Protektio­nismus durch “Friend Shoring”

Vor einiger Zeit habe ich in meinem Podcast über die Bedeutung von Handel zur Sicherung von Frieden gesprochen. Heute als Nachtrag die Argumentation gegen das immer mehr geforderte “Friend Shoring”, also die Forderung nur noch bei befreundeten Staaten einzukaufen. Raghuram G. Rajan, Professor für Finanzwissenschaft an der Booth School of Business der University of Chicago und zwischenzeitlich für ein paar Jahre Chef der indischen Notenbank, erklärt bei der FINANZ und WIRTSCHAFT (FuW), warum das eine schlechte Idee ist:

  • “(…) US-Finanzministerin Janet Yellen (plädierte für) Friend Shoring. Gemeint war, den Handel mit wichtigen Vorleistungen auf vertrauenswürdige Länder zu beschränken, um die Gefahren für die Lieferketten zu reduzieren, auf die die Vereinigten Staaten und ihre Partner angewiesen sind.” – bto: Das klingt bei unserer Bundesregierung sehr ähnlich.
  • Das sollte Anlass zur Sorge sein. Die globalen Lieferketten von heute – ermöglicht durch Zollsenkungen und niedrigere Transport- und Kommunikationskosten – haben die Produktion verändert, weil die Unternehmen ihre Waren dort herstellen können, wo es für sie am billigsten ist. Das bedeutet im Wesentlichen, dass Vorleistungen mit hoher Wertschöpfung wie Forschung und Entwicklung in fortgeschrittenen Volkswirtschaften erbracht werden, während die Produktion in Schwellen- und Entwicklungsländer ausgelagert wird. Die Vorteile liegen auf der Hand. Derartig gefertigte Endprodukte sind deutlich billiger, sodass auch die ärmsten Menschen in reichen Ländern sie kaufen können.” – bto: Insgesamt steigert Handel den Wohlstand. Aber es stimmt sicherlich, dass die Wirkung für einige Bürger auch schlecht sein kann, weil sie im internationalen Wettbewerb nicht bestehen.
  • “Gleichzeitig beteiligen sich die Entwicklungsländer am Produktionsprozess und nutzen dabei ihre wertvollste Ressource, kostengünstige Arbeitskräfte. In dem Mass, in dem ihre Arbeitskräfte an Qualifikation gewinnen, stellen die Erzeuger in diesen Ländern auf anspruchsvollere Produktionsverfahren um und steigen in der Wertschöpfungskette auf. Mit steigenden Einkommen der Arbeitskräfte kaufen diese mehr der ursprünglich für die reichen Länder bestimmten Produkte.” – bto: Das ist genau der Effekt, der dazu führt, dass gerade die Armen der Welt ihr Situation verbessern könnten.
  • “(…) Handel ist nicht automatisch eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. (…) Mit politischen Massnahmen, etwa zur stetigen Verbesserung der Qualifikation der Arbeitskräfte, kann verhindert werden, dass Menschen oder Gemeinden durch den Handel abgehängt werden.” – bto: Letzteres hat die Politik aber versäumt, stattdessen wurde auf Schulden (USA) und Sozialtransfers (EU) gesetzt.
  • “Eine noch gefährlichere Bedrohung stellt jedoch der wiederauflebende Protektionismus dar. (…) Nun hat sich durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die Möglichkeit ergeben, dass eine aufgebrachte Öffentlichkeit die Ausweitung offizieller Sanktionen über ein Mass hinaus fordert, das die Absichten der Politik übersteigt.” – bto: Es bietet die Chance für Protektionismus. Gerade die EU drängt in diese Richtung und Deutschland sollte sich dem widersetzen.
  • “Es ist legitim, dafür zu sorgen, dass Waren und Dienstleistungen, die für die nationale Verteidigung eines Landes unerlässlich sind, im Inland oder von befreundeten Nachbarländern produziert werden. Das Problem besteht darin, dass der Begriff «unerlässlich» von protektionistischen Interessen oft so weit gefasst wird, dass er sogar verbreitet hergestellte Güter wie Stahl oder Aluminium umfasst.” – bto: Gerade Frankreich hat hier eine sehr schlechte Tradition, die nun auf EU-Ebene Einzug halten soll.
  • “In der Praxis hiesse Friend Shoring, nur mit Ländern auf ähnlichem Entwicklungsniveau Geschäfte zu machen, die über ähnliche Werte und Institutionen verfügen.” – bto: Es verwehrt den Entwicklungsländern die Entwicklung und erhöht die Kriegsgefahr.
  • Das sieht auch Rajan so: “Gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten können geostrategische Rivalen eher zögern lassen, aufeinander Raketen zu schiessen. Zahlreiche Beobachter stellen fest, dass China es sich zweimal überlegen wird, in Taiwan einzumarschieren, nachdem man den Schaden der Sanktionen für Russland gesehen hat.” – bto: Auch der große Konflikt China/USA kann durch mehr Handel eventuell friedlicher ablaufen.
  • “Sollte sich China auf eine Invasion vorbereiten wollen, würde man wohl damit beginnen, die Abhängigkeit von der westlichen Wirtschaft zu verringern – ein Prozess, den das westliche Friend Shoring ungewollt vorantreiben würde. Wirtschaftliche Verflechtungen mögen chaotisch sein, aber sie helfen, den Frieden zu erhalten. Schliesslich würde Friend Shoring tendenziell arme Länder ausschliessen, die den weltweiten Handel am meisten brauchen, um wohlhabender und demokratischer zu werden. Damit würde sich die Gefahr erhöhen, dass diese Länder zu gescheiterten Staaten werden.” – bto: wiederum ein Beispiel für kurzsichtige und egoistische Politik.

fuw.ch (Anmeldung erforderlich): „Ein klares Nein zu Friend Shoring”, 13. Juni 2022