Ökonom widerlegt Mythen? – Marcel Fratzscher wieder ohne Beweise

„Ökonom widerlegt Mythen: Flüchtlinge überfordern Deutschland nicht“, – so die Schlagzeile bei n-tv.de. Das finde ich gut, vor allem weil versprochen wird, dass „Mythen widerlegt“ werden. Ich erwarte also konkrete Zahlen und eine Berechnung, die überzeugt. Meine kleine Rechnung kann ja nur simulieren und nicht dem Stab eines wirtschaftswissenschaftlichen Instituts mithalten. Ich gehe davon aus, dass man mir also aufzeigt, dass deutlich mehr als 50 Prozent der Zuwanderer produktiv sind und dabei jeweils mindestens 40.000 Euro oder mehr pro Kopf verdienen.

Als ich dann sah, dass es sich um Marcel Fratzscher handelt, wurde ich schon skeptischer. Bekanntlich sieht er seine Rolle eher als Gegenpol zu Hans-Werner Sinn mit dem Ziel, sich in den politischen Kreisen Berlins, besonders im Wirtschaftsministerium, beliebt zu machen. Siehe auch mein Kommentar zu einem ziemlich schlechten Kommentar von ihm in der FINANCIAL TIMES und den recht unfundierten Aussagen zur Griechenlandkrise. Dies muss man im Hinterkopf haben, wenn man den „Mythen-Entzauberer“ liest. Hier die Aussagen:

  • „‚Es ist ein Kraftakt, absolut‘“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Die finanziellen Belastungen sehe er aber entspannt. ‚Ich glaube, wenn man die letzten 70 Jahre zurückschaut, könnte es eigentlich keinen besseren Zeitpunkt geben, um mit der Herausforderung umzugehen.‘“ – bto: soso. Mit ungedeckten Verpflichtungen für unsere Renten von rund 300 Prozent des BIP, Billionenkosten der Eurorettung, da stehen wir gut da und haben dicke Taschen, meint der Ökonom. Vielleicht hätten wir die Überschüsse auch in Infrastruktur stecken können?
  • „Zum Beispiel stimme das Argument nicht, wegen der Ausgaben für Flüchtlinge müssten womöglich Sozialleistungen oder Renten gekürzt werden.“ Diese erste Sorge ‚Es ist weniger Geld für uns übrig, ist falsch.‘“ – bto: so. Und wo wird diese Aussage bitte bewiesen? Wir werden nicht mehr in Infrastruktur investieren. Die zukünftigen Leistungen werden auch erst dann anfallen. Wie kann man also sagen, dass Kosten in Höhe der Wiedervereinigung nicht von irgendjemand aufgebracht werden müssen?
  • „Die Ausgaben müsse man vielmehr als Investition sehen – ähnlich wie bei frühkindlicher Bildung, sagte er. Das Geld komme auch erst Jahre später wieder zurück, wenn die einstigen Kinder berufstätig seien und über Steuern mehr als die Summe zurückzahlen könnten.“ – bto: Das stimmt. Siehe meinen 10-Punkte-Plan für die Flüchtlingskrise. Dies setzt aber voraus, dass, wie gesagt, mindestens 50 Prozent (eher mehr) mindestens 40.000 Euro verdienen. Woher nimmt Fratzscher die Gewissheit, dass dies klappt?
  • „Fratzscher sieht in Flüchtlingen keine Konkurrenz zu Arbeitslosen, sondern ein eher strukturelles Problem: Viele Menschen seien langzeitarbeitslos. Das sei eine ähnliche Herausforderung wie bei den Flüchtlingen. ‚Es ist völlig falsch, dass Flüchtlinge Deutschen Jobs wegnehmen. Zum einen, weil es genügend Jobs gibt. Und wie soll ein Flüchtling, der wenig Deutsch spricht, einem Deutschen den Job wegnehmen?‘, meinte Fratzscher. Aus seiner Sicht ist entscheidend, wie gut die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden können. ‚Da geht es um Ausbildung, Fortbildung. Und da brauchen wir diesen Kraftakt.‘“ – bto: Auch das stimmt! Doch wie soll der Flüchtling dann zu den Einzahlern in unser System werden?
  • Man wisse, dass viele Syrer eine Schuldbildung und auch ein Studium hätten, so Fratzscher, aber es gebe auch viele ohne Ausbildung. Insgesamt seien zwei Drittel der Flüchtlinge jünger als 25 Jahre, sie müssten ohnehin zur Schule oder bräuchten Ausbildungsplätze, sagte Fratzscher. Der Ökonom sieht Politik und Wirtschaft in der Pflicht, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen.“ – bto: Ja, so was habe ich auch gehört.

So, wie bitte widerlegen diese Allgemeinplätze den „Mythos“, dass es erhebliche Kosten sind? Die finanzielle Überforderung entsteht aus einer Kombination verschiedener Ausgaben. Jede Einzelne mag noch gehen, vielleicht auch einige zugleich aber nicht alle. So verschleudern wir unseren Wohlstand.

Noch mal zur Klarheit: Natürlich müssen wir helfen, wir sollten es nur möglichst ökonomisch machen und aufhören uns etwas vorzumachen. Die Kosten sind erheblich und irgendjemand wird sie tragen müssen. Mit unfundierten Pauschalaussagen schaden die Volkswirte damit den Flüchtlingen und dem sozialen Frieden mehr als sie ihm nutzen. Wie schon bei Folkerts-Landau, der ebenso unfundiert argumentiert hat.

→ n-tv.de: „Ökonom widerlegt Mythen: Flüchtlinge überfordern Deutschland nicht“, 1. November 2015