ich auch warne.
  • In einem gut diversifizierten Portfolio, um Risiken zu streuen. bto: wozu aus meiner Sicht zwingend eine internationale Streuung gehört.

Mayer hat recht. Wir wissen nicht, wann es knallt und auch nicht wie. Deshalb ruhig und diszipliniert anlegen und dabei auf die Kosten achten.

Flossbach von Storch Research Institut: The new Fragile, 7. Juni 2016

Kommentare (9) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. MFK
    MFK sagte:

    Meine Investmentempfehlung lautet: Kaufen Sie nur Aktien die im Wert steigen. Auch wenn die Empfehlungen von Mayer gut gemeint sind helfen sie nicht wirklich weiter. Aktien mit niedriger Verschuldung und stabil hohem Cash flow muss man erst einmal finden. Bekanntlich ist die Zukunft ungewiss. Versorger und Automobilindustrie gehörten auch einmal dazu. Weiterhin sind solche Aktien teuer, weil sie bereits jeder hat.

    Weil Taleb erwähnt wurde. Talebs alter Investitionsansatz funktioniert heute nicht mehr, weil es keine risikolosen Anlagen, die noch Ertrag erwirtschaften mehr gibt. Man kann aber auch so langlaufende Put Optionsscheine, die weit aus dem Geld liegen kaufen. Der Wertverlust dieser Scheine ist nicht linear. Man sollte diese dann, wenn der Crash nicht eingetreten ist, rechtzeitig rollen. Taleb hat diese Scheine mit den Gewinnen aus risikolosen Anlagen bezahlt und war damit break even. Das geht, wie gesagt, heute nicht mehr.

    Antworten
    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      @ MFK

      >Bekanntlich ist die Zukunft ungewiss.>

      Stimmt, ist bekannt.

      WENN das so ist, wie kommen Sie dann zu der Aussage „Meine Investmentempfehlung lautet: Kaufen Sie nur Aktien die im Wert steigen“?

      Wenn die Zukunft ungewiss ist, kann man NICHT WISSEN, welche Aktien im Wert steigen.

      Sind sie sicher, dass Sie WISSEN, was Sie empfehlen?

      Ich zweifle daran.

      Antworten
      • MFK
        MFK sagte:

        Lieber Herr Tischer, die Ironie meiner Aussage sollte man eigentlich selbständig erkennen können. Natürlich ist sie genauso hilfreich, wie andere allgemeine Empfehlungen, bsw. die zitierte “kaufen sie Aktien mit geringer Verschuldung und stabilem Cash Flow”. Wenn das alles so einfach wäre, wären wir alle bereits Börsenmillionäre.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ MFK

        Beim Investieren ironisch sein?

        Habe ich noch nie gehört.

        Ich dachte immer, dass es beim Investieren um etwas sehr ERNSTES oder zumindest WERTVOLLES geht – Geld.

        Aber wenn es so viel davon gibt, kann man das Investieren wohl auch mal mit Ironie betrachten oder sogar betreiben.

  2. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    >Die INVESTOREN haben drei Optionen.Auf den Zusammenbruch setzen … bto: Problem ist hier das Timing, … >

    Ist schon klar, dass der Zusammenbruch zeitlich problematisch ist.

    Ich verstehe aber nicht, was INVESTIEREN mit einem ZEITLICH problematischen Zusammenbruch zu tun hat.

    Die drei Optionen, die ich sehe anhand der Analyse:

    a) Weiter MITSPIELEN im Spiel der Notenbanken … gern auch auf Kredit.

    Man schließt letztlich einen Crash aus.

    b) Auf den Zusammenbruch setzen und das gesamte Vermögen weitgehend KONSUMIEREN, um beim Zusammenbruch möglichst wenig zu verlieren (Selbstgenutzte Immobilie ausgenommen).

    Man geht von einem Crash aus, egal wann er eintritt.

    c) Sich mit dem Portfolio auf den Crash so einstellen, dass man RELATIV gut dasteht, wenn er irgendwann kommt, um evtl. vom Crash profitieren zu können.

    Man geht von einem Crash aus. Bei dieser Option ist nichts problematisch, nicht einmal der Crash selbst, weil man besser dastehen will als die anderen, wenn er sich ereignet.

    Sorry, das ist natürlich kein professionelles Denken.

    Ich kann mich nur damit entschuldigen, dass ich KEIN Investor bin.

    Antworten
  3. Thierry
    Thierry sagte:

    >>>> “Auf den Zusammenbruch setzen. – bto: Problem ist hier das Timing, wie ich auch in der Eiszeit schreibe. Märkte können länger falsch liegen, als wir Geld haben, gegen sie zu wetten.”

    Hier fehlt eine Variante: aus dem Markt gehen, d.h. seine Schäfchen aufs Trockene bringen und von aussen zuschauen, bis es sich wieder lohnt, einzusteigen.

    Meine Erfahrung: Mitte 2007 ausgestiegen, 2009+2010 Vermögen verdoppelt.

    Antworten
    • troodon
      troodon sagte:

      “Meine Erfahrung: Mitte 2007 ausgestiegen, 2009+2010 Vermögen verdoppelt.”
      Gratulation, aber das liest sich wie ein One-hit-Wonder…

      Und seit 2010 warten Sie auf den nächsten großen Einbruch/Crash ?

      Antworten
      • Thierry
        Thierry sagte:

        @ troodon
        Oh nein, ich agiere flexibel, aber jetzt werde ich seeeehr vorsichtig. Ob man es allerdings zweimal so genau trifft, ist keineswegs garantiert. Die Situation ist ja auch nicht dieselbe. Ausserdem bin ich nun auch älter und saturiert.

  4. Horst
    Horst sagte:

    „Wir leben in einer fragilen Periode nach der großen Finanzkrise und vor der nächsten Krise, die nicht weniger und wahrscheinlich sogar noch schwerer sein wird als die letzte“

    Also frei nach Herberger: “Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.” Keine neuen Erkenntnisse, mit denen Mayer beglückt, einen anti-fragile Periode (frei nach Taleb ebenfalls) wird sich wohl nicht als Schwarzer Schwan am Horizont des kreditgeldgetriebenen Kapitalismus zeigen .

    Das ist wohl darüber hinaus ein klassischer “No-Brainer” (“The New Fragile), da unterstellt werden kann, dass Kreditketten innerhalb des Kreditgeldsystems immer wieder starken Schwankungen ausgesetzt sind. Der Kreditmarkt kennt ergo kein Optimum oder gar ein Modell des Gleichgewichts, wenn wichtige Sektoren innerhalb der Volkswirtschaften nicht für den Ausgleich, also Stabilität sorgen.

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