Robert Shiller sieht Paral­lelen zum Jahr 1929

Nobelpreisträger und Yale-Professor Robert J. Shiller warnte vor der Technologieblase und der US-Immobilienblase. Er hat das sogenannte Shiller-KGV erfunden, was auch als Cape-Ratio bekannt ist. Dabei handelt es sich um das Verhältnis des Aktienkurses eines Unternehmens zum durchschnittlichen inflationsbereinigten Gewinn der vorhergehenden zehn Jahre. Das habe ich bereits mehrfach in den letzten Jahren bei bto besprochen. Im letzten Jahr hatte er eine modifizierte Version vorgelegt, die auch das Zinsniveau berücksichtigt und damit das Maß der Überbewertung reduziert. Die US-Börse war damit immer noch teuer, aber nicht mehr so nah an den Werten vom März 2000. Umso erstaunlicher, wie skeptisch er sich im Gespräch mit der NZZ äußert. Die Highlights:

  • „Die Idee, dass die Börsen überbewertet sind, dass der US-Markt teuer ist, ist weit verbreitet. Das ist zurzeit ein Risiko. Es gibt Parallelen zum Jahr 1929, dem Jahr der Weltwirtschaftskrise – nicht, dass ich das vorhersagen möchte, aber es ist ein Szenario. Wenn man sich alte Zeitungen aus den 1920er Jahren anschaut, sieht man, dass es damals viele Debatten über zu hohe Kurse am Aktienmarkt gab. Die öffentliche Meinung war aber, dass es mit den Aktienkursen weiter aufwärtsgehen würde. Es gab zwar den Verdacht, dass die Märkte überbewertet waren. Aber das liess sich nicht beweisen, und so kauften die Menschen weiter Aktien – bis zum Crash. Nicht zuletzt sorgten die animal spirits, also nichtrationale Aspekte des Handelns, dafür, dass die Menschen Risiken eingingen.“ – bto: Und es gab keinen echten Grund für das Ende der Party. Man hatte einen Einbruch und damit kam das Ganze auf Leverage basierende System zum Kollaps. Hier sehe ich eine Parallele.
  • „Momentan sieht es nicht danach aus, als ob sich am Aktienmarkt eine klassische Blase gebildet hätte. Aber es gibt Elemente davon. Es gibt in solchen Situationen immer Leute, die bedauern, nicht mehr Aktien gekauft zu haben.“ – bto: Wobei Shillers eigene Daten – wie wir wissen – eine sehr ambitionierte Bewertung sehen.
  • Zum Risiko der Inflation: „Die Geschichte von der Inflation ist schon sehr alt. Welche Bedeutung sie haben kann, sieht man an Deutschland. Dort kam es 1923 zu einer Hyperinflation. Die Erinnerung wirkt bis heute nach, die Deutschen sind immer noch stärker gegen Inflation eingestellt als die Bürger anderer Länder. Menschen können sich sehr viel Sorgen machen über Inflation. In den 1970er und 1980er Jahren sahen auch in den USA viele Leute in Umfragen die Inflation als grösstes Problem der Nation an. Unternehmen wurden dargestellt als Verbrecher, die Preise erhöhten. Gewerkschaften gerieten in Verruf, weil man davon ausging, dass sie für die Inflation verantwortlich waren. All dies führte zu einem «Erzählungs-Zyklus», der mittlerweile nachgelassen hat. Aber er könnte zurückkommen.“ – bto: Wir haben ja bereits die bösen Energiekonzerne, die sich bereichern in einigen Ländern. Ich denke an Spanien und Frankreich. Ganz zu schweigen von Putin, der an den hohen Gaspreisen schuld ist.
  • „Die Kurse von zehnjährigen US-Staatsobligationen sind immer noch hoch. Dies zeigt, dass die Menschen sich noch nicht allzu viele Sorgen machen. Wenn die Geschichten über beständige Inflation aber präsent bleiben, wird das Thema die öffentliche Meinung stärker prägen. Momentan ist die Inflation nicht das grösste Problem der Bevölkerung. Es sind weiterhin die Pandemie und der Klimawandel.“ – bto: Letzteres stimmt übrigens nach Umfragen weltweit nicht. Es ist nur in einigen Ländern ein Thema.
  • „Die ursprüngliche Reaktion auf die Pandemie im März 2020 war Angst. Doch sie wurde überwunden, vor allem dank dem Glauben an die Zentralbanken. Die zentrale Erzählung im Frühjahr 2020 war, dass die Zentralbanken sehr aggressiv vorgehen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Das hat funktioniert. Aber diese Erzählung steht auf wackligen Beinen. Wenn es dem Federal Reserve System und den anderen Zentralbanken nicht gelingt, eine wirtschaftliche Erholung mit niedriger Inflation zu erreichen, könnten die Inflationserwartungen steigen, was die Finanzmärkte wiederum stark belasten könnte.“ – bto: Genau das sehen wir doch gerade: hohe Unsicherheit und damit verbunden heftige Schwankungen.
  • “Das Thema Energie ist zentral in diesem Zusammenhang, und es ist politisch polarisierend. Die Idee, dass wir unseren Energieverbrauch beschränken sollten, provoziert Ärger. Wenn die Energiepreise weiter steigen, könnten wir ein Vertrauensproblem bekommen. Es gibt schon soziale Unruhen, und die Energiepreise spielen dabei möglicherweise eine Rolle. Die bedeutenden Unruhen in den USA sind aber nicht darauf fokussiert, hier geht es mehr um Lügen, Verrat und Verschwörung. Sie beschädigen die Wirtschaft und das Geschäftsleben, sie zerstören Vertrauen. Sie verhindern, dass Ressourcen gut verteilt werden können.“ – bto: Es ist absehbar, dass es in Europa auch so kommt. Zu offensichtlich ist die Unorganisiertheit der Politik.
  • „Wenn Milton Friedman noch leben würde, wäre ich gespannt, was er zur massiv vergrößerten Geldmenge sagen würde. Die Zentralbanken haben die Möglichkeit, dass die Inflation steigen könnte, unterschätzt. Sie hatten Wunschvorstellungen, die sich nicht erfüllten. Zentralbanken wollen nicht alarmistisch sein, doch langsam ist die Höhe der Inflation etwas alarmierend. Andererseits wird eine erhebliche Arbeitslosigkeit die Folge sein, wenn die Zentralbanken auf die Bremse treten und die Zinsen hochschrauben.“ – bto: Das Risiko ist groß, dass die Fed während eines Abschwungs die Zinsen erhöht. Aber vergessen wir nicht, wir sind in der Endphase der Monetarisierung angekommen.
  • Die Öffentlichkeit hält Inflation für etwas wirklich Schlimmes. Deshalb steht das Fed unter Druck, etwas dagegen zu tun – vor allem, wenn die Inflation nicht so schnell wieder verschwindet, wie die Notenbanker das erhofft haben. So riskiert das Fed andererseits aber eine Rezession. Das Fed hat ein duales Mandat aus stabilen Preisen und maximaler Beschäftigungsrate. Es ist jetzt in einer schwierigen Situation.“ – bto: Vor allem ist das die Folge von jahrelangen Fehlentwicklungen, nicht nur vom letzten Jahr.
  • „Bleibt dies innerhalb gewisser Grenzen, so ist es richtig, dass der Staat in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Schulden macht. Die Frage ist aber, wie weit man hier noch weitermachen kann. Das ist ein Streitthema. Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT) gehen davon aus, dass es unendlich lang so weitergehen kann. Die MMT hört sich für mich keynesianisch an, nur radikaler. Ich glaube schon, dass es eine Grenze für Staatsschulden gibt. Es muss auch Grenzen geben für die Käufe von privaten Schulden durch die Zentralbanken.“ – bto: Das muss so sein, sonst gibt es keine Budgetrestriktion mehr. Die Frage ist nur, wo diese Grenze liegt.
  • „Inflation ist keine Lösung für irgendein Problem. Wir müssen uns auf eine Straffung der Geldpolitik und ein Ende der Anleihekäufe durch die Notenbanken einstellen. Meine Hoffnung ist, dass uns die ‘animal spiritseine Entwicklung wie in den 1950er Jahren mit dem Wirtschaftswunder bescheren, mit neuen Technologien und einem starken Wirtschaftswachstum. Bis wir dahin kommen, könnte es aber eine massive Korrektur an den Börsen geben.“ – bto: Auch in den 1930er-Jahren gab es viele Innovationen, die den Boom der 1950er getragen haben. Dummerweise gab es dazwischen einige nicht so gute Jahre.
  • „Anfang dieses Jahrhunderts gab es viel Euphorie angesichts neuer Technologien, doch die Technologieaktien entwickelten sich schlecht, weil die Dotcom-Blase gerade geplatzt war. Ein Sektor, der sich damals gut entwickelte, waren Eisenbahnen. Altmodischer ging es nicht. Das zeigt, wie wichtig es ist, über verschiedene Sektoren, aber auch über Länder und Anlageklassen hinweg zu diversifizieren. Auch sollte man nicht erwarten, eine solch gute Performance zu erzielen wie in früheren Booms. Die jüngste Entwicklung am Aktienmarkt hat einiges vorweggenommen. Der Wechsel von Aktien zu Bonds scheint derweil keine gute Idee zu sein. Bonds mit längerer Laufzeit könnten unter der höheren Inflation leiden, und kurzfristige zahlen überhaupt keine Zinsen.“ – bto: Er scheut davor, den Crash auszurufen. Jedoch spricht viel dafür, dass wir weniger Wachstum haben werden.
  • Zu Gold:(…) Bitcoin (…) hat die Anleger von Investitionen in Gold abgelenkt – auch das ist wieder eine Geschichte, auf die die Leute achten. Diese Erzählung besagt, dass Bitcoin modern und inspirierend ist. Zudem hat er etwas Mysteriöses, das mögen die Leute. Der Erfinder von Bitcoin ist nicht bekannt. Als ich einmal in Litauen war, kam ich mit der Bevölkerung ins Gespräch und fragte Leute dort, was sie von Bitcoin halten. Jemand erzählte mir, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seien Verwandte von ihm nach Sibirien verbannt worden. Vorher wurden ihre Wertsachen konfisziert. Er bedauerte, dass man damals nicht in Bitcoin investieren konnte, denn dann hätten die Sowjets das dort investierte Geld nicht stehlen können. Selbst nach zehn Jahren in Sibirien hätte man dann zurückkommen und das Geld wieder holen können. Das war eine schöne Geschichte. Ich glaube aber nicht, dass viele Leute sich ihr Bitcoin-Passwort so lange merken könnten.“ – bto: Es ist eine gute Geschichte. Ich persönlich glaube eher an etwas, was man anfassen kann …

