Summers gegen Stiglitz – Ökonomie am Bei­spiel der Inflation

Wir erleben in der deutschen ökonomischen Debatte immer wieder, dass Ökonomen sich gegensätzlich zu Themen äußern. Und dies erwartbar: der prominente Marcel Fratzscher immer auf Linie der SPD, zunehmend der Grünen, andere eher in Richtung Union. Leider, ohne mit Beipackzettel und Warnhinweis versehen zu sein.

In den USA ist das ähnlich. Umso überraschender, wenn zwei aus „demselben Lager“ sich offen streiten. So zumindest kann man die Replik von Stiglitz auf Summers lesen.

Beginnen wir mit Summers, der sich in der Washington Post geäußert hat:

  • The covid-19 chapter in U.S. economic history is coming to a close more rapidly than almost anyone expected, including me. Within weeks, gross domestic product will reach a new peak, and it is likely to exceed its pre-covid trend line before year’s end, as the economy enjoys its fastest year of growth in decades. Job openings are at record levels, and unemployment may well fall below 4 percent in the next 12 months. Wages and productivity growth are increasing.“ – bto: Das ist sehr erfreulich und die Folge massiver staatlicher Stimulierung.
  • „Inflationary pressures are mounting from the boost in demand created by the $2 trillion-plus in savings that Americans have accumulated during the pandemic; from large-scale Federal Reserve debt purchases, along with Fed forecasts of essentially zero interest rates into 2024; from roughly $3 trillion in fiscal stimulus passed by Congress; and from soaring stock and real estate prices.“ – bto: Es ist ein wahrer Geldregen, der sich über die Wirtschaft ergießt.
  • The consumer price index rose at a 7.5 percent annual rate in the first quarter, and inflation expectations jumped at the fastest rate since inflation indexed bonds were introduced a generation ago. Already, consumer prices have risen almost as much as the Fed predicted for the whole year.” – bto: Es sind bedeutende Werte und ein klarer Unterschied zurzeit nach der Finanzkrise.
  • Fed and Biden administration officials are entirely correct in pointing out that some of that inflation (…) is transitory. But not everything we are seeing is likely to be temporary. A variety of factors suggests that inflation may yet accelerate — including further price pressures as demand growth outstrips supply growth; rising materials costs and diminished inventories; higher home prices that have so far not been reflected at all in official price indexes; and the impact of inflation expectations on purchasing behavior. Higher minimum wages, strengthened unions, increased employee benefits and strengthened regulation are all desirable, but they, too, all push up business costs and prices.“ – bto: Packen wir dazu noch die Maßnahmen mit dem Ziel, den Klimawandel zu bekämpfen.
  • It is possible that the Fed could contain inflationary pressures by raising interest rates without damaging the economy. But in the current environment, where markets around the world have been primed to believe that rates will remain very low for the foreseeable future, that will be very difficult, especially given the Fed’s new commitment to wait until sustained inflation is apparent before acting. The history here is not encouraging. Every time the Fed has hit the brakes hard enough to slow growth meaningfully, the economy has gone into recession.“ – bto: Eine solche Rezession ist wiederum auch nicht gut mit Blick auf den Schuldenstand.
  • So how best can we contain overheating risks and promote sustainable growth while also making necessary investments in infrastructure, greening the economy and helping low- and middle-income families?“ – bto: Wie kann man also alles machen, was man machen will, ohne die Inflationsfolge?
  • First, starting at the Fed, policymakers need to help contain inflation expectations and reduce the risk of a major contractionary shock by explicitly recognizing that overheating, and not excessive slack, is the predominant near-term risk for the economy. Tightening is likely to be necessary, and it is critical to set the stage for that delicate process. Meanwhile, the administration needs to continue to respect the independence of the Fed as it changes course. Clear statements that the United States desires a strong dollar will also be helpful in anchoring inflation expectations.“ – bto: vor allem weil ein starker Dollar die Importpreise dämpft.
  • Second, policies toward workers should be aimed at the labor shortage that is our current reality. Unemployment benefits enabling workers to earn more by not working than working should surely be allowed to run out in September; in some parts of the country they should end sooner. Re-employment bonuses should be considered, and a major focus should be on promoting mobility and training workers for occupations where labor is short.“ – bto: Generell sollten die Maßnahmen dazu dienen, die seit Jahren fallende Erwerbsbeteiligung der Amerikaner nach oben zu drehen.
  • Third, it is essential to make long-term public investments to increase productivity and enable more people to work. It would be a grave error to cut back excessively on public-investment ambitions out of inflation concerns. That is not because of the immediate jobs they create, but because of the long-term increases they generate in productive potential, sustainability and inclusivity. But where possible, infrastructure investments should be financed by reprogramming of Rescue Plan funds, such as those now being used by some states to finance tax cuts. Additionally, current spending financed by future taxes might further stimulate an already overheated economy. The opposite — revenue increases ahead of spending, or at least parallel to spending — can ensure more sustainable growth.“ – bto: auch hier die für die USA nachvollziehbare Idee, über höhere Steuern nachzudenken.

