Schleichende Ent­eignung

Russell Napier habe ich in den letzten Jahren immer wieder auf bto zitiert. Heute äußert er sich im Interview mit der FINANZ und WIRTSCHAFT:

  • “Herr Napier, welches sind aus makro­ökonomischer Sicht die schwer­wiegendsten Folgen der Pandemie? –
    Die Rückkehr der Inflation nach Jahren der Deflationsgefahr. Die breit gefasste Geldmenge in den OECD-Ländern wächst so schnell wie seit Dekaden nicht mehr. In den Jahren 2009 bis 2019 schafften es die Notenbanken nicht, das Geldmengenwachstum so stark wie nötig zu steigern. Die Inflationsraten und das nominelle BIP-Wachstum blieben niedrig. Trotz rekordtiefen Zinsen und Wertpapierkäufen wuchsen die Bankbilanzen nicht. Die expansive Geldpolitik führte nur zu mehr Schulden im Schattenbanksystem – aber wenn zum Beispiel ich Ihnen 10 000 Fr. leihe, entsteht kein neues Geld, sondern ich muss es anderswo herholen. Das ist bei einem Bankkredit anders.” – bto: Ich denke auch, dass der entscheidende Unterschied darin liegt, dass diesmal die Mittel in die Realwirtschaft fließen.
  • “Seit dem 17. Jahrhundert wird das Geld nicht mehr von den Zentralbanken geschaffen, sondern von den Geschäftsbanken. Wenn Sie von der Bank einen Hypothekarkredit erhalten, schreibt sie Ihnen den Betrag auf dem Konto gut. So entsteht Geld. Die Zentralbanken können nur versuchen, über ihre Instrumente – Leitzinsen, Kapital- und Liquiditätsanforderungen – die Banken dazu zu bewegen, die ­gewünschte Geldmenge bereitzustellen. Aber erfolgreich waren sie zuletzt nicht.” – bto: Die Banken haben aber einen starken Anreiz gegeben, Geld in die Finanzmärkte zu leiten.
  • “Seit dem vergangenen April gibt es de facto kein Kreditrisiko mehr, weil die ­Regierungen für die Ausfallverluste bei den Coronakrediten einstehen. Jetzt verleihen Banken Geld an Unternehmen und Individuen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen werden. Das ist der Punkt, ab dem die Geldmenge rasant zunimmt und Inflation entsteht.” – bto: Sie werden ihren Verpflichtungen nachkommen, indem sie mehr Geld schaffen. Ich glaube, es wird kein offizielles “Nicht-Nachkommen” geben.
  • “Es wird immer deutlicher, dass diese Bürgschaften noch viel länger bestehen werden. Sie bedeuten, dass die Geldschöpfung durch die Regierung bestimmt wird und nicht mehr in der Kontrolle der Zentralbank ist. (…) Es passiert überall, in den USA, Japan, ­Kanada, Australien und Grossbritannien. Für die Eurozone hat diese Politik be­sonders weitreichende Konsequenzen, da neunzehn Regierungen gleichzeitig in den Geldschöpfungsprozess eingreifen. Es gibt keine zentralisierte Kontrolle über das Tempo des Geldmengenwachstums mehr. Jedes Land kann selbst festlegen, wie es die Anreize setzt, dass die Banken die Kredite vergeben und so neue Euro schaffen.” – bto: Deshalb ist es so dumm, bei uns zu sparen und die Steuern zu erhöhen, wenn die anderen die Geldmenge ausweiten.
  • “(…) unter dem Coronanotprogramm ­gelangt das Geld zu den KMU und den ­Privatpersonen. Das ist der perfekte Nährboden für höhere Inflation: Mehr – quasi von der Regierung geschaffenes – Geld in den Händen von Leuten, die es ausgeben. Bis Ende Jahr dürfte die Teuerungsrate in den Industrieländern 4% betragen, lautet meine Prognose. Mehr Inflation ist politisch gewollt, um die gemessen an der Wirtschaftsleistung hohen Schulden zu senken. Aber es ist schwierig, Inflation auf einem kontrollierten Niveau zu halten. Deshalb glaube ich, dass sie in den kommenden Jahren deutlich über 4% klettert.” – bto: Perspektivisch wird die Inflation zurückkehren, keine Frage. Aber sie dürfte in Wellen kommen.
  • “(…) die Zentralbanken können nicht zulassen, dass die Anleihen­renditen die Inflation spiegeln. Bei einem Zins von ungefähr 5% ist das gesamte ­System bankrott. Die EZB hat nun offiziell eine Renditeobergrenze eingeführt. In einer denkwürdigen Rede Anfang März sagte EZB-Ratsmitglied Fabio Panetta, dass nun die Phase drei beginne und die Zentralbank intervenieren müsse, um eine Versteilerung der Zinskurve zu verhindern und die Anleihenrenditen unter der Inflationsrate zu halten. Das ist finanzielle Repression par excellence.” – bto: Es ist klar, dass das die Zielsetzung ist. Allerdings dürfte es zu einer erheblichen Belastungsprobe für die Währungsunion werden.
  • “Wenn es der Zentralbank gelingt, die Zinsen weit unter dem Inflationsniveau zu halten, dann verkaufen alle Anleger ihre Euroanleihen an die EZB. Es ist ein Bekenntnis zu Diebstahl an den Bondinvestoren – aber das scheint bis zu Panettas Rede kaum jemand verstanden zu haben. Wenn alle ihre Anleihen der Zentralbank verkaufen, wird deren Bilanz noch länger. Und die zusätzliche Liquidität befeuert die Inflation weiter. Ein Teufelskreis wird in Gang gesetzt, der nur schwer zu durchbrechen ist, wenn man keinen steilen Zinsanstieg in Kauf nehmen will.” – bto: Und den kann man nicht hinnehmen, denn dann kollabiert das System.
  • “Der Euro wird sich abwerten, auch zum Dollar. Das Ganze hat auch eine politische Dimension: Die Sparer sind in Deutschland, die Schuldner in Frankreich.” – bto: Richtig, der große Schuldner ist Frankreich.
  • “(…) Chinas Gesamtschuldenquote ist vergleichbar mit der der USA, und früher oder später wird auch China die Schulden weginflationieren und den Wechselkurs freigeben müssen. Was die Anleger schliesslich bekommen werden, ist eine schwächere Währung, hohe lokale Inflation und damit Verluste auf den Anleihen.” – bto: So gesehen sitzen wir alle im selben Boot, was, wie William White gesagt hat, dazu führt, dass es keine Fluchtmöglichkeit mehr gibt.

fuw.ch: „‘Nun haben wir die finanzielle Repression’“, 17. März 2021