Fazit:

Das Interview ist weniger reißerisch als der Titel. Es zeigt aber, dass wir uns in einer schwierigen Phase befinden.

nzz.ch: „Nobelpreisträger Robert Shiller: ‘Es gibt Parallelen zum Jahr 1929, dem Jahr der Weltwirtschaftskrise – nicht, dass ich das vorhersagen möchte, aber es ist ein Szenario’“, 26. Januar 2022

Kommentare (33) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dr. Lucie Fischer
    Dr. Lucie Fischer sagte:

    Vielen Dank für diesen Artikel
    Die m.E. wichtigste Innovation nach WK2 war die Entschlüsselung des humanen- genetischen Codes
    ( Watson/ Crick) , dessen praktisch-militärische Anwendung blieben dem ( ungebildet-intellektuellen ) Publikum verborgen. Alle blind . Reingefallen auf globale- WEF-WHO- List-Strategie.
    Es wurde massenenhaft individuelle DNA abgegriffen mit PCR-Stäbchen-” Tests”. die darin enthaltenen genetischen DNA- Informationen landeten wo?
    Wer fragt,? wenige haben/ hatten / ANIMAL SPIRIT : Wachsamkeit! Datenklau! Gefahr.
    Elegant wird es mit den zentral -gespeicherten humanen DNA-Codes militärisch möglich sein, ethnische Gruppen spezifisch zu eliminieren, niemand wird Beweise finden, wer kontrollierte die Bio-Technologie-Labore Niemand! ( Odysseus–List ) Nemo. Blöd-Blindes Vertrauen. ( BBV )
    Shoshana Zuboff hatte alle gewarnt, ( ” Zeitalter des Überwachungs-Kapitalismus”) , die basal-wichtigsten DNA-Daten sind längst abgegriffen,-gespeichert durch mystifizierte PCR-Tests , weltweit.
    Die Überlebenden werden ” Animal Spirit” dringend benötigen, wie J.M. Keynes formulierte:
    ” Der Preis der Freiheit ist ewige Wachsamkeit”
    die Wachsamkeit / Angst / unserer Freunde: noch -nicht- ausgerotte – Wild-Tiere ,
    Discovery-Channel:
    https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=youtube+bloodhound+gang+discovery+channel

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    • Felix
      Felix sagte:

      Den Gen-Daten-Diebstahl sehe ich genau so. Und als erste in meinem Umfeld hat das eine ganz einfach gestrickte jüngere Frau so ausgesprochen.
      Wir akademisch belasteten sind überraschend oft schwer von Begriff.

