Ökonomen tappen in die TARGET-Falle

TARGET” war immer wieder Thema auf bto: heute Morgen die Kritik dazu von Martin Hellweg und kürzlich ausführlich mit Hans-Werner Sinn → Niemand wird TARGET2 stoppen

Es gibt einen weiteren Aspekt, nämlich die Frage, ob man das Problem nicht irgendwie lösen könnte. Norbert Häring erläutert im Handelsblatt, weshalb die Ökonomen Target nicht richtig verstehen und die TARGET2-Salden eben doch kein Problem darstellen:

  • Ein Vollverlust ist möglich, unkt Hans-Werner Sinn. Dann wäre mit einem Schlag gut die Hälfte des deutschen Netto-Auslandsvermögens weg. An dem ehemaligen Chef des ifo Instituts, der den Target-Saldo 2011 im Alleingang zum großen Thema machte, arbeiten sich bis heute alle Diskutanten ab. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Marcel Fratzscher, kritisiert seine Warnungen als Panikmache, die ungerechtfertigt ist und Europa spaltet.” – bto: Schon aufgrund der fachlichen Qualifikation neige ich mehr zu Sinn, was aber nichts daran ändert, dass er sich irren könnte und Fratzscher nur in der Formulierung völlig überzieht.
  • “Auch die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bundesbank betrachten die deutschen Target-Forderungen als für sich genommen bedeutungslose Verrechnungssalden, die allenfalls als Fieberthermometer taugen, und das auch nur bedingt. Die meisten ausländischen und viele deutsche Ökonomen teilen diese Gegenansicht zu Sinn.” – bto: Dann ist ja alles gut. Ich erinnere allerdings daran, dass wir auch ohne Target2-Salden vor erheblichen Verlusten in der Eurozone stehen.
  • “Die Kritiker beschränken sich gern auf die summarische Ablehnung seiner Thesen oder Kritik an einzelnen Begriffen. So wird angezweifelt, dass man bei Target-Salden tatsächlich von Überziehungskrediten sprechen kann. Mangelware sind ausformulierte Gegenentwürfe, die zeigen, warum Deutschland durch das System nicht benachteiligt oder großen Vermögensrisiken ausgesetzt wird.” – bto: Das geht dann so: Es sei ohnehin nur elektronisches Geld, frisch geschaffen, könne gar nicht verloren gehen und überhaupt, der Euro sei unumkehrbar. Also, alles super.
  • “Sinn argumentiert, die Banken der Südländer, die am Geld- und Kapitalmarkt nur zu ungünstigen Bedingungen Kredite bekämen, würden durch das Target-System und die unlimitierte Nullzins-Kreditvergabe durch die EZB zulasten der Bundesbank alimentiert. Denn die Bundesbank erhalte nur ein effektiv unverzinsliches Target-Guthaben, das im Falle eines Zerbrechens der Währungsunion uneinbringlich wäre.” – bto: Das bedeutet, dass die Bundesbank im Spiel um die Rettung des Euros durch Liquiditätsflut zu Null-/Negativzins voll eingebunden wird.
  • “Selbst wenn die ausscheidende Notenbank bereit wäre, die Target-Verbindlichkeit zu tilgen, könne sie das nicht, weil die zugrunde liegenden Kredite an eigene Geschäftsbanken oft mit minderwertigen Sicherheiten abgesichert seien, und weil die dortigen Banken bei einer Währungsumstellung nicht mehr in der Lage seien, Kredite in Euro zu begleichen. Sinn schreibt sogar, das Target-Guthaben sei heute schon wertlos, da es unverzinslich und nicht fällig zu stellen ist.” – bto: Wenn es eine Forderung ist, die sich nicht verzinst und die ich als Gläubiger nicht einklagen kann, dann ist der Wert sicherlich gering.
  • “Dazu passt, was der irische Ökonom Karl Whelan, der eine Gegenposition zu Sinn vertritt, errechnet hat. Ihm zufolge betrüge der Verlust an jährlichen Einnahmen für die Bundesbank wenige Milliarden Euro, wenn die Währungsunion zerbräche und ihre Target-Forderung nicht mehr bedient würde. Dieser Verlust würde mehr als aufgewogen aus dem Geldschöpfungsgewinn. Denn die Bundesbank könnte dann wieder, wie früher, auf eigene Rechnung die Bürger von ganz Europa mit den beliebten D-Mark-Banknoten versorgen.” – bto: Letzteres ist sicher richtig, Ersteres kann ich nicht ganz nachvollziehen.
