Robert Shiller sieht Paral­lelen zum Jahr 1929

Nobelpreisträger und Yale-Professor Robert J. Shiller warnte vor der Technologieblase und der US-Immobilienblase. Er hat das sogenannte Shiller-KGV erfunden, was auch als Cape-Ratio bekannt ist. Dabei handelt es sich um das Verhältnis des Aktienkurses eines Unternehmens zum durchschnittlichen inflationsbereinigten Gewinn der vorhergehenden zehn Jahre. Das habe ich bereits mehrfach in den letzten Jahren bei bto besprochen. Im letzten Jahr hatte er eine modifizierte Version vorgelegt, die auch das Zinsniveau berücksichtigt und damit das Maß der Überbewertung reduziert. Die US-Börse war damit immer noch teuer, aber nicht mehr so nah an den Werten vom März 2000. Umso erstaunlicher, wie skeptisch er sich im Gespräch mit der NZZ äußert. Die Highlights:

  • „Die Idee, dass die Börsen überbewertet sind, dass der US-Markt teuer ist, ist weit verbreitet. Das ist zurzeit ein Risiko. Es gibt Parallelen zum Jahr 1929, dem Jahr der Weltwirtschaftskrise – nicht, dass ich das vorhersagen möchte, aber es ist ein Szenario. Wenn man sich alte Zeitungen aus den 1920er Jahren anschaut, sieht man, dass es damals viele Debatten über zu hohe Kurse am Aktienmarkt gab. Die öffentliche Meinung war aber, dass es mit den Aktienkursen weiter aufwärtsgehen würde. Es gab zwar den Verdacht, dass die Märkte überbewertet waren. Aber das liess sich nicht beweisen, und so kauften die Menschen weiter Aktien – bis zum Crash. Nicht zuletzt sorgten die animal spirits, also nichtrationale Aspekte des Handelns, dafür, dass die Menschen Risiken eingingen.“ – bto: Und es gab keinen echten Grund für das Ende der Party. Man hatte einen Einbruch und damit kam das Ganze auf Leverage basierende System zum Kollaps. Hier sehe ich eine Parallele.
  • „Momentan sieht es nicht danach aus, als ob sich am Aktienmarkt eine klassische Blase gebildet hätte. Aber es gibt Elemente davon. Es gibt in solchen Situationen immer Leute, die bedauern, nicht mehr Aktien gekauft zu haben.“ – bto: Wobei Shillers eigene Daten – wie wir wissen – eine sehr ambitionierte Bewertung sehen.
  • Zum Risiko der Inflation: „Die Geschichte von der Inflation ist schon sehr alt. Welche Bedeutung sie haben kann, sieht man an Deutschland. Dort kam es 1923 zu einer Hyperinflation. Die Erinnerung wirkt bis heute nach, die Deutschen sind immer noch stärker gegen Inflation eingestellt als die Bürger anderer Länder. Menschen können sich sehr viel Sorgen machen über Inflation. In den 1970er und 1980er Jahren sahen auch in den USA viele Leute in Umfragen die Inflation als grösstes Problem der Nation an. Unternehmen wurden dargestellt als Verbrecher, die Preise erhöhten. Gewerkschaften gerieten in Verruf, weil man davon ausging, dass sie für die Inflation verantwortlich waren. All dies führte zu einem «Erzählungs-Zyklus», der mittlerweile nachgelassen hat. Aber er könnte zurückkommen.“ – bto: Wir haben ja bereits die bösen Energiekonzerne, die sich bereichern in einigen Ländern. Ich denke an Spanien und Frankreich. Ganz zu schweigen von Putin, der an den hohen Gaspreisen schuld ist.
  • „Die Kurse von zehnjährigen US-Staatsobligationen sind immer noch hoch. Dies zeigt, dass die Menschen sich noch nicht allzu viele Sorgen machen. Wenn die Geschichten über beständige Inflation aber präsent bleiben, wird das Thema die öffentliche Meinung stärker prägen. Momentan ist die Inflation nicht das grösste Problem der Bevölkerung. Es sind weiterhin die Pandemie und der Klimawandel.“ – bto: Letzteres stimmt übrigens nach Umfragen weltweit nicht. Es ist nur in einigen Ländern ein Thema.
  • „Die ursprüngliche Reaktion auf die Pandemie im März 2020 war Angst. Doch sie wurde überwunden, vor allem dank dem Glauben an die Zentralbanken. Die zentrale Erzählung im Frühjahr 2020 war, dass die Zentralbanken sehr aggressiv vorgehen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Das hat funktioniert. Aber diese Erzählung steht auf wackligen Beinen. Wenn es dem Federal Reserve System und den anderen Zentralbanken nicht gelingt, eine wirtschaftliche Erholung mit niedriger Inflation zu erreichen, könnten die Inflationserwartungen steigen, was die Finanzmärkte wiederum stark belasten könnte.“ – bto: Genau das sehen wir doch gerade: hohe Unsicherheit und damit verbunden heftige Schwankungen.
  • “Das Thema Energie ist zentral in diesem Zusammenhang, und es ist politisch polarisierend. Die Idee, dass wir unseren Energieverbrauch beschränken sollten, provoziert Ärger. Wenn die Energiepreise weiter steigen, könnten wir ein Vertrauensproblem bekommen. Es gibt schon soziale Unruhen, und die Energiepreise spielen dabei möglicherweise eine Rolle. Die bedeutenden Unruhen in den USA sind aber nicht darauf fokussiert, hier geht es mehr um Lügen, Verrat und Verschwörung. Sie beschädigen die Wirtschaft und das Geschäftsleben, sie zerstören Vertrauen. Sie verhindern, dass Ressourcen gut verteilt werden können.“ – bto: Es ist absehbar, dass es in Europa auch so kommt. Zu offensichtlich ist die Unorganisiertheit der Politik.
