Rogoff: Inflation erst mittel­fristig ein Thema

Kenneth Rogoff, Harvard Professor, früherer Chef-Volkswirt des IWF und bekannt geworden durch sein mit Carmen Reinhard geschriebenen Buch über Finanzkrisen und den Lesern von bto als prominenter Verfechter von Bargeldverboten, diskutiert bei Project Syndicate die Inflationsaussichten. Die FINANZ und WIRTSCHAFT (FuW) bringt eine deutsche Übersetzung:

  • “Derzeit und auf absehbare Zukunft bedarf es eindeutig enormer makroökonomischer Unterstützung. Die pandemiebedingte Rezession ist schlimmer als die globale Finanzkrise von 2008, und Teile der US-Wirtschaft befinden sich noch immer in katastrophalem Zustand. Darüber hinaus könnte sich die Lage trotz vielversprechender impfstoffbezogener Entwicklungen im Kampf gegen das Coronavirus noch verschlimmern.” – bto: Da würde ihm niemand widersprechen, denke ich.
  • “Kurzfristig fürchten die politischen Entscheidungsträger zu Recht, dass Konjunkturhilfen und die Barersparnisse der Verbraucher bei einer Fortsetzung der wirtschaftlichen Erholung einen explosionsartigen Nachfrageanstieg bewirken könnten. Doch es ist unwahrscheinlich, dass dies über Nacht zu einem steilen Anstieg der Inflation führen wird – vor allem, weil der Preisanstieg in modernen hoch entwickelten Volkswirtschaften eine sich sehr langsam verändernde Variable ist. Selbst als die Inflation in den Siebzigerjahren in vielen reichen Ländern auf zweistellige Werte stieg (im Vereinigten Königreich und in Japan auf mehr als 20%), dauerte das viele Jahre.” – bto: Jetzt könnte man natürlich meinen, dass wir angesichts der schon seit Jahren bestehenden Asset-Preis-Inflation durchaus ein Risiko haben, dass es diesmal schneller geht.
  • “Die heutige Inflation wird sehr stark durch die langfristigen Inflationserwartungen beeinflusst. (Dies) spiegelt die Tatsache, dass die Unternehmen in vielen Sektoren aus Furcht vor dem Verlust von Marktanteilen vor aggressiven Preiserhöhungen zurückschrecken. Falls die Notenbanken es daher schaffen, die langfristigen Inflationserwartungen auf einem niedrigen Wert zu verankern, können sie jeden eventuellen längeren Inflationsanstieg bremsen. Heute ist die jahrelange ultraniedrige Inflation fest in der öffentlichen Psyche verwurzelt.” – bto: Meines Erachtens hat das auch dazu beigetragen, dass die Politik der letzten Jahre nicht zu einem breiten Verlust in die Geldordnung führte.
  • “Doch wenn die Politiker die Unabhängigkeit der Notenbanken untergraben und eine zeitnahe Normalisierung der Leitzinsen verhindern, könnten selbst tief verwurzelte Erwartungen an eine niedrige Inflation sich abnutzen.” – bto: Aber genau das wird ja nun zunehmend erwartet.
  • “Das andere langfristige Inflationsrisiko ist subtilerer Art, ist aber potenziell noch schwerer zu verhindern. (…) Eine Umkehr der Globalisierung könnte grosse Auswirkungen auf die Inflation haben. (…) Die Bemühungen der Notenbanken zur Inflationsverhinderung von 1980 bis zur Finanzkrise von 2008 profitierten enorm von der in dieser Zeit ablaufenden Hyperglobalisierung. Der Handel mit China und anderen Entwicklungsländern trieb zusammen mit dem technologischen Fortschritt die Preise für viele Konsumgüter unerbittlich nach unten.” – bto: was ja das Thema von Goodhart und Pradhan in ihrem Buch war und natürlich auch im Podcast.
  • “Jetzt könnten sich die Dinge in die andere Richtung entwickeln. Das gilt besonders angesichts des starken parteiübergreifenden Konsenses in Washington über die Notwendigkeit, China herauszufordern. Substanziell wird sich Bidens Politik, was Tempo oder Radikalität angeht, womöglich weniger stark von der unter Ex-Präsident Donald Trump verfolgten Politik unterscheiden, als viele Internationalisten hoffen. Selbst wenn die USA und China es schaffen sollten, ihre derzeitigen Differenzen provisorisch zu überbrücken, werden sich die Auswirkungen der Globalisierung abschwächen – u. a. (…) aufgrund demografischer Faktoren. Chinas Erwerbsbevölkerung etwa wird Prognosen zufolge in den nächsten beiden Jahrzehnten um 200 Mio. Menschen schrumpfen.” – bto: Und damit bekommen wir beides zusammen: strukturelle Inflation und Notenbanken, die genau diese Inflation wünschen.
  • “Sollten die Märkte also über einen möglichen steilen Anstieg der Nachfrage in Panik geraten, der Inflation und Zinsen in die Höhe treibt und einen allgemeinen Rückgang der Vermögenspreise verursacht? Kurzfristig eher weniger. Es ist sogar möglich, dass die Notenbanken in einem Jahr zutiefst negative Zinsen in Betracht ziehen werden, um die Inflation und die Nachfrage wieder zu beleben. Es wäre nicht notwendigerweise schlecht, wenn die Inflation für ein paar Jahre über ihren Zielwert stiege, nachdem sie so lange so niedrig war. Doch die längerfristigen Inflationsrisiken sind deutlich höher, als Märkten oder Politikern bewusst zu sein scheint.” – bto: womit wir wieder bei der Zeitenwende wären …

fuw.ch: “Sind die Inflationsängste begründet?”, 8. März 2021