      Jedenfalls ein grandioser Coup.

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  2. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    >Meine Hoffnung ist, dass uns die ‘animal spirits’ eine Entwicklung wie in den 1950er Jahren mit dem Wirtschaftswunder bescheren, mit neuen Technologien und einem starken Wirtschaftswachstum.>

    Mal abgesehen von der völlig anderen demografischen Entwicklung:

    Die neuen Technologien benötigen in der Breite nicht so viele Investitionen wie die Technologien in den 1950er Jahren und sie sind extrem produktiv, so dass sie vergleichsweise nur wenige Menschen beschäftigen werden.

    Viele werden nur in den Billigbranchen des Dienstleistungssektors Beschäftigung finden können, andere werden alimentiert werden.

    Vermutlich muss man den Wirtschaftsnobelpreis erhalten haben, um Träumereien von einem nochmaligen Wirtschaftswunder wie in den 1950er Jahren unter die Leute bringen zu können.

    Antworten
    • Felix
      Felix sagte:

      @ Herr Tischer

      Wir sind zu alt, um uns das vorzustellen. Die neuen Techniken, die ich mir nur zu Investitionszwecken ansehe, werden den Menschen unvorstellbare neue Möglichkeiten eröffnen. Schon die Erfindung einer brauchbaren Feststoffbatterie würde alles auf den Kopf stellen.

      Herr Shiller liegt mit den “Animal Spirits” schon richtig. Nur wir im Westen bekämpfen diese menschlichen Antriebe mit der linksliberalen PC-, Gender-, Transhumanismus-, Cancel-Agenda und führen anscheinend auch noch einen neuen Korporatismus ein, der für viele nach 33 riecht.
      Eine solche Gesellschaft wird nicht viel hervorbringen und die vertreiben, die sich damit nicht abfinden wollen.

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Felix

        >Die neuen Techniken, die ich mir nur zu Investitionszwecken ansehe, werden den Menschen unvorstellbare neue Möglichkeiten eröffnen.>

        Das unterschreibe ich sofort.

        Die Frage ist aber, ob damit das eintritt, was Shiller hofft, nämlich:

        Ein Wirtschaften wie in den 1950er Jahren, das Wohlstand für viele so generiert, dass die betreffenden Gesellschaften sich kohärent entwickeln können.

        Da darf man schon mal ein ordentliches Fragezeichen setzen, auch begründete Zweifel äußern.

        Innovationen per se sind jedenfalls nicht hinreichend, die Shillersche Hoffnung zu erfüllen.

      • Christian Anders
        Christian Anders sagte:

        Ergänzend zu @Felix @DT

        Es wurden ja auch Wohlstandszuwächse ausgehend von einem recht niedrigen Niveau aus generiert. Das war nicht nur Veränderung, sondern durch sie auch quantitativer Zuwachs.

        Heutige Innovationen bedingen Veränderungen von schon Bestehendem, aber welche enormen Zuwächse wovon über Jahrzehnte sind denn zu erwarten? Es ist ja nicht so, dass qualitatives Wachstum mit dem quantitativen Wachstum ab den 1950ern vergleichbar wäre.

        Oder ganz salopp: Wird qualitativ das Beamen massentauglich, stirbt quantitativ der restliche Mobilitätssektor – was eine Schrumpfung wäre.

      • Susanne Finke-Röpke
        Susanne Finke-Röpke sagte:

        @Felix:

        Sie sagen: “…und führen anscheinend auch noch einen neuen Korporatismus ein, der für viele nach 33 riecht.
        Eine solche Gesellschaft wird nicht viel hervorbringen und die vertreiben, die sich damit nicht abfinden wollen.”

        Na gut, Nationalsozialisten waren auch Sozialisten. Aber wenn es nur der Korporatismus wäre. Um 1933 kamen Leute an die Macht, die trotz aller sozialistischen Ideen (national oder stalinistisch) die damaligen High-Tech-Leute (Entwicklung U-Boot-Flotte, Entwicklung A4-Raketen, Entwicklung Düsenantrieb Messerschmidt, Enigma, etc. ) teilweise mit verbrecherischen Methoden stützten, was auf der gegenüberliegenden politischen Seite im Westen verständlicherweise mit Erfindungen wie Radar, Flugzeugträger oder Atombombe sogar getoppt wurde. Der 2. Weltkrieg war furchtbar, aber die technologischen Entwicklungen 1933 bis 1945 sind brutal schnell vorangeschritten und prägen die Welt bis heute.

        Jetzt regieren in Deutschland Leute, denen ich erst einmal guten Willen unterstelle, aber die selbst ernsthaft glauben, dass das Netz Strom speichert, Elektromobilität im großen Stil bis 2030 funktioniert, das Land friedlich bis 2050 klimaneutral werden wird und gleichzeitig kein Wohlstand wegfällt.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Susanne Finke-Röpke, @ Felix, @ Christian Anders

        Ich spezifiziere ein wenig mehr.

        Japan mal außen vorgelassen, so dass ich mit USA, GB und Mittel- und Westeuropa nur die Regionen betrachte, die uns vertraut sind, dann kann man summieren, was für das „Wirtschaftswunder der 1950er Jahre“ maßgebend war:

        – die kriegsbedingten Innovationen

        – die Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur (hauptsächlich natürlich in Mittel- und Westeuropa, weniger in GB und nicht in USA)

        – die Erfindung einer erheblichen Anzahl von massentauglichen Gebrauchsgütern (Waschmaschinen, Kühlschränke, TV etc.), aber auch die Verbesserung und Verbilligung von Automobilen sowie des Schiffs- und Flugverkehrs.