Soweit Summers. Aussage im Kern: Ihr übertreibt es, geht vom Gas und vor allem, macht es anders.

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz schien das gar nicht zu gefallen. Bei Project Syndicate reagiert er direkt und spricht von einer „falschen Fährte“:

  • Läuft die Regierung von US-Präsident Joe Biden mit ihrem 1,9 Billionen Dollar schweren Rettungspaket und Plänen für zusätzliche Ausgaben für Investitionen in die Infrastruktur (…) Gefahr, eine Überhitzung der Konjunktur herbeizuführen? Derartige Sorgen sind angesichts der tiefen Unsicherheit, der wir nach wie vor ausgesetzt sind, verfrüht.“ – bto: Die Aussage ist also, dass es unklar ist, wie wir aus der Krise kommen, weshalb es richtig ist, weiter auf dem Gaspedal zu bleiben. Andererseits stellt sich schon die Frage, wie das letzte beschlossene Programm ohne Preissteigerungen über die Bühne gehen soll.
  • Zudem rührt der derzeitige Inflationsdruck weitgehend als kurzfristigen Engpässen beim Angebot her, die unvermeidlich sind, wenn man eine vorübergehend heruntergefahrene Wirtschaft wieder hochfährt. Wir haben ausreichende weltweite Kapazitäten zum Bau von Autos oder Halbleitern, doch wenn alle Neuwagen Halbleiter verwenden und die Nachfrage nach Autos (wie während der Pandemie) von Unsicherheit bestimmt ist, wird die Halbleiterproduktion eingeschränkt.“ – bto: Das ist sicherlich nachvollziehbar so. Das ist dann die Argumentation eines kurzfristigen Schubes.  
  • Doch gibt es insbesondere angesichts der insgesamt bestehenden weltweiten Kapazitätsüberschüsse keinen Grund zu der Annahme, dass diese Bewegungen Inflationserwartungen befeuern und so eine Inflationsdynamik herbeiführen werden. Es lohnt, sich zu erinnern, wie kurz es erst her ist, dass einige, die jetzt vor durch eine exzessive Nachfrage bedingten Inflation warnen, von einer durch eine unzureichende Gesamtnachfrage bedingten „säkularen Stagnation“ sprachen (trotz Nullzinsen).“ – bto: Gemeint ist hier Lawrence Summers, der, nachdem er jahrelang vor einer durch zu viel Ersparnis ausgelösten säkularen Stagnation warnte, plötzlich davon ausgeht, dass nun Inflation droht.
  • In einem Land mit tiefer, langjähriger, durch die Pandemie aufgedeckter und verschärfter Ungleichheit ist ein angespannter Arbeitsmarkt genau die richtige Medizin. Bei einer hohen Nachfrage nach Arbeitskräften steigen die Löhne in den unteren Lohngruppen, und marginalisierte Gruppen werden in den Arbeitsmarkt eingebunden. Freilich ist es angesichts von Berichten über Arbeitskräftemangel trotz nach wie vor deutlich unter dem Niveau vor der Krise liegender Beschäftigungszahlen diskussionswürdig, wie angespannt der US-Arbeitsmarkt derzeit tatsächlich ist.“ – bto: Das kann man wohl sagen!
  • Statt in Inflationsängste zu verfallen, sollten wir uns Sorgen darüber machen, was mit der Gesamtnachfrage passiert, wenn die durch die fiskalischen Rettungspakete zur Verfügung gestellten Mittel versiegen. Viele Menschen am unteren Ende der Einkommens- und Vermögensverteilung haben große Schulden angehäuft – darunter in einigen Fällen mehr als ein Jahr an Mietrückständen aufgrund des vorübergehenden Schutzes vor Zwangsräumung.”
