“Rätsel der Geldpolitik”

Robert J. Barro, Professor für Ökonomie in Harvard diskutiert bei Project Syndicate – hier in der Übersetzung für die FINANZ und WIRTSCHAFT die aktuelle Geldpolitik. Ein „Rätsel“, wie er es sieht:

  • „Ein bemerkenswertes Merkmal der Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit ist die Bändigung der Inflation (…) seit Mitte der Achtzigerjahre. Davor lag die Inflationsrate in den USA (basierend auf dem Preisindex der privaten Konsumausgaben) während der Siebzigerjahre im Schnitt bei 6,6%, und 1979 und 1980 überstieg sie 10%.“ – bto: Ist das so „bemerkenswert“? Ich finde es viel bemerkenswerter, dass die Wirtschaftsgeschichte nur wenige Perioden richtiger Inflation kennt, die meisten davon im letzten Jahrhundert, dem Zeitalter der völlig losgelösten Geldschaffung. Dies habe ich mit einer Studie der Deutschen Bank an dieser Stelle diskutiert.
  • „Unter Volcker hob das Fed die kurzfristigen Nominalzinsen schnell immer weiter an, um die Inflation um jeden Preis zu senken (…) im Juli (1981) erreichte der Zins für Tagesgelder mit 22% seinen Höchstwert. Die Politik funktionierte: Die jährliche Inflation fiel steil auf einen Durchschnittswert von lediglich 3,4% in den Jahren 1983 bis 1989. Das Fed hatte in extremer Form den später als Taylor-Prinzip (oder, passender, Volcker-Prinzip) bezeichneten Grundsatz erfüllt, wonach der Zins für Tagesgelder stärker steigt als die Inflationsrate.“ – bto: Der Preis für die erfolgreiche Bekämpfung der Inflation war kurzfristiger Schmerz. Der Preis für die Bekämpfung der Asset-Preisinflation wäre ebenfalls ein kurzfristiger Schmerz, nämlich der Margin Call. Das darf man nicht vergessen, wenn man auf die heutige Lage blickt.
  • „Seit damals hat das Fed die Geldpolitik in erster Linie über die kurzfristigen Nominalzinsen gesteuert, besonders den Satz für Tagesgelder. Als seine Macht über die kurzfristigen Kreditkosten im Gefolge der Finanzkrise von 2008 eingeschränkt war – weil der Zins für Tagesgelder sich der Nullgrenze näherte –, ergänzte das Fed sein hauptsächliches geldpolitisches Instrument durch zielgerichtete Hinweise (Forward Guidance) und die quantitative Lockerung.“ – bto: Es gibt einen entscheidenden Unterschied. Seit den 1980er-Jahren ist die Intervention immer entgegengesetzt, nämlich stimulierend und inflationsfördernd.
  • „Blieb die Inflation niedrig, weil alle glaubten, dass alles, was deutlich über dem Korridor von 1,5 bis 2% liege, eine steile Anhebung des Zinses für Tagesgelder auslösen würde? (…) Ein Aufsatz von Emi Nakamura und Jón Steinsson von 2018 im ‘Quarterly Journal of Economics’ etwa stellt fest, dass eine kontraktive geldpolitische Erschütterung – ein unerwarteter Anstieg des Satzes für Tagesgelder – die Renditen von Schatzanleihen über einen Zeithorizont von drei bis fünf Jahren erhöht, wobei die Wirkung nach zwei Jahren am stärksten ist. (…) Der Effekt einer kontraktiven Erschütterung auf die voraussichtliche Inflationsrate ist negativ, aber in der Größenordnung moderat und stellt sich im Wesentlichen erst nach drei bis fünf Jahren ein.“ – bto: Es soll also die glaubhafte Drohung sein, die Inflation zu bekämpfen, die diese bereits verhindert? Ich bezweifle das doch sehr.
  • „(…) eine Zinserhöhung kündigt ein höheres Wachstum an und eine Zinssenkung ein niedrigeres. (…) eine unerwartete Erhöhung des Zinses auf Tagesgelder (ist) schlecht für den Aktienmarkt, (…) eine unerwartete Zinssenkung von 50 Basispunkten den S&P 500 etwa 5% steigen lässt, obwohl das prognostizierte reale BIP-Wachstum zurückgeht. Der wahrscheinliche Grund hierfür ist der Rückgang der erwarteten realen Renditen konkurrierender Finanzinstrumente, wie etwa Schatzanleihen, im Laufe der kommenden drei bis fünf Jahre. Dieser Abzinsungseffekt übersteigt den negativen Einfluss des für die Zukunft erwarteten niedrigen realen Ertrags auf die Aktienkurse.“ – bto: Ich frage mich, wie sie das „Unerwartete“ messen wollen, folgt doch die Fed meist dem Markt, der diese Zinsentscheidungen oft vorwegnimmt.
  • „Vermutlich würde das Fed, sollte die Inflation wesentlich über den Zielkorridor von 1,5 bis 2% steigen, die Art dramatischer Erhöhungen der kurzfristigen Zinsen einleiten, die Volcker in den frühen Achtzigerjahren durchführte, und diese Änderungen hätten rasche, deutlich negative Auswirkungen auf die Inflation. In ähnlicher Weise würde das Fed, wenn die Inflation deutlich unter den Zielwert fiele und womöglich negativ würde, die Zinsen steil senken – oder, wenn sie die Nullgrenze erreichten, alternative expansive Massnahmen nutzen –, und dies hätte rasche, deutlich positive Auswirkungen auf die Inflation.“ – bto: Letzteres hat sie bewiesen, Erstes ist angesichts des hohen Leverages der Volkswirtschaften meines Erachtens pure Theorie.
  • Barro sieht das ähnlich: „Ich bin nicht zufrieden mit dieser Erklärung. Das ist, als sagte man, die Inflationsrate sei niedrig, weil sie eben niedrig sei. Zweifellos ist es ein zentraler Faktor, dass tatsächliche und erwartete Inflation beide niedrig sind – beide sind eng miteinander verbundene Zwillinge. Doch dies legt nahe, dass die der heutigen niedrigen und stabilen tatsächlichen und erwarteten Inflation zugrundeliegende Geldpolitik weiter funktionieren dürfte, bis sie das auf einmal nicht mehr tut.“ – bto: Und das wäre vermutlich der Fall, wenn das Vertrauen in das Geld verloren ginge. Dann haben wir eine Flucht, der die Fed nicht ernsthaft entgegentreten kann, weil sonst die Deflationäre Depression sofort da ist.

→ fuw.ch: “Rätsel der Geldpolitik”, 8. Juli 2019