Sollten wir alle bald siebzig Prozent Steuern zahlen?

Nicht wenige auch der Leser von bto werden „ja“ sagen. Ich denke, es wird kommen, aber auch nur als Symptom für die seit Jahren falsche Politik. Es ist genauso wie MMT nur die logische Folge der Fehlentwicklungen der letzten Jahre. Schulden statt mehr Anstrengung, billiges Geld statt echter Reformen. Davon profitieren die Vermögenden, also muss man es ihnen wieder „wegnehmen“. Vor allem, wenn man sie mit MMT erst so richtig „reich“ gemacht hat, zumindest nominal und im Vergleich zu jenen, die nicht in Sachwerte flüchten konnten.

Der niederländische Historiker und Autor Rutger Bregman äußert sich im Interview mit der F.A.Z. Um es gleich vorwegzuschicken, ich halte seine Aussage, dass „die Reichen einfach nicht ihren gerechten Teil“ beitrügen, für Quatsch. Im Kern trifft es bei solchen Kampagnen immer nur jene „Reiche“, die nicht reich genug sind, um sich und ihr Geld in Sicherheit zu bringen. Aber schauen wir uns an, was er so sagt:

  • „Sie hatten beim Weltwirtschaftsforum in Davos in eine ähnliche Richtung argumentiert und heftig kritisiert, dass die Reichen zu wenig Steuern zahlen. Wie sind die Reaktionen? – bto: was für eine dämliche Frage. Was erwartet man, wenn man die Bürger befragt, ob man es den Reichen wegnehmen soll? – „Ich habe seither Tausende von E-Mails von Menschen aus aller Welt bekommen, die mir für diese Kritik danken.“ – bto: Wenn man auf diesem Niveau arbeitet, muss man sich nicht wundern, wenn die Auflage einbricht.
  • „Sie haben auch darauf verwiesen, dass es in den Vereinigten Staaten unter dem republikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower einen Spitzensteuersatz von 91 Prozent gab und dieser Ende der sechziger Jahre noch das Doppelte von den heutigen 37 Prozent betrug. – Das ist mein Beispiel dafür, dass es tatsächlich funktioniert hat. Auch, wenn ich Kritiker in Europa höre.“ – bto: Bekannt ist aber auch, dass es damals erhebliche Ausweichbewegungen gab und längst nicht alle Reichen, das auch bezahlten. Außerdem begannen diese Sätze bei ganz anderen Einkommen als heute.
  • „Wer hätte gedacht, dass ein Historiker aus Holland mit einer Rede über Steuern so viel Aufmerksamkeit bekommt? Das Thema wäre vor zehn Jahren noch schlichtweg vom Tisch gewischt worden (…)  Es gibt eine Ungleichheit in der Gesellschaft, in den Vereinigten Staaten und anwachsend auch hier in Europa, mit der wir uns beschäftigen müssen.“ – bto: Gerade in Europa wird jede Einkommensungleichheit durch Umverteilung korrigiert. Weltweit nimmt die Ungleichheit ab. Ist es wirklich das drängende Problem oder ist es nicht vielmehr ein Problem, dass wir wirtschaftlich gesamthaft nicht weiter kommen?
  • „59 Prozent der Befragten (in den USA) hielten es für eine gute Sache. Selbst wenn Mainstream-Politiker und Millionäre noch nicht vollzählig dazugehören, ist ein gesellschaftlicher Wandel, ein Umdenken, doch nicht von der Hand zu weisen. Vom Weltwirtschaftsforum wurde ich nach meiner Kritik angefragt, mit einigen Experten zum Thema Steuern mit Schwerpunkt Steuervermeidung zu arbeiten.“ – bto: Also, a) in den USA ist die Umverteilung in der Tat deutlich geringer als bei uns und man könnte mehr machen. b) Das hat aber nichts mit „Steuervermeidung“ zu tun, sondern mit der Gesetzgebung. c) Daraus zu schließen, wir bräuchten es unbedingt auch hierzulande, ist schon frech.
  • „Ich denke, es geht heute mehr denn je darum, groß zu denken und sich zu fragen, wie profitiert die Gesellschaft insgesamt? Das heißt ganz grundsätzlich: Wir müssen in vielen Bereichen utopische Modelle denken. (…)  Wenn man sich aber mit den drängendsten Problemen unserer Gegenwart beschäftigt, sich zugleich eine Welt vorstellt, in der eben diese, nämlich Armut, Ungleichheit, Populismus oder moderne Epidemien wie Stress und Burn-out nicht mehr vorkommen, kommt man zu Modellen wie etwa dem bedingungslosen Grundeinkommen und der Frage, wie es zu finanzieren ist.“ – bto: Weltweit nimmt die Armut ab. Sie ist bei uns ohnehin relativ definiert. Es gibt bereits viel Umverteilung und wenn man sich an der Vermögensverteilung stört, mag man die Geldpolitik attackieren.
  • „Die Leute sind gegen Europa, gegen Migration, gegen die Anhebung von Steuersätzen. Ich bin absolut für Europa, auch wenn mit der Institution EU vieles nicht stimmt, aber es reicht nicht und hilft niemandem, nur dagegen zu sein. Das zeigt uns der Brexit. Und wenn mir nun zum Beispiel Kritiker von Steueranhebungen sagen – meist konservative Ökonomen –, ja aber, oh Gott, dann sinkt die Leistungsbereitschaft, dann kümmern sich Manager nicht mehr um ihre Unternehmen, dann ziehen die Reichen weg – das muss nicht notwendigerweise passieren, aber so wird argumentiert.“ – bto: Das Argument ist auch schwach. Ich denke, es ist eher die Frage, ob wir nicht gerade bei uns eine viel zu hohe Belastung der Arbeitnehmer haben und diese senken müssten, statt an immer neue Abgaben zu denken.
