SPIEGEL: Wir dürfen unseren Kindern keine schwarze Null hinterlassen

Ich bin nicht immer mit Thomas Fricke einer Meinung. Bei der deutschen FINANCIAL TIMES (FT) war er einer meiner Lieblingsautoren. Bei SPIEGEL ONLINE vertritt er seit einiger Zeit Positionen, die ich so bei ihm nicht erwartet hätte. Deshalb hatte ich einige kritische Beiträge an dieser Stelle.

Heute geht es um die “schwarze Null”, die ich bekanntlich auch nicht für gut halte, vor allem wegen der fehlenden Zukunftsinvestitionen und dem Stärken der Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft. Abgesehen davon, dass die Schulden in Wirklichkeit steigen, wegen der immer größeren Leistungsversprechen für die Zukunft.

Fricke will auch Abschied nehmen von der “schwarzen Null”. Sehen wir uns seine Argumentation an:

  • Es “ist zu lesen, dass es mit dem Schuldenabbau auch mal gut sein müsse. Sagen selbst konservativ geneigte Wirtschaftsexperten wie der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, dass etwa die Schuldenbremse dazu beitrage, Investitionen und Steuersenkungen zu verhindern. Während der Chef des Münchner Ifo-Instituts Clemens Fuest sagt, dass es keinen Sinn ergebe, die Schuldenquote weiter zu senken.” – bto: vor allem dann nicht, wenn sowieso absehbar ist, dass die anderen Insassen der Euro-Titanic es mit dem Sparen niemals so ernst meinen werden und auf die Monetarisierung setzen.
  • Sind Schulden plötzlich toll? Quatsch. Schulden sind weder per se gut noch per se schlecht. Es kommt darauf an, was man mit dem Geld macht, das man sich ausleiht – und was man, umgekehrt, ohne Kredit nicht macht.” – bto: Das gilt nicht nur für die Kredite, sondern für die gesamten Staatsausgaben! Und da haben wir ja gesehen, dass unsere Politiker Milliarden übrig haben für alle Arten von Konsum.
  • Das Land bekommt gerade an allen Ecken und Enden zu spüren, was ein falsch verstandener Schwarze-Null-Eifer an Desastern hinterlassen kann – auch für die viel bemühten Kinder, die wenig davon haben, dass der Herr Finanzminister im Fiskaljahr 2019 wieder mal eine schöne schwarze Null hatte, wenn ihnen im Gegenzug dafür kaputtgesparte Schulen oder, schlimmer noch, ein Smartphone-Empfang auf dem Niveau ihrer Eltern hinterlassen wird.” – btoRichtig!, mag man da ausrufen. Oder doch falsch!? Der Bund allein hatte in den letzten zehn Jahren 460 Milliarden zusätzlich zur Verfügung. 280 Milliarden Zusatzausgaben (ja, die Inflation wirkt hier auch, aber es ist dennoch ein Entscheid der Politik), 136 Milliarden weniger Zinsen, 46 Milliarden weniger für Arbeitslose. Muss man da Schulden machen für Breitband und Schulen? Sicherlich nicht! Man hätte es nur anders ausgeben müssen! Das ist Politikversagen der Spitzenklasse. Sicherlich, die “schwarze Null” ist falsch, aber aus anderen Gründen.
  • “Wenn Politiker heute klagen, der Staat könne gar nicht so viel mehr investieren, weil Ämtern und Baufirmen die Kapazitäten fehlen, dann ist das richtig, liegt aber auch daran, dass einfach in den Jahren davor so heillos gekürzt wurde – um Schulden abzubauen. Zu den Kollateralschäden eifriger Schuldenbegrenzung zählt, dass Schulen heute die Lehrer fehlen – auch weil mal als toll galt, Lehrer gar nicht mehr zu verbeamten (um, klar, Schulden abzubauen). Oder Kita-Kräfte so mies bezahlt werden, dass das eigentlich auch keinem mehr zuzumuten ist (weshalb auch da die Leute fehlen). Oder dass S-Bahnen zu Unternehmungen mit Lotteriecharakter geworden sind. Oder Minister mit ollen Maschinen in Afrika hängen bleiben.” – bto: ja. Das ist die Geschichte des Märchens vom reichen Land. Aber es ist nicht die Folge der schwarzen Null. Es ist die Folge schlechter Prioritätensetzung der Politik.
