Staatsschulden sind nicht auto­matisch schlecht – aber auch nicht gut

Von allen Seiten wird für mehr Staatsschulden geworben. Alles kein Problem bei den tiefen Zinsen, alles kein Problem, würden doch Staatsschulden die Wirtschaft ankurbeln und sich quasi selbst bezahlen. Natürlich kommt das besonders laut von den Europäern, die in mehr Umverteilung und Schulden die Lösung für alle Probleme sehen.

So auch Professor Paul De Grauwe der seit Jahren für einen gemeinsamen EU-Haushalt sowie für flexiblere Defizitregeln wirbt, “die höhere Investitionen ermöglichen”. So auch im Interview mit der FINANZ und WIRTSCHAFT:

  • Das Wichtigste wäre, den Passus über den strukturell – also über den Konjunktur­zyklus hinweg – ausgeglichenen Haushaltssaldo zu streichen. Denn er verlangt, dass alle Staatsausgaben, auch diejenigen für Investitionen, über Steuern finanziert werden statt über Anleihen. Es ist eine widersinnige Logik, denn mit dieser Regel muss man heute schon über Steuern berappen, was erst in der Zukunft einen Nutzen bringt. Aber wir brauchen dringend mehr Investitionen, um die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen. Deshalb sollte bei der Defizitregel die Investitionsrechnung separat von den laufenden Ausgaben betrachtet werden.” – bto: Wenn man sich keine Mühe macht, die Ursachen für das geringe Wachstum zu analysieren, kommt man auch leicht auf die Idee, mehr Staatsschulden und -ausgaben würden das lösen.
  • Der Wiederaufbaufonds ist wichtig und ein Erfolg für die EU. Das Programm läuft aber nur sieben Jahre und macht für die meisten Länder jährlich kaum mehr als 1 % des BIP aus. Das ist nicht genug.” – bto: Ich finde rund 180 Milliarden Euro Umverteilung aus Deutschland in die anderen Länder durchaus bemerkenswert. 
  • Wenn die Zinsen so niedrig sind wie heute und die Investitionen produktive Anlagen kreieren und der künftigen Generation nützen, dann gibt es keine Grenze für die Verschuldung. Es braucht keine Grenzwerte, sondern eine umfassendere Analyse der Schuldentragfähigkeit, und dabei muss man nicht nur die Verbindlichkeiten anschauen, sondern auch die Vermögensseite.” – bto: Genau, denn Zinsen sind dauerhaft abgeschafft und man muss nur die vielen mehr oder weniger sinnvollen Dinge des Staates aktivieren. Zum Beispiel die Toiletten für das dritte Geschlecht in Berlin. Man könnte umgekehrt natürlich fordern, mehr produktive Investitionen zu tätigen …
  • Man muss abschätzen, ob aus den Investitionen produktive Assets entstehen und sie in der Zukunft Cashflow generieren. Wenn dieser erwartete Ertrag höher ist als der Zinsaufwand – was derzeit leicht ­möglich ist –, dann sind Schulden kein Problem. Wir müssen uns von der fixen Vorstellung lösen, dass Staatsschulden automatisch schlecht sind.” – bto: Jeder, der mal ein Unternehmen von innen gesehen hat, weiß, dass das mit den geplanten Umsätzen so eine Sache ist. Und nun sollen Politiker in der Lage sein, ehrliche Wirtschaftlichkeitsrechnungen zu verstehen und vorzulegen. Garbage in – garbage out wird so institutionalisiert.
  • Natürlich braucht es ein Monitoring-System, aber das macht die EU-Kommission bereits beim Wiederaufbaufonds. Ein solcher Monitoring-Mechanismus ist auch auf nationaler Ebene möglich.” – bto: Dass ich nicht lache. Die EU-Kommission ist völlig überfordert und dem Bundesrechnungshof hört niemand zu. Das wird brillaant. Selbst ein Professor muss doch erkennen, dass das nicht funktionieren wird. 
  • “Die EZB könnte ohne weiteres die Staatsanleihen streichen, die sie im Rahmen der Anleihenkaufprogramme auf ihre Bilanz genommen hat, aber es würde sich für die Staaten nichts an der Situation ändern. Der Aufruf, die EZB solle die Schulden streichen, ergibt einfach keinen Sinn. Ökonomisch betrachtet passiert nichts Substanzielles, wenn die Staatsanleihen im Besitz der Zentralbank vernichtet werden. Die Schuldenstreichung findet bereits in dem Moment statt, in dem die ­Zentralbank die Papiere erwirbt. Denn sobald sie auf der Bilanz der Notenbank sind, sind sie ökonomisch bereits nicht mehr existent, weil sie keine Last mehr für die Regierung darstellen. Sie zahlt Zinsen an die Zentralbank, die das Geld an die Re­gierung ausschüttet. Es ist irrelevant, zu welchem Preis diese Anleihen bei der Zentralbank in den Büchern stehen. Der Vorschlag unterliegt der Illusion, man könne dieselben Schulden zwei Mal streichen.” – bto: richtig. Die EZB monetarisiert schon mit dem Kauf. Allerdings würde es optisch besser aussehen, wenn man diese Schulden nicht mehr mitrechnet bei der ausgewiesenen Staatsschuld.
  • Die Zinsen werden steigen, wenn das Wachstum und die Inflation genug stark sind. Das wird den Staaten nicht so wehtun. Der Schuldendienst nimmt nur für die neu emittierten Anleihen zu, aber der Grossteil der Schulden wurde zu Tiefstzinsen in der Pandemie aufgenommen, und auf diesem Teil ist die Zinslast fixiert. Während das nominale BIP wächst, sinkt dadurch automatisch die Schuldenlast.” – bto: was für eine optimistische Sicht. Wenn das stimmen würde, wären die Schuldenquoten nicht so hoch.
  • Zum Wiederaufbaufonds: “Eine Währungsunion funktioniert langfristig nur mit einem gemeinsamen Haushalt.” – bto: also mit Umverteilung aus Deutschland.

Wie verquert die Logik der EU-Fans ist, zeigt die Schlussaussage zum Brexit: “(…) für die EU ist der Austritt Grossbritanniens in der Summe positiv. Denn mit Grossbritannien hat sie ein Mitglied ver­loren, das nur beigetreten war, um von ­innen zu verhindern, dass die EU zu stark wird. Ohne die britische Opposition kann die EU ihre Politik nun einfacher umsetzen. Ich denke, so etwas wie der Wiederaufbaufonds wäre mit Grossbritannien nicht möglich gewesen.” – bto: Die Stimme der ökonomischen Vernunft geht von Bord – und das ist ein Grund zur Freude?

fuw.ch: „‘Staatsschulden sind nicht automatisch schlecht’“, 13. Dezember 2021