        Jenseits der Einzelaspekte liegt hier eine KOMBINATION von VORAUSSETZUNGEN vor, für die ich heute in den genannten Regionen kein nachfrage- und wachstumstreibendes Äquivalent erkennen kann.

        Außerdem ist jetzt mit China ein Player auf dem Spielfeld, der den Schwerpunkt des Geschehens verlagert.

        Ich verstehe daher nicht, wie man von einer HOFFNUNG auf die Wiederholung jenes Wirtschaftswunders, natürlich in anderer Form, reden kann.

        Gänzlich unvorstellbar werden für mich derartige Hoffnungen, wenn man wie gesagt an die Demografie, das Bildungsniveau und die Mentalität der Bevölkerung u. dgl. denkt.

        In meinen Ohren klingen Auftritte wie die von Shiller eher wie das Pfeifen im Walde.

      • weico
        weico sagte:

        @Felix

        “Wir sind zu alt, um uns das vorzustellen. Die neuen Techniken, die ich mir nur zu Investitionszwecken ansehe, werden den Menschen unvorstellbare neue Möglichkeiten eröffnen. Schon die Erfindung einer brauchbaren Feststoffbatterie würde alles auf den Kopf stellen. ”

        Sicher,aber neue Innovationen oder Verbesserungen stossen , in einer zunehmenden komplexerern Gesellschaft bzw. technologischen Umfeld, auf Probleme wie z.B. Das Plancksche Prinzip des wachsenden Aufwands,Grenzproduktivität,physikalische Hindernisse usw.

        Joseph Tainter beschreibt es schön in seinem Buch “The Collapse of Complex Societies” oder seinen Vorträgen.
        https://www.youtube.com/watch?v=G0R09YzyuCI

    • Felix
      Felix sagte:

      @ H. Tischer

      Unterschreibe ich alles, trotzdem: Hat man neue Techniken, entwickelt sich auch was. Das kann auch die gegenwärtige Blödheit nicht aufhalten. Wenn ich aus dem ganzen Staat ein Gefängnis mache, dann entwickelt sich natürlich sehr wenig.

      @ Susanne Finke-Röpke

      Sie haben Recht. Das sich 1933 trotzdem so viel bewegt hat, lag daran, dass die Bösen nicht so blöd waren, wie man heute behauptet. Trotzdem war es einseitig: anwendbare Wissenschaft ging gut, aber die hohe deutsche Unterhaltungskultur wurde platt gemacht und alle Versuche ein deutsches Hollywood auf die Beine zu stellen scheiterten. Gute deutsche Filme nach 33 kann man mit der Lupe suchen (bis heute). Und es war nicht nachhaltig. Die Nazis führten ja im Prinzip den Keynesianismus ein, dessen Untergang wir gerade erleben (mit den Animal Spirits hatte er aber Recht).

      @ Herr Anders

      Da fehlt Ihnen aber eine Menge Phantasie. Ich brauche dringend eine ganze Robotermannschaft für alles mögliche. Ein fliegendes Auto und ein Flugmoped (Jetson One!) nehme ich auch dazu. Geld wäre da und auch der Wille und die Möglichkeit, noch mehr heran zu schaffen. Aber nicht für so ein aktuelles Auto, mit dem man alle acht Wochen in der Werkstatt und sonst im Stau steht.

      Antworten
      • Christian Anders
        Christian Anders sagte:

        @Felix

        Sie und wer noch will UND kann das? Und: kommt das alles on top, oder wird dadurch was anderes ersetzt?

        Das Wirtschaftswunder durchzog eine Zeit, in der eine große Mehrheit von Menschen wirklich viel on top wollte und sich leisten konnte. Mehr von allem für jeden, überspitzt gesagt.

        Sehen Sie diese Struktur in der 1. Welt auch nur entfernt am Horizont?

        Heute ist eine veritable Menge quantitativ satt. Die werden neues Zeug kaufen – und altes dafür ausmustern. Es läuft ein Verdrängungswettbewerb der Produkte, kein mehr von allem für jedem. Welche Innovation soll das strukturell ändern?

      • Thomas M.
        Thomas M. sagte:

        @Christian Anders

        >Welche Innovation soll das strukturell ändern?

        Zuck’s Metaverse!?

        Da ist mathematisch nahezu unendlich viel Platz für qualitatives *und* quantitatives Wachstum ;)

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        Nanu, in welche Luddisten-Kolonie bin ich denn hier geraten?

        “Heute ist eine veritable Menge quantitativ satt. Die werden neues Zeug kaufen – und altes dafür ausmustern. Es läuft ein Verdrängungswettbewerb der Produkte, kein mehr von allem für jedem. Welche Innovation soll das strukturell ändern?”

        Das Problem mit solchen Statements ist immer: Vor 200 Jahren konnte man sich genau das gleiche fragen, und dann kamen trotzdem völlig überraschend ganz grundlegend neue Produkte, die jeder haben wollte.

        Wer hätte denn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwartet, dass “Elektrizität” irgendwann jeden Tag von jedem benutzt wird? Als ob man Blitze irgendwie beherrschen und nutzbar machen könnte! So eine Hirngespinst! Was, damit könnte man dann zu Hause Licht machen, auch wenn die Sonne schon untergegangen ist? Braucht doch niemand, außerdem haben wir schon längst Kerzen und Öllampen erfunden. ;)

        @Thomas M.

        “Zuck’s Metaverse!?”

        Das vielleicht nicht gerade. Die ersten Tech-Demos sahen aus als ob das virtuelle Leben dort komplizierter als in der echten Welt ist. Da sehe ich keine Killer-Innovation.

        This is how Walmart envisions Shopping in the #Metaverse.
        https://twitter.com/DigitalisHomo/status/1478094074909540354

        An diesen bizarren Ort kommen Sie übrigens auch, wenn Sie in der Matrix die rote und die blaue Pille gleichzeitig schlucken. ;)

      • Christian Anders
        Christian Anders sagte:

        @R. Ott

        „Das Problem mit solchen Statements ist immer: Vor 200 Jahren konnte man sich genau das gleiche fragen, und dann kamen trotzdem völlig überraschend […]“

        Ein guter Punkt. Ich sehe aber einen Grund, dass es in Zukunft anders sein wird.

