Soziale Ungleichheit muss doch ein Problem sein!

Immer wieder wird versucht zu begründen, was eigentlich nicht zu begründen ist: eine weitere Ausweitung des Sozialstaats und der Umverteilung unter lauten „Ungerecht!“-Rufen. Marcel Fratzscher vom DIW ist ganz vorne dabei, was ich an dieser Stelle mehrfach kritisch hinterfragt habe. Seit er mich bei Twitter geblockt hat, verfolge ich seine Ausführungen allerdings weniger – was natürlich auch zu dem von ihm gewünschten Effekt führt, dass ich ihn weniger kritisiere. Hier nun doch eine Zusammenfassung eines seiner Kommentare in der ZEIT, wo er erneut die soziale Schieflage bedauert und als Ursache für den Aufstieg der AfD identifiziert:

  • „Selten waren so viele Deutsche mit ihrem persönlichen Leben so zufrieden wie heute. Erstaunlicherweise sind gleichzeitig aber sehr viele Deutsche unzufrieden mit der sozialen Ungleichheit und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land. Wie kommt es zu diesem vermeintlichen Widerspruch?“ – bto: Übrigens taucht der Punkt nicht oben auf der Liste der Probleme auf, die die Deutschen in Umfragen nennen. Dort stehen Terrorismus, innere Sicherheit und Migration ganz oben auf der Liste. Aber egal, man kann es ja dennoch behaupten.
  • „In den Umfragen (…) geben die meisten der rund 30.000 Befragten an, derzeit recht zufrieden mit ihrem Einkommen zu sein. Auf einer Skala von 0 bis 10 (von sehr unzufrieden bis sehr zufrieden) liegt der Durchschnittswert bei 6,80 für das eigene Haushaltseinkommen. Interessant ist jedoch, dass die Zufriedenheit mit der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit in Deutschland‘ deutlich niedriger ist, sie liegt bei 4,81.“ – bto: Die Frage bleibt dennoch, ob es wirklich das drängendste Problem ist. Wenn man zudem sieht, wofür der Staat unser Geld ausgibt, kann man sich schon fragen, ob dies den Wünschen gerade dieser Menschen entspricht.
  • „Unbestritten ist, dass sich die wirtschaftliche Lage für viele Menschen in den vergangenen zehn Jahren teils deutlich verbessert hat. Aber nicht alle haben an diesem Aufschwung teilhaben können, nicht wenige wurden abgehängt. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt, dass die 40 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen, also mehr als 30 Millionen Deutsche, heute eine geringere Kaufkraft haben als noch vor 20 Jahren.“ – bto: Zunächst sind es nicht 30 Millionen Deutsche, sondern 30 Millionen Menschen, die hier leben. Wie immer wieder gezeigt und diskutiert, sind es vor allem Ausländer, die davon betroffen sind.
  • „Fast jede vierte alleinerziehende Mutter oder Vater und ihre Kinder sind heute von Armut bedroht, deutlich mehr noch als vor zehn oder 15 Jahren, als es Deutschland wirtschaftlich deutlich schlechter ging. Auch das steht im Armuts- und Reichtumsbericht.“ – bto: Hier würde ich immer zwei Fragen stellen: a) was ist der Anteil dieser Gruppe an der Gesamtgruppe der Armen und b) wie stark ist die Zahl Alleinerziehender gewachsen? Als solches sagt die Zahl des Anstiegs herzlich wenig aus.
  • „Es geht um die wirtschafts- und sozialpolitischen Schäden, die durch diese zunehmende Polarisierung verursacht werden. Der Wirtschaft entgeht ein enormes Potenzial, wenn Menschen sich nicht ausreichend qualifizieren und in den Arbeitsmarkt einbringen können. Sie werden von der sozialen und politischen Teilhabe ausgeschlossen, was letztlich zu Konflikten führt und das Funktionieren der Demokratie gefährdet.“ – bto: aha. Wer ist denn für Integration und Bildung zuständig? Nur der Staat bzw. die Gesellschaft oder auch der Einzelne? Kann es sein, dass Bildung, Hintergrund und kulturelle Faktoren dazu beitragen, kein gesteigertes Interesse an Bildung und Beruf zu haben? Vor allem, weil es den großzügigen Sozialstaat gibt, dank dem es sich auch ohne gut leben lässt?
  • Unter den AfD-Wählern sind dagegen fast 50 Prozent mit der eigenen wirtschaftlichen Lage eher unzufrieden, bei der FDP liegt dieser Wert bei lediglich 17 Prozent. Am Unzufriedensten sind dabei die Nichtwähler. Viele Menschen reagieren mit Resignation auf ihre eigene wirtschaftliche Misere statt mit mehr Engagement, andere wählen extreme Parteien.“ – bto: Es gibt allerdings auch Studien, die zeigen, dass die Wähler der AfD ziemlich genau dem Querschnitt der Bevölkerung entsprechen. Der Akademiker-Anteil soll gar etwas höher liegen.
  • Viele Studien zeigen, dass sich die Deutschen zunehmend Sorgen um ihre Zukunft machen. Werde ich meinen Lebensstandard halten können? Reicht die Rente noch? Wird es meinen Kindern einmal besser gehen? Die nicht unberechtigte Wahrnehmung vieler ist: Wir leben in goldenen Jahren, die nicht ewig anhalten werden. Denn Deutschland altert, viele Fachkräfte werden in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen und immer weniger junge Menschen müssen immer mehr Inaktive mitversorgen.“ – bto: Ja, da hat Fratzscher recht. Und vor allem fragen sie sich, wie diese Jungen zusätzlich noch für jene aufkommen, die im Arbeitsmarkt nicht integriert werden können oder nicht integriert werden wollen. Diese Zahl steigt derzeit bekanntlich rasant.
  • Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt sind den Menschen in Deutschland wichtig. Die große Mehrheit will Chancengleichheit, Solidarität und einen gesellschaftlichen Ausgleich.“ – bto: weshalb die Antwort immer mehr Umverteilung sein wird, was die Leistungsbereiten aus dem Land treiben wird.

So wird die Geschichte der sozialen Ungleichheit fortgesetzt werden, ohne natürlich die Ursachen beim Namen zu nennen. Dass Fratzscher selbst die Erhöhung der Ungleichheit in Deutschland mit (schon damals als falsch und leicht zu entlarvenden) Jubelrechnungen zur Folge der Migrationsbewegung des Jahres 2015 befördert hat, verschweigt er gerne. Dabei wäre das doch mal ein gutes Thema für eine selbstkritische Kolumne, verbunden mit einer Entschuldigung bei Medien und Öffentlichkeit.

ZEIT ONLINE: “Gefangen am unteren Rand”, 18. August 2017