  • “Die verringerten Ausgaben durch die verschuldeten Haushalte dürften von denen ganz oben, von denen die meisten während der Pandemie zusätzliche Ersparnisse aufgebaut haben, kaum ausgeglichen werden. (…) Ohne neue Staatsausgaben könnte die Wirtschaft erneut unter einer unzureichenden Nachfrage leiden.“ – bto: Das glaube ich auch, aber die Frage ist doch, ob nicht dennoch das Risiko besteht, dass die Programme, die ja auf einen Umbau der Wirtschaft zielen, nicht doch inflationär sind.
  • Und selbst wenn der Inflationsdrück wirklich besorgniserregende Ausmaße annehmen sollte, verfügen wir über die Instrumente, um die Nachfrage zu dämpfen. Zunächst einmal ist da die Zinspolitik der US Federal Reserve. Die in Nullnähe liegenden Zinsen der vergangenen mehr als zehn Jahre waren wirtschaftlich nicht gesund. Der Knappheitswert von Kapital ist nicht null. Niedrige Zinsen sorgen für Verzerrungen an den Kapitalmärkten, indem sie ein Renditestreben auslösen, das zu übertrieben niedrigen Risikoaufschlägen führt. Eine Rückkehr zu einem normaleren Zinsniveau wäre etwas Gutes (auch wenn die Reichen, die die hauptsächlichen Nutznießer dieser Ära ultraniedriger Zinsen waren, das womöglich anders sehen).“ – bto: Ich denke nicht, dass das so einfach ist, führen höhere Zinsen doch zu erheblichen Problemen im Finanzsystem.
  • Der Instinkt, die Inflation zu bekämpfen, ist in die DNA der Notenbanker eingebettet. Wenn sie die Inflation derzeit nicht als das Kernproblem ansehen, dem sich die Wirtschaft derzeit gegenübersieht, sollten Sie es auch nicht.
  • Das zweite Instrument sind Steuererhöhungen. Die langfristige Gesundheit der Volkswirtschaft sicherzustellen, erfordert viel höhere staatliche Investitionen, und die müssen bezahlt werden. Die US-Steuerquote ist insbesondere angesichts der enormen Ungleichheit in Amerika viel zu niedrig. Es besteht die dringende Notwendigkeit einer stärker progressiven Besteuerung, von höheren Umweltabgaben zur Bekämpfung der Klimakrise gar nicht zu reden.“ – bto: Nun ist die Steuerlast in den USA auch weitaus tiefer als bei uns beispielsweise.
  • Wir sollten die derzeitige ‘Inflationsdebatte’ als das betrachten, was sie ist: eine falsche Fährte, die von denjenigen gelegt wird, die die Bemühungen der Regierung Biden zur Behebung einiger der grundlegendsten Probleme der USA zu behindern suchen. Eine erfolgreiche Politik erfordert mehr öffentliche Ausgaben.“ – bto: Nun müssen wir überall mehr investieren. Die Frage ist nur, wie wir das machen und finanzieren. Das Risiko ist groß, dass schlechte „Investitionen“ getätigt werden, die eben nicht den Charakter von Investitionen haben, sondern von Konsum.

washingtonpost.com: „Opinion: The inflation risk is real“, 24. Mai 2021

project-syndicate.org: „Falsche Fährte Inflation“, 7. Juni 2021