        Die Innovationen, die Sie ansprechen (mit Strom als Beispiel) ergaben sich aus kurz zuvor entdeckten/bekannten physikalischen Grundlagen, für die sich noch keine Anwendung gefunden hatten. Die ersten Anwendungen der Ingenieure wurden so zu völlig neuen Must-Haves, als sie massentauglich wurden.

        Heute sind die bekannten Gesetze der Physik größtenteils ausgeschlachtet. Es geht nur noch um Effizienzfortschritte. Beispiel: Auch ein Fusionsreaktor stellt denselben Strom her, der neu im 19. Jhdt. aufkam.
        Grundsätzlicher: Die Grundlagenforschung ist in einem viel größeren Maße anwendungstechnisch ausgereizt, als noch in Ihrem Beispiel.

        Und in der 1. Welt fehlt die Nachfrage, die ein „mehr von allem für alle“ vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder herstellen könnte.

      • Thomas M.
        Thomas M. sagte:

        Ich weiß nicht, ob und wie es mit einem Wirtschaftswunder in den kommenden Jahren aussieht. Vorstellen im Sinne von *beschleunigender* Entwicklung und Wohlstandssteigerung kann ich es mir nicht.

        Aber Bedarf ist mehr als genug vorhanden und zwar ein Bedarf, der i.w.S. technologische Weiterentwicklung erfordert.

        Diese technologische Weiterentwicklung läuft ohnehin die ganze Zeit in erstaunlicher Größenordnung ab. Auch verglichen mit den 70ern und auch noch 80ern lebt man heute in einer Science Fiction-Welt und es ist kein Ende in Sicht mit Blick auf das Meistern und Anwenden der Technologie.

        Die Medizin hat riesige Fortschritt gemacht, steckt aber noch immer in den Kinderschuhen. Krebstherapie und Reparieren / Ersetzen von Organen, Gefäßen z.B. – Riesen-Bedarf.

        Reduktion der Arbeitszeiten und Zeiten für Erledigungen, möglich durch Automation – Riesen-Bedarf. Wer hätte nicht gerne zum Auto noch einen Robot, der den Haushalt macht (Endszenario)? Online-Shopping und Lieferdienste sind auch nicht umsonst so erfolgreich.

        Langfristig eine Kreislaufwirtschaft, weil auf Dauer (100-200 Jahre) die einfach förderbaren Ressourcen knapp werden – Riesenbedarf.

        In 75 Jahren blicken die Menschen dann zurück und bedauern uns, weil wir in fossil beheizten, schlecht isolierten Häusern hausten, im Stau standen, stupide Routinearbeiten machen mussten, weil wir keine vernünftige KI und Roboter hatte, und an Krebs gestorben sind.

        Vielleicht bedarf es erst wieder des Abschwungs mit relativer Verarmung, um die Motivation zu ändern, und echtem Innovationsdruck, weil fossile Energie und Rohstoffe knapp sind, um den nächsten *spürbaren* und nicht fortlaufenden Schub auszulösen. Vielleicht geht’s auch einfach schleichend weiter in diese Richtung. Ist ja nicht so, als ob nicht fleißig zu all diesen Themen entwickelt wird.

        Satt? Der Mensch? Ich bitte Sie :) Gleichwohl hat der Tag nur 24 Stunden und setzt damit ein Limit für den Konsum.

        @Hr. Ott: Schönes Beispiel. Im nächsten Schritt macht amazon im Metaverse auf und Walmart gerät ins Hintertreffen und muss dann auch vermehrt auf bequemes Metaverse-Online-Shopping setzen. Findige Leute machen schließlich eine App, mit der man dann direkt vom Smartphone aus im Metaverse onlineshoppen kann. Auch eine Art von Fortschritt.

      • Christian Anders
        Christian Anders sagte:

        @Thomas M.

        Wenn Sie „Bedarf“ schreiben, bin ich d‘Accord. Aber dieser ist nicht =Nachfrage. Nachfrage ist, was man auch bezahlen kann, nicht, was man haben möchte.

        Aber auch in Ihren Beispielen: Die Deckung welches der beispielhaften Bedarfe kannibalisiert denn nicht etwas schon Bestehendes?

        Und wenn menschliche Arbeitszeit kannibalisiert wird, wie ersetzen wir die damit einhergehende Kannibalisierung von Kaufkraft? Die Frage ist rein praktisch gemeint – die Vergangenheit zeigt, dass es geht und trotzdem weiß kein Wirtschafts“experte“ heute, wie das praktisch vonstatten gehen kann.

        Denn in der Vergangenheit hat echter quantitativer Zuwachs alles mitgezogen und ermöglicht. Womit wir wieder beim Kannibalisieren sind: Dieses ist qualitativ und heute stärker gewichtet an der Entwicklung.
        Aus o. g. Gründen sehe ich in der 1. Welt also viel weniger Mengenzuwachs als früher.

        Müssten also Einkommen mit der Qualität mitwachsen, also mit der Produktivität. In der Breite, auch bei gleichbleibend (un)produktiven Berufen im sozialen Bereich oder bestimmtem Dienstleistungsgewerbe, das nicht kannibalisiert wird…
        Oder aber die Staaten erzeugen die Nachfrage, z. B. Energiewende (ob das jetzt sinnvoll ist, ist nicht das Thema).

        Beides ist aus Sicht der herrschenden Markttheorie so gar nicht der Weisheit Schluss. Hat Shiller dazu was gesagt?

      • Thomas M.
        Thomas M. sagte:

        @Christian Anders:

        >Wenn Sie „Bedarf“ schreiben, bin ich d‘Accord. Aber dieser ist nicht =Nachfrage. Nachfrage ist, was man auch bezahlen kann, nicht, was man haben möchte.

        Korrekt. Mein Hinweis zum Bedarf bezog sich auf “satt”. Es gibt noch genug zu tun, um Wohlstand zu steigern. Auch in der Breite.

        >Aber auch in Ihren Beispielen: Die Deckung welches der beispielhaften Bedarfe kannibalisiert denn nicht etwas schon Bestehendes?

