TARGET2: Auf dem Weg zur Bil­lion soll­ten wir es wie Pascal halten

„Die Forderungen der Deutschen Bundesbank aus dem europäischen Zahlungsverkehrssystem TARGET2 sind im Juni von 916 auf den neuen Rekordstand von 995 Milliarden Euro gestiegen. Im Gegenzug haben die Verbindlichkeiten der Banca d’Italia mit 537 Milliarden Euro ebenso einen Rekordstand erreicht. Die Fortsetzung dieser sehr expansiven Geldpolitik könnte in den kommenden Monaten den Saldo der Deutschen Bundesbank über die Marke von einer Billion Euro klettern lassen.“ So lapidar die Meldung der F.A.Z.

Damit war das Thema TARGET2 kurzzeitig in den Medien, aber nicht umfassend – nicht zuletzt dank anhaltender Kommentierung, dass es sich dabei nur um einen Verrechnungssaldo ohne weitere Bedeutung handelt und Herr Prof. Sinn ohnehin ein Fossil sei, was nur gegen den Euro stänkern wolle. Spielt doch eh keine Rolle in einer Währungsunion.

Bei bto waren die verschiedenen Blickwinkel auf TARGET2 immer wieder Thema. Eine Auswahl an Artikeln findet sich im aktuellen Hotspot

Meine Sicht ist einfach: Egal ob man sie für ein Problem hält oder nicht, sollten wir sie intelligent abbauen. Für den Fall, dass Sinn mit seiner Sicht recht hat, erhalten wir Vermögen im Fall der Fälle. Falls nicht, entsteht durch Vorsorge kein Schaden.

Kein Geringerer als F.A.Z.-Mitherausgeber Gerald Braunberger macht sich die Mühe, die TARGET-Thematik nochmals von den zwei Blickrichtungen zusammenzufassen. Auch wenn auf Twitter gleich geschrieben wurde, er würde beweisen, dass sie eben kein Problem seien, gibt das der Kommentar nicht her. Ich würde ihn eher so lesen, was auch meiner Sicht entspricht:

