Sind die 80 Milliarden für den Kohleausstieg doch sinnvoll?

Man schreibt mir:

Stelter: Dort wurde plakativ vorgerechnet: Im Kohlesektor arbeiten 20.000 Leute. Wenn wir jedem eine Million geben, kostet das 20 Milliarden Euro. Da frage ich mich ganz ehrlich: Wäre es nicht sinnvoller, jedem diese Million zu geben? Dann wäre das Thema erledigt.

Nein, wäre nicht sinnvoller, Herr Stelter! Grund – siehe Anhang!” – bto: Na, dann schauen wir uns mal an, wie sinnvoll das wirklich ist:
  • “Mit dem Ausstieg aus der Kohle will Deutschland seine Klimaziele erfüllen. Doch er bedeutet für die betroffenen Regionen auch: Arbeitsplatzverlust und Strukturwandel. Letzterer soll mit insgesamt mehr als 40 Milliarden Euro vom Bund unterstützt werden. Die Kohlekommission schlägt 1,3 Milliarden Euro pro Jahre über 20 Jahre lang für konkrete Projekte vor. Dazu sollen den vier Braunkohleländern 0,7 Milliarden pro Jahr bereitgestellt werden, die nicht an Projekte gebunden sind. Obendrauf kommen zur Verbesserung des Verkehrs ein ‘Sonderfinanzierungsprogramm’ und ein Sofortprogramm bis 2021 im Umfang von 1,5 Milliarden Euro, die bereits im Bundeshaushalt bis 2021 eingeplant sind. In ihrem Bericht hat die Kohlekommission bereits einige konkrete Projekte vorgeschlagen (…)” – bto: was ich als ökonomischen Wahnsinn kritisierte.

Doch was sind denn nun die Projekte? Hier das Beispiel Leipzig:

  • Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorte: (…) das Mitteldeutsche Revier ‘durch seine Nähe zu den erstarkenden Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorten Leipzig, Halle an der Saale, Merseburg, Magdeburg und Jena geprägt’. (…) solle (…) Teil einer Region sein, die zu den führenden Metropolregionen Mitteleuropas zählt, sowohl durch ihre Wirtschaftskraft und ihre exzellente Bildungslandschaft, als auch durch ihren kulturellen Reichtum und ihre hohe Lebensqualität.” – bto: Das ist Blabla und vor allem entspricht es nicht der wirtschaftlichen Realität im Osten. Leipzig entwickelt sich sehr gut, dennoch bleibt ein großer Gap zu dem, was hier versprochen wird. Wieso macht man das erst, wenn die Kohle wegfällt? Könnte und sollte man doch auch so tun. Hat also mit dem Ausstieg nichts zu tun.
  • Ausbau der Verkehrsinfrastruktur: Für neue Wirtschaftsimpulse setzt die Kohlekommission stark auf Verkehrsprojekte, dadurch sollen neue Unternehmen angesiedelt werden. Geplant ist etwa ein ‘Verdichtungsraum Halle-Leipzig’. Zunächst soll es eine ‘Machbarkeitsstudie’ geben sowie ‘eine bauliche Umsetzung’ grundsätzlicher Neustrukturierungen und Neubauten des Schienenfernverkehrs in Leipzig und im Großraum Leipzig.” – bto: Bauen ist bekanntlich ein Bereich mit besonders tiefer Produktivität und hat deshalb einen Arbeitskräfteeffekt. Doch wird diese Buddelei das nachhaltige Wachstumspotenzial heben? Da sind Zweifel mehr als berechtigt!
  • Bessere Bahn-Anbindungen:  Unter anderem sollen Orte, die um das Mitteldeutsche Revier liegen, besser an Leipzig angebunden werden. Taktverdichtungen werden unter anderen vorgeschlagen für die Strecken BornaLeipzig, ChemnitzLeipzig, Delitzsch-Leipzig sowie LeipzigDöbeln. (…) Zudem soll es eine Machbarkeitsstudie zur Elektrifizierung der Strecke LeipzigGrimma geben. Als Projekt wird auch eine mögliche S-Bahn-Strecke Gera-Zeitz-Pegau-Leipzig genannt.” – bto: Und dies in einer Region, die, wie der Rest Deutschlands vor einem deutlichen Bevölkerungsrückgang steht? Wäre es nicht besser, in Digitalisierung zu investieren?
  • City-Tunnel II: (…) Die Kohlekommission schlägt zumindest eine Machbarkeitsstudie für eine Erweiterung des bestehenden Tunnels und den Bau eines ‘Citytunnel II’ vor, also eine unterirdische Ost-West-Verbindung.” – bto: Was hat das mit dem Ausstieg aus der Kohle zu tun?
  • Flughafen Leipzig/Halle: Bereits im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung war eine Aufwertung des Flughafens Halle/Leipzig vorgesehen. Nun könnte der Ausbau noch größer werden. Die Kohlekommission schlägt Vorfelderweiterungen vor, außerdem neue Rollwege und den Aufbau eines Adhoc-Cargo-Charters einschließlich ‘nachgelagerter Wertschöpfungsketten’. Profitieren könnte davon vor allem DHL.” – bto: Ich finde es auch logisch konsistent, aus Umweltgründen die Kohle abzuschalten, dafür aber den klimaschädlichen Flugverkehr zu fördern.
  • Tieferlegung der B2 am Agra-Park: Der Agra-Park südlich von Leipzig ist eigentlich ein idyllischer Ort, wäre da nicht die B2-Brücke mit ihrer starken Verkehrsbelastung. Die Kommission nennt die Brücke einen ‘massiven städtebaulichen Missstand’ und schlägt eine ‘Tieferlegung’ vor (…)” – bto: Wieder soll gebuddelt werden. Was ändert das an dem Potenzial BIP/Kopf in Deutschland zu erwirtschaften?
  • Schließung Mittlerer Ring: (…) Die Idee dahinter ist die Entlastung der innenstadtnahen Straßen, falls der Verkehr in Leipzig weiter zunehmen sollte.” – bto: wieder Bauen, wieder nur ein Geschenk an die Stadt. Fein, aber was hat das mit Zukunftssicherung zu tun?
  • Elster-Saale-Kanal: Eine viel ältere Idee könnte mit den Kohlemilliarden ebenfalls noch realisiert werden: der Elster-Saale-Kanal. ‘Angestrebt wird die Kanalentwicklung in zwei Ausbaustufen’ (…)” – bto: Wenn es einen ökonomischen Sinn hätte, würde man es auch ohne Kohlemilliarden machen. Wahnsinn.
  • Neue Veranstaltungshalle: Bereits im November 2018 am Rande des Olympiaballs sagte OB Jung: ‘Wir träumen in der Tat von einer großen, neuen Ballsporthalle. Das ist kein Hirngespinst.’ Die Pläne finden sich nun auch in den Projektvorschlägen der Kohlekommission wieder – und könnten theoretisch für das nötige Kleingeld sorgen.” – bto: Das ist also die Investition von Mitteln, um die Wirtschaft in der Region voranzubringen!
  • Musik-Campus LeipzigSchon seit mehreren Jahren kooperieren das Forum Thomanum und die Musik-Hochschule . Die Kohlekommission schlägt nun erneut einen Musik-Campus vor. Aufbau und Betrieb sollten unter Beteiligung des Musik-Hochschule geschehen.” – bto: Ich liebe Musik und Kultur. Es ist aber nicht das, was ich unter Stärkung der Wirtschaftskraft verstehe.
  • Naturkundemuseum: Der Umzug des Naturkundemuseums auf die Spinnerei war zuletzt gescheitert. Wie es weitergeht, ist bisher unklar. Falls das Museum Mittel aus dem Strukturförderprogramm der Bundesregierung erhalten würde, könnten sich aber neue Möglichkeiten ergeben.” – bto: dito.
  • Filmakademie und Filmpreisgala: Bereits jetzt gilt Leipzig – zumindest in Mitteldeutschland – als Medienstandort. Etwa durch das Dok-Filmfestival oder den MDR-Standort. Die Kohlekommission schlägt nun eine Stärkung des Medienstandortes vor: So soll eine Filmakademie mit Filmzentrum entstehen.” – bto: dito.
  • Ausbau der Medizin: Die medizinische Forschung der Uni Leipzig soll gestärkt werden, dazu soll ein ‘3-D-Druck Zentrum Personalisierte Medizin’ entstehen. Forschungsfelder sollen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Personalisierte Chirurgie und Materialien sein. Die Kommission spricht von ‘Synergien für einen hochentwickelten Life-Science-Cluster, der sich insbesondere im Bereich E-Health, Biotech und KI-basierter Diagnostik als besonders leistungsfähig erweist’.” – bto:  Das kann man als vernünftige Verwendung der Mittel ansehen.
  • Logistikhub und Forschungsstandort: Laut Kommission bietet sich die Region Leipzig als Standort für die Erforschung neuer Antriebssysteme an. ‘Dies schließt die Entwicklung von neuen Antriebskonzepten (Batteriezellen, wasserstoffbasierte Brennstoffzelle etc.) – auch im Hinblick auf die Biologistik – ebenso mit ein wie die Entwicklung neuer Verkehrs-, Elektromobilitäts- und Logistikkonzepte’, heißt es. Das Mitteldeutsche Revier biete aufgrund seiner zentralen Lage ideale Voraussetzungen für den weiteren Ausbau als europäischer Logistikhub.” – bto: Auch da mag man noch einen Sinn erkennen.

Und, was schließen wir daraus? 90 Prozent (oder mehr!) fließt in Projekte, die zwar die Lebensqualität steigern mögen, sonst aber auch gar nichts dazu beitragen, künftigen Wohlstand zu sichern. Im Gegenteil entstehen erhebliche Folgekosten. Dafür 80 Milliarden? Wahnsinn!

→ lvz.de: “Diese Projekte schlägt die Kohlekommission für Leipzig vor”, 13. Februar 2019