        Das ist zunächst ja kein prinzipielles Hinderniss für das gemeinsame Wirtschaften und die Fortentwicklung. Ganz lose betrachtet hatten wir viele Dinge des alltäglichen Lebens in der ein oder anderen Form auch schon in der Stein- / Bronzezeit. Überspitzt: Heute Mikrowelle und Induktionsherd statt Feuerstelle und Spotify statt Knochenflöte. Für letzteres sind viel mehr Menschen “in der Tiefe” beschäftigt, die all die Teile und Services in der langen Lieferkette herstellen/anbieten.

        >Müssten also Einkommen mit der Qualität mitwachsen, also mit der Produktivität.

        Ist der Satz richtig bzw. was meinen Sie? Qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen sind i.d.R. weniger produktiv, wenn man Produktivität im Sinne von möglichst viel Output für möglichst wenig Input versteht.

        Mir scheint bezogen auf dieses Thema die Entwicklung der Verteilung der Kaufkraft problematisch und weniger, dass wir ein grundsätzliches Problem haben, dass man keinen wohlstandsmehrenden Fortschritt schaffen kann.

        Diese Entwicklung hat viele Ursachen. Offshoring, was unterschiedliche Berufe unterschiedlich trifft! – ist sicherlich eine der am einfachsten zu begreifenden Ursachen für ungleiche Kaufkraftentwicklung. Dies kann man meinetwegen dem Markt “anlasten”. Weniger greifbar sind ungleiche Spielregeln, wenn es ums Geld geht, was die Kaufkraft ausmacht (unterschiedliche Besteuerung von Arbeit, Kapitaleinkünften – insbesondere international – oder auch Erbschaften, unterschiedlicher Zugang zu billigem Geld durch Kredite). Diese kann man nicht dem Markt anlasten. Problematisch finde ich auch Konsumenteneinstellungen: Es ist schon kurios, sich über schlechte Arbeitsbedingungen in der Wirtschaft und den Niedergang der Innenstädte zu beklagen und gleichzeitig bei Amazon zu bestellen. Auch das kann man nicht dem Markt anlasten. Auch hierdurch verlagern sich Kaufkräfte in unterschiedlichen Segmenten der Bevölkerung.

        Insofern erwarte ich auch keine Lösung vom Markt. Die Lösungen des Marktes ist reaktiv und der funktionieren weiterhin wunderbar innerhalb des aufgespannten und sich verändernen Rahmens der Kaufkraftverteilung. Aber der Markt wird nicht direkt den Rahmen sinnvoll (im Sinne von weniger verzerrter und fairer Verteilung) ändern.

        Ich bin skeptisch, dass der Rahmen schlau top-down durch die Politik und Verbraucher geändert wird.

      • Christian Anders
        Christian Anders sagte:

        @Thomas M.

        Hm… Ihr Beitrag regt mein Denken an, dennoch (oder deshalb?) kann ich Ihnen an wichtiger Stelle nicht ganz folgen:

        „Für letzteres sind viel mehr Menschen “in der Tiefe” beschäftigt, die all die Teile und Services in der langen Lieferkette herstellen/anbieten.“

        Ist das wirklich so? Da habe ich jetzt länger drüber nachgedacht und behaupte das Gegenteil. Begründung:
        Ich müsste bei einem qualitativen Vergleich (der hier natürlich nicht real ist, sondern ein Gedankenexperiment) mir überlegen, wieviele Mannarbeitsstunden denn aufgewendet werden müssten, um mit handgeschnitzten Flöten die Musikversorgung zu generieren, die Spotify bietet.

        Aus dieser Sicht hat eine eklatante Überflüssigmachung menschlicher Arbeit stattgefunden (qualitativ) bei gleichzeitig lächerlich höherem Output (quantitativ) – alleine die Möglichkeit, Kopien von Musikstücken beliebig oft von Maschinen vorspielen zu lassen.

        Auch, dass jeder heute seine EIGENE Feuerstelle hat ist neben Qualität (Induktion) eben vor allem Quantität (JEDER statt EINS für die Gruppe.)

        Die Innovationen, die Sie benennen, haben also dazu geführt, dass vorherige Gemeinschaftsgüter (Feuer und Musik) zu nicht mal knappen Bedarfsgütern der Individuen transformiert wurden. Qualitativ wurden die Mannarbeitsstunden pro Bedarfsdeckung dennoch drastisch gesenkt – behaupte ich anhand meiner o. g. Überlegung, ohne Zahlen dazu zu kennen.

        Ich würde meinen Ansatz der Sattheit nach diesem Gedanken, den Sie bei mir angeregt haben, präzisieren:

        Es gibt heute einfach weniger Güter als früher, die per technischer Innovation von der Gemeinschafts- auf die Individualebene gebracht werden können und so quantitativ die neuen Massenprodukte werden, die auch kaum Altes ersetzen.
        Für den letzten Satz ein Beispiel: Fernseher waren bei Ihrer Einführung ein Novum, die nichts Bisheriges ersetzten, so wie später an sie anzuschließende Spielekonsolen der ersten Generation fresh on top kamen.
        Die Innovation auf Flachbild und PS5 hingegen ist zwar ein Massengeschäft, bringt aber kein Neues in die Haushalte, ohne Altes zu ersetzen.

        Das heißt nicht, dass Innovationen unnütz wären. Ich kann nur nicht sehen, wie Shiller sie auf die Vergangenheit reimen kann.

        „Ist der Satz richtig bzw. was meinen Sie?“

        Ich meine die alte Weisheit, dass man nur produzieren wird, was man auch absetzen kann. Steigt die Produktivität insgesamt, müsste auch insgesamt Mehr Absatz da sein, sonst sinkt das Arbeitsvolumen. Kann man wollen, wenn man erklärt, wie man das mit den Einkommen dann regelt.

        Da die Gesellschaften immer mehr Richtung Dienstleistung gehen, muss der Segen per Lohn irgendwie auch in die Berufe, in denen die Produktivität gar nicht steigen kann. Fremde Hintern abwischen hat sich glaube ich lange nicht mehr verändert, salopp gesagt.

        Ob das „richtig“ ist, weiß ich nicht, es ist aber, was ich meinte.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Christian Anders

        Sie buchstabieren es aus:

        >Da die Gesellschaften immer mehr Richtung Dienstleistung gehen, muss der Segen per Lohn irgendwie auch in die Berufe, in denen die Produktivität gar nicht steigen kann. Fremde Hintern abwischen hat sich glaube ich lange nicht mehr verändert, salopp gesagt.>

        Ich ergänze daher nur:

        Es muss und wird KEIN „Ende der Arbeit“ geben, wie es vor Jahren J. Rifkin gepredigt hatte, weil der Dienstleistungssektor tendenziell weiter gedehnt werden kann als die Güterproduktion.

