Offene Grenzen reduzieren das soziale Kapital der Solidarität

Heute Morgen habe ich (erneut) die Kosten der Zuwanderung betrachtet. Es gibt ja wirklich Menschen, die denken, dass Zuwanderung ein Menschenrecht (ich denke, es ist ein Privileg) sei und deshalb sagen, wir können nichts daran ändern. Die Grenzen müssten nun mal offen sein. Auf welch schwachen Füßen diese Argumentation steht, habe ich an dieser Stelle schon im Januar erläutert:

  • „In jedem öffentlichen Raum haben Menschen das Recht, sich frei zu bewegen – oder sollten es haben –, ebenso, wie sie das Recht haben (sollten), frei ihre Meinung zu äußern. In beiden Fällen muss jeglicher Versuch, Menschen an ihrem freien Handeln zu hindern, mit stichhaltigen Argumenten begründet werden.“ – bto: also absolute Freizügigkeit als Prinzip. Den Grünen dürfte das gefallen (und der SPD, deren Stiftung den Beitrag veröffentlicht hat).
  • Staatsgrenzen sind an sich noch kein Grund, das Recht einer Person zur freien Wahl des Aufenthaltsortes, also die Freizügigkeit einzuschränken. Wer sich für Einschränkungen der Freizügigkeit ausspricht, muss erklären, warum es durch das Vorhandensein einer Staatsgrenze für den Staat erforderlich ist, die Freizügigkeit zu beeinträchtigen.“ – bto: Dafür ist das Vorhandensein einer Staatsgrenze doch nicht erforderlich, sondern zum Schutz des Vermögens der bereits hier wohnenden Bevölkerung. Dabei geht es nicht um die Privatvermögen (auch, aber nicht zuerst), sondern um Volksvermögen wie Infrastruktur (Schulen, Behördenkapazität, Polizei, Feuerwehr, Gesundheitsversorgung, Straßen etc.), das von den schon dort Wohnenden aufgebaut wurde und dann quasi umsonst geteilt wird. Und es geht um das soziale Kapital der Solidarität.
  • „Stichhaltige Argumente sind vor allem deshalb wichtig, weil es sich bei der Einschränkung der Freizügigkeit nicht einfach nur um eine politische Maßnahme handelt. Vielmehr gehen staatliche Zwangsmaßnahmen damit einher. Da ist nicht nur die Unannehmlichkeit, dass sich ein Grenzbeamter unseren Pass ansieht. Das kann auch die Zwangsmaßnahme militärischer Patrouillen sein, die auf Migranten schießen; Internierungslager, in denen Tausende unter brutalsten Bedingungen inhaftiert werden; (…) Das ist nicht etwa das inakzeptable Gesicht der Einwanderungskontrollen, sondern es ist heute Realität. Und nicht wer gegen diese Zwangsmaßnahmen ist, sondern wer sie vertritt, muss das moralisch und politisch begründen.“ – bto: Und genau das kann man auch, wie ich heute Morgen gezeigt habe.
  • Welche Argumente werden also gegen die Freizügigkeit ins Feld geführt? Grob gesagt fallen sie in drei Kategorien: Freizügigkeit untergräbt die Souveränität eines Staates, sie verstößt gegen die Demokratie, und sie hat verheerende praktische Auswirkungen. Sehen wir uns alle drei Kategorien kurz an.“ – bto: Wie ist es mit den Stichworten Volksvermögen und Sozialstaat? Schon der Nobelpreisträger Milton Friedman hat erkannt, dass ein Sozialstaat und offene Grenzen nicht kompatibel sind. Mit keiner Silbe wird das in diesem Beitrag erwähnt. Man kann natürlich offene Grenzen haben, dann muss man aber so wenige Gemeinschaftsgüter wie möglich haben. Keine Umverteilung, private Infrastruktur, für die jeder bezahlen muss.
  • „Es gibt keinen Grund, warum sich ein souveräner Staat in seiner Grenzpolitik gegen die Freizügigkeit entscheiden sollte. (…) Freizügigkeit ist demnach an sich noch keine Verletzung der Souveränität. Kritiker vermengen das Recht auf Grenzkontrollen mit der Verpflichtung, Grenzkontrollen durchzuführen.“ – bto: aber doch nicht, um Grenzen zu sichern, sondern die Verteilung des Volksvermögens.
