Private Versicherung gegen Elementar­schäden

Besser hätte das Timing nicht sein können. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat im April eine Studie über die Gefährdung durch Starkregen veröffentlicht. Dies ist deshalb interessant, weil es zumindest formell den Beschluss der Länderregierungen gibt, Betroffene nicht mehr finanziell zu entschädigen, weil diese sich hätten versichern müssen und auch können.

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) greift anlässlich der Hochwasserkatastrophe die Studienergebnisse zusammen:

  • „Wuppertal hat aufgrund der geografischen Lage unter den 50 einwohnerreichsten Städten Deutschlands am meisten Gebäude, die bei unwetterartigem Regen hoch gefährdet sind: Knapp 14% aller Adressen oder jedes siebte Haus fallen hier in die am stärksten gefährdete von drei ‘Starkregen-Gefährdungsklassen’. Diese Angaben stammen aus einer Ende April publizierten Übersicht des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Am anderen Ende des Spektrums liegt Kiel, wo nur 2,5% der Gebäude als ‘hoch gefährdet’ klassifiziert wurden.“ – bto: Ich finde es interessant, dass es auch in Lagen abseits von Gewässern zu Schäden kommen kann.
  • Tatsächlich gehören Wuppertal und Hagen, das in der GDV-Liste an vierter Stelle stand, zu den stark betroffenen Opfern der derzeitigen Unwetterkatastrophe. Wie kam der GDV auf seine Städteliste? Sie ist ein Ergebnis des Forschungsprojekts Starkregen, das der Verband gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst und dem Ingenieurbüro IAWG durchgeführt hat.“ – bto: Das bedeutet zum einen, dass die Methodik taugt, zum anderen, dass man sich auch entsprechend vorbereiten konnte, dürfte es doch schon vor der Studie klar gewesen sein, dass diese Gefahren real sind.
  • Je tiefer ein Gebäude liege und je länger das Wasser darin stehe, desto höher sei der Schaden. In die Starkregen-Gefährdungsklasse 1 (‘geringere Gefährdung’) teilte das Projekt Gebäude ein, die auf einer Kuppe oder im oberen Bereich eines Hangs liegen, die Klasse 2 (‘mittlere Gefährdung’) umfasst Lagen in der Ebene oder im unteren/mittleren Bereich eines Hangs, aber nicht in der Nähe eines Bachs, zur die Klasse 3 (‘hohe Gefährdung’) zählen Häuser im Tal oder in der Nähe eines Bachs.“ – bto: Man kann bei einem Starkregen einen vollen Keller haben, nur weil die Kanalisation es nicht mehr schafft.
  • Deutschlandweit liegen laut GDV knapp 12% aller erfassten 22,1 Millionen Adressen in der stark gefährdeten Klasse 3, etwa 66% in der mittleren Klasse 2 und fast 23% in der Klasse 1 mit geringerer Gefährdung.“ – bto: Dies bedeutet aber, dass es nötig ist, hier vorzusorgen.
  • “Neben der Gefährdung durch Starkregen haben die deutschen Versicherer auch das Überschwemmungsrisiko derselben 22,1 Millionen Adressen erfasst, wobei sich bei vielen Schäden nicht genau ermitteln lasse, ob sie durch einen Starkregen und die Ausuferung von Gewässern verursacht worden seien. Beim Überschwemmungsrisiko unterscheiden sie vier Kategorien, wobei deutschlandweit nur 0,4% der Gebäude auf die Klasse mit höchster Gefährdung und 1,1% auf jene mit der zweithöchsten Gefährdung entfallen. Über 92% der Adressen sind nach der gegenwärtigen Datenlage nicht von Hochwassern grösserer Gewässer betroffen.“ – bto: Das ist eine gute Nachricht, aber bereits der Starkregen kann natürlich zu entsprechenden Schäden führen.
  • “Schon 2019 hatte der GDV im Rahmen des Forschungsprojekts Starkregen davor gewarnt, dass sich Deutschland auf mehr Wetterextreme wie Starkregen einstellen müsse. Dies ergebe sich aus Klimamodellen. Solche Extremregen seien gefährlich, schwer vorhersehbar, oft kurz und kleinräumig; ihre Zerstörungskraft sei immens. Trotz der anfangs erwähnten unterschiedlich hohen Gefährdung kam das Forschungsprojekt zu dem Ergebnis, dass jeder Ort in Deutschland betroffen sein könnte. Darauf verwies am Freitag auch Ernst Rauch, der Chef-Klimatologe des Rückversicherers Munich Re, in einem Interview mit dem ‘Spiegel’. Hauseigentümer mit Gebäuden, die nicht nahe an einem Fluss stünden, schätzten diese als nicht gefährdet ein, erklärte er. ‘Aber selbst wenn Sie zehn Meter unterhalb einer Bergkuppe wohnen, kann bei Starkregen das Wasser durch Ihr Haus rauschen.’“ – bto: Nun gibt es hier sicherlich kommerzielle Interessen der Versicherungswirtschaft, dennoch ist es ein relevanter Punkt.
  • „(…) nur 46% besitzen auch einen Versicherungsschutz gegen weitere Naturgefahren wie Starkregen und Hochwasser. (…) Der Versicherungsschutz ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich: In Baden-Württemberg sind laut einer GDV-Schätzung vom April 94% aller Gebäude umfassend gegen Elementarschäden versichert, in Bremen nur 23%. In den derzeitig stark betroffenen Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind es 47% bzw. 37%.“ – bto: in Baden-Württemberg deshalb, weil es bis vor 1993 Pflicht war.
  • „Die geringe Dichte in vielen anderen Bundesländern wiederum hat möglicherweise nicht nur mit dem von Rauch erwähnten fehlenden Risikobewusstsein zu tun, sondern auch mit der Erwartung von staatlicher Hilfe. Tatsächlich hat der Staat bei den letzten grossen Hochwassern in den Jahren 2002 und 2013 zahlreiche Schäden übernommen. In beiden Jahren stand eine Bundestagswahl bevor.“ – bto: Und wie wird es in diesem Jahr sein?
  • Seit einigen Jahren warnen Versicherungsexperten allerdings davor, sich weiterhin auf den Staat zu verlassen. Sie verweisen auf eine Verständigung der Ministerpräsidenten der Bundesländer aus dem Jahr 2017, staatliche Hilfen nur noch an diejenigen auszubezahlen, die sich nachweislich erfolglos um eine Elementarschadenversicherung bemüht haben oder denen eine solche nur unter unzumutbaren Bedingungen angeboten wurde. Ordnungspolitisch ist das richtig, da ein staatlicher Ausgleich für versicherbare Schäden den Anreiz vermindert, sich ausreichend zu versichern, und das Risiko vom Hausbesitzer auf die Allgemeinheit beziehungsweise die Steuerzahler verlagert. Politisch könnte es aber im jetzigen Fall angesichts der immensen materiellen Schäden und des damit verbundenen menschlichen Leids schwierig werden, den Grundsatz von 2017 durchzuhalten – umso mehr, als auch dieses Jahr Bundestagswahlen anstehen.“ – bto: Darauf kann man wohl wetten.

nzz.ch (Anmeldung erforderlich): „Warum Gebäude in Wuppertal besonders gefährdet sind und man sich trotzdem auch in Kiel versichern sollte“, 18. Juli 2021