  • „Man muss natürlich auch gegen Steuerparadiese vorgehen, auch darüber nachdenken, wo und wie auch Unternehmen es vermeiden, Steuern zu zahlen. (…) Wenn sich aber zum Beispiel die beiden mächtigsten Länder in der EU – Frankreich und Deutschland – zusammentäten, um das zu ändern, wenn sie Druck ausüben würden, käme man mit Sicherheit zu neuen Regelungen, so dass es diese Art der Steuergestaltung nicht mehr gäbe.“ – bto: Jetzt frage ich mich, weshalb die Politiker noch nicht darauf gekommen sind. Es dürfte wohl damit zusammenhängen, dass es eben nicht so einfach ist. Übrigens bin ich unbedingt dafür, dass diese Unternehmen endlich richtig besteuert werden. Doch das ist was ganz anderes als der Ruf nach höheren Steuern für die sogenannten „Reichen“.
  • „Sie sind zum Beispiel für ein bedingungsloses Grundeinkommen (…) In Finnland wurde (…) nach knapp zwei Jahren (…) das Experiment (…) wieder eingestellt. – (…)  Es gibt kein Experiment, in dessen Rahmen bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt wurde, was sich als Desaster herausstellte. Es gibt auch keine fundierte wissenschaftliche Studie, die das bewiese – und genau das sage ich immer meinen Kritikern: Wo sind denn die Beweise dafür, dass die Menschen mit dem Grundeinkommen Drogen und Alkohol gekauft haben, faul waren und das Geld verschleuderten? Ich habe diese Frage sechs Jahre lang immer wieder gestellt, und bisher konnte mir niemand dieses Gegenbeispiel nennen. Ich denke, es gibt keines.“ – bto: Ich finde die Idee interessant, aber nur wenn wir es nutzen, um die ganze Umverteilungsbürokratie abzuschaffen. Außerdem darf es nur an schon länger hier Lebende gezahlt werden, sonst können wir uns vor „Schutzsuchenden“ nicht retten.
  • „Studien zeigen: Die meisten Menschen, die das Grundeinkommen bekamen, wurden nicht fauler, sondern fleißiger, kreativer, hatten weniger Sorgen und größere Bereitschaft, sich für andere zu engagieren, sie waren gebildeter und bereit, neue berufliche Wege auszuprobieren – wenn ein gewisses monatliches Budget da ist, ein bisschen Risikokapital, geht das. (…) Eben für jeden, der sonst im Arbeitsmarkt nicht diese Freiheit hat, weil kein Risikokapital da ist, sich nichts anhäuft, weil die Verdienste dafür zu gering sind.“ – bto: nette Theorie. Lasst uns die Verwaltung abschaffen und dann machen, verbunden mit negativer Einkommenssteuer und einem steileren Verlauf der verfügbaren Einkommen nach Abgaben.
  • „Es gibt verschiedene Wege der Finanzierung. (…) Ich würde ein Modell befürworten, das gleichzeitig die Ungleichheit in der Gesellschaft verringert. (…) Menschen, deren Arbeit auf das Gemeinwohl einer Gesellschaft ausgerichtet ist, sollten einen niedrigeren Einkommenssteuersatz zahlen, also zum Beispiel Lehrer, Kindergärtner, Krankenschwestern oder Müllentsorger. Wer im Finanzsektor etwa auf einer Managerebene tätig ist, sollte mehr zahlen. Dann müsste man sich auch fragen: Wer nimmt Profite ein aus geerbten Vermögenswerten und in welcher Höhe?“ – bto: wow. Also, ein Historiker entscheidet jetzt, was gesellschaftlich wertschaffend ist. Ein Unternehmensberater, der Unternehmen zu mehr Effizienz verhilft, ist dann sicherlich auch schädlich, obwohl er eigentlich über die höhere Produktivität Wohlstand mehrt. Es gibt darüber hinaus bereits eine Erbschaftssteuer, die in Richtung von 30 Prozent geht. Ich denke nicht, dass man da so argumentieren darf. Schon gar nicht ohne kritische Nachfrage des F.A.Z.-Redakteurs.
  • „Nehmen wir das Beispiel Klimawandel: (…) Es braucht mehr Willen, größere Bereitschaft und Ideen, wie ich sie bei jemandem wie Greta Thunberg sehe. Wie viele Menschen sie mobilisiert, macht Hoffnung.“ – bto: Das lass ich jetzt mal so stehen.
  • „Nie zuvor in der Geschichte haben wir eine Situation erlebt, in der wir uns fragen müssen, ob die Menschheit angesichts der steigenden Erderwärmung überleben wird. Es geht doch auch längst nicht mehr darum, ob wir politisch links oder rechts stehen, um uns zu engagieren, damit die Emissionen drastisch sinken, dafür muss man einfach nur Realist sein.“ – bto: Bekanntlich will ich jetzt gar nicht darauf hinweisen, dass wir schon früher Zeiten hatten, in denen man in Großbritannien Wein angebaut hat. Ich denke aber, wir müssen einen intelligenten Weg finden,  damit umzugehen. Keine Ad-hoc-Panik.

→ faz.net: “Sollten wir alle bald siebzig Prozent Steuern zahlen?”, 30. Mai 2019