  • „Das zweite Argument gegen die Freizügigkeit lautet, dass offene Grenzen undemokratisch seien, weil es für eine solche Politik kein Mandat gebe. Es stimmt, dass man eine liberale Einwanderungspolitik nicht gegen den Widerstand der Bevölkerung umsetzen kann, sondern nur, wenn man die Öffentlichkeit davon überzeugen kann. Dieses Argument widerlegt aber nicht die Freizügigkeit, sondern spricht dafür, ein demokratisches Mandat für solch eine Politik zu erlangen.“ – bto: Das ist sicherlich richtig. Es wird aber nicht versucht, weil die Politiker wissen, dass sie es bei einer direkten Befragung nicht bekämen.
  • „Einerseits erkennen die Politiker die Notwendigkeit der Einwanderung an, andererseits stellen sie sie als Problem dar, das es zu lösen gilt. Gleichzeitig bringen Politiker häufig eine Verachtung für die Massen zum Ausdruck, die sie als rassistisch einordnen, als unfähig, eine rationale Sicht der Einwanderung zu gewinnen. Diese giftige Mixtur aus der Notwendigkeit von Migration, der Angst vor ihr und der Verachtung der Gegner fördert die Stigmatisierung von Migranten und schürt im Volk eine Feindseligkeit gegenüber der liberalen Elite, weil sie die Ansichten der Bürger zur Einwanderung ignoriert.“ – bto: Wie bei derartigen Kommentaren üblich wird postuliert, Migration sei Notwendigkeit. Das wäre zu beweisen, da, wie ich mehrfach gezeigt habe, die Welt vor Überalterung steht und damit alle Länder mit einer schrumpfenden Bevölkerung rechnen müssen. Migranten werden nämlich auch alt. → „Zuwanderung ist die falsche Strategie“
    Hinzu kommt, dass nicht nach der Art der Migration unterschieden wird. So es eine unbelegte Behauptung an einem zentralen Punkt. Die anderen Argumente, die hier vorgebracht werden, sind dagegen zweitrangig oder lenken ab. So taugen dazu, um sehr schön in sich schlüssig zu argumentieren, sind aber irrelevant.
  • „Die dritte Kategorie von Argumenten gegen die Freizügigkeit betrifft die praktischen Folgen: Bei offenen Grenzen könne die ganze Welt ins Land kommen; insbesondere könnten Kriminelle und Terroristen ins Land kommen.“ (…) Freizügigkeit bedeutet nur, dass es keine willkürlichen Kontrollen geben darf, die sich auf Kategorien wie Nationalität, Vermögen oder Schichtzugehörigkeit beziehen, ebenso wenig, wie sie nach Religion, Hautfarbe oder Geschlecht erfolgen dürfen.“ – bto: Dennoch könnte die ganze Welt kommen. Was – wie gesagt – okay ist, solange man die Gemeinschaftsgüter privatisiert und jeder dafür direkt bezahlen muss. Zur Erinnerung: Als die großen Einwanderungswellen waren, zum Beispiel in die USA, mussten die Einwanderer vom ersten Tag an für sich selber sorgen. Es wäre niemand auf die Idee gekommen, diese mit großzügigen Sozialleistungen auf dem Niveau der Leistungen für die einheimische Bevölkerung zu versorgen.
  • „Einwanderungskritiker behaupten, Massenmigration schaffe Arbeitslosigkeit, lasse die Löhne sinken und zehre an den Ressourcen. Die meisten Befunde weisen in eine andere Richtung (…). Solange wir Migranten als Sündenböcke für solche Probleme missbrauchen, übersehen wir aber die zugrunde liegenden Ursachen für stagnierende Löhne, die Zunahme von Null-Stunden-Verträgen, den Wohnungsmangel oder das Gefühl vieler Leute, politisch abgehängt und an den Rand gedrängt worden zu sein (…)“ – bto: Das stimmt sicherlich. Es ist allerdings vor allem eine Frage der Qualifikation der Zuwanderer.
  • „Kritiker der Massenmigration erklären außerdem, bestimmte Typen von Migranten ließen sich schwerer integrieren, weil sie völlig andere Werte hätten. (…) Natürlich bringen Einwanderer kulturelles Gepäck mit, fühlen sich bestimmten Traditionen oder Institutionen zugehörig und vertreten einen eigenen Moralkodex. Doch Gemeinschaften von Migranten sind weder homogen, noch sind solche Zugehörigkeiten konstant.“ – bto: Es ist allerdings unstrittig, dass bestimmte Gruppen eine nachhaltig geringere Erwerbsbeteiligung mit deutlich tieferen Löhnen haben und deshalb dauerhaft Netto-Kosten verursachen. Siehe