  • “Whelan und Sinn machen jedoch einen Fehler, wenn sie für den Wert des Target-Guthabens nur die jährlichen Zahlungsströme ansetzen, nicht aber den Nominalwert der Forderung selbst. Der Wert einer Anleihe besteht ja auch nicht nur aus den Zinszahlungen während der Laufzeit. Den größten Teil des Werts macht der Rückzahlungsanspruch aus.” – bto: Jetzt bin ich wieder dabei. Und wir haben für diese Forderung echte Vermögenswerte hergegeben.
  • “Sinn argumentiert, dass Target-Forderungen nicht fällig gestellt werden können und lässt deshalb den Nominalwert unberücksichtigt. Das ist aber nur bedingt richtig. Mit jedem Überweisungsauftrag der Bundesbank an die Bank von Italien oder die Bank von Spanien wird das deutsche Target-Guthaben kleiner, also teilweise fällig gestellt. Deutschland könnte so den Gegenwert seines Target-Guthabens jederzeit abrufen. Stanislas Jourdan, EU-Chef der britischen Organisation Positive Money, drückt das so aus: Deutschland kann seinen Anspruch einlösen, indem es in Italien einkauft. Das können Waren, Dienstleistungen, Wertpapiere oder Grundstücke sein.” – bto: oder der Goldschatz der Banca d`Italia!
  • “Die Bundesbank könnte im Prinzip für 976 Milliarden Euro Grundstücke, Anleihen oder Aktien in anderen Euro-Ländern kaufen. Dann wäre der Target-Saldo wieder ausgeglichen. Ein solches Investitionsverhalten ist für Notenbanken allerdings untypisch. Es war gerade der Druck der Bundesbank, der dazu geführt hat, dass im Rahmen der von der EZB beschlossenen Anleihekäufe jede Notenbank nur die Anleihen der eigenen Regierung kauft. Es gibt aber Gegenbeispiele: Zu den Notenbanken, die in sehr großem Umfang ausländische Aktien und andere Wertpapiere gekauft haben, gehört die Schweizerische Nationalbank.” – bto: Die Bundesbank sollte dafür einfach italienische und französische Aktien aufkaufen, Immobilien in Bestlagen etc. Was würde dann passieren? Die anderen Länder würden einen Aufstand machen und es gäbe Beschränkungen oder gar Enteignungen …
  • “Alternativ könnte der deutsche Staat die Target-Forderungen aufbrauchen, indem er ein großes Programm zur Sanierung der Schulen, Straßen und Brücken auflegte, und dafür intensiv auf Planungsbüros, Material und Bauunternehmen aus anderen Euro-Ländern zurückgreift. Die Staatsschuld würde entsprechend steigen. Dafür würde die Bundesbank im Zuge der Geldüberweisungen ins Ausland Guthaben von deutschen Geschäftsbanken, also eigene Verbindlichkeiten, aus ihrer Bilanz streichen.” – bto: Auch das wäre nicht so dumm. Oder die anderen bauen unser Glasfasernetz. Nebeneffekt: Der Handelsüberschuss wäre weg!
  • “Als eine dritte Möglichkeit zur Nutzung der Target-Forderungen könnten die deutschen Haushalte ihren Konsum steigern und zu einem größeren Anteil im europäischen Ausland decken. Das wäre zum Beispiel zu erwarten, wenn die deutschen Löhne für eine Weile deutlich kräftiger stiegen als im übrigen Europa. (…) Die Mehrimporte würden von der Bank von Italien und den anderen Notenbanken bezahlt, im Tausch gegen die Streichung von deutschen Target-Forderungen.” – bto: Dazu muss es allerdings auch preislich attraktiv sein. Solange Italien teurer ist als Nicht-Euro-Reiseziele ist das ein Problem.
  • “Diese Möglichkeiten, die Target-Forderungen in reale Werte zu transformieren, werden bisher nicht genutzt, weil die Bundesbank keine Wertpapiere der Südländer halten möchte, weil die schwarze Null im Staatshaushalt nicht infrage gestellt werden soll und weil die hohe preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher Anbieter bewahrt werden soll.” – bto: Das ist absolut richtig!

Wertlos sind die Target-Forderungen also keinesfalls. Sie können allerdings wertlos werden, wenn die Währungsunion zerbricht, zum Beispiel wenn andere Länder meinen, in diesem Rahmen mit einer über-konkurrenzfähigen deutschen Wirtschaft nicht mithalten zu können und langfristig den Kürzeren zu ziehen.” – bto: Und es bleibt die Frage, wie die anderen reagieren würden, wenn die Bundesbank in großem Stil Vermögenswerte kauft. Was nicht heißt, dass wir es nicht probieren sollten. Im Gegenteil.

app.handelsblatt.com: “Ökonomen tappen in die Target-Falle”, 26. Juli 2018