  • „Wenn Milton Friedman noch leben würde, wäre ich gespannt, was er zur massiv vergrößerten Geldmenge sagen würde. Die Zentralbanken haben die Möglichkeit, dass die Inflation steigen könnte, unterschätzt. Sie hatten Wunschvorstellungen, die sich nicht erfüllten. Zentralbanken wollen nicht alarmistisch sein, doch langsam ist die Höhe der Inflation etwas alarmierend. Andererseits wird eine erhebliche Arbeitslosigkeit die Folge sein, wenn die Zentralbanken auf die Bremse treten und die Zinsen hochschrauben.“ – bto: Das Risiko ist groß, dass die Fed während eines Abschwungs die Zinsen erhöht. Aber vergessen wir nicht, wir sind in der Endphase der Monetarisierung angekommen.
  • Die Öffentlichkeit hält Inflation für etwas wirklich Schlimmes. Deshalb steht das Fed unter Druck, etwas dagegen zu tun – vor allem, wenn die Inflation nicht so schnell wieder verschwindet, wie die Notenbanker das erhofft haben. So riskiert das Fed andererseits aber eine Rezession. Das Fed hat ein duales Mandat aus stabilen Preisen und maximaler Beschäftigungsrate. Es ist jetzt in einer schwierigen Situation.“ – bto: Vor allem ist das die Folge von jahrelangen Fehlentwicklungen, nicht nur vom letzten Jahr.
  • „Bleibt dies innerhalb gewisser Grenzen, so ist es richtig, dass der Staat in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Schulden macht. Die Frage ist aber, wie weit man hier noch weitermachen kann. Das ist ein Streitthema. Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT) gehen davon aus, dass es unendlich lang so weitergehen kann. Die MMT hört sich für mich keynesianisch an, nur radikaler. Ich glaube schon, dass es eine Grenze für Staatsschulden gibt. Es muss auch Grenzen geben für die Käufe von privaten Schulden durch die Zentralbanken.“ – bto: Das muss so sein, sonst gibt es keine Budgetrestriktion mehr. Die Frage ist nur, wo diese Grenze liegt.
  • „Inflation ist keine Lösung für irgendein Problem. Wir müssen uns auf eine Straffung der Geldpolitik und ein Ende der Anleihekäufe durch die Notenbanken einstellen. Meine Hoffnung ist, dass uns die ‘animal spiritseine Entwicklung wie in den 1950er Jahren mit dem Wirtschaftswunder bescheren, mit neuen Technologien und einem starken Wirtschaftswachstum. Bis wir dahin kommen, könnte es aber eine massive Korrektur an den Börsen geben.“ – bto: Auch in den 1930er-Jahren gab es viele Innovationen, die den Boom der 1950er getragen haben. Dummerweise gab es dazwischen einige nicht so gute Jahre.
  • „Anfang dieses Jahrhunderts gab es viel Euphorie angesichts neuer Technologien, doch die Technologieaktien entwickelten sich schlecht, weil die Dotcom-Blase gerade geplatzt war. Ein Sektor, der sich damals gut entwickelte, waren Eisenbahnen. Altmodischer ging es nicht. Das zeigt, wie wichtig es ist, über verschiedene Sektoren, aber auch über Länder und Anlageklassen hinweg zu diversifizieren. Auch sollte man nicht erwarten, eine solch gute Performance zu erzielen wie in früheren Booms. Die jüngste Entwicklung am Aktienmarkt hat einiges vorweggenommen. Der Wechsel von Aktien zu Bonds scheint derweil keine gute Idee zu sein. Bonds mit längerer Laufzeit könnten unter der höheren Inflation leiden, und kurzfristige zahlen überhaupt keine Zinsen.“ – bto: Er scheut davor, den Crash auszurufen. Jedoch spricht viel dafür, dass wir weniger Wachstum haben werden.
  • Zu Gold:(…) Bitcoin (…) hat die Anleger von Investitionen in Gold abgelenkt – auch das ist wieder eine Geschichte, auf die die Leute achten. Diese Erzählung besagt, dass Bitcoin modern und inspirierend ist. Zudem hat er etwas Mysteriöses, das mögen die Leute. Der Erfinder von Bitcoin ist nicht bekannt. Als ich einmal in Litauen war, kam ich mit der Bevölkerung ins Gespräch und fragte Leute dort, was sie von Bitcoin halten. Jemand erzählte mir, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seien Verwandte von ihm nach Sibirien verbannt worden. Vorher wurden ihre Wertsachen konfisziert. Er bedauerte, dass man damals nicht in Bitcoin investieren konnte, denn dann hätten die Sowjets das dort investierte Geld nicht stehlen können. Selbst nach zehn Jahren in Sibirien hätte man dann zurückkommen und das Geld wieder holen können. Das war eine schöne Geschichte. Ich glaube aber nicht, dass viele Leute sich ihr Bitcoin-Passwort so lange merken könnten.“ – bto: Es ist eine gute Geschichte. Ich persönlich glaube eher an etwas, was man anfassen kann …

Fazit:

Das Interview ist weniger reißerisch als der Titel. Es zeigt aber, dass wir uns in einer schwierigen Phase befinden.

nzz.ch: „Nobelpreisträger Robert Shiller: ‘Es gibt Parallelen zum Jahr 1929, dem Jahr der Weltwirtschaftskrise – nicht, dass ich das vorhersagen möchte, aber es ist ein Szenario’“, 26. Januar 2022