Auszüge

  • Über der Frage, ob die Salden aus dem TARGET2-System einfach Zahlungssalden ohne weitere Bedeutung oder Kredite mit schwerwiegenden Folgen für das Volksvermögen sind, haben deutsche Ökonomen über Jahre erbittert gefochten. Die Kreditthese wird vor allem von Hans Werner Sinn vertreten, die Saldenthese von Martin Hellwig. Sinn wirft Hellwig in der TARGET-Debatte „irreführende Verharmlosung“ vor. Hellwig schreibt über Sinns Umgang mit der Target-Debatte: ‘Die Geschichten, die Sinn erzählt, sind geprägt von Empörung und sollen Empörung schüren. Empörung aber kann das Denken in eine Falle führen und den rationalen Diskurs unmöglich machen. Das Auseinanderfallen der Diskurse in Europa ist gefährlich – gerade auch für Deutschland.’“ – bto: Bei Letzterem klingt durch, dass es sich um schädliche Kritik handelt, weil sie der Sache schadet.
  • Zur Frage Kredit oder Saldo ausgewählte Zitate der Kombattanten: ‘Es ist eine irreführende Verharmlosung, hier von bloßen Gegenbuchungen im Rahmen des Zahlungsverkehrs zu reden, denn die TARGET-Salden messen Nettoüberweisungen anderer Länder nach Deutschland, die die Bundesbank zwangen, im Auftrag anderer Notenbanken Zahlungsaufträge auszuführen’, schreibt Sinn. ‘Nach meiner Interpretation handelt es sich bei der TARGET-Forderung der Bundesbank um einen Überziehungskredit im Innenverhältnis des Eurosystems, der von ähnlicher Natur ist wie die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds oder auch die Kreditlimits, die sich Notenbanken im Rahmen von Festkurssystemen einräumen.’“ – bto: Es ist eben auch ein klarer Maßstab für die Kapitalflucht nach Deutschland. Private verkaufen hier Assets an Ausländer, im Gegenzug bekommt die Bundesbank eine Forderung, deren Werthaltigkeit angezweifelt werden muss.
  • ‘Bei den TARGET-Forderungen handelt es sich nicht um Kredite auf einzelvertraglicher Grundlage, sondern um Positionen in einem ESZB-internen Kontensystem [ESZB steht für: Europäisches System der Zentralbanken]; sie ergeben sich aus der im EU-Vertrag festgelegten Gesamtverantwortung des ESZB für die Funktionsfähigkeit der Zahlungssysteme’, schreiben Hellwig und Isabel Schnabel in einem gemeinsamen Papier. ‘Die TARGET-Forderungen in der Bilanz der Deutschen Bundesbank begründen keinerlei Ansprüche. Die Zahlen entsprechen nicht dem Zeitwert der jeweils zu erwartenden Zahlungen.’“ – bto: Wenn es keine Ansprüche begründet, ist es wertlos. Doch warum taucht es dann in der Bilanz auf?
  • „(…) ein kleines Gedankenexperiment mag den Leser auf eine interessante Reise mitnehmen, an deren Ende die Erkenntnis steht, dass die Dinge nicht so einfach sind, wie sie vielleicht auf den ersten Blick aussehen. Nehmen wir an, die in Gießen lebende Frau Müller wolle ihren Porsche für 100.000 Euro an den in Frankfurt lebenden Herrn Maier verkaufen. Es wird vereinbart, dass Herr Maier den Betrag überweist. Im ersten Fall nehmen wir an, dass sowohl Frau Müller wie auch Herr Maier Bankkonten bei derselben Bank unterhalten. Herr Maier überweist in Frankfurt das Geld, das in Gießen Frau Müller gutgeschrieben wird. In der Bank dürfte es eine interne Buchung geben, die diesen Geldfluss dokumentiert. Hat nun die Filiale Gießen der Bank der Filiale Frankfurt einen Kredit gewährt, der verzinst oder zurückgezahlt werden muss? Das dürfte nicht der Fall sein, vielmehr werden die Zahlungen in der Bank sehr wahrscheinlich einfach intern verrechnet. Die Filiale Gießen mag intern einen positiven Saldo haben, aber keine einholbare Forderung gegen die Filiale Frankfurt.“ – bto: Klar, es ist dasselbe Bankinstitut mit denselben Eigentümern. Aus Sicht der Eigentümer der Bank stellt sich keine Veränderung der Vermögensposition dar.