        Man wird sich nicht alle Wände mit TV-Geräten oder „Innovationen“ voll hängen wollen, wohl aber KONTINUIERLICH Dienstleistungen verlangen (können).

        Die Fütterungs- und die Hinternwischmaschine wird es geben, weil damit in der Altenbetreuung Kosten gesenkt werden können.

        Aber dies und vieles mehr auf dem Feld der Dienstleistungen werden dem Volumen nach NICHT die Einkommen generieren, die in Nachfrage umgesetzt ein Wachstum wie in den 1950er Jahren in Gang setzen.

        Denn wie Sie richtig gesagt haben:

        Es kommt auf die NACHFRAGE an.

        Diese ist an zwei Bedingungen gebunden, wenn es GROSSES Wachstum geben soll:

        Die Menschen MÜSSEN hohe Einkommen, sogar steigende Einkommen erzielen, um NACHFRAGE generieren zu KÖNNEN.

        Und:

        Die Menschen MÜSSEN große Bedarfe haben, um NACHRFAGE generieren zu WOLLEN.

        Wer vom Wirtschaftswunder der 1950er Jahre redete, muss zumindest plausibel darlegen können, dass BEIDE Bedingungen gegeben sein werden.

      • Thomas M.
        Thomas M. sagte:

        @Christian Anders

        Okay, wir haben uns rangerobbt. Das ist immer das Problem bei den Posts, dass man erst eine Weile braucht, um zu wissen, worüber genau man überhaupt diskutiert ;)

        >Aus dieser Sicht hat eine eklatante Überflüssigmachung menschlicher Arbeit stattgefunden (qualitativ) bei gleichzeitig lächerlich höherem Output (quantitativ) – alleine die Möglichkeit, Kopien von Musikstücken beliebig oft von Maschinen vorspielen zu lassen.

        Gemessen an den Arbeitsstunden bin ich – wenn auch nur vermutet, weil es plausibel ist – bei Ihnen. Ich dachte bei dem Hinweis zur “Tiefe” an die Möglichkeit, dass qualitativ hochwertige, komplexe und erst recht individualisierte Produkte und Services es in der Vergangenheit ermöglicht haben und auch in der Zukunft ermöglichen werden, viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Jobs zu beschäftigen und wirtschaftlich miteinander interagieren zu lassen. (Wirtschaftlich hört sich ggf. kalt an, aber das ist letztlich die Basis für gemeinschaftliches und friedliches Miteinander von Fremden und dem Schaffen von Neuem und Wohlstand.)

        Das müssen zahlenmäßig nicht mehr Menschen sein, können es aber durchaus sein. Wenn man einmal an die Produktion und nicht die Vorführung oder Distribution von Filmen oder Computergames denkt, sind heute z.B. viel mehr Personen an der Schaffung beteiligt als früher. Bei anderen Massengütern sind es womöglich Service, Design, Funktionsumfang, Qualität, was erweitert und verbessert wird, weil die Produktion effizienter geworden ist. Auch hier können denkbar viele Menschen Arbeit finden.

        Wenn durch Produktivitätssteigerung in bestimmten Bereichen Arbeitsstunden frei werden, gibt es (zunächst ohne Verteilungsproblematik) die Möglichkeit
        1. die Leute mehr Freizeit bei gleichem Wohlstand genießen zu lassen
        2. die frei gewordene Zeit mit anderer (immer subjektiv) wohlstandsmehrender Arbeit füllen zu lassen
        3. die frei gewordene Zeit durch ABM wie fragwürdige Infrastrukturprojekte (das berühmte Löcher ausheben und wieder zuschütten, um Vollbeschäftigung zu erreichen) oder weniger auffällig Ausfüllen von Formularen und Teilnahme an unsinnigen und möglichst langen Meetings zu füllen; alternativ hängen die Mitarbeiter einfach so ab in der Konzernhängematte

        (Mein Eindruck ist, dass sich das Vakuum am leichtesten und damit bevorzugt durch Punkt 3 füllt.)

        Also zunächst einmal nichts Neues. Man hätte sich ja im 18. Jahrhundert auch fragen können, was die 95% Bauern mal machen sollen, wenn Maschinen kommen.

        Was Sie nun ansprechen ist dann die Schwierigkeit, wie es zu Wachstum kommen kann – und das in einem Ausmaß, um die Schuldenberge zu bedienen. Wie zuvor gesagt, sehe ich das auch nicht in Form eines Wirtschaftswunders am Horizont.

        Ich wäre sogar so frech zu behaupten, dass wir kein wirkliches Wachstumsproblem haben, wenn sich der Wachstumszwang alleine aus dem Bedienen von monetären Buchschulden ergibt und alle Basisbedürfnisse gedeckt sind und alle ein Dach über dem Kopf und ausreichend zu essen haben.

        >Ich meine die alte Weisheit, dass man nur produzieren wird, was man auch absetzen kann. Steigt die Produktivität insgesamt, müsste auch insgesamt Mehr Absatz da sein, sonst sinkt das Arbeitsvolumen. Kann man wollen, wenn man erklärt, wie man das mit den Einkommen dann regelt.

        In der Vergangenheit hat sich das irgendwie ja immer wieder eingerenkt und in der Summe wurde es für alle besser. Ich wäre optimistisch, dass es auch zukünftig so ist. Allerdings bin ich pessimistisch, dass es ohne chaotischen Teil-Zerfall der wirtschaftlichen und staatlichen Strukturen oder via Zentralplanung funktioniert.

      • Christian Anders
        Christian Anders sagte:

        @Thomas M. @DT

        Zunächst: Ich glaube nicht an die Hinternwisch- und Altemenschenwaschmaschine in mittlerer Zukunft.
        Begründung: Die Gesellschaft (hoffe ich, weil: ICH) wird das für unwürdig halten und ablehnen, egal, ob möglich.

        Ich sehe zwei Bereiche, die unabhängig vom Stand der Digitalisierung/Innovation erhöhtem Bedarf entgegensehen: Dienst an Menschen und Handwerk. Beides übrigens selten akademische Berufe.