  • “Wir haben die weltweit herausragende schwarze Dauer-Null. Nur fehlt dafür Geld, um das viel zitierte Breitbandnetz in Deutschland auszubauen – die Sache mit dem Empfang. Oder um endlich den großen Sprung in die Elektromobilität hinzukriegen – was auch daran scheitert, dass nicht genug Geld in ein großes Netz an E-Tankstellen gesteckt wird. Oder darein, dass öffentliche Verkehrsbetriebe sich mehr (teurere) Elektrobusse leisten können. Oder in Forschungsförderung.” – bto: Nochmals, das ist schlechte Politik, nicht die Folge der schwarzen Null!
  • “Was haben die großen Kürzungen in den Sozialetats geholfen, wenn das so viel Unmut auslöst, dass die GroKo seit Jahren heillos versucht, die Schäden wieder auszugleichen – und die Sozialbudgets damit wieder hochtreibt? Und wenn das zur Steilvorlage für rechte Populisten geworden ist, die damit Stimmung machen, dass die ‘eigenen’ Leute so geschunden sind, während Flüchtlinge angeblich all unser schönes Geld kriegen. Auch ein Kollateralschaden falsch angewandter Sparpolitik.” – bto: Das ist Irreführung!
  • “Womit wir wieder bei der eigentlich entscheidenden Frage sind – nach den guten und den schlechten Schulden. Und wie sich herausfinden und bestimmen lässt, für welche Ausgaben und Investitionen es sich lohnt, im Zweifel auch mal Schulden aufzunehmen – und für welche nicht. (…) also ob es nun die schöne schwarze Null hier und heute gefährdet; sondern daran, ob es eine gute Investition ist, um künftige Krisen zu vermeiden, neuen Wohlstand zu schaffen – oder gar den Kollaps liberaler Demokratien zu verhindern, wie er in manchem Land droht.” – bto: Ja, aber das hat nichts mit Schulden ja oder nein zu tun, sondern mit der Verwendung der Milliarden, die der Staat einnimmt.
  • Der beste Weg dahin wäre nur, heute mehr und nicht weniger zu investieren. Dann braucht es künftig auch weniger statt mehr Geld, um das eine oder andere Desaster zu beheben, was wir heute noch verhindern können. Der Schuldenabbau von heute ergibt keinen Sinn, wenn er die Probleme von morgen schafft.” – bto: stimmt.

Ich würde anders argumentieren:

  1. Der Staat hat nicht gespart, sondern weniger mehr ausgegeben und vor allem die Ersparnisse aus Zinsen und Arbeitslosigkeit verplempert.
  2. Die Politik hat es vorgezogen, die Sozialleistungen auf ein Rekordhoch zu treiben – absolut und relativ, obwohl die Arbeitslosenquote so tief ist!
  3. Und hat an der Zukunft gespart.
  4. Außerdem hat sie die Sozialausgaben in Gesetze festgeschrieben und damit die Schulden eigentlich erhöht!
  5. Die “schwarze Null” gilt damit nur kameralistisch, wirkt aber auf die Volkswirtschaft mit einer Erhöhung der Sparquote (weil da eben die Versprechen nicht einfließen), verstärkt die Exportabhängigkeit und macht uns so anfällig für externe Schocks und Protektionismus.
  6. Und trägt dazu bei, dass wir unser Geld im Ausland falsch anlegen und verlieren werden.

Viele gute Gründe gegen die “schwarze Null”. Aber nicht die knappen Kassen oder unzureichende Sozialleistungen.

→ spiegel.de: “Wir dürfen unseren Kindern keine schwarze Null hinterlassen”, 1. März 2019