  • Nehmen wir nun an, Herr Maier habe sein Konto bei der Frankfurter Volksbank, Frau Müller aber bei der Volksbank Mittelhessen. Die beiden Volksbanken wickeln ihren Zahlungsverkehr über die DZ Bank ab, bei der sie als selbstständige Banken Konten unterhalten. In diesem Falle würde das Konto der Volksbank Frankfurt bei der DZ Bank belastet, und wenn es dadurch ins Minus geriete, müsste sie sich Geld besorgen, um es auszugleichen. Dies könnte durch Kreditaufnahme geschehen oder durch den Verkauf von Wertpapieren. Im Gegenzug erhält die Volksbank Mittelhessen ein Guthaben auf ihrem Konto bei der DZ Bank, das sie verwenden kann – sie kann das Geld zum Beispiel einer anderen Bank leihen oder Wertpapiere kaufen. Hier ist auch in einem wirtschaftlichen Sinn von Forderungen und Verbindlichkeiten zu sprechen.“ – bto: warum? Weil die beiden Volksbanken unterschiedliche Eigentümer haben und deshalb separat voneinander zu betrachten sind. Die EZB ist ja die Tochtergesellschaft der selbständigen nationalen Notenbanken und die Banca d`Italia gehört italienischen Eigentümern, die Bundesbank der Bundesrepublik Deutschland.
  • Auf die europäische Geldpolitik angewendet, zeigt dieses Beispiel, dass die Beurteilung der Salden aus TARGET2 mit der institutionellen Wahrnehmung des Europäischen Systems der Zentralbanken zu tun hat. Ähnelt es dem Modell der Deutschen Bank, handelte es sich bei den Zentralbanken um interne Salden, aber nicht um Kredite. So etwa sieht es Hellwig. Ähnelte es dem Modell der Volksbanken, handelt es sich eher um Kredite als um Verrechnungssalden. So etwa sieht es Sinn.“ – bto: So ist es. Wobei man damit die Diskussion beenden und eindeutig sagen könnte, dass Sinn recht hat.
  • Wer sich die reale Welt anschaut, erkennt den hybriden Charakter des Modells des Europäischen Systems der Zentralbanken. Die nationalen Zentralbanken wie die Deutsche Bundesbank sind rechtlich selbstständige Einheiten mit unterschiedlichen Eigentümern und als Folge politischer Entscheidungen könnten sie sogar dieses System verlassen. Das ist eine offensichtliche Parallele zum Modell der Volksbanken. Ein Punkt für Sinn.“ – bto: und zwar ein durchaus überzeugender.
  • Allerdings sind die nationalen Zentralbanken in der geldpolitischen Praxis ausführende Organe einer vom EZB-Zentralbankrat beschlossenen Geldpolitik mit einer nur begrenzten Autonomie für bestimmte Tätigkeiten. So ist es auch juristisch fixiert: Nach Artikel 14 Absatz 3 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der EZB sind die nationalen Zentralbanken im Bereich der Geldpolitik ‘integraler Bestandteil des ESZB und handeln gemäß den Leitlinien und Weisungen der EZB’. Das erinnert an das Modell der Deutschen Bank: Die Filialdirektoren in Frankfurt und Mainz sind in ihrer Geschäftspolitik generell an Vorgaben des Vorstands gebunden, auch wenn sie sich natürlich nicht jede Kreditvergabe vom Vorstand absegnen lassen müssen. Ein Punkt für Hellwig.“ – bto: Was hat mehr Bestand – die Satzung des ESZB oder die unbeschränkten Rechte der Eigentümer. Ich erinnere daran, dass wir keine Vereinigten Staaten von Europa haben, sondern einen vertraglich vereinbarten Staatenbund, aus dem man austreten kann. Siehe Brexit.
  • Eine im Zusammenhang mit den TARGET-Salden auch zwischen Sinn und Hellwig diskutierte Frage kann hier nur angerissen werden, aber sie besitzt einige Brisanz, weil sie sich mit dem intuitiv nicht ganz einfachen Thema der Bilanzierung durch Zentralbanken befasst. Angenommen, Herr Maier sei mittellos und stelle täuschend echte Banknoten im Wert von 1 Million Euro her, mit denen er von einer Bank italienische Staatsanleihen kauft. Nun geht Italien in einen Staatsbankrott, bei dem der Wert der umlaufenden Staatsanleihen halbiert wird. Der Mann verkauft seine Staatsanleihen für den neuen Wert von 500.000 Euro. Wie sieht die Rechnung von Herrn Maier aus? Nun, offenbar hat er mit der Fälschung und dem anschließenden Anleihegeschäft einen Gewinn von einer halben Million Euro gemacht, denn vorher war er mittellos.“ – bto: Wer verliert? Nun, die Bank, die die eine Million Falschgeld angenommen hat, muss dieses als Verlust verbuchen. Oder aber, niemand merkt den Betrug, dann zahlen alle Nutzer des Euro, weil es mehr Geld im Umlauf gibt, das den Wert mindert. Zunächst vielleicht wie heute nicht spürbar, über Zeit auf jeden Fall.