        „1. die Leute mehr Freizeit bei gleichem Wohlstand genießen zu lassen
        2. die frei gewordene Zeit mit anderer (immer subjektiv) wohlstandsmehrender Arbeit füllen zu lassen
        3. die frei gewordene Zeit durch ABM wie fragwürdige Infrastrukturprojekte (das berühmte Löcher ausheben und wieder zuschütten, um Vollbeschäftigung zu erreichen) oder weniger auffällig Ausfüllen von Formularen und Teilnahme an unsinnigen und möglichst langen Meetings zu füllen; alternativ hängen die Mitarbeiter einfach so ab in der Konzernhängematte“

        Ich sehe nur 3., was allerdings nicht zielführend ist.
        1. und 2. bedingen Schrumpfung.

        1. Führt dazu, dass man Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich verkürzen müsste. So lange es Arbeitslose gibt, führt das zu Schrumpfung der Profite. Funktioniert im aktuellen System nicht.

        „Ich wäre sogar so frech zu behaupten, dass wir kein wirkliches Wachstumsproblem haben, wenn sich der Wachstumszwang alleine aus dem Bedienen von monetären Buchschulden ergibt und alle Basisbedürfnisse gedeckt sind und alle ein Dach über dem Kopf und ausreichend zu essen haben.“

        Der Wachstums“zwang“ ergibt sich m. E. n. mittelbar durch die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt respektive die Masseneinkommen durch abzuschreibende Schulden.

        Einen echten Zwang gibt es nicht, wie sollte dieser aussehen. Insofern d‘Accord. Den meisten könnte man viel wegnehmen, ohne ihre Basisbedürfnisse zu berühren. Der zivile Unfrieden käme dennoch.

  3. @foxxly
    @foxxly sagte:

    es wäre interessant, wie ein fähiger kopf r. shiller, generell über das problem des kreditgesteuerten, systemischen wachstumszwangs, denkt.
    und welche alternative lösungen er anbieten würde?

    die richtung der entwicklung ist mit dem aktuellen system klar.
    da bräuchte es nicht das zum millionsten male wiederholte analysieren der lage.
    die bisherigen einschätzungen sind alle kurzfristig und schon in wenigen wochen überholt

    Antworten
      • Hansjörg Pfister
        Hansjörg Pfister sagte:

        @Dr. Lucie Fischer,
        ich habe hier die ultimative Begründung:
        “Vollständig Geimpfte haben einen milderen Diktatur Verlauf”
        (Gesehen auf der samstäglichen Corona Demo meiner Kreisstadt)

      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Herr Pfister

        “Vollständig Geimpfte haben einen milderen Diktatur Verlauf”

        Sehr schön, den kannte ich noch nicht.

        Wissen Sie übrigens, was ein Ungeimpfter und jemand, der sich gegen COVID impfen lässt, gemeinsam haben?

        Beide werden niemals “vollständig geimpft” sein. ;)

      • Hansjörg Pfister
        Hansjörg Pfister sagte:

        @Dr. Lucie Fischer, Herr Ott
        Letzten Montag kam ich von einem Spaziergang in einer 12km entfernten Kleinstadt zurück. Dort habe ich geschimpft, dass in meinem Dorf ja allesamt nur Gemainstreamte wohnen würden und dort garantiert nix los wäre von wegen Spaziergang und so. Und was musste ich sehen, als ich zurückkam? Einen Spaziergang und zwar mit Leuten, denen ich das niemals zugetraut hätte. Viva la Revolution!

  4. Richard Ott
    Richard Ott sagte:

    “Robert Shiller sieht Paral­lelen zum Jahr 1929”

    Damals war aber der deutsche Reichspräsident dement und nicht der amerikanische.

    Antworten
    • Susanne Finke-Röpke
      Susanne Finke-Röpke sagte:

      @Herrn Ott:

      Das ist richtig, aber macht die Sache noch gefährlicher, denn im Gegensatz zum deutschen Reichspräsidenten verfügt der US-Präsident über Dinge, die man damals “Wunderwaffen” genannt hätte. Nicht, dass er sie vollumfänglich verstehen würde, es reicht, wenn einer sagt: “Bitte hier drücken und das hier unterschreiben.”

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Susanne Finke-Röpke

        ERST drücken, DANN unterschreiben:

        Klingt nach Effizienz und ist USA.

        Bei uns undenkbar.

    • Johann Schwarting
      Johann Schwarting sagte:

      @Richard Ott

      “Robert Shiller sieht Parallelen zum Jahr 1929.”

      Re: DIE WELTWIRTSCHAFTSKRISE VON 1929 – EIN EINMALIGER FALL?

      “Der Ablauf ist immer derselbe: Erster Anstoß (‘fresh money’ erscheint). Dann Kreditorgie (Staat und Private). Sachwerthausse. Dann Nachlassen der Zusatznachfrage, Disinflation. Finanztitelhausse wg. sinkender Zinsen. Dann kredit- und ‘New-Economy’/Gründerzeit usw.-getriebener Bubble. Der platzt. Die Guthaben, die den vordem gemachten Schulden entsprechen, wollen jetzt bedient werden. Scharfe Kontraktion, Finanztitel-Baisse, Wealth-Effect (ex – zumeist nicht realisierten – Aktiengewinnen) verflüchtigt sich. Ales versinkt im Mahlstrom sinkender Kurse, Preise, Werte. Ausweglose Lage. Ende der deflationären Depression erst, nachdem die alten Schulden (Guthaben) ausgebucht sind oder sich per Crash (Banken usw.) verflüchtigt haben. Dann Start zur nächsten Runde. …”

      Quelle: https://archiv.dasgelbeforum.net/ewf2000/forum_entry.php?id=2686

      Am 14. 12. 2021, 17:39 hatte ich, an @Alexander gerichtet, ausgeführt, dass das System lebt, und es keinen Crash geben wird! Jedes Chaos entfaltet sich anschließend in neuen Harmonien. Und umgekehrt genauso. “Chaos ist nichts weiter als die Gefangenschaft von positiven Potenzialen in den die exponentiellen Entsprechungen einfordernden, längerfristigen negativen Potenzialräumen (Schwingungen) die sich noch nicht ins positive umschlagen können. Und umgekehrt genauso.”

      Antworten

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