    Bertelsmann-Studie,→ Der DIW Faktencheck – Teil 3 (Erträge und Fazit)

    DIW-Daten→ Der DIW Faktencheck – Teil 3 (Erträge und Fazit). (Das ist in der Tat im selben Beitrag. Darin wird vorgerechnet, wie deutlich geringer die Ist-Löhne von Zuwanderern sind. Sie sind ein Nettoverlustgeschäft.)

    Die dominierende Rolle der Einwohner mit türkischen Wurzeln im Armutsbereich.→ Wer sind die Armen in Deutschland?

    • „Abgelehnt wird die Freizügigkeit aus Angst – Angst, dass Migranten unser Land überfluten, dass sie uns Jobs wegnehmen, von Sozialhilfe leben, unsere Kultur untergraben, unsere Werte zersetzen. Diese Angst schafft eine Welt, in der nicht mehr Souveränität oder Demokratie herrschen, sondern Menschen hinter Mauern weggesperrt werden und jeder Staat seine eigene Festung Europa ist. Wollen wir das wirklich?“ – bto: Ich denke, wir müssen es wollen, solange wir den Sozialstaat und die Solidarität nicht aufgeben wollen. Frauen, die sich nicht mehr abends alleine in die Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln trauen, fallen in zwei Gruppen: jene die sich Auto/Taxi leisten können und jene, die nicht. Das ist nicht sozial gerecht.
    • „Mir ist aber wichtig zu betonen, dass keins der Argumente gegen die Freizügigkeit schlüssig ist. (…) Ich weise außerdem darauf hin, dass die Versuche, Migranten aus willkürlichen Gründen fernzuhalten, nicht praktikabel und unmoralisch sind, weil sie in zunehmendem Maße mit brutalen Zwangsmaßnahmen einhergehen. Wenn man Migranten als Sündenböcke für soziale und wirtschaftliche Probleme missbraucht, wird es zudem noch schwerer, die wirklichen Ursachen dieser Probleme anzupacken. Der einzige schlüssige Ansatz ist, Argumente für eine Liberalisierung der Einwanderungspolitik zu formulieren und sich nach und nach dem Ideal der Freizügigkeit anzunähern.“ – bto: Es passt nicht zusammen. Sozialstaat und offene Grenzen sind keine Frage der Argumente für eine Liberalisierung, sondern ein Widerspruch, der nicht lösbar ist. Man kann nicht beides haben.

      bto: Die Argumentation ist dennoch sehr interessant, denn sie offenbart (vor dem Hintergrund edler Motive) ein theoretisches Gerüst, das die ökonomischen und sozialen Zusammenhänge mit Blick auf Wohlfahrtsstaat und Gemeinschaftsgüter völlig ausblendet.

      ipg-journal.de: „Für offene Grenzen“, 2. Januar 2017