  • Nun nehmen wir an, die EZB im Frankfurter Ostend erwerbe im Rahmen ihres Kaufprogramms von einer Geschäftsbank italienische Staatsanleihen für eine Million Euro. Danach geht Italien in einen Staatsbankrott, bei dem der Wert der umlaufenden Staatsanleihen halbiert wird. Wie sieht die Rechnung der EZB aus? Sie hat einen Verlust von einer halben Million Euro erlitten, während Herr Maier mit einem identischen Geschäft einen Gewinn von einer halben Million Euro erzielt hat! Wie kann das sein? Herr Maier und die EZB bilanzieren den Anleihekauf unterschiedlich. Für Herrn Maier ist das von ihm geschaffene Geld ein Aktivposten in der Bilanz, der in Staatsanleihen getauscht wird. Für die EZB ist das von ihr geschaffene Geld ein Passivposten in der Bilanz, das als Folge des Staatsanleihenkaufs entsteht und der verkaufenden Bank gutgeschrieben wird. Die Staatsanleihen sind für die EZB ein Aktivposten.“ – bto: Zwar schafft die EZB das für den Kauf erforderliche Geld „aus dem Nichts“, aber es ist wie bei jeder privaten Bank auch eine Verbindlichkeit, die davon lebt, dass die damit erworbenen Aktiva als werthaltig angesehen werden.
  • Nun erklärt sich, warum einerseits Ökonomen wie Sinn drohende Verluste für die Zentralbanken aus dem Kauf von Staatsanleihen gegen Geldschöpfung an die Wand malen, während Hellwig spöttisch bemerkt, jeder Fälscher wisse (im Unterschied zu manchen Ökonomen), dass man mit der Herstellung von Geld aus wirtschaftlicher Sicht gar kein Geld verlieren könne.“ – bto: Ich finde, dies unterstreicht die Schwäche der Argumentation von Hellwig: (Noten-)Banken bringen Geld gegen Sicherheiten in den Umlauf. Dieser Verschuldungsakt ist solange gut, wie die Forderungen werthaltig sind. Der Fälscher bringt das Geld ohne Verschuldungsakt in die Welt und erhöht damit die Geldmenge ohne zusätzliche Sicherheit. Das wäre so, als würde die EZB dem Staat Geld schenken. Die Passivseite würde länger, aber auf der Aktivseite würde die Gegenposition fehlen. Dann könnte sie einfach andere Aktiva aufwerten – und dann diesen Aufwertungsgewinn an den Staat auszahlen – oder es eben doch gegen Anleihen tun, die dann ewig zins- und tilgungsfrei gestellt würden.
  • Zeigen wollten wir, dass sich mit dem Thema TARGET-Salden Aspekte verbinden, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind und ein wenig zur Zurückhaltung mit starken Meinungsäußerungen mahnen sollten (…).

So also Braunberger, der mich in meiner Auffassung bestärkt hat, dass es eben doch eine Forderung ist. Sinn gewinnt auch hier.

Aber selbst, wenn nicht, ich würde es mit Blaise Pascal halten: → Wikipedia: “Pascalsche Wette”: „Die pascalsche (oder Pascal’scheWette ist Blaise Pascals berühmtes Argument für den Glauben an Gott. Pascal argumentiert, es sei stets eine bessere ‘Wette’, an Gott zu glauben, weil der Erwartungswert des Gewinns, der durch Glauben an einen Gott erreicht werden könne, stets größer sei als der Erwartungswert im Fall des Unglaubens.“ – bto: Und so ist es mit den TARGET2-Salden. Der Erwartungswert, sie für eine Forderung zu halten und demnach alles zu tun, um diese zu erhalten, ist einfach höher, als jenen zu glauben, die kein Problem darin sehen und dann im Ernstfall – der ziemlich sicher eintritt und nur eine Frage der Zeit ist – Volksvermögen zu verlieren.

Berlin, handelt endlich!