Paukenschlag? Wohl eher naive Theorie

FOCUS meldet: „Deutschlands bekanntester Ökonom Hans-Werner Sinn hat die Leitung des Ifo-Instituts an Clemens Fuest übergeben. Der tritt sein neues Amt mit einem Paukenschlag an – und präsentiert einen Vorschlag, mit dem angeblich die Eurokrise gelöst werden kann.“ Da bin ich natürlich gespannt! Zur Erinnerung, die Eurozone leidet an vielen Problemen:

  • auseinanderlaufende Wettbewerbsfähigkeit der Länder: Lohnkosten, Produktivität, Innovationskraft;
  • überbordende Privatverschuldung in Spanien, Irland, Portugal, Holland, Frankreich, …;
  • überbordende Staatsverschuldung in Griechenland, Italien, Frankreich, Spanien, Irland, …;
  • einem Bankensystem, welches bei objektiver Betrachtung insolvent ist, es fehlen mindestens eine Billion Euro.

Clemens Fuest, hat nun einen Vorschlag unterbreitet, wie endlich wieder Ruhe einkehren soll. Bei der Jahresversammlung des Instituts übernahm Fuest den Staffelstab von seinem prominenten Vorgänger Hans-Werner Sinn – und ging gleich in die Vollen.“ Schauen wir sie uns an:

  • „Seine Idee: eine neue Art von Staatsanleihen, die es unmöglich machen soll, dass Länder für die Schulden anderer Länder einstehen müssen. ‚Die Kosten der Staatsverschuldung könnten dann nicht mehr auf andere abgewälzt werden‘, erklärte Fuest. (…) sogenannten Accountability Bonds, also Verantwortungsbonds …“ bto: Wie noch mehr Schulden die Schuldenkrise lösen, ist mir nicht so ganz klar.
  • Konkret sollen nur noch diese nachrangigen Anleihen ausgegeben werden, sobald ein Staat sich um mehr als 0,5 Prozent neu verschuldet. Überschreitet die gesamte Staatsverschuldungsquote 120 Prozent, fallen die Zinszahlungen aus, die Anleihen werden automatisch verlängert, bis diese Schwelle wieder unterschritten wird.“ – bto: o. k., automatisierter Teilbankrott, sobald die Schulden aus dem Ruder laufen. Nette Idee.
  • Wenn ein Land ein Land das Rettungsprogramm ESM (Europoean Stability Mechanism) beansprucht, fallen die Anleihen ganz aus. ‚Die Kosten eines Verstoßes gegen die Vereinbarung steigen so an‘, erklärte Fuest. Zudem werde eine koordinierte Fiskalpolitik gestärkt.“ – bto: Zunächst steigen die Kosten für die Gläubiger. Wie das die koordinierte Finanzpolitik stärkt, ist mir nicht so ganz klar. 
  • Gekauft werden sollen die neuen Bonds weder von anderen Staaten noch der Europäischen Zentralbank. Stattdessen sollen private Investoren wie Rentenkassen oder Versicherungen für die neuen Anleihen interessiert werden. Fuest betonte, er habe bereits mit Investoren gesprochen und sei dabei auf viel Interesse gestoßen.“ – bto: O. k., die verwalten ja nicht ihr eigenes Geld. Interesse gibt es dank der höheren Zinsen wegen des Risikos und in der Hoffnung, doch wieder rausgehauen zu werden. 
  • Um sich durchzusetzen, müssten die Verantwortungsbonds von allen Euro-Staaten eingeführt werden. Da der Preis vom Risiko abhinge, müssten nur stark verschuldete Staaten ihre Politik ändern, betonte Fuest: ‚Für ein Land, das sich an die Regeln hält, ändert sich nichts.‘“ – bto: Ob Fuest die Staaten auch gefragt hat, ob sie genauso begeistert wie die Investoren sind? Wohl kaum!

Etwas ausführlicher erläutert wird dieser „revolutionäre Vorschlag hier: → ÖKONOMENSTIMME: „Accountability Bonds: Eine neue Art von Staatsanleihen, 9. November 2015

Der Vorschlag ist nicht umzusetzen, weil kein Finanzminister; der klar denken kann, dem zustimmen wird. Und selbst wenn er umgesetzt würde, adressiert er keines, aber auch wirklich keines der Probleme der Eurozone. Der vernünftigste Vorschlag aus der deutschen Ökonomenszene ist und bleibt die Idee eines Schuldentilgungsfonds, die ich bekanntlich um die Privatschulden erweitert habe: → Fixing the Eurozone, ergänzt um die (geringere) Anzahl der Länder, die darin bestehen können.

Ein Kunde von mir sagte so schön: gelesen, gelacht, gelocht.

FOCUS MONEY ONLINE: „Neuer Ifo-Chef Fuest will Euro-Krise mit Accountability Bonds lösen“, 28. April 2016

Kommentare (3) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. MFK
    MFK sagte:

    Diese Art von Staatsanleihen auszugeben kann man natürlich versuchen, nur werden sich die Gläubiger das höhere Risiko mit höheren Zinsen vergüten lassen, was wiederum schneller zur Zahlungsunfähigkeit führt. Auch kann man versuchen, über staatliche Reglementierung verschiedene institutionelle Anleger, wie Versorgungswerke etc. zu marktunüblichen Zinsen in diese Anlageklasse hineinzupressen, nur dann kommt das einer Sondersteuer gleich. Im Ergebnis sind das also alles Scheinlösungen. Die Frage bleibt, wer hat von den heutigen Verhältnissen am meisten profitiert? Derjenige sollte bitte schön auch die Zeche zahlen. In Deutschland sind das die Eigentümer der exportgetriebenen Industrien. Wenn Frau Klatten nun meint, sich mit einer € 100 mio Spende an die Bertelsmann Stiftung aka Phineo hiervon freikaufen zu wollen, sollte man ihr klar sagen, dass das nicht reicht, ansonsten wird der Wähler das wohl den Parteien erklären.

    Antworten
  2. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    >Der Vorschlag ist nicht umzusetzen, weil kein Finanzminister; der klar denken kann, dem zustimmen wird. Und selbst wenn er umgesetzt würde, adressiert er keines, aber auch wirklich keines der Probleme der Eurozone.>

    Würde er umgesetzt, gibt es zwei Alternativen

    a) werden die Neuverschuldungsgrenze von 0,5% und die gesamte Staatsverschuldungsquote von 120% eingehalten, gibt es in den Ländern, um die es hier geht, Volksaufstände mit der Folge politischer Destabilisierung – Ansätze sind jetzt schon zu erkennen (in Spanien keine Regierungsbildung möglich) –, so dass ALLE Anleihen an Wert verlieren, Neuverschuldung praktisch ausfällt und das Land im ESM oder Staatsbankrott endet.

    oder

    b) werden obige Grenzen werden wegen der dargelegten Folgen nicht eingehalten, dann
    kauft keiner mehr nachrangige Anleihen und der Staat hängt – erstmals oder wieder – am EMS oder er endet im Staatsbankrott.

    Fuest will das Haftungsproblem in der Eurozone lösen.

    Es ist nicht zu lösen OHNE Zerfall der Eurozone.

    Das Problem von Leuten mit derartigen Vorschlägen:

    Wer nicht Ökonomie kann, versteht die Welt nicht.

    Wer nur Ökonomie kann, versteht sie auch nicht.

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