Hans-Werner Sinn: Drucken oder Umverteilen

Hans-Werner Sinn erläutert in der FINANZ und WIRTSCHAFT das Dilemma der EZB. Gestern haben wir ja meinen Handelsblatt-Kommentar zu den Schlussfolgerungen der Geld- und Schuldenpolitik diskutiert. Nun das Gesamtbild:

  • “Bislang hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Probleme der Eurozone mit Geld zugeschüttet. Da das in der Inflation nicht mehr geht, hat sie nun ein neues Antifragmentierungsinstrument entwickelt, dessen Aufgabe es ist, hoch verschuldete Länder vor Zins-Spreads im Vergleich zu anderen, weniger verschuldeten Ländern zu schützen.” – bto: Und wie wir nun schon wissen, hat sie bereits so gehandelt und sich über die eigenen Kriterien hinweggesetzt.
  • “Das ist sehr problematisch, weil Zins-Spreads zu einem funktionierenden Kapitalmarkt und zu einer funktionierenden Föderation gehören. (…) Wenn sich ein Staat über Gebühr verschuldet, steigt seine Konkursgefahr, die Anleger verlangen zur Kompensation höhere Zinsen, und die höheren Zinsen veranlassen den Staat, die Kreditaufnahme zu verringern. Dadurch werden Schuldenexzesse automatisch verhindert.” – bto: Das stimmt so nur theoretisch. In der Praxis hat es oft nicht so funktioniert.
  • “Die Reduktion der Zinsunterschiede bedeutet faktisch eine fiskalische Subventionierung der Kreditaufnahme hoch verschuldeter Länder zulasten der weniger verschuldeten, die nun höhere nominale und effektive Zinslasten zu tragen haben. Die Proteste der Steuerzahler und der Verfassungsgerichte der belasteten Länder sind damit programmiert.” – bto: Ebenso programmiert ist, dass es vor Gericht nicht scheitert. Und die Bürger, namentlich in Deutschland, lassen sich gerne für die gute Sache belasten bzw. verstehen es einfach nicht.
  • “Die Zeiten, während deren die EZB den Ländern auf dem Wege über ihre Aufkaufprogramme frisch gedrucktes Geld zur Verfügung stellen konnte, ohne irgendwo Entzugseffekte zu erzeugen, sind definitiv vorbei. Druckt sie zum Zweck der Staatsfinanzierung neues Geld, enteignet sie die Geldhalter der Eurozone durch Inflation, und wendet sie ihr Antifragmentierungsinstrument an, verteilt sie die Haushaltsmittel der Staaten um.” – bto: Vor allem erzwingt die EZB so eine Fiskalunion.
  • “Die Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse war während der Abfolge der Eurokrisen seit der Lehman-Krise im Jahr 2008 der hauptsächliche Treiber der Geldmengenausweitung. Nicht weniger als 83% des gesamten Überhangs an Zentralbankgeld relativ zur Wirtschaftsleistung der Eurozone, der seit dem Sommer 2008 geschaffen wurde, immerhin 5,3 Bio. €, entstanden durch den Aufkauf von Staatspapieren. Das Geld schuf Ruhe und Vertrauen unter den Anlegern, doch genau deshalb regte es die Staaten an, sich unter Missachtung sämtlicher Schuldenschranken des Eurosystems immer weiter zu verschulden. Die Verschuldung belebte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und hielt die Arbeitslosigkeit in Schach. Inflationäre Sekundäreffekte durch eine Ausweitung des Kreditangebots der Banken unterblieben, weil das neu in Umlauf gekommene Geld von den Banken und von Privatleuten gehortet wurde.” – bto: weshalb es eben nicht zu der Inflation kam und viele behaupten können, dass die Geldmenge irrelevant ist.
  • “In der Stagflation funktioniert die Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse nicht mehr, weil sie die Inflation nur noch weiter befeuern und das um ihre Ersparnisse fürchtende Bürgertum in Aufruhr versetzen würde. Die Bonität der überschuldeten Staaten und Finanzsysteme lässt sich heute nur noch durch internationale fiskalische Hilfsprogramme sichern, die mit Steuern statt Schulden finanziert werden. Der Widerstand der Bürger gegen eine solche Lösung ist jedoch nicht minder gross. Auch das Fragmentierungsinstrument der EZB ist ein solches Hilfsprogramm, weil es zu Umverteilungseffekten zwischen den Staatsbudgets kommt.” – bto: Wo sieht Prof. Sinn Widerstand? Der Bundestag hat den Wiederaufbaufonds durchgewunken, niemand hat es interessiert. Und in Zukunft wird die EU der große Schuldner. Alles kein Problem.
  • “Damit steht die EZB vor einem Dilemma. Will sie den bedrängten Staaten weiterhin bei der Verschuldung helfen, muss sie sich entscheiden. Sie kann den Staaten die benötigten Ressourcen über eine Verdrängungsinflation zulasten des Vermögens der Geldhalter besorgen, oder sie kann einigen Staaten die benötigten Ressourcen zulasten anderer Staaten verschaffen. Die Zeit des Free Lunch auf dem Wege einer inflationsfreien Bedienung der Druckerpressen ist vorbei, weil sich die Wirtschaftstätigkeit in einer Stagflation nicht mehr über eine keynesianische Nachfragepolitik stimulieren lässt.” – bto: Ich denke, die EZB wird beides machen.
  • “Die Inflation würde man der EZB anlasten. Die Umverteilung zwischen den Staaten aufgrund des Antifragmentierungsintruments würde bei den Geschädigten zu Proteststürmen führen und heftige juristische Konsequenzen mit sich bringen. Nichts zu tun, würde die Kapitalmärkte in Aufruhr versetzen. Die EZB steht vor einer Zerreissprobe, von der man nicht weiss, wie sie sie überstehen kann.” – bto: Das sehe ich ganz anders. Es gibt keine Proteste, weil die Bürger es nicht verstehen. Die, die dagegen sind, werden sofort in die rechte Ecke geschoben. Und die Politiker, die eigentlich die Interessen des Landes vertreten sollten, tun genau dies nicht.

fuw.ch:„Das Ende des Free